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Arbeits- und Umweltmedizin PDF

Kraftdefizite beim Schießen mit der Handwaffe

Index Finger Muscle Fatigue and Pistol Firing Failure

Kai Nestlera,b

a Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz, Klinik VIII – Radiologie und Neuroradiologie

b Institut für Präventivmedizin der Bundeswehr, Koblenz

Der Beitrag wurde von der Deutschen Gesellschaft für Wehrmedizin und Wehrpharmazie e. V. mit dem zweiten Preis im Wettbewerb um den Paul-Schürmann-Preis 2022 ausgezeichnet.

Zusammenfassung

Soldatinnen und Soldaten berichten flächendeckend über Schwierigkeiten im Zusammenhang mit dem einsatzorientierten neuen Schießausbildungskonzept (neuSAK) der Bundeswehr: Die Muskelermüdung des Abzugsfingers beim Schießen mit der Handwaffe P8 führt häufig zu Problemen bei der Schussabgabe und damit zum Verfehlen des Ausbildungsziels.

Im Rahmen der vorliegenden Studie wurde ein Dynamometer entwickelt, der die Beugekraft am distalen Indexfingerendglied quantifiziert. Hinsichtlich der Testgütekriterien ergaben sich bei den dynamometrischen Verlaufsmessungen Intraklassen-Korrelationskoeffizienten von bis zu 0,99, was eine exzellente Test-Retest-Reliabilität belegt. Die Konstruktvalidität konnte ohne Nachweis eines systematischen Fehlers mit ebenfalls als exzellent zu interpretierenden Ergebnissen nachgewiesen werden.

Weiterhin wurde die muskuläre Ermüdung des Indexfingers durch Pistolenschießen (HK-P8) beim neuen Schießausbildungskonzept quantifiziert. Alle (15/15) weiblichen Soldaten und 8/15 der männlichen Soldaten waren muskulär-ermüdungsbedingt nicht in der Lage, das Schießtraining mit einem Umfang von 60 Schuss erfolgreich zu bestehen. Kurze Pausen, wie z. B. das Nachladen der Pistole, reichen nicht aus, um die Fingermuskulatur signifikant zu regenerieren. 10 von 15 Soldatinnen waren nicht in der Lage, einen einzigen Double-Action-Schuss regulär abzufeuern. Die geschlechts- und altersspezifische Beugekraft des Indexfingers wurde bei insgesamt 589 Probanden erfasst.

Unter Zuhilfenahme theoretischer Modelle zur Bestimmung der maximal akzeptablen Kraft (MAF) – auf Basis des spezifischen Arbeitszyklus und der Maximalkraft der beanspruchten Muskelgruppe – lassen sich maximale Abzugsgewichte von näherungsweise 24,8 ± 4,1 N für Frauen und 35,7 ± 6,5 N für Männer ableiten. Aufgrund der eklatanten Differenz zwischen theoretischer MAF (24,8 ± 4,1 N für Frauen) und ermittelten Double-Action-Abzugsgewichten von bis zu 58,8 N sind ergonomisch-technische Anpassungen der Handwaffe zielführend. Dazu zählen insbesondere die Reduzierung des Abzugsgewichts und eine ergonomische Optimierung des Griffstücks. Das ideale Abzugsgewicht sollte ein wiederholtes Schießen ermöglichen und eine sichere Handhabung gewährleisten, um unnötige Gefahren für den Anwender zu vermeiden. Kurze Pausen, z. B. beim Nachladen der Pistole, reichen zur Erholung der Fingermuskulatur nicht aus. Auch ein Krafttraining der Hand- und Fingermuskulatur, um dem technisch bedingten Kraftmangel entgegenzuwirken, wird selbst unter optimalen Bedingungen nicht bei allen Anwendern genügen.

Schlüsselworte: Kraftdefizit, Fingermuskulatur, Schießen, Handwaffe, Abzugsgewicht

Summary

A comprehensive number of soldiers report performance problems in conjunction with the new, mission oriented marksmanship training concept (neuSAK) of the German Bundeswehr: Muscle fatigue of the trigger finger when shooting with the P8 handgun often leads to problems firing the shot and thus missing the training objective. Within the framework of this study, a dynamometer was developed to quantify flexion force at the distal phalanx of the index finger.

Regarding test quality criteria, the dynamometric progression measurements yielded an intraclass correlation coefficient of up to 0.99, indicating excellent test-retest reliability. Construct validity was demonstrated with no evidence of systematic error in results.

