FOKUS LUNGE
Studienkonzept zur Ermittlung von Stressreaktionen des Respirationstraktes nach assistierter bzw. hyperbarer Atmung bei Strahltriebwerk-Flugzeugführern
Janina Bojahra, c, Rudolf A. Jörresb, Frank Weberc, Christian Königerc,d
a Bundeswehrkrankenhaus Hamburg, Zentrum für seelische Gesundheit
b Ludwig-Maximilians-Universität München, Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin
c Bis 2021 Zentrum für Luft- und Raumfahrtmedizin der Luftwaffe, Fürstenfeldbruck
d Sanitätsversorgungszentrum Neubiberg, Fliegerarzt
Zusammenfassung
Hohe Belastungen durch Beschleunigungskräfte beim Führen moderner Kampf-Jets wie des Eurofighter „Typhoon“ erfordern den Einsatz technischer Unterstützungssysteme, die u. a. durch Überdruckatmung des Piloten mit hohen Sauerstoffkonzentrationen dessen Leitungsfähigkeit erhalten. Mögliche Auswirkungen sowohl der G-Kräfte als solche als auch dieser Systeme auf die Lunge des Piloten bis hin zum Risiko von überdruckbedingten Lungenverletzungen wurden bisher nicht unter realen Flugbedingungen untersucht.
Beim Zentrum für Luft- und Raumfahrtmedizin der Luftwaffe wurden im Rahmen einer Studie nichtinvasive Untersuchungsmethoden zur Erfassung möglicher Stressoren für die Atemwege im realen Flugbetrieb eines Eurofighter-Verbandes eingesetzt. Studiendesign, Messmethoden und ihre Bedeutung für die Messung vermuteter Atemwegsstressoren werden in dieser Arbeit vorgestellt.
Schlüsselworte: Kampfflugzeug, G-Belastung, Überdruckbeatmung, Atemwegsstressoren, nichtinvasive Messung
Keywords: jet fighter, g-forces, high pressure breathing, airway stressor, non-invasive measurement
Hintergrund
Flugzeugführer von strahlgetriebenen Luftfahrzeugen sind großen physischen Belastungen, insbesondere in Form von Beschleunigungskräften (G-Kräften), ausgesetzt. Teilweise sind diese Belastungen nur mit Hilfe von elaborierten technischen Unterstützungssystemen – vor allem Druckanzügen, Überdruckatmung und Sauerstoffanreicherung der Atemluft – für den Flugzeugführer tolerabel. Dies gilt vor allem für avancierte Jagdflugzeuge wie den Eurofighter „Typhoon“, da es bei den in diesem Flugzeug möglichen Belastungen durch Beschleunigungskräfte bis 9 Gunweigerlich zum g-induzierten „loss of consciousness“ (G-LOC) kommen würde. Druckatmung und Oxygenierung dienen somit der Gewährleistung der Leistungsfähigkeit der Piloten unter extremen Flugbedingungen durch Erhöhung der G-Toleranz über die natürliche G-Toleranz hinaus. Dies erfolgt, indem der Sauerstoffpartialdruck in den Alveolen erhöht und somit v. a. eine zentrale Hypoxämie unter G-Belastung verhindert wird.
Die Frage bleibt jedoch, inwiefern diese Unterstützungssysteme selbst möglicherweise zu Beeinträchtigungen führen können. So ist aus der Intensivmedizin gut bekannt, dass erhöhte Partialdrücke von Sauerstoff bzw. große Schwankungen dieser Drücke sowie erhöhte Atemwegsdrücke per se adverse Änderungen des Respirationstrakts hervorrufen können [1]. Die Folgen können im Extremfall Barotraumen, Atelektasenbildung oder auch beatmungsbedingte Lungenverletzungen („ventilator-induced lung injuries“)sein [4].
Flugmedizinische Forschung
Die Identifizierung möglicher Auswirkungen der Anwendung technischer Systeme zur Erhöhung der G-Toleranz ist Gegenstand aktueller flugmedizinischer Forschung am Zentrum für Luft- und Raumfahrtmedizin der Luftwaffe. Zu diesem Zweck erfolgte eine Untersuchung im Taktischen Luftwaffengeschwader 74 in Neuburg an der Donau. Die Auswertung der dabei erzielten umfangreichen Ergebnisse ist zum einen noch nicht abgeschlossen. Zum anderen würde deren vollständige Präsentation und Diskussion im Lichte der Arbeitshypothesen den Umfang eines Zeitschriftenartikels weit überschreiten. Sie werden in einem umfassenden Forschungsbericht niedergelegt und in Folgepublikationen differenziert dargestellt werden.
