Interdisziplinäre Forschung zu klimatischen Belastungen von Soldatinnen und Soldaten im Institut für Präventivmedizin der Bundeswehr
Karl Jochen Glitz, Ulrich Rohde, Alexander Sievert, Manuela Andrea Hoffmann
Wie in kaum einem anderen Beruf werden Soldatinnen und Soldaten hohe körperliche und mentale Leistungen abverlangt. Dazu tragen nicht nur der militärische Auftrag, sondern auch dessen Rahmenbedingungen (schwere körperliche Arbeit mit Lasten, isolierende Schutzbekleidung, lange Einsatzzeiten etc.) und insbesondere das Klima bei.
Dieses Forschungsfeld wird querschnittlich im Institut für Präventivmedizin der Bundeswehr (InstPrävMedBw) durch die Abteilung A – Gesundheits- und Leistungsförderung – mit interdisziplinärer Expertise bearbeitet (Medizin, Sportwissenschaften, Biologie, Physik, Psychologie, Informatik). Aus umweltergonomischer Sicht bilden die fortwährenden Entwicklungen zur Hitzeprävention [Glitz et al. 2021], die internationalen Kooperationen bei der Erarbeitung von Präventionsempfehlungen [NATO 2013, WMM 2018] sowie die wissenschaftliche Vernetzung bei der Erstellung von medizinischen Leitlinien zum Arbeiten unter klimatischen Belastungen bedeutende Beispiele für die anwendungsorientierte Arbeit des InstPrävMedBw [Glitz et al. 2022].
Zur Beurteilung der klimatischen Belastung eines Menschen ist u. a. die Kenntnis seiner Bekleidungsisolation erforderlich. Für zivile Arbeits- und Schutzbekleidung können Kennwerte nach Regel- und Normenwerken abgeschätzt werden. Für militärische Bekleidung und Schutzausrüstung ist dies kaum möglich, da sich deren Isolationswirkung durch die beherrschende Schutzfunktion (z. B. ballistischer Körperschutz) wesentlich von gewerblichen Produkten unterscheidet. So waren diese Informationen für die aktuelle Einsatzbekleidung (Hitze- und Kältebereich) bisher nicht verfügbar. Daher führte Diplom-Physikerin Dr. Maria Richter (Fachbereich Umweltergonomie und Bekleidung) biophysikalische Messungen mit einem lebensgroßen thermophysiologischen Manikin in enger Zusammenarbeit mit der Wehrtechnischen Dienststelle für Schutz- und Sondertechnik (WTD 52) durch. Die erhobenen bekleidungsphysiologischen Daten tragen zur thermophysiologischen Bewertung von militärischen Arbeitsplätzen und zur Entwicklung von ergonomischen Präventionsmaßnahmen bei.
Abb. 1: Dummy zur Simulation des Wärme- und Feuchtigkeitseintrags durch den Menschen in den Innenraum geschützter Fahrzeuge bei Klimakammeruntersuchungen (Eigenentwicklung, InstPrävMedBw: S. Freitag, Z. Radošević und M. Richter).
Ein praktischer Anwendungsfall beruht auf Berichten von Einsatzrückkehrern über den Hitzestress in geschützten militärischen Fahrzeugen insbesondere in Kombination mit der aktuellen Kampfbekleidung und dem ballistischem Körperschutz. Das InstPrävMedBw untersuchte den Sachverhalt mit der Wehrtechnischen Dienststelle für landgebundene Fahrzeugsysteme, Pionier- und Truppentechnik (WTD 41) und dem Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw). Dazu entwickelte das Institut zunächst Dummies, die den bisher unberücksichtigten Wärme- und Feuchtigkeitseintrag durch den Menschen in einen Fahrzeuginnenraum bei Standardprüfverfahren in der Klimakammer simulieren (s. Abb. 1). Die anschließenden praxisnahen Arbeitsplatzanalysen bestätigten die Hitzebelastungen, die zu gesundheitlicher Gefährdung und Leistungseinbußen führen können [Richter et al. 2020].
Abb. 2: Soldatin mit ballistischem Körperschutz bei der Hitzeexposition in der Klimakammer des InstPrävMedBw während einer Machbarkeitsstudie zur Verringerung der Hitzebelastung durch eine Körperkühlweste (Marschphase auf dem Laufbandergometer).
