Stellenwert der Clamshell-Thorakotomie für die Notfall- und Einsatzchirurgie – eine systematische Literaturübersicht
Relevance of Clamshell Thoracotomy for Emergency and Combat Surgery – a Systematic Literature Review
Christian Beltzera, Kerstin Schwabea, Moritz Witzenhausena, Sebastian Brilla, Jan Söltera, Roland Schmidta
a Bundeswehrkrankenhaus Ulm, Klinik II – Allgemein-, Viszeral- und Thoraxchirurgie
Zusammenfassung
Hintergrund: Bei Trauma-Patienten „in extremis“ ist unter bestimmten Bedingungen eine sofortige Notfallthorakotomie indiziert (emergency department thoracotomy, EDT). Hierzu kann die linksseitige anterolaterale Thorakotomie (LAT) oder auch die bilaterale anterolaterale Thorakotomie (Clamshell-Thorakotomie, CST) durchgeführt werden.
Methoden: Anhand der Suchbegriffe „clamshell thoracotomy OR bilateral thoracotomy AND trauma“ wurde eine systematische Literaturrecherche im Zeitraum 2003–2023 in PubMed zur Clamshell-Thorakotomie durchgeführt.
Ergebnisse: 4 Originalarbeiten zur CST wurden in die Auswertung inkludiert. Für die CST ergaben sich gegenüber der LAT schnellere Zeiten bis zur Blutungskontrolle bzw. bis zum aortalen „cross-clamping“. Die CST ermöglicht eine überlegene Exposition und Zugänglichkeit aller thorakalen Strukturen ohne erhöhte Morbidität oder Mortalität im Vergleich zur LAT.
Schlussfolgerung: Die Clamshell-Thorakotomie ist, basierend auf den verfügbaren Daten zum Thema, als Zugang der Wahl bei Patienten mit penetrierenden thorakalen Verletzungen „in extremis“ anzusehen.
Schlüsselworte: bilaterale Thorakotomie, Notfallthorakotomie, anterolaterale Thorakotomie, Clamshell-Thorakotomie, aortales cross-clamping
Summary
Background: Under certain conditions an immediate emergency thoracotomy (EDT) is indicated in trauma patients “in extremis”. For this purpose, left anterolateral thoracotomy (LAT) or bilateral anterolateral thoracotomy (clamshell thoracotomy, CST) can be performed.
Methods: A systematic literature review on clamshell thoracotomy in PubMed (2003 to 2023) was conducted using the search terms “clamshell thoracotomy OR bilateral thoracotomy AND trauma”.
Results: In the analysis 4 original publications on CST were included. Compared to LAT, CST resulted in shorter times to achieve hemorrhage control or aortic “cross-clamping”. Even compared to LAT, CST provides superior visibility of and accessibility to all thoracic structures without increased morbidity or mortality.
Keywords: bilateral thoracotomy; emergency department thoracotomy; left anterolateral thoracotomy; clamshell thoracotomy; aortic cross-clamping
Hintergrund
Die Notfallthorakotomie im Schockraum (Emergency Department Thoracotomy, EDT) als lebensrettende chirurgische Maßnahme ist eine selbst in überregionalen Traumazentren selten durchgeführte Prozedur. Eine Auswertung aus dem Traumaregister DGU der Jahre 2009–2014 ergab, dass bei 99 013 Schockraum-Patienten eine EDT innerhalb der ersten Stunde nach Aufnahme nur bei n = 887 (<1 % der Fälle) durchgeführt wurde [16]. Indikationen zur EDT bestehen bei hämodynamisch instabilen Patienten „in extremis“, vor allem bei penetrierenden thorakalen und extrathorakalen Verletzungen (siehe unten). In Deutschland kommen penetrierende Traumata jedoch anteilig selten vor (5 % penetrierendes versus 95 % stumpfes Trauma [4]).
Gegenwärtige politische Entwicklungen haben zu einer verstärkten Ausrichtung der Bundeswehr auf die Landes- und Bündnisverteidigung (LV/BV) geführt. Derartige militärische Szenarien gehen potenziell mit hochintensiven Gefechten einher, die eine Re-Fokussierung des Militärchirurgen1 auf Maßnahmen zur „Damage Control Surgery (DCS)“ nach penetrierender Gewalt erfordern. Hierzu zählen auch profunde theoretische Kenntnisse und praktische Fertigkeiten zur EDT. Die Erstbeschreibungen der EDT im heutigen Sinne gehen auf die Chirurgen DeBakey 1967 [3] und Mattox 1974 [14] zurück.
