BENZOL UND CO AUF DER FLUCHT
Forensische Toxikologie in der Flugmedizin – State Of The Art (Vortrags-Abstract)
Susan Rahausa
a Zentrum für Luft- und Raumfahrtmedizin der Luftwaffe, Dezernat I 4c – Klinische/Forensische Toxikologie, Fürstenfeldbruck
Einleitung
Der Nachweis chemischer Substanzen, die Auswirkungen auf die Funktion des menschlichen Körpers haben können, in Körperflüssigkeiten, Organen und anderen Körperteilen, ist eine der Hauptaufgaben der klinischen und forensischen Toxikologie. Die Untersuchungsverfahren sind dabei grundsätzlich gleich, wobei es Ziel der forensischen Toxikologie ist, Straftaten im Zusammenhang mit in den Körper eingetragenen Substanzen nachzuweisen bzw. auszuschließen, während die klinische Toxikologie nach Stoffen sucht, um mögliche Krankheitsursachen zu finden. Letztlich haben toxikologische Untersuchungen auch präventiven Charakter, z. B. im Rahmen der Überwachung von Personal in gefährdeten Bereichen.
Die Fachgruppe I 4 (Flugunfall/Rechtsmedizin) des Zentrums für Luft- und Raumfahrtmedizin der Luftwaffe (ZentrLuRMedLw) verfügt mit dem Dezernat I 4c (Klinische/Forensische Toxikologie) über eine moderne toxikologische Laboreinrichtung, die zum einen auf Untersuchungen im Rahmen von Flugunfällen spezialisiert ist, andererseits ihre Fähigkeiten auch für die klinische und arbeitsmedizinische Diagnostik zur Verfügung stellt.
Untersuchungsaufträge der Forensischen Toxikologie
Die Mehrzahl der Aufträge wird von der Fachgruppe II 3 (Flugmedizinische Begutachtung) des ZentrLuRMedLw in Form von Serum- und Urinproben eingesandt und auf Ethanol, CDT, EtG und Drogen untersucht.
Ethanol wird im Serum/Blut zur Identifikation einer aktuellen Beeinflussung des Probanden durch Alkohol bestimmt. Hierfür sollte auf eine Blutentnahme ohne Alkohole im Hautdesinfektionsmittel geachtet werden.
CDT (Carbohydrate-deficient Transferrin) ist ein Serummarker für eine chronische Alkoholaufnahme. Nimmt ein Mensch über einen längeren Zeitraum täglich mehr als 60 g Alkohol zu sich, kann ein CDT-Anteil von > 1,7 % am Disialo-Transferrin bei der bei uns angewandten Methode auf chronischen Alkoholkonsum hinweisen. Wichtig für die korrekte Bestimmung von CDT ist das Übersenden von möglichst reinem Serum, also am besten zentrifugiert und von festen Blutbestandteilen separiert. Hämolytisches Serum kann der Analyse nicht zugeführt werden.
EtG (Ethylglucuronid) wird im Urin bestimmt und ist ebenfalls ein Marker für vorausgegangenen Alkoholkonsum. EtG kann im Urin bis zu drei Tage nach Alkoholaufnahme nachgewiesen werden. Ab einem Wert von 500 ng/ml kann von einem überdurchschnittlichen Konsum ausgegangen werden.
Das Drogen-/Arzneimittelscreening wird ebenfalls im Urin durchgeführt. Im ersten Schritt erfolgt eine enzymatische Analyse, bei der die wichtigsten Substanzgruppen untersucht werden. Zusätzlich werden pH-Wert und Kreatininkonzentration überprüft, um etwaige Verdünnungen und Manipulationen des Urins zu erkennen. Die Probennahme sollte unter Aufsicht erfolgen, um auch anderweitige Verfälschungen des Urins auszuschließen. Bei einem positiven Screeningtest wird der Urin im nächsten Schritt auf die im Vortest positive Substanz mittels Bestätigungsanalyse untersucht. Drogen- und Alkoholabstinenzen können zusätzlich mittels Untersuchung einer Haarprobe kontrolliert werden.
Weiterhin werden in der Forensischen Toxikologie Untersuchungen auf CO, Cyanid und Flugbestriebsstoffe im Heparinblut durchgeführt. Hierfür ist eine schnelle Probennahme direkt nach einem Vorfall und eine rasche Versendung des Materials wichtig. Für die Analyse wird unbedingt ein leeres Heparinröhrchen aus der gleichen Charge wie das Entnahmegefäß zur Vergleichsanalyse benötigt. Damit können Peaks im Chromatogramm, die zum Material des Abnahmeröhrchens gehören, besser identifiziert werden.