Über die Einleitung technischer Sofortmaßnahmen durch das BAAINBw hinaus hat das Institut eine Überarbeitung des bestehenden Prüfverfahrens und eine Anpassung der Klimatisierungsgrenzwerte an die tatsächliche Hitzebelastung der Fahrzeugbesatzungen mit ihrer aktuellen Bekleidung und Schutzausrüstung empfohlen.
Grundsätzlich zeichnet sich jedoch wegen ihrer großen Masse keine wirkungsvolle Klimatisierung von eingeführten Einsatzfahrzeugen ab. Daher prüft InstPrävMedBw die Möglichkeit der direkten Körperkühlung durch Nutzung einer erfolgreichen eigenen Methode. Diese fördert die Schweißverdunstung als den wirkungsvollsten physiologischen Entwärmungsmechanismus des arbeitenden Menschen [Glitz et al. 2015]. Dazu hat das InstPrävMedBw gemeinsam mit dem Wehrwissenschaftlichen Institut für Werk- und Betriebsstoffe (WIWeB) eine Körperkühlweste als Demonstrator entwickelt. In einer Machbarkeitsstudie mit freiwilligen Probandinnen und Probanden untersucht das InstPrävMedBw in seiner Klimakammer (Abb. 2) die Verringerung der Hitzebelastung von Fahrzeugbesatzungen auf diesem Wege [Richter et al. 2023].
Im Sinne der Vorlaufforschung stärkt das Institut mit der Kälteprävention einen weiteren umweltergonomischen Schwerpunkt: Durch die veränderte weltpolitische Lage und der damit verbundenen Refokussierung auf die Landes- und Bündnisverteidigung gewinnt das Handlungsfeld „Kälte“ zunehmend an Bedeutung. Dazu tragen die potenziellen Einsatz- und Verteidigungsräume unter anderem an der Ostflanke der NATO mit ihren tiefen Wintertemperaturen bei. Bei einem Beitritt von Schweden und Finnland wird sich diese gemeinsam zu verteidigende Außengrenze wesentlich verlängern [Hoffmann 2023].
Als ein Element dieser Vorlaufforschung baut Oberstleutnant Diplom-Sportwissenschaftler Nils-Alexander Simon als Verbindungsstabsoffizier des Heeres zum InstPrävMedBw federführend das Expertennetzwerk „Kälte“ für die Bundeswehr auf. Durch dieses Gremium sollen unter der Federführung des Instituts strukturübergreifend Fachleute aus Truppe und Wissenschaft zusammengeführt und deren vielfältige Expertise für dieses erweiterte Forschungsfeld gebündelt werden.
Zukünftig werden sich die klimatischen Belastungen der Soldatinnen und Soldaten durch den Klimawandel erhöhen und weitere Forschung für den Erhalt von Gesundheit und Leistungsfähigkeit erfordern. Dabei hat die Bundeswehr durch weltweite Einsätze in unterschiedlichen Klimazonen eine Expertise aufgebaut, die es erleichtern wird, diese Herausforderungen mit interdisziplinären und innovativen Ansätzen zu bewältigen.