In diesem Beitrag werden das Konzept der Studie sowie eine Erklärung der Messungen und zugrundeliegenden physiologischen Mechanismen vorgestellt. Diese könnten nach Auffassung des Autorenteams deshalb von allgemeinem Interesse sein, da sie illustrieren, wie mit modernen nichtinvasiven Verfahren auch subtile Änderungen physiologisch wichtiger Kenngrößen auf relativ einfache und in den Routine-Dienstablauf integrierbare Weise erfasst werden können.
Spezifika des Eurofighter „Typhoon“
Der Eurofighter „Typhoon“ weist ein G-Task-Profil1 von -3/+9 Gz und ein Flughöhenprofil mit einer durchschnittlichen Flughöhe von 20–40 000 ft bei einer maximalen Flughöhe von 60 000 ft auf. Da mit zunehmender Höhe der Sauerstoffpartialdruck sinkt, besitzt das Cockpit eine Druckkabine, deren Regulationsverhalten in Abbildung 1 schematisch dargestellt ist.
Abb. 1: Druckregulierung des Eurofighter: Der Kabinendruck (vertikal) ist in Abhängigkeit von der Flughöhe (horizontal) dargestellt. Die unterschiedlich gefärbten Bereiche repräsentieren verschiedene Kriterien und Modalitäten. Relevant ist vor allem der blaue Bereich, der die Regulierung im Normalfall zeigt. Bis zu einer Flughöhe von 23 000 ft wird ein Kabinendruck gehalten, der einer Höhe von 8 000 ft entspricht.(Aus: ECS-Schema Eurofighter)
Ein zentraler Faktor ist die positive Gz-Belastung (in der Vertikalebene), welche auftritt, wenn der Pilot im Luftkampf enge Kurven fliegen muss. Die bodenwärts gerichteten Beschleunigungskräfte würden ohne Intervention zu einem Versacken des Blutes in die Beine führen; daher trägt der Pilot einen Druckanzug. Dieser stellt zusätzlich ab 4 Gz druckunterstützt sauerstoffangereicherte Luft über die Atemmaske zur Verfügung. Bei den maximalen 9 Gz liegt ein Druck von 80 mbar an, der theoretische Spitzendruck liegt bei 99,5 mbar (in Abhängigkeit von der Flughöhe), wird aber in der Realität nie erreicht; die Beziehungen zwischen Atemunterstützungsdruck, Flughöhe und einwirkenden Beschleunigungskräften sind in Abbildung 2 dargestellt.
Abb. 2: Atemunterstützungsdruck (vertikal) versus Flughöhe (horizontal unten) bzw. G-Belastung (horizontal oben). Vor allem die blaue Kurve ist relevant, da sie die Abhängigkeit des Drucks von der G-Belastung zeigt. (aus: ECS-Schema Eurofighter)
Die Oxygenierung der Einatemluft findet in Abhängigkeit von der Kabinenhöhe nach dem Schema von Abbildung 3 statt.
Abb. 3: Sauerstoffanreicherung der Atemluft in Abhängigkeit von der regulierten Kabinenhöhe (siehe Abbildung 1). Der grüne Bereich ist der Korridor, in dem die Anreicherung normalerweise liegt und unter 100 % Sauerstoff beträgt, die anderen Farben repräsentieren Sonderfälle mit 100 % Sauerstoffgabe. (aus: ECS-Schema Eurofighter))
Stressoren, erwartete Effekte und Prinzipien ihrer Messung
Folgende Stressoren für die Atemwege konnten wir identifizieren:
- G-Belastung,
- Überdruckatmung,
- Sauerstoffanreicherung und
- verminderte Luftfeuchtigkeit.
Diese Stressoren könnten im Prinzip mehrere Effekte hervorrufen. Ihre Messung wird in einem nachfolgenden Abschnitt näher ausgeführt.
Die trockene Atemluft führt möglicherweise zu einer vermehrten Mukusproduktion in den oberen Atemwegen oder zu einer durch den erhöhten Sauerstoffgehalt vermehrten Produktion von Oxidantien. Diese Effekte können indirekt mittels der Messung des ausgeatmeten Stickstoffmonoxids (NO) nichtinvasiv erfasst werden.
Ferner ist denkbar, dass die G-Belastung eine vermehrte Perfusion basaler Lungenabschnitte bewirkt, die zu einem Austritt von Blutplasma nach extravasal führen könnte. Dies würde sich in einer Abnahme des Aufnahmevermögens für inhalierte Gase bemerkbar machen. Zusätzlich könnten g-bedingte Effekte auf das kapilläre Blutvolumen auftreten. Ferner sind Atelektasen denkbar, aufgrund der Sauerstoffgabe oder der G-Kräfte. Alle diese Effekte können mittels eines avancierten Verfahrens der Messung der kombinierten Diffusionskapazität (DLNO, DLCO) für NO und Kohlenmonoxid (CO) erfasst werden.