Muscular index finger fatigue caused by pistol shooting (HK-P8) during neuSAK was quantified. All (15/15) female soldiers and 8/15 of the male soldiers could not complete the 60-shot training due to muscular fatigue. Short breaks, like for reloading the pistol, cannot regenerate the finger muscles significantly. 10/15 female soldiers were unable to fire one double-action shot regularly. Gender- and age-specific index finger flexion strength was measured in 589 subjects.

Using theoretical models to determine the maximum acceptable force (MAF) - based on the specific duty cycle and the full force of the muscle group – maximum trigger pulls of approximately 24.8 ± 4.1 N for women and 35.7 ± 6.5 N for men can be derived. The striking difference between the theoretical MAF (24.8 ± 4.1 N for women) and the measured double-action trigger weights of up to 58.8 N makes ergonomic-technical adjustments to the handgun appropriate. In particular, recommendations include reducing the trigger weight and optimizing the ergonomics of the grip. The ideal trigger weight should allow repeated firing and ensure safe handling to avoid unnecessary risk to the user. Short breaks, e. g. when reloading the pistol, are insufficient to recover the finger muscles. Strength training of the hand and finger muscles to counteract the technically induced lack of strength will also not be sufficient for all users, even under optimal conditions.

Keywords: muscle fatigue; finger muscles; shooting; handgun; trigger weight

Einleitung

Problemstellung

Das Beherrschen der persönlichen Handwaffe ist eine elementare Grundbedingung der Fähigkeitskategorie „Überleben und Schutz“ und für den Erhalt der Einsatzfähigkeit obligatorisch. Im Zusammenhang mit dem einsatzorientierten neuen Schießausbildungskonzept (neuSAK) der Bundeswehr berichten Soldatinnen und Soldaten flächendeckend über Schwierigkeiten: Die muskuläre Erschöpfung des Abzugsfingers beim Schießen mit der Handwaffe P8 führt häufig zu Problemen bei der Schussabgabe und zum Verfehlen des Ausbildungsziels.

Beim Pistolenschießen mit Spannabzug müssen Abzugsgewichte von knapp 60 N (≈ 6 kg) überwunden werden. Für die hierzu benötigte Muskelkraft existieren bisher keine leistungsphysiologischen normativen Daten. Ohne diese Informationen können weder muskuläre Leistungsgrenzen festgelegt, noch die Gefahr muskulärer Überlastungen ausgeschlossen werden. Auch die physiologisch begründete Ableitung von technischen Kenngrößen ist nicht möglich.

Beim Auftreten muskulärer Erschöpfung ist keine Handhabungs- und Treffsicherheit mehr gewährleistet und kann in der Maximalausprägung die Unfähigkeit zur Schussabgabe bedeuten. Davon sind in erster Linie Personen betroffen mit weniger ausgeprägten Körperkräften.

In Verbindung mit der eingangs aufgeführten Problemstellung wurden folgende Forschungsziele abgeleitet:

  1. Entwicklung einer reliablen und validen Messmethode der Fingerkraft,
  2. Quantifizierung der muskulären Ermüdung durch repetitive Belastung beim neuen Schießausbildungskonzept sowie
  3. Erfassung von Referenzwerten der Finger- und Handkraft zur Kalkulation von maximal akzeptablen Kraftbelastungen.

Entwicklung einer dynamometrischen
Messmethode der Fingerkraft

Ein Dynamometer zur Messung der maximalen isometrischen Kontraktionskraft (MVCIF) an der distalen Indexphalanx, was der Flexionsarbeit beim Schießvorgang entspricht, ist nicht marktverfügbar und musste daher entwickelt werden.

Methode

Das Messgerät besteht aus einem Handgriff und einem gegenüberliegenden Kraftsensor, der mit einem ringförmigen Kraftaufnehmer verbunden ist (Abbildung 1). Fünfundzwanzig gesunde Freiwillige (19 Männer und 6 Frauen) nahmen an dieser Studie teil.

Abb. 1: Messverfahren und Fingerpositionierung: Die Finger- und Handhaltung entspricht dem typischen Pistolengriff mit dem dominanten Indexfinger am Trigger, was in gleicher Weise bei der Haltung der P8 vorgefunden wird. Die maximale willkürliche isometrische Kontraktionskraft des Zeigefingers wird für 1,5 s gemessen.