Literatur
- Glitz KJ, Seibel U, Gorges W, Witzki A, Piekarski C, Leyk D: Reducing heat stress under thermal insulation in protective clothing: microclimate cooling by a ‘physiological’ method. Ergonomics 2015; 58: 1461–1469. mehr lesen
- Glitz KJ, Sievert A, Rohde U, Piekarski C, Leyk D: Anstrengungsbedingte Überhitzung im zivilen und militärischen Bereich – eine unterschätzte Gefahr. WMM 2021; 65(11): 426–428. mehr lesen
- Glitz KJ, Bux K, Catrein B, Dietl P, Engelmann B, Gebhardt H et al.: AWMF-S2k-Leitlinie Arbeiten unter klimatischen Belastungen. 1. Auflage, Version 1 vom 10.06.2022 Online verfügbar unter: https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/002–045.html. mehr lesen
- Hoffmann MA: Das Institut für Präventivmedizin der Bundeswehr beim NATO HFM Symposium „Human Performance and Medical Treatment and Support During Cold Weather Operations. WMM 2023; 67(1–2): 46. mehr lesen
- North Atlantic Treaty Organizsation, Hrsg. TR-HFM-187: Management of heat and cold stress. Guidance to NATO medical personnel. Findings of Task Group HFM-187. Neuilly-Sur-Seine Cedex: NATO Science & Technology Organization 2013. mehr lesen
- Richter M, Glitz KJ, Freitag S, Leyk D: Ein kaum bekanntes und unterschätztes Risiko: Hitzebelastung in militärischen Einsatzfahrzeugen. WMM 2020; 64(8): 283–287. mehr lesen
- Richter M, Freitag S, Glitz KJ, Hoffmann MA: Gefährdung durch Hitzestress in geschützten Fahrzeugen: Herausforderungen und Lösungswege. Jahresbericht 2022 Wehrwissenschaftliche Forschung (2023 im Druck)
- Wehrmedizinische Monatsschrift (Hrsg.): Internationales Symposium „Gesundheit und Leistung bei Hitzestress“ – Koblenz, 17.-18. April 2018. Schwerpunktheft. Bonn: Beta Verlag 2018; 10. mehr lesen
Dr. Karl Jochen Glitz
Institut für Präventivmedizin der Bundeswehr
Aktienstrasse 87, 56626 Andernach
E-Mail: KarlJochenGlitz@bundeswehr.org
Gesundheitsdatenmanagement im InstPrävMedBw: Daten verbinden – Wissen schaffen
Hans-Jörg Rotha, Manuela Andrea Hoffmanna
a Institut für Präventivmedizin der Bundeswehr, Andernach
Als zentrale Einrichtung zur Archivierung und Analyse von Gesundheitsdaten von Soldatinnen und Soldaten verfügt das Institut für Präventivmedizin der Bundeswehr (InstPrävMedBw) über einen immensen Datenschatz: Sämtliche Gesundheitsdaten der Bundeswehr, beispielsweise aus den Sanitätsversorgungseinrichtungen, den Bundeswehrkrankenhäusern Bw(Z)Krhs, den Karrierecentern der Bundeswehr (KarrCBw) und den Einsatzgebieten, werden im InstPrävMedBw zentral gesammelt, zusammengeführt, validiert und schließlich in den Datenbanken des Instituts gemäß den gesetzlichen Verpflichtungen archiviert. Die übermittelten Daten, z. B. Truppenarztmeldungen, Krankenkarten, Einstellungs- und Entlassungsuntersuchungen, die Mitternachtsstatistik in den Bw(Z)Krhs, Überweisungen und Kostenübernahmeerklärungen, erreichen das Institut teils in elektronischer, vorwiegend jedoch in Papierform. Die Melde- und Übermittlungsprozesse sind im Prinzip seit vielen Jahren unverändert geblieben. Sich ändernde Weisungen und Formulare, organisatorische und personelle Veränderungen und nicht zuletzt die technischen Gegebenheiten haben so im Laufe der Jahre zu einer heterogenen Datenlandschaft geführt – mit „unschönen“ Eigenschaften wie beispielsweise:
- auf einzelne Dateien über mehrere Laufwerke verteilte Daten,
- uneinheitliche Attribute, Attributbezeichnungen und Datentypen,
- nicht normalisierte Daten und
- verschiedene Datenbankmanagementsysteme.
Für eine zeitgemäße und zukünftig digital zu leistende Gesundheitsberichterstattung ergeben sich hieraus erhebliche Herausforderungen. So wird beispielsweise eine systematische Auswertung der Daten für standardisierte Gesundheitsberichte, insbesondere die Erstellung von Zeitreihen, deutlich erschwert.
Eigentlich wäre eine umfassende Neumodellierung aller Datenbanken des InstPrävMedBw erforderlich. Diese wird zwar in einigen Jahren mit dem auf einem SAP-System (Datenbanklösung der Fa. SAP „Systeme, Anwendungen, Produkte“) basierenden HIMS/HERAS (Health Information Management System/Health Evaluation and Reporting Analysis System) erfolgen. Um bis zur Verfügbarkeit dieser Lösung handlungsfähig zu bleiben, hat der Erstautor den nachfolgend skizzierten, ausdrücklich als Übergangslösung gedachten Ansatz entwickelt, um mit den bestehenden Daten und Datenstrukturen effizient weiter arbeiten zu können.
In der Regel wird das Ergebnis einer Auswertung in zweidimensionaler Form dargestellt, meistens mit einer Zeitachse, die auch noch weiter unterteilt sein kann (Abbildung 1).