Ziele der EDT
Die sofortige EDT verfolgt dabei die folgenden Ziele, einzeln oder kombiniert [7][17][21]:
- Entlastung einer Perikardtamponade zur Wiederherstellung der Herzfunktion und des kardialen Auswurfs,
- Blutungskontrolle von (penetrierenden) Herzverletzungen,
- Blutungskontrolle von pulmonalen (Gefäß-)verletzungen,
- Cross-Clamping der Aorta descendens zur (a) verbesserten myokardialen und cerebralen Perfusion bzw. (b) Reduktion subdiaphragmaler Blutungen (z. B. Abdomen),
- offene Herzdruckmassage, v. a. zur Verbesserung der cerebralen Perfusion, sowie
- Behandlung bronchovenöser Luftembolien (z. B. durch ventrikuläre Luftaspiration; Ausklemmen des Lungenhilus), v. a. zur Vermeidung koronarer/myokardialer Ischämien.
Kontroversen zur EDT
Die Bewertung der Sinnhaftigkeit der EDT hängt, wie bei jeder chirurgischen Maßnahme, vor allem von einer Nutzen-Risiko-Bewertung ab. Unter diesem Aspekt müssen die DCSallgemein und ihre Prozeduren – wie die EDT –selbstverständlich mit besonderen Maßstäben gemessen werden, auch in Bezug auf den realistisch zu erwartenden Gewinn (Überleben) unter Inkaufnahme einer erhöhten Morbidität.
Gründe zu Vorbehalten gegenüber der EDT sowie noch mehr der Clamshell-Thorakotomie (siehe unten) sind vor allem:
- selbst bei korrekter Indikationsstellung und Durchführung überwiegt der Anteil an Patienten, die dennoch versterben [18][22],
- die hohe chirurgische Invasivität [10],
- mögliche iatrogene Verletzungen bei der Durchführung (z. B. Verletzung des Nervus phrenicus bei der Perikarderöffnung; Verletzung des Ösophagus beim aortalen cross-clamping u. a. [1] sowie
- die mögliche Langzeitmorbidität (neurologische Einschränkungen aufgrund cerebraler Ischämiephasen i.R. der Reanimation) [18][22].
Aufgrund der gebotenen Dringlichkeit bei Patienten „in extremis“ besteht selten die Möglichkeit, die Betroffenen in den Operationssaal zu verbringen, um die Thorakotomie dort unter besseren Bedingungen durchzuführen. Die Thorakotomie im Operationssaal kann bei noch kreislaufstabilen oder bereits kreislaufinstabilen Patienten mit persistierendem Blutverlust über eine einliegende Thoraxdrainage (> 250 ml/h über 4 h) erfolgen [8]. Es handelt sich zwar auch in diesen Fällen um eine Notfallthorakotomie, jedoch nicht um Patienten „in extremis“ mit EDT, für die andere Kriterien in Bezug auf Indikationsstellung und Durchführung gelten. Auch die präklinische Notfallthorakotomie, besonders wenn diese von Nicht-Chirurgen durchgeführt wird, muss von der EDT im engeren Sinne abgegrenzt werden. Im “Manual of Definitive Surgical Trauma Care” wird ausgeführt:
„It must be noted that there is an extremely high mortality associated with all thoracotomies performed anywhere outside the operating theatre, especially when performed by non-surgeons.”[5]
Die Entscheidung für oder gegen die Durchführung einer EDT muss in der Regel schnell getroffen werden. Umso mehr erscheint eine theoretische Auseinandersetzung jedes Trauma- und Einsatzchirurgen mit dem Thema unabdingbar. Dazu zählen Wissen zu Indikationen und Kontraindikationen zur Durchführung einer EDT sowie auch die mit der Maßnahme verbundenen operativen Manöver.
Indikationen zur EDT
Bereits im Jahre 2001 wurden durch das American College of Surgeons (ACS)-Committee on TraumaSelektionskriterien für die EDT veröffentlicht [23], die ebenso wie die 2006 formulierten „Denver-Guidelines“ [6] bis heute beinahe unverändert gültig sind (adaptiert in Tabelle 1). In letzteren wurde eine kardiopulmonale Reanimationszeit >15 min beim penetrierenden und >5 min beim stumpfen Trauma, jeweils ohne Lebenszeichen, als (relative) Kontraindikationen zur Durchführung einer EDT herausgestellt.