Für jeden Tag erfolgt sowohl eine Einzelmessung (SM) als auch eine Gruppe von drei Messungen (Wiederholungsmessungen, RM). Für RM werden die Mittelwerte von drei täglichen Versuchen im Abstand von 120 Sekunden gemessen. Die Retest-Reliabilität der Wiederholungsmessungen wird an zwei aufeinander folgenden Tagen mit insgesamt 2 bzw. 6 Versuchen für SM und RM bestimmt. Die Inter-Tages-Reliabilität wird an fünf aufeinanderfolgenden Tagen mit insgesamt 5 bzw. 15 Tests für SM und RM durchgeführt.

Ergebnisse

Test-Retest-Reliabilität war nach der Munro-Ratingskala für RM – unter Verwendung des Mittelwerts von drei Wiederholungen – mit einem ICC von 0,99 (95 % CI = 0,97, 0,99) und einem CV von 2,59 % ausgezeichnet. Dementsprechend war auch die absolute Zuverlässigkeit mit einem SEM von 0,44 N exzellent. Die Zuverlässigkeit bei Einzelmessungen war mit einem ICC von 0,94 (95 % CI = 0,86, 0,97) hoch bis exzellent. SM ging mit einer erhöhten Varianz einher, was sich in einer Erhöhung des Variationskoeffizienten um etwa 1,5 Prozentpunkte von 2,59 % auf 4,06 % im Vergleich zu RM widerspiegelte. In ähnlicher Weise stieg die kleinste nachweisbare Veränderung (SDC) von 1,83 N (RM) auf 3,29 N (SM).

Die Intraday-Reliabilität mit kontinuierlicher Messung über 5 Tage zeigte eine vergleichsweise hohe Zuverlässigkeit mit einer ICC (RM) von 0,99 (95 % CI = 0,98, 0,99) bzw. einer ICC (SM) von 0,93 (95 % CI = 0,88, 0,97). SDC stieg von 2,07 N (RM) auf 3,67 N (SM).

Die Messungen zur Reliabilität sind in Tabelle 1 zusammengefasst.

 

Tab. 1: Reliabilität der Einzel- und Wiederholungsmessungen

Eine Varianzanalyse (ANOVA) mit wiederholten Messungen ergab, dass sich die Zeigefingerstärke über einen Zeitraum von fünf Tagen weder bei einer Einzelmessung (F(4, 96) = 0,74, p = 0,568) noch bei wiederholten Messungen (F(4, 96) = 0,53, p = 0,718) signifikant unterschied.

Die Unterschiede zwischen SM und RM werden durch Bland-Altman-Plots in Abbildung 2 visualisiert. Sowohl SM- als auch RM-Versuche waren normalverteilt, wie durch den Shapiro-Wilk-Test festgestellt wurde (p < 0,05).

Ein linearer Zusammenhang zwischen Zeigefingerstärke (144 N ± 28 N) und Greifkraft (560 N ± 120 N) mit einem Korrelationskoeffizienten von 0,85 (p < 0,001) deutet auf eine hohe Konstruktvalidität hin.

Abb. 2: Test-Retest-Reliabilität, ermittelt anhand einzelner und wiederholte Messungen, dargestellt als Bland-Altman-Plots mit Übereinstimmungsgrenzen und Streudiagrammen:

(A, C) Die Unterschiede zwischen zwei Kraftmessungen, die im Abstand von zwei Tagen sowohl durch Einzelmessung als auch durch einen Mittelwert von drei Messungen durchgeführt wurden, werden gegen den Mittelwert jedes Teilnehmers für diese beiden Tests aufgetragen. Die 95%-Grenzwerte der Übereinstimmung (LOA) werden auf dem Diagramm durch die punktierte Markierung ±1,96SD angezeigt und nehmen von A (-19,5N, 19,17N) auf C (-12,48 N, 12,79N) ab. Der Mittelwert reicht von -0,17N (A) bis +0,16N (C), was auf keine systematische Verzerrung zwischen den beiden Messungen hinweist. Die Punktverteilung deutet darauf hin, dass die Varianz bei wiederholten Messungen erheblich verringert wird (C).

(B, D) Streudiagramm der im ersten Versuch erzielten Fingerstärke im Vergleich zum zweiten Versuch bei jeder Person: Der Mittelwert der wiederholten Messungen zeigt eine engere Punktverteilung um die Regressionsgerade (R2=0,94, y =0,997x+0,63) im Vergleich zu Einzelmessungen (R2=0,87, y=0,893x+15,2).