Darüber hinaus könnten die hohen Sauerstoffkonzentrationen zu einer vermehrten Bildung von Sauerstoffradikalen in der systemischen Zirkulation führen, mit möglichen Wirkungen unter anderem auf die DNA. Dieser Effekt kann mittels der Konzentration von 8-Hydroxydesoxyguanosin (8-OHdG) im Urin erfasst werden.
Studiendesign und Methoden
Zentrales Charakteristikum der Studie war, die Messungen unter Realflugbedingungen durchzuführen und somit die tatsächliche Belastungssituation, vor allem in Bezug auf die Zeitdauer und Kombinationen von Stressoren, zu berücksichtigen. Dies erforderte ein optimiertes Studiendesign, um die Messungen in den Dienstablauf integrieren zu können, ohne dass Abstriche an der Aussagekraft erfolgen mussten. Diese Optimierung wurde in Vorarbeiten erreicht. Die Verfahren, die in dieser diagnostisch vergleichenden Feldstudie eingesetzt wurden, sowie ihr Bezug zu den angenommenen physiologischen Mechanismen werden im Folgenden im Detail dargestellt.
Erfassung des subjektiven Zustands mittels Symptomfragebogen
Der Pilot kreuzte auf einem Fragebogen mit 10 Items die zutreffenden Symptome auf einer 100mm langen visuellen Analogskala von „überhaupt nicht“ bis „extrem stark“ an. Die Items erfassten speziell Beschwerden der oberen Atemwege, wie z. B. Husten, fragten aber auch nach Symptomen, die möglicherweise indirekt mit der Druckatmung bzw. Oxygenierung zusammenhängen können, wie z. B. Ohrenschmerzen. Zusätzlich gab es ein Feld, auf dem der Pilot weitere Symptome eintragen und quantifizieren konnte. Dies diente der Erfassung der subjektiven Wahrnehmung hinsichtlich möglicher Änderungen durch den Flug oder die Druckatmung. Ziel der Erfassung der Symptome war es u. a., diese mit den Änderungen der Messparameter zu korrelieren, um zugrunde liegende Mechanismen aufzudecken.
Messung des fraktionierten exhalierten NO (FeNO)
In der pneumologischen Praxis dient eine Erhöhung der fraktionellen Konzentration (FeNO) des exhalierten NO als Marker einer eosinophilen, allergieassoziierten Entzündung. Hier gilt die Bestimmung des exhalierten NO als so informativ, dass sie inzwischen zur klinischen Routine gehört und entsprechend auch Anwendungen in der Arbeitsmedizin hat [2].
In unserer Studie war der Zweck der FeNO-Bestimmung ein anderer und innovativer. Die Konzentration des ausgeatmeten NO hängt nämlich nicht nur von der mukosalen Produktion, sondern auch vom Zustand der bronchialen Schleimhaut ab. Veränderungen des Mukus können die Transportbarriere erhöhen und Oxidantien mit NO reagieren; in beiden Fällen ist der Wert von FeNO vermindert. Da davon auszugehen ist, dass sich die endogene Produktion bei den Piloten nicht kurzfristig verändert, wären somit Veränderungen von FeNO als Hinweise auf mukosale Effekte zu werten, die mit entsprechenden Symptomen wie Husten und Reizgefühl in Verbindung gebracht werden können.
Abb. 4: Bestimmung der fraktionellen Konzentration des exhalierten NO am Chemilumineszenz-Analysator CLD 88 sp (Abbildung zeigt die Autorin des Beitrags).
FeNO wurde mittels des Chemilumineszenz-Analysators CLD 88 sp (Ecomedics AG, Duernten, Schweiz) gemessen. Zur Bestimmung des FeNO-Werts muss der Pilot bei einem konstanten Ausatemfluss von 50 ml/s durch ein Mundstück in das Gerät ausatmen. Der Fluss ist normiert, um die Kontaktzeit mit den Bronchien zu normieren und somit eine Variabilität aufgrund willkürlich hoher oder niedriger Ausatemraten bzw. Kontaktzeiten auszuschließen. Da der Gehalt des alveolären Gases an NO sehr gering ist, wird mit FeNO primär die bronchiale NO-Produktion erfasst. In Verbindung mit den anderen Messverfahren werden somit in der Studie bronchiale und alveoläre Effekte voneinander separiert.