Tab. 1: Ergebnisse der EDT in Abhängigkeit von Verletzungsmechanismus und Patientenzustand (gemäß Veröffentlichung der EAST 2015 [18])
Die bis dato detaillierteste Auswertung der EDT in Bezug auf Indikationsstellung, Patientenselektion und assoziierte Überlebensraten wurde 2015 durch die Eastern Association for the Surgery of Trauma (EAST) publiziert [18]. In diese Analyse gingen 72 Studien mit insgesamt 10 238 Patienten mit EDT ein. Es wurden – basierend auf der verfügbaren Evidenz – für verschiedene Verletzungsmuster (penetrierend thorakal versus extrathorakal versus stumpf) und in Abhängigkeit des klinischen Patientenzustands (mit und ohne Lebenszeichen) Empfehlungen zur EDT formuliert. Mittels EDT lassen sich die höchsten Überlebensraten für Patienten mit Lebenszeichen und penetrierenden thorakalen (Überleben: 21,3 %) oder extrathorakalen Verletzungen (Überleben: 15,6 %) erzielen, wohingegen die EDT bei stumpfem Trauma mit sehr unbefriedigenden Ergebnissen einhergeht (Überleben mit Lebenszeichen: 6,9 % versus ohne Lebenszeichen: 0,7 %). Weitere Ergebnisse mit zugehörigen Empfehlungen sind in Tabelle 1 zusammengefasst. Diese Empfehlungen werden immer dann als „eingeschränkt“ formuliert, wenn die verfügbare Datenlage eine klarere Einordnung (z. B. starke oder keine Empfehlung) nicht zulässt.
Zum Vergleich betrugen im Raum des Traumaregisters DGU®, also vor allem in Deutschland, die Überlebensraten bei Patienten mit EDT bei cardiac arrest und penetrierendem bzw. stumpfem Trauma 20,7 % bzw. 4,8 % [16].
Die genannten Ergebnisse aus internationalen Studien sowie auch die Auswertung des Traumaregisters DGU®
- widerlegen anhand der erreichten Überlebensraten von bis zu 21,3 % die oftmals vorhandene grundsätzliche Ablehnung der EDT und
- stellen die überragende Bedeutung von Selektionskriterien heraus (Traumamechanismus und Patientenzustand).
Soreide et al. bewerten den allgemeinen Stellenwert der EDT in ihrer Übersichtsarbeit wie folgt:
„Emergency department thoracotomy (EDT) may serve as a life-saving tool when performed for the right indications, in selected patients, and in the hands of a trained surgeon”. [22]
Neben der richtigen Indikationsstellung und dem Zustand des Patienten kann auch die Auswahl des operativen Zugangs über Erfolg oder Misserfolg einer EDT entscheiden. Im Gegensatz zu den o.g. Indikationen und Selektionskriterien zur EDT liegen hierzu keine klaren evidenzbasierten Empfehlungen vor [10]. Entsprechend schwach ist daher auch die Aussage zur Auswahl der Thorakotomie in der deutschen S3-Leitlinie Polytrauma:
„Je nach Verletzungslokalisation kann als Zugang eine anterolaterale Thorakotomie oder eine Sternotomie gewählt werden. Bei unklarer Verletzungslokalisation kann der Clamshell-Zugang in Erwägung gezogen werden.“ [8]
Linksseitige anterolaterale Thorakotomie (left anterolateral thoracotomy, LAT)
Bis heute gilt die LAT als Standardzugang bei vorliegender Indikation zur EDT [5][11]. Die Schnittführung verläuft im 5. Interkostalraum (ICR) am Rippenoberrand vom Sternum nach dorsal bis zur mittleren Axillarlinie. Nach Durchtrennung der interkostalen Muskulatur und Eröffnung der parietalen Pleura wird ein Finochietto-Retraktor eingesetzt, um die Rippen zu spreizen. Auf die Ligatur der Arteria mammaria interna am Sternalrand ist spätestens beim Wundverschluss zu achten.