Untersuchung von Flugbetriebsstoffen
Hintergrund
Als Flugbetriebsstoffe werden flüchtige Stoffe bezeichnet, die sowohl zum Gebrauch in Luftfahrzeugen als auch bei deren Herstellung verwendet werden können. Zu einer Exposition kann es im Rahmen des allgemeinen Gebrauchs kommen. Vor allem jedoch durch Zwischenfälle, beispielsweise durch einen Kabelbrand oder ein ähnliches Ereignis, können flüchtige Stoffe aufgenommen werden. Bei diesen Ereignissen entstehen Zersetzungs- und Reaktionsprodukte, die freigesetzt werden und entweder über die Lunge oder die Haut aufgenommen werden können.
Abb. 1: Betankung eines Luftfahrzeugs durch ein Deutsch-Niederländisches Team – Blutuntersuchungen auf Flugbetriebsstoffe sind hier Teil der Prävention.
Am häufigsten haben wir es im Flugbetrieb mit einer Aufnahme von Stoffen zu tun, die eine Gefahr für den menschlichen Organismus mit sich bringen. Hierzu gehören beispielhaft Treibstoffe, Schmiermittel, Additive und Enteisungsmittel. Bei akuter Aufnahme dieser Flugbetriebsstoffe kann es zu zeitlich begrenzt starken Beeinträchtigungen kommen, z. B. Schwindel, Kopfschmerzen und Übelkeit. Bei wiederholter chronischer Aufnahme steigt die Gefahr für Spätfolgen, wie beispielsweise Störungen des Nervensystems oder auch Leukämie.
Ein Problem bei Flugbetriebsstoffen und ihren Zersetzungs- und Reaktionsprodukten ist deren Flüchtigkeit. Die Blutprobe muss zeitnah zum Zeitpunkt des Vorfalls abgenommen werden. Zu bedenken ist, dass in einigen Luftfahrzeugtypen mit Maske geflogen wird und dort beim Verdacht auf eine Exposition auf 100 % Sauerstoff umgeschaltet wird, was das Abatmen zuvor aufgenommener Substanzen begünstigen kann. Damit wird die Wahrscheinlichkeit des Nachweises geringer Konzentrationen eventuell verringert. Hinzu kommt, dass die verwendeten Blutentnahmeröhrchen in der Regel nicht gasdicht sind, was einen Verlust von flüchtigen Stoffen über dieses System vermuten lässt, besonders bei längeren Probenlagerungs- und Transportzeiten.
Beispielstoffe
Benzol ist ein aromatischer Kohlenwasserstoff, der stark lipophil ist und sich vorzugsweise im Fettgewebe einlagert. Bei Aufnahme (meist durch Einatmen) ist es für den menschlichen Organismus giftig; die Schäden können von Kopfschmerzen bis hin zur Apathie reichen. Bei starken Vergiftungen kann es auch zur Erblindung oder Bewusstlosigkeit kommen.
Die bei chronischer Exposition hauptsächlich angegriffenen Organe sind das Nervensystem und das Knochenmark. Benzol verursacht bei längerer Exposition Leukämie und/oder eine aplastische Anämie. Benzol wurde früher sehr häufig in Lösungsmitteln verwendet, wegen seiner starken Giftigkeit wird es heute jedoch immer mehr verdrängt. Andere Lösungsmittel für Kunststoffe und Epoxidharze werden auch heute noch häufig mit Benzol verunreinigt.
1,2-Dichlorethylen ist ein chloriertes Alken, welches sehr leicht flüchtig ist. Auch diese Substanz ist beim Einatmen stark giftig; die Dämpfe können narkotisierend wirken. 1,2-Dichlorethylen findet Verwendung als Lösungsmittel für Harze, Lacke und Wachse.
Einfluss von Probengefäßen auf Lagerung und Messergebnisse
Versuchsaufbau
Zur Bestimmung des Einflusses von Probengefäßen und Lagerungsbedingungen (Zeit/Temperatur) wurden 2 Versuche durchgeführt.
Im ersten Ansatz wurde mit den aktuell für die Blutentnahme verwendeten Vacutainern® (Hersteller Becton und Dickinson (BD)) und verschiedenen Lagerungsbedingungen (Kühlschrank – gekühlter Karton bei Raumtemperatur – Raumtemperatur – Karton in der Sonne liegend) ein Versuch über einen Zeitraum von 2 Wochen durchgeführt. In diesem sollten aktuelle reale Bedingungen inklusive Versandzeit von bis zu zwei Wochen – wie es beispielsweise beim Transport von Proben aus Mali oder ähnlich weit entfernten Einsatzgebieten der Bundeswehr möglich ist – nachgestellt werden.
Ein zweiter Versuchsansatz erfolgte mit Headspace Vials (gasdicht verschließbare Probengefäße) unter den gleichen Bedingungen (Lagerungsart und -zeit). Das Blut wurde jeweils entweder mit Flugbetriebsstoffen oder Begleitstoffen versetzt. Die Proben wurden an den Tagen 1, 3, 7 und 14 nach Probenentnahme und Vorbereitung jeweils mittels HS-GC-MS (Headspace-Gaschromatographie-Massenspektroskopie) der Firma Agilent Technologies in Doppelbestimmung untersucht.