Abb 5: Beispiel eines FeNO-Testprotokolls:
Die Graphik zeigt die exhalierte NO-Konzentration in Abhängigkeit von der Zeit. Der Wert wird ermittelt, wenn je nach Konstanz des Ausatemstroms für ausreichend lange Zeit ein Konzentrations-Plateau vorliegt. Dies ist im Regelfall nach ca. 8 sec der Fall. Die Messung erfordert immer mindestens zwei Atemmanöver, um die Qualitätsstandards zu erfüllen.
Bestimmung der kombinierten NO-CO-Diffusionskapazität
Die Integrität der Alveolen kann ähnlich wie die der Bronchien auf nichtinvasive Weise erfasst werden. Das klassische Verfahren ist die Bestimmung der Diffusionskapazität (DLCO) für eingeatmetes CO. Diese wird zum einen durch das verfügbare alveoläre Volumen, zum anderen durch die Transportbarrieren sowie die Aufnahmefähigkeit der Kapillaren im Sinne des pulmonal-kapillären Blutvolumens sowie des Hämoglobingehaltes determiniert. In der pneumologischen Praxis ist dieses Verfahren bestens etabliert. Solange allerdings die Struktur der Lunge und ihre Oberfläche nicht wesentlich gestört sind, spiegelt eine Einschränkung der DLCO im Wesentlichen eine Einschränkung des verfügbaren Hämoglobins, d. h. in der Regel eine Einschränkung des pulmonal-kapillären Blutvolumens wider. Eine Veränderung der Transportbarriere kann nur durch aufwändige Zusatzmessungen ermittelt werden.
Hier kommt die Diffusionskapazität (DLNO) für eingeatmetes NO als elegante Alternative zum Zug. NO hat nämlich eine so hohe Affinität zum Hämoglobin, dass praktisch nur noch die Transportbarrieren, nicht aber das Blutvolumen bzw. der Hämoglobingehalt wichtig sind. Lässt man folglich CO und NO simultan einatmen, kann man in einer einzigen Messung mögliche Änderungen der Transportbarriere und des Blutvolumens voneinander trennen.
Ein anderer Faktor ist das verfügbare alveoläre Volumen (VA), das mittels der Verdünnung eines eingeatmeten Inertgases ermittelt werden kann. Man kann die Werte der Diffusionskapazität durch VA dividieren, um einen Diffusionswert pro verfügbarem Lungenvolumen zu erhalten (KCO bzw. KNO). Im Falle von Atelektasen (zum Beispiel durch Resorption oder mechanische Kräfte) sollten die Werte von DLCO und DLNO verringert sein, diejenigen von KCO und KNO hingegen nicht. Tritt eine Störung der Transportbarriere ohne Veränderung von VA ein (zum Beispiel durch Extravasation von Flüssigkeit in den Alveolen im Sinne eines subklinischen Ödems), sollten vor allem die Werte von DLNO und KNO reduziert sein, weniger diejenigen von DLCO und KCO, da diese vom Blutvolumen dominiert werden. Ändert sich bei konstantem VA das Blutvolumen (aufgrund der Sauerstoffgabe oder mechanischer Einflüsse), werden DLNO und KNO nicht affiziert, wohl aber DLCO und KCO. Auf diese Weise können verschiedene alveoläre Effekte in einer einzigen Messung separiert werden.
Abb. 6. Darstellung des Atemmanövers zur Bestimmung der kombinierten NO-CO-Diffusionskapazität: Zunächst führt der Proband 3 normale Atemzüge in Atemruhelage durch. Beim letzten atmet er vollständig bis zum Residualvolumen aus (RV), atmet danach maximal (bis zur TLC) ein, hält die Luft für eine vom Gerät vorgegebene Zeit an und exhaliert anschließend das vorher applizierte Atemgasgemisch. Anhand der auftretenden Konzentrationsunterschiede können Rückschlüsse u. a. auf die Beschaffenheit der alveolokapillären Grenzmembran gezogen werden.
Dass dies im Prinzip möglich ist, wurde durch experimentelle Vorarbeiten gezeigt. So gelang es, durch Inhalation von hypertoner Kochsalzlösung eine größere Veränderung von DLNO als von DLCO hervorzurufen – wie man es erwarten würde, wenn die osmotisch aktiven Aerosole in den Alveolen die Flüssigkeitsbarriere vergrößern, nicht aber das kapilläre Blutvolumen verändern [3].