Beidseitige anterolaterale Thorakotomie mit querer Sternotomie (Clamshell-Thorakotomie, CST)
Es handelt sich um eine bilaterale anterolaterale Thorakotomie im 5. ICR mit querer Sternotomie. Die Sternotomie kann beispielsweise unter Verwendung einer Rettungsschere oder eines Lebsche-Sternummeissels erfolgen. Der Brustkorb lässt sich in bildlicher Analogie zu einer Muschel (engl. clamshell) weit öffnen, mit maximaler Exposition beinahe aller thorakaler Strukturen (Abbildung 1).
Abb. 1: Clamshell-Thorakotomie und mediane Laparotomie; Schockraum Bundeswehrkrankenhaus Ulm (Quelle: Bundeswehr/Beltzer)
Indikationen und Selektionskriterien zur Durchführung einer EDT sind mittlerweile mit guter Evidenz hinterlegt. Unklar ist, welchen spezifischen Stellenwert die CST besitzt. Um eine Einordnung der CST vornehmen zu können, erscheint die Beantwortung der folgenden Fragen relevant, jeweils im Vergleich zur anterolateralen Thorakotomie:
- Verbessert die CST die Exposition thorakaler Strukturen und erleichtert damit die chirurgische Versorgung?
- Ist die Durchführung der CST mit einem erhöhten zeitlichen Aufwand verbunden?
- Führt die CST zu einer erhöhten postoperativen Morbidität und Mortalität?
Methoden
Zur Beantwortung der Fragen erfolgte eine systematische Literaturrecherche in der Medizindatenbank PubMed. Dazu wurde eine primäre Abfrage anhand der Suchbegriffe „clamshell thoracotomy OR bilateral thoracotomy AND trauma“in den Publikationen des Zeitraum 2003–2023 durchgeführt.
Eingeschlossen wurden
- Originalarbeiten zur CST beim Trauma, unabhängig vom Studiendesign und untersuchten Endpunkten, und
- Untersuchungen zur praktischen Durchführung und Ausbildungsaspekten zur CST, inklusive anatomischer Untersuchungen und Kadaver-Studien.
Ausgeschlossen wurden
- Fallberichte (Case Reports),
- Übersichtsarbeiten (Reviews),
- Untersuchungen zur prähospitalen CST,
- nicht englischsprachige Artikel und
- Publikationen zur CST ohne Bezug zum Trauma (z. B. Mediastinitis; onkologische Chirurgie; tracheobronchiale Verletzungen; Zwerchfellverletzungen).
Ergebnisse
Eingeschlossene Studien
Die Suche mit „clamshell thoracotomy OR bilateral thoracotomy AND trauma“ im Zeitraum 2003–2023 ergab n = 155 Treffer. Nach Anwendung der Ausschlusskriterien wurden 151 Veröffentlichungen exkludiert, so dass n = 4 Publikationen in die Auswertung aufgenommen wurden (Flowchart zur Studienselektion siehe Abbildung 2).
Abb. 2: Flowchart zur Studienselektion
Unter den 4 eingeschlossenen Veröffentlichungen waren zwei prospektive Studien zur Durchführung der CST an Körperspendern [11][15], eine anatomische [20] sowie eine retrospektive Untersuchung [9]. Eine Übersicht der inkludierten Publikationen mit Studiendesign und wesentlichen Aussagen zeigt Tabelle 2.
Prozedurenzeiten und Erfolgsraten LAT versus CST
In einer internen Untersuchung während eines Kurses führten 16 chirurgische Assistenzärzte und -ärztinnen nach zufälliger Verteilung eine LAT(n = 8) oder CST (n = 8) an perfundierten Körperspendern durch, um eine Stichverletzung des rechten Ventrikels zu versorgen [11]. Dabei betrugen die Zeiten zur Etablierung des jeweiligen Zugangs 2,39 min (LAT) versus 2,33 min (CST) (p = 0.34).
Die Zeit von Beendigung der Thorakotomie bis zur chirurgischen Kontrolle der Ventrikelverletzung betrug 4,16 min (LAT) versus 1,85 min (CST) (p = 0.018). Damit ergaben sich Zeiten von Hautschnitt bis zur Blutungskontrolle am rechten Ventrikel von 6,62 min (LAT) versus 4,63 min (CST) (p = 0.46).
In einer weiteren Studie wurden Erfolgsraten und Interventionszeiten, definiert als erfolgreiches „cross-clamping“ der thorakalen Aorta descendens, bei LAT versus CST untersucht [15]. Hierzu wurden die Prozeduren von Notärzten (n = 15) an Körperspendern durchgeführt. Ein „cross-clamping“ konnte erfolgreich in 60 % (LAT) versus 80 % (CST) erfolgen, wobei die Zeiten 6,37 min (LAT) versus 6,15 min (CT) betrugen.