Quantifizierung der muskulären Ermüdung durch repetitive Belastung beim neuen Schießausbildungskonzept

Methodik

Studienteilnehmende und Bedingungen

Die neuentwickelte und evaluierte Methode zur Erfassung der isometrischen Indexfingerkraft wurde anschließend in Tätigkeitsanalysen vor Ort zur Quantifizierung der muskulären Ermüdung durch repetitive Belastung beim neuen Schießausbildungskonzept eingesetzt (Abbildung 4). Die Studie umfasste 15 weibliche und 15 männliche Soldaten im Alter von 24 ± 4 bzw. 25 ± 5 Jahren.

Das Testverfahren bestand aus 3 identischen Übungsblöcken, die jeweils aus 4 Übungssätzen bestanden. Insgesamt wurden 60 Schuss auf 5 m und 10 m Distanz abgefeuert. Die Hälfte der Einzelschüsse wurde mit einem Single-Action (SA)-Abzug und die andere Hälfte mit einem Double-Action (DA)-Abzug durchgeführt.

Abb. 3: Schießausbildung gemäß „Neues Schießausbildungskonzept“: Die Probanden trugen Ausrüstung und Schutzkleidung gemäß den Ausbildungsrichtlinien. Insgesamt wurden 60 Schuss auf 5m und 10m Entfernung abgefeuert.

Abb. 4: MVCIF im Verlauf der Schießübung:

Die angegebenen Werte sind die maximale Zeigefingerstärke vor (t1, t3, t5) und nach (t2, t4, t6) jedem Trainingsblock (B1–B3). Unterbrechungen (I1, I2) wurden für Nachladetätigkeiten und zur Trefferfeststellung verwendet. Eine muskuläre Erholung (t7) wurde 30 min nach der letzten Schießübung erfasst.
Daten sind angegeben als Mittelwerte ± SE. (N = 30)
(Female: weibliche Probanden, Male: männliche Probanden, n.s.: nicht signifikant, *: p < 0,05, **: p < 0,01, ***p <0,001,
MVCIF: maximale Flexionskraft des Zeigefingers).

Ergebnisse

Schießunfähigkeit lag vor, wenn der Proband aus Kraftmangel nicht in der Lage war, den Abzug mit dem Zeigefinger der dominanten Hand zu betätigen. Sie trat bei insgesamt 23 der 30 Probanden auf. Bei allen 15 Soldatinnen wurde eine Schießunfähigkeit im ersten Übungssatz beobachtet, 10 waren nicht in der Lage, einen einzigen regulären DA-Schuss abzufeuern, und den restlichen 5 gelang es nur, maximal 2 DA-Schüsse abzufeuern. Im Verlauf der Übungen waren 3 der Soldatinnen selbst mit Hilfe des kontralateralen Zeigefingers nicht in der Lage, einen DA-Schuss abzufeuern. Diese Beobachtung der Schießunfähigkeit war jedoch nicht geschlechtsspezifisch. Schießunfähigkeit trat bei 8 der 15 männlichen Soldaten auf: Bei 2 Probanden während des ersten Übungssatzes, gefolgt von 4 und 2 im zweiten und dritten Übungssatz. Einem der männlichen Probanden gelang es nicht, einen einzigen Double-Action-Schuss abzufeuern.

Wiederholtes Schießen führte zu einem Kraftverlust bei weiblichen und männlichen Soldaten mit einer Verringerung der %MVCIF nach jeder Übung (männlich: t2: 94,2 ± 10,5 %, t4: 83,8 ± 8,5 %, t6: 76,7 ± 9,7 %; weiblich: t2: 84,7 ± 12,1 %, t4: 77,0 ± 14,5 %, t6: 75,9 ± 13,4 %) (Abbildungen 4 und 5). Unabhängig vom Geschlecht führten die beiden Unterbrechungen zu keiner relevanten Erholung von MVCIF. 30 min nach dem letzten Schuss (t7) wurde dagegen eine Zunahme der Fingerkraft sowohl bei den weiblichen als auch bei den männlichen Soldaten beobachtet, nämlich um 8,9 ± 8,5 N (t(14) = -4,06, d = 1,05, p = 0,001) bzw. 11,1 ± 7,0 N (t(13) = -5,95, d = 1,59, p < 0,001).

Abb. 5: %MVCIF im Verlauf der Schießübung: Die Zeigefingerstärke wird als prozentualer Anteil der maximalen isometrischen Kontraktion des Zeigefingers in Ruhe (%MVCIF) angegeben. Alle Werte sind Mittelwerte ± SE.
(Female: weibliche Probanden, Male: männliche Probanden, %MVC: prozentualer Anteil der maximalen Kontraktion).