Zur Bestimmung der Diffusionskapazitäten wurde das Gerät Masterscreen PFT (Vyaire Medical, Höchberg) eingesetzt. Hierbei wird ein Atemgasgemisch von NO (40–50 ppm), CO (0,3 %) und als Inertgas Helium (9,3 %) verwendet. Zur Messung muss der Pilot erst tief ausatmen, um die Lunge so weit wie möglich zu leeren, dann tief einatmen, wobei das Atemgasgemisch appliziert wird. Danach muss er die Luft für 8 s anhalten, um die Gasaufnahme in einer definierten Zeit zu ermöglichen, und anschließend tief ausatmen, um das Atemgas zwecks Analyse zu gewinnen. Die Messung erfolgte zweimal im Abstand von 4 min, um ihre Reproduzierbarkeit zu gewährleisten. Die applizierten Konzentrationen stellen keine Gefahr für den Piloten dar, und die Messung erwies sich nach entsprechender Anleitung als außerordentlich präzise durchführbar.
Messung von 8-OHdG als nichtinvasiver, systemischer Entzündungsmarker
Das für die Messungen verfügbare geringe Zeitfenster, wie es durch die Integration in den Flugbetrieb gegeben war, limitierte die Anwendung weiterer Verfahren. So wäre es interessant gewesen, die Konzentration des ausgeatmeten Wasserstoffperoxids als Marker für oxidativen Stress in der Lunge zu untersuchen. Allerdings ist diese Messung zeitlich und methodisch aufwändig, wenn sie verlässlich und präzise erfolgen soll, so dass sie entfallen musste. Dies trifft auch für andere Verfahren zur Bestimmung von oxidativem Stress im respiratorischen System zu, beispielsweise für die Untersuchung nasaler Sekrete.
Andererseits war zu erwarten, dass auch systemischer oxidativer Stress auftreten kann, wie das für verschiedene Expositionen bereits gezeigt wurde. Hierzu eignen sich vor allem Urinproben, die von den Piloten ohne weitere Interferenz mit dem Flugplan abgegeben werden können. Im Urin hat sich in verschiedenen Studien die Bestimmung von 8-Hydroxydesoxyguanosin (8-OHdG) bewährt. Hierbei handelt es sich um ein Produkt, das bei der Reparatur einer oxidativ geschädigten DNA anfällt. Urinproben wurden von den Piloten unmittelbar vor dem Flug, möglichst bald nach Landung, und, falls realisierbar, ca. 2 h nach Landung abgegeben. Die Vorgabe war, dass die Proben im Mittelstrahlurin gesammelt wurden. Sie wurden dann unverzüglich bei -20 °C gelagert und zwecks Analyse mittels ELISA zum Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin des Klinikums der LMU transportiert. Die Analyse der insgesamt 318 Proben läuft noch, soll aber im zweiten Quartal 2022 abgeschlossen werden.
Studienprotokoll und Auswertung der Daten
Das Protokoll der Untersuchung wurde von der Ethikkommission der Bayerischen Landesärztekammer für unbedenklich befunden. Die Messungen vor den Flügen erfolgten im Idealfall 30 min vorher, die Messungen nachher 15–30 min nach Landung. Bei der Alarmrotte, welche Flüge am Morgen und am Nachmittag absolvierte, wurden die Intervalle noch weiter verkürzt. Zwecks späterer Auswertung wurden alle Zeiten exakt erfasst. Die Messungen und Symptomerhebungen nahmen ca. 11 min in Anspruch und waren problemlos in den Flugbetrieb zu integrieren.
In Ermanglung von Vordaten unter den Bedingungen des Flugbetriebs war eine Fallzahlabschätzung nur tentativ möglich. Berücksichtigte man die Ergebnisse experimenteller Studien und die zu erwartende, durch hohe Kooperationsfähigkeit der Piloten bedingte hohe Verlässlichkeit der Messwerte, ergaben Fallzahlabschätzungen unter verschiedenen Annahmen eine Mindestzahl von 20 Piloten mit jeweils 4 Flügen, d. h. insgesamt 80 Flüge. Realisiert wurden Messungen bei 35 Piloten mit insgesamt 152 Datensätzen, davon 113 bis 136 für den Vor-Nach-Vergleich auswertbaren Datensätzen, je nach Messparameter. Die Zahl der Piloten mit weniger als 4 Flügen betrug 13, während 22 Piloten mindestens 4 (bis zu 10 Flüge) aufwiesen.
Mit den erhobenen Daten konnten die Fragen der Studie beantwortet werden. Formal lauten diese wie folgt.
1. Treten Änderungen von FeNO auf?
a. Sind diese mit den Flugparametern korreliert?
b. Sind sie mit den Symptomen korreliert?
2. Treten Änderungen von DLCO und DLNO, bzw. KCO und KNO, sowie VA auf?
a. Sind diese mit den Flugparametern korreliert?
b. Sind sie mit den Symptomen korreliert?
c. Sind sie mit den bronchialen Änderungen korreliert?
d. Treten bei wiederholten Flügen desselben Piloten, die an verschiedenen Tagen stattfinden, Änderungen der vor den Flügen gemessenen Werte auf, die auf Langzeiteffekte hindeuten?