Im für die Untersuchungen verwendeten kommerziellen VOC-Mix1 (enthält Flugbetriebsstoffe) konnten die Substanzen Benzol, 1,2-Dichlorethylen und 1,4-Dichlorbenzol und die Begleitstoffe Aceton und 2-Butanon in jeder Probe eindeutig identifiziert und ausgewertet werden.
Abb. 2: Verglichene Entnahmegefäße: (A) Heparinröhrchen BD-Vakutainer©, (B) Headspace Vials mit gasdichtem Schraubverschluss
Abb.3: Chromatografischer Nachweis von Flugbetriebsstoffen: (A)1,2-Dichlorethylen, (B) Benzol; (C)1,4-Dichlorbenzol
Ergebnisse und Interpretation
Beispielhaft werden hier nur die Ergebnisse bei den beiden Lagerungsbedingungen „Kühlschrank“ und „Liegen in der Sonne“ vorgestellt.
Bei den Begleitstoffen, die in dieser Untersuchung nur ergänzend als Vergleich hinzugezogen wurden, fällt eine stetige Abnahme der Konzentration über den Untersuchungszeitraum bei den Headspace Vials unter beiden Lagerungsbedingungen auf. Die Konzentrationen im Blut, untersucht mit den Vacutainern®, nimmt jeweils weniger ab. Ein Konzentrationsverlust besteht für Aceton nahezu nicht, für 2-Butanon liegt er bei Verwendung der Headspace Vials um ein Vielfaches höher als bei den aktuell verwendeten Vacutainern®. Es zeigt sich, dass zur Untersuchung von Begleitstoffen die universell verwendeten Abnahmeröhrchen bessere Ergebnisse zeigen.
Ein genau umgekehrtes Bild zeigt sich bei den Flugbetriebsstoffen. Die Konzentrationen bei Verwendung der Vacutainer® sinken unter beiden Lagerungsbedingungen über den untersuchten Zeitraum stetig ab. Hier sind Konzentrationsverluste von bis zu 80 % bei 1,2-Dichlorethylen zu beobachten. Die Untersuchung bei Verwendung von Headspace Vials zeigen viel geringere Abnahmen der Konzentrationen; sie liegen in der Spitze bei 34 % für Dichlorethylen. Beide Spitzenverluste wurden bei den in der Sonne gelagerten Proben beobachtet. Die Untersuchungen mit den gasdichten Headspace Vials erzielten für den Nachweis von Flugbetriebsstoffen bessere Ergebnisse.
Abb. 4: Grafische Darstellung der Konzentration von Begleitstoffen (A und B) und Flugbetriebsstoffen (C und D) bei Lagerung in BD-Vacutainern® (A und C) bzw. Headspace Vials (B und D); die Konzentrationen sind jeweils in μg/L angegeben. Achtung! Die Grafiken sind unterschiedlich skaliert.
Schlussfolgerung
Die Ergebnisse der durchgeführten Untersuchungen zeigen, dass die ausschließliche Verwendung des Abnahmesystems Vacutainer® zu einem größeren Konzentrationsverlust der Flugbetriebsstoffe im Blut über die untersuchte Zeit führt. Die Versuche wurden mit relativ hohen Konzentrationen an Flugbetriebsstoffen durchgeführt, die bei Unfällen/Zwischenfällen eher unwahrscheinlich sind. Daraus folgt aber, dass die Wahrscheinlichkeit für einen Nachweis von geringen Konzentrationen nach eventuell längerem Transportweg geringer ist bzw. dass falsch negative Ergebnisse erzielt werden können. Zukünftig wäre es deshalb sinnvoll, ein System einzuführen, bei dem die Fliegerärzte direkt nach Blutentnahme das entnommene Blut in Headspace Vials umfüllen, mit den passenden gasdichten Deckeln verschließen und diese dann an die Forensische Toxikologie versenden. Zusätzlich sollte weiterhin ein Leer-Heparinröhrchen für eine Vergleichsmessung mitgeschickt werden.
Verfasserin
Regierungsrätin Susan Rahaus
Dipl.-Lebensmittelchemikerin
Zentrum für Luft- und Raumfahrtmedizin der Luftwaffe, Fürstenfeldbruck
E-Mail: susanrahaus@bundeswehr.org
Vortrag bei der 66. Fliegerarzttagung der Bundeswehr in Bonn (8. bis 11. November 2021)
1 VOC-Mix = Volantile Organic Compounds Mix: Lösung mit einer standardisierten Konzentration flüchtiger organsicher Substanzen
Redaktion: Generalarzt a. D. Prof. Dr. med. Horst Peter Becker, MBA, Scharnhorststr. 4b, D-10115 Berlin, Mobil +49 171 215 0901, E-Mail: hpbecker@beta-publishing.com
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