Exposition anatomischer Strukturen und chirurgische Zugänglichkeit
Anhand einer anatomischen Studie wurde die chirurgische Zugänglichkeit thorakaler Strukturen in Abhängigkeit des gewählten Zugangs (u. a. LAT, CST und Sternotomie) untersucht [20]. Die anatomischen Strukturen wurden gemäß ihrer Zugänglichkeit unterteilt in
- „readily accessible“ (= in <5 min ab Hautschnitt zugänglich),
- „accessible“ (= in >5 min ab Hautschnitt zugänglich oder eingeschränkt zugänglich, z. B. Gefäßvorderwand) oder
- „inaccessible“ (= nicht zugänglich).
Unter allen untersuchten chirurgischen Zugängen zum Thorax ergab sich für die CST eine überlegene Exposition nahezu aller thorakaler Strukturen, insbesondere im Vergleich zur einseitigen anterolateralen Thorakotomie und zur Sternotomie. Die Zugänglichkeit einzelner anatomischer Strukturen ist in Tabelle 3 dargestellt.
Prozedurale Morbidität und Mortalität
In einer retrospektiven Registerstudie aus den USA wurde die spezifische prozedurale Morbidität und Mortalität von Patienten mit mindestens 24-stündigem Überleben nach LAT (n = 112) und CST (n = 30) untersucht [9]. In der Gruppe mit LAT befanden sich anteilig mehr Patienten mit Schussverletzungen (LAT: 52,7 % versus CST: 10,0 %; p = 0.02), und weniger Patienten mit Stichverletzungen (LAT: 8,0 % versus CST: 30,0 %; p = 0.02). Für alle anderen Patientencharakteristika (Alter, Geschlecht, Injury Severity Score, systolischer Blutdruck bei Aufnahme u. a.) bestanden keine statistisch auffälligen Unterschiede zwischen den Gruppen.
In der Gruppe mit CST wurden signifikant häufiger penetrierende Herzverletzungen versorgt (LAT: 5,4 % versus CST: 23,3 %; p = 0.007), und häufiger pulmonale Resektionen durchgeführt (LAT: 9,8 % versus CST: 33,3 %; p = 0.003).
Im Vergleich aller betrachteten Komplikationen und Outcome-Parameter (acute respiratory distress syndrome (ARDS); akutes Nierenversagen; Pneumonie; Sepsis; Multiorganversagen; Pleuraempyem; Beatmungstage; Dauer der Intensivbehandlung; Mortalität u. a.) ergaben sich keine signifikanten Unterschiede zwischen Patienten mit LAT oder CST.
Diskussion
Ziel unserer Literaturrecherche war eine bessere Einordnung der Clamshell-Thorakotomie (CST) bei Patienten „in extremis“, vor allem im Vergleich zur linksseitigen anterolateralen Thorakotomie (LAT).
Basierend auf den präsentierten Daten der vier inkludierten Studien können folgende Kernaussagen zur Clamshell-Thorakotomie formuliert werden:
- Die CST ist ein technisch einfacher und schnell durchführbarer Zugang zu den Brustorgangen.
- Sie ermöglicht die Exposition und chirurgische Versorgung beinahe aller thorakaler Strukturen.
- Die CST geht im Vergleich zur LAT nicht mit einer zugangsspezifisch erhöhten Morbidität oder Mortalität einher.
Die Antizipation intrathorakal vorliegender Verletzungen anhand äußerlich sichtbarer Wunden (Ein- und Austrittswunden nach Schuss- oder Stichverletzungen) ist grundsätzlich möglich, jedoch mit erheblichen Unsicherheiten behaftet. Dies wird durch eine retrospektive Auswertung von 97 einseitigen anterolateralen Thorakotomien untermauert, von denen sich 20 % als ungenügend für eine suffiziente chirurgische Versorgung erwiesen und die deshalb erweitert werden mussten [12]. Somit sollte die gewählte Thorakotomie immer die Versorgung möglichst aller thorakaler Strukturen erlauben, was in erster Linie für die CST zutrifft. Unter anderem deshalb hat sich der Clamshell-Zugang bei gegebener Indikation in einigen Zentren bereits als Standard etabliert [19].