3. Treten bei den Piloten der Alarmrotte Effekte auf, die sich von den vormittags erfolgenden Flügen auf die Vorwerte der nachmittags erfolgenden Flüge erstrecken und folglich eine Abschätzung der Abklingzeit möglicher Effekte erlauben?
4. Welches Muster zeigen die Werte von 8-OHdG und sind sie als Hinweis auf akuten oxidativen Stress interpretierbar?
a. Gibt es bezüglich 8-OHdG Übertragseffekte zwischen verschiedenen Tagen oder zwischen Vormittag und Nachmittag?
b. Korrelieren diese Änderungen mit den pulmonalen Änderungen?
Ausblick
Die Studie soll die Frage nach einer möglichen Beeinträchtigung der Piloten im Eurofighter-Cockpit beantworten. Hierbei stehen respiratorische Effekte im Vordergrund. Im Prinzip sind kleine Effekte zu erwarten. Allerdings ist die Frage offen, ob sie eine klinische Relevanz erreichen und, soweit im Rahmen der Studie beantwortbar, ob sie persistieren können. Diese Frage wurde unter den realen Bedingungen des Flugbetriebs noch nie adressiert. Sie ist wichtig, um bei der extrem anspruchsvollen Tätigkeit der Piloten die Quellen auch nur geringer Beeinträchtigungen der Leistungsfähigkeit zu erkennen und gegebenenfalls Modifikationen der Supportsysteme inklusive Schutzanzug und Sauerstoffversorgung vorzunehmen bzw. diejenigen Kombinationen von Flug- und Unterstützungsparametern zu identifizieren, die am ehesten relevant sein könnten. Das gewählte Studiendesign und die Methodik werden – nach dem bisherigen Stand der Auswertung – hier Antwort geben können.
Literatur
- Boehme S, Hartmann EK, Tripp T et al.: PO2 oscillations induce lung injury and inflammation. Critical Care 2019; 23: 102. mehr lesen
- Dressel H, Gross C, de la Motte D, Sültz J, Jörres A, Nowak D: Educational intervention decreases exhaled nitric oxide in farmers with occupational asthma. Eur Respir J 2007; 30: 545 – 548. mehr lesen
- Ehret M, Karrasch A, Rudolf A. Jörres et al.: Effects of inhaled saline and oxygen on noninvasive markers of airway and lung function. Eur Respir J 2012; 40 (Suppl 56): P3495. mehr lesen
- Protti A, Andreis DT, Milesi M et al.: Lung anatomy, energy load, and ventilator induced lung injury. Intensive Care Medicine Experimental 2015; 3: 34. mehr lesen
Manuskriptdaten
Zitierweise
Bojahr J, Jörres R, Weber F, Königer C: Studienkonzept zur Ermittlung von Stressreaktionen des Respirationstraktes nach assistierter bzw. hyperbarer Atmung bei Strahltriebwerk-Flugzeugführern. WMM 2022; 66(5): 171-176.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-14
Für die Verfasser
Stabsarzt Janina Bojahr
Bundeswehrkrankenhaus Hamburg
Zentrum für seelische Gesundheit
Lesserstr. 180, 22049 Hamburg
E-Mail: janinabojahr@bundeswehr.org
1 Bandbreite der möglichen Beschleunigungskräfte eines Luftfahrzeugs, gemessen in der Körper-Längsachse (Gz). Negative G-Kräfte geben die Beschleunigung in Richtung Kopf, positive in Richtung Beine an.
SICHER – AUCH OHNE ÜBERDRUCK
Anti-G-Schutz mit Druckbeatmung –
ist dies der Weisheit letzter Schluss? (Vortrags-Abstract)
Carla Ledderhosa, Michael Nehringb, Frank Webera, André Gensa
a Bis 2021 Zentrum für Luft- und Raumfahrtmedizin der Bundeswehr, Fürstenfeldbruck
b Zentrum für Luft- und Raumfahrtmedizin der Luftwaffe, Königsbrück
Einleitung
Mit dem zunehmenden Leistungsvermögen hochagiler Luftfahrzeugmuster der neuesten Generationen wurde der Schutz der Piloten vor zu hohen Beschleunigungen zum A und O für deren Betrieb. Die herkömmliche Anti-G-Hose reichte hierfür nicht mehr aus. Sie wurde nach und nach von komplexen Anti-G-Schutzsystemen abgelöst, die zumeist auf eine positive Druckbeatmung (positive pressure breathing for g-protection (PPG)) zurückgreifen. Dies brachte einen Zugewinn an G-Toleranz und eine Verringerung der mit den ansonsten notwendigen Anti-G-Straining Manövern einhergehenden Ermüdung der Piloten mit sich.