Jede Zahl ist typischerweise das Ergebnis einer Abfrage an eine (oder mehrere) Datentabellen, im obigen (fiktiven) Beispiel mit den Abfragekriterien „Jahr“, „Geschlecht“ und „ICD-Kode“ (ICD = International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems). Dies funktioniert gut, solange die Datenbasis „sauber“ strukturiert ist. Wie oben schon angedeutet, treffen wir in der Realität jedoch auf Datenstrukturen mit Strukturbrüchen, bei denen beispielsweise die Daten einzelner Jahre in unterschiedlichen Tabellen abgespeichert sind (inkonsistente Datenablage), das Merkmal „Jahr“ in der Datentabelle für 2020 nicht mehr mit Jahr, sondern mit Berichtsjahr bezeichnet ist (Änderung der Attributbezeichnung) und das Geschlecht nicht mehr mit ‚w‘ und ‚m‘, sondern mit 1 und 2 kodiert wird (Änderung des Datentyps).
Solche Inhomogenitäten erfordern im obigen Beispiel für jedes Jahr eine separate Auswertung bzw. Auswertefunktion f (Abbildung 2). Bei einem Blick hinter die Kulissen verbirgt sich hinter der Funktion f ein SQL-Statement (SQL = Structured Query Language, Abfragesprache für relationale Datenbanken), welches über VBA (Visual Basic for Applications = Programmiersprache für alle Microsoft-Office-Anwendungen) an die Datenbank gesendet wird, in unserem Beispiel für 2019 etwa das SQL-Statement SELECT count(ID) FROM KK_2019 WHERE Jahr = 2019 AND Geschlecht = ‘m‘ AND ICD = ‘H00‘, welches das Ergebnis „123“ an die Tabellenkalkulation zurückgibt.
Abb. 2: Strukturbrüche in der Datenbasis
Diese Vorgehensweise mag auf den ersten Blick umständlich erscheinen, da es in der Tat elegantere Möglichkeiten gibt, Daten aus Datenbanken abzurufen. Sie erweist sich aber als sehr flexibel, wenn man die erwähnten Inhomogenitäten in den Griff bekommen will. Der Erstautor hat diesbezüglich eine Meta-Datenbank (inklusive der zugehörigen Programmierung) erstellt, in der für jedes Jahr für jede Datenbank hinterlegt ist, wo sie sich befindet, wie sie heißt, wie die benötigten Tabellen heißen, wie die einzelnen Merkmale heißen und welchen Datentyp sie jeweils haben. Mit Hilfe dieser Meta-Datenbank wird nun für jeden einzelnen zu berechnenden Wert in der Tabellenkalkulation der richtige Pfad zu den Daten gefunden und ein passendes SQL-Statement generiert, welches – und das ist der entscheidende Aspekt – die Strukturbrüche mit berücksichtigt. Insbesondere Auswertungen für Zeitreihen sind nun wesentlich einfacher möglich (Abbildung 3).
Abb. 3: Auswertung anthropometrischer Daten
Der oben beschriebene Ansatz hat sich in der Gesundheitsberichterstattung des InstPrävMedBw bei Einzelanfragen (z. B. aus dem Bundesministerium der Verteidigung, dem Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr u. a.) bereits mehrfach bewährt. Das nächste Teilziel ist die Ausweitung auf die Standardberichterstattung und eine Vereinheitlichung bestimmter Rechenwege.
Darüber hinaus wird deutlich, dass es auch unter den gegebenen Umständen möglich und sinnvoll ist, bis zur endgültigen Einführung der Zielsysteme und -lösungen (z. B. HERAS, HIMS, SAP) bereits jetzt mit vorhandenen „Bordmitteln“ erste Schritte in neue Richtungen der Digitalisierung und Datenaggregation zu unternehmen. Diese Schritte ermöglichen nicht nur ad hoc verbesserte und erweiterte Auswerte- und Berichtsmöglichkeiten, sondern bringen darüber hinaus auch wichtige Erkenntnisse für die laufenden Digitalisierungsprozesse.
ORR Hans-Jörg Roth
Sachgebietsleiter Gesundheitsberichterstattung
Institut für Präventivmedizin der Bundeswehr
Aktienstraße 87
56626 Andernach