Aufgrund der Tatsache, dass die überwiegende Anzahl aller EDT nicht von Herz- oder Thoraxchirurgen durchgeführt wird, muss die gewählte Thorakotomie schnell und einfach erfolgen können. Schnelligkeit und maximale Exposition kritischer Strukturen (Herz, thorakale Gefäße) können aber nur dann als Rechtfertigung für eine primäre CST herangezogen werden, sofern diese keine eigene prozedurale Morbidität (in Form von schweren Komplikationen) oder Mortalität aufweist – was aus den verfügbaren Daten zum Thema jedoch nicht abgeleitet werden kann.
Daraus folgt:
Bei Patienten im manifesten Schock und vorliegendem penetrierendem Thoraxtrauma (Schuss- oder Stichverletzung; ein- oder beidseitig) sollte die Clamshell-Thorakotomie, unter Anwendung der o.g. allgemein anerkannten Selektionskriterien zur Durchführung einer EDT, gegenwärtig als Zugang der Wahl angesehen werden.
In diesen Fällen ist eine bestmögliche Exposition aller anatomischen Strukturen essenziell, da mit hoher Wahrscheinlichkeit von chirurgisch versorgungspflichtigen Verletzungen auszugehen ist.
Sofern bei Patienten mit penetrierendem extrathorakalem Trauma lediglich das Ziel eines thorakalen aortalen „cross-clampings“ oder einer Perikarderöffnung und offenen Herzdruckmassage verfolgt wird, so bleibt die linksseitige anterolaterale Thorakotomie (LAT) Zugang der Wahl.
Die maximale Invasivität der CST steht vermeintlich im Widerspruch zu den Fortschritten des minimalinvasiven Operierens und damit unserer täglichen chirurgischen Berufsroutine. Wir alle wägen bei Elektivoperationen jede Schnitterweiterung und jede Konversion sorgfältig ab, um optimale Ergebnisse für unsere Patienten zu erzielen. Hierdurch sollte bei uns jedoch keine, vielleicht auch nur unterbewusste, Skepsis gegenüber etablierten Verfahren der Damage Control Surgeryentstehen, wozu auch die CST gehört. Gleichzeitig sollte die Spektakularität einer chirurgischen Prozedur nicht zu einer falschen oder zu liberalen Indikationsstellung verleiten, wozu die CST ebenso „geeignet“ erscheint.
Trotz der grundsätzlich einfachen Durchführbarkeit der CST muss das Verfahren praktisch geübt und verinnerlicht werden. Eine hervorragende Möglichkeit dazu bietet der jährlich stattfindende Einsatzchirurgie-Kurs der Bundeswehr, wo die Durchführung der CST am Körperspender unter Anleitung erfahrener Einsatzchirurgen erlernt werden kann [2].
Wie für fast alle Maßnahmen der Damage Control Surgery besteht auch zum Thema CST keine Evidenz aus randomisiert prospektiven Studien, deren Durchführbarkeit aus methodischen und ethischen Gründen kaum möglich erscheint.
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Manuskriptdaten
Zitierweise
Beltzer C, Schwabe K, Witzenhausen M, Brill S, Sölter J, Schmidt R: Stellenwert der Clamshell-Thorakotomie für die Notfall- und Einsatzchirurgie – eine systematische Literaturübersicht. WMM 2023; 67(5): 171-178.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-130
Für die Verfasser
Oberfeldarzt Priv.-Doz. Dr. Christian Beltzer
Bundeswehrkrankenhaus Ulm
Klinik II – Allgemein-, Viszeral- und Thoraxchirurgie
Oberer Eselsberg 40, 89081 Ulm
E-Mail: christianbeltzer@bundeswehr.org
Manuscript data
Citation
Beltzer C, Schwabe K, Witzenhausen M, Brill S, Sölter J, Schmidt R: [Relevance of Clamshell Thoracotomy for Emergency and Combat Surgery – a Systematic Literature Review]. WMM 2023; 67(5):171-178.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-130
For the Authors
Lieutenant Colonel (MC) Associate Professor Dr. Christian Beltzer
Bundeswehr Hospital Ulm
Department II – General, Visceral and Thoracic Surgery
Oberer Eselsberg 40, D-89081 Ulm
E-Mail: christianbeltzer@bundeswehr.org
1 Zur besseren Lesbarkeit wird regelmäßig nur die männliche Form (Chirurg, Soldat, Patient usw.) genutzt; angesprochen sind dabei immer alle Geschlechter.