Allerdings hat diese Form der kontinuierlichen Druckatmung, die im Eurofighter in Abhängigkeit von der Gz-Belastung bis zu 60mmHg erreichen kann, auch einige unerwünschte Nebenwirkungen, die in vergangenen Vergleichsuntersuchungen verschiedener Anti-G-Anzüge als flugsicherheitsrelevant eingestuft wurden. Hier sind vor allem ein mit ihr einhergehender, zum Teil heftiger Armpain, die Beeinträchtigung der Sprachverständigung, Ohr- und Sinusblöcke, sowie Nebenwirkungen auf das Atmungssystem zu nennen. Der relativ hohe Druck und die trockene Luft führen zu mechanischen Irritationen in den zuführenden Atemwegen. Die Ausatmung ist erschwert und der normale Aktivitätszyklus der Atmung mit aktiver Inspiration, d. h. Einatmung durch Unterdruck und passiver Exspiration, wird umgekehrt. Durch die Dislokation von Lungengewebe infolge der Gz-Beschleunigung und den hohen Druck kommt es zur Dehnung und Weitung der apikalen Alveolen mit der Gefahr für einen Spontanpneumothorax und die Ausbildung eines subpleuralen Emphysems1.
Obwohl valide Studien zu gesundheitlichen Auswirkungen der PPG insbesondere auf das Atmungssystem im fliegerischen Kontext bisher fehlen, weiß man aus klinischen Settings, das eine positive Druckbeatmung mit weitaus geringeren Drücken als sie in der Luftfahrt gebräuchlich sind, bereits zu einer Lungenschädigung führt. Daher wäre ein Anti-G-Anzug, der auf eine solche Atmungsform verzichtet und dennoch einen verlässlichen Anti-G-Schutz bietet, zweifellos erstrebenswert.
„G-RAFFE“ – Alternatives Anti-G-Schutzsystem ohne PPG
Genau diese Bedingung erfüllt der Anti-G-Anzug „G-RAFFE“ der Fa. G-NIUS. Der von Andreas Reinhard (iii-solutions) im Auftrag von G-NIUS Ltd. entwickelte pneumatische Ganzkörperanzug (Abbildung 1) erbringt seinen G-Schutz ohne jegliche Atemunterstützung. Bei einer ersten Potenzialabschätzung des Prototyps am Ende seiner Entwicklung im Jahr 2013 punktete dieser mit seinem geringen Gewicht, einem sehr guten Tragekomfort mit ausgesprochen guter Bewegungsfreiheit und einem sehr schnellen Ansprechverhalten. Überdies zeigte er eine gute Performance im Vergleich zum gegenwärtig im Eurofighter geflogenen System „Aircrew Equipment Assembly (AEA)“ der Fa. BAeS.
Abb. 1: Testkonfiguration der Anzüge: A: „G-RAFFE“ (G-NIUS) mit Full Coverage Anti-G Suit, ASP Man Portion, Fliegerhelm, Maske und Stiefeln. B: „AEA“ (BAeS) mit Flightsuit – Light Weight Coverall (LWC), Full Coverage Anti-G-Trousers (FCAGT) und Flightjacket mit Chest Counter Pressure Bladder (CCPB) und ASP Man Portion sowie Fliegerhelm mit der Maske für die Druckbeatmung.
Mit der Kommerzialisierung dieses Prototyps durch die G-NIUS Ltd. gibt es derweil ein marktverfügbares Produkt, dessen Leistungsvermögen das Zentrum für Luft- und Raumfahrtmedizin der Lw (ZentrLuRMedLw) im Auftrag von Kommando Luftwaffe (KdoLw) in der nachfolgend beschriebenen umfangreichen Untersuchung im Vergleich mit dem gegenwärtig in der Luftwaffe genutzten „AEA“ der Fa. BAeS erprobte (Abbildung 1).
Fragestellungen
Neben der Klärung der Frage, ob mit „G-RAFFE“ ein verlässlicher G-Schutz zu erreichen ist, war es Ziel der Studie, subjektive Aussagen von Luftfahrzeugführern (LFF) und Novizen zur funktionalen und ergonomischen Bewertung des Anti-G-Anzuges „G-RAFFE“ im Vergleich zum „AEA“ zu gewinnen und diese begleitend durch ein Monitoring der Parameter der Herz-Kreislauf-Funktion während der Zentrifugenfahrten zu objektivieren.
Methodik
Nach positivem Votum der zuständigen Ethikkommission nahmen insgesamt 41 Probanden - 19 Luftfahrzeugführer (LFF) sowie 22 Novizen2 – mit gültiger Wehrfliegerverwendungsfähigkeit an der Studie in der Humanzentrifuge (HZF) des ZentrLuRMedLw in Königsbrück teil. Zunächst wurden die sog. „natürliche“ G-Toleranz bestimmt und ein bzw. zwei frei gestaltbare, nicht bewertete Familiarisierungsläufe mit den für die jeweiligen Teilnehmer unbekannten Anzügen („G-RAFFE“ bei LFF, „AEA“ und „G-RAFFE“ bei Novizen) durchgeführt. Im Anschluss daran wurden mit jedem Anzug in randomisierter Anzugfolge je ein Linear- und Stufenprofil, sowie ein anspruchsvolles Exhausting Simulated Aerial Combat Maneuvers (ESACM) absolviert. Die jeweiligen Beschleunigungsprofile zeigt Abbildung 2.
Alle Runs wurden mit dem in der HZF implementierten Aufzeichnungssystem dokumentiert. Überdies wurden die Gz-Belastung, das EKG sowie die Pulswelle mit einem separaten Rechnersystem aufgezeichnet und Befragungen zur funktionalen und ergonomischen Bewertung beider Anzugsysteme durchgeführt und systematisch ausgewertet
Abb. 2: Übersicht über die Wertungsläufe (links: Passives Linearprofil (0,1 Gz/s), Mitte: Aktives Stufenprofil (5, 7, 9 Gz, 6 Gz/s) für 15 s, dazwischen 2 min Pause, dabei Befragung; rechts: nach G-Awareness-Exercise aktives Flugprofil (ESACM) über 150 s mit Lastwechseln zwischen 4– 9 Gz, im Anschluss Befragung
Ergebnisse
Trotz nur kurzer Familiarisierung konnten die Probanden alle Leistungsanforderungen mit „G-RAFFE“ erfüllen.
Dabei waren die erbrachten Leistungen von LFF und Novizen im Vergleich zum „AEA“ gleichwertig oder besser und die Herz-Kreislaufbelastung insbesondere bei den anspruchsvollen Profilen (Stufenprofil und ESACM) mit hoher G-onset-Rate deutlich und statistisch gesichert geringer.
Subjektiv wurde „G-RAFFE“ hinsichtlich G-Schutz, Gefühl der Sicherheit, Effort, Aufmerksamkeitsbedarf für das Anti-G-Manöver, Verzögerungen im Druckaufbau und Armpain sowie der körperlichen Verfassung bzw. Erschöpfung nach dem Run von den Teilnehmern klar besser bewertet als der „AEA“-Vergleichsanzug. Auch dieser Unterschied ließ sich statistisch sichern.
Hinsichtlich der Frage, welches System die Studienteilnehmer subjektiv bevorzugen würden, wählten 75 % von ihnen das aktuell in der Luftwaffe geflogene System ab, 15 % trafen keine klare Entscheidung und 10 % sprachen sich für „AEA“ aus.
Fazit
Ohne Frage belegen die Daten der vorliegenden Studie, dass der Anti-G-Anzug „G-RAFFE“ das Potenzial hat, Piloten von Hochleistungsflugzeugen der neuesten Generation auch ohne die Implementierung einer positiven Druckbeatmung einen verlässlichen G-Schutz zu bieten und sie effektiv bei ihrer Auftragserfüllung zu unterstützen. Insbesondere reduziert er die in vergangenen Vergleichsuntersuchungen mit „AEA“ identifizierten und als flugsicherheitsrelevant bewerteten Defizite wie Armpain und eingeschränkte Sprachverständlichkeit.
Damit weisen die vorliegenden Befunde diesen Anzug als relevantes alternatives System aus, das sowohl präventivmedizinisch als auch hinsichtlich der Flugsicherheit Vorteile gegenüber dem im Moment im Hochleistungsflugbetrieb der Luftwaffe im Einsatz befindlichen Anti-G-Schutzsystem hat.
Für die Verfasser
Oberfeldarzt a. D. Priv.-Doz. Dr. med. habil.
Carla Ledderhos
Neuenkirchen
E-Mail: c_ledderhos@gmx.de
Vortrag bei der 66. Fliegerarzttagung der Bundeswehr in Bonn (8. bis 11. November 2021)
1 Sukzessive irreversible Zerstörung der feinen Lungengrundstruktur durch Überblähung der Lungenbläschen
2 Novizen im Sinne dieser Studie waren Personen, die im Vorfeld der Studie auf keinerlei Erfahrung im Umgang mit den beiden zu untersuchenden Anzügen zurückgreifen konnten und deren Zentrifugenerfahrung sich lediglich auf Fahrten bis maximal 7 Gz beschränkten.