Erfassung von Normwerten der Finger- und Handkraft

Über die Bestimmung der maximal akzeptablen Kraft – auf Basis des spezifischen Arbeitszyklus und der Maximalkraft der beanspruchten Muskelgruppe – lassen sich über ein theoretisches Modell maximale Abzugsgewichte ableiten. Dazu wurden umfassende geschlechts- und altersspezifische Daten zur Beugekraft des Indexfingers bei insgesamt 589 Personen erfasst. Die 169 weiblichen und 420 männlichen Probanden zeigten eine ähnliche Altersverteilung mit 24,5 ± 6,1 Jahren bzw. 24,7 ± 5,9 Jahren (p > 0,05).

Methode – Maximal akzeptable Kraft

Ein maximal akzeptabler Kraftaufwand (MAE) von 26,5 % kann formal mit Gleichungen für sich wiederholende Arbeiten kalkuliert werden. MAE bezieht sich auf eine durchschnittliche maximal akzeptable Kraft (MAF), die als Prozentsatz der durchschnittlichen maximalen Kraft aus einer maximalen willkürlichen Anstrengung für die gegebene Aufgabe normalisiert wird. Kontinuierliches Schießen mit einer kurzen Zielzeit von 5 s ergibt eine MAF von 23,3 N für Frauen und 38,6 N für Männer für das erfasste Kollektiv.

Ergebnisse

Unter Berücksichtigung der gesamten Stichprobe war die MVCIF der Männer ca. 41,4 N (95 % Konfidenzintervall [CI] = 38,1, 44,8) höher als die der Frauen (93.6 ± 15,6 N, p < 0,001). Berücksichtigt man den kalkulierten maximal akzeptablen Kraftaufwand (MAE) von 26,5 %, ergibt sich eine MAF von 24,8 ± 4,1 N für Frauen und 35,7 ± 6,5 N für Männer.

Diskussion und Fazit

Die entwickelte dynamometrische Methode zur Messung der Fingerbeugekraft weist eine exzellente Reliabilität, Test-Retest-Reliabilität und hohe Konstruktvalidität auf. Die Messung der MVCIF an der distalen Phalanx ermöglicht eine umfassende Beurteilung der extrinsischen Muskulatur, sowohl der oberflächlichen als auch der tiefen Fingerbeuger.

Das wesentliche Ergebnis dieser Studie ist der Nachweis eines hohen Anteils von Soldatinnen und Soldaten, bei denen innerhalb eines kurzen Schießtrainings von 60 Schüssen über einen Zeitraum von ca. 30 min eine Schießunfähigkeit aufgrund einer Ermüdung der Fingermuskulatur auftrat. Die Gesamtbelastung im Untersuchungszeitraum war im Vergleich zu einem durchschnittlichen Trainingstag auf dem Schießplatz deutlich geringer.

Kurze Pausen, z. B. beim Nachladen der Pistole, reichen zur Erholung der Fingermuskulatur nicht aus. Auch Krafttraining der Hand- und Fingermuskulatur zum Entgegenwirken des technisch bedingten Kraftmangels, der vor allem Soldatinnen zum Teil erheblich betrifft, wird selbst unter optimalen Bedingungen nicht für alle Anwender ausreichen.

Aufgrund der eklatanten Differenz zwischen theoretischer MAF und tatsächlichem Abzugsgewicht ist eine technische Anpassung im Sinne einer Abzugsgewichtsreduzierung und ergonomischen Griffoptimierung insbesondere für kleine Hände zielführend. Das ideale Abzugsgewicht sollte wiederholtes Schießen ermöglichen und eine sichere Handhabung gewährleisten, um unnötige Risiken für den Benutzer zu vermeiden.

Die erweiterten und hier nur in Auszügen wiedergegebenen Forschungsergebnisse wurden bereits frühzeitig für den Prozess einer Handfeuerwaffen-Nachfolge zur Verfügung gestellt.

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Danksagung

Ein herzlicher Dank gilt der Leitung (Herrn OTA a. D. Prof. Dr. Dr. Dieter Leyk, ab 01.10.22 Frau OFA PD Dr. Manuela Andrea Hoffmann) und allen Angehörigen des Instituts für Präventivmedizin der Bundeswehr für ihre tatkräftige Hilfe, ihren Rat und ihr inspirierendes sowie unterstützendes Arbeitsumfeld. Ihre Expertise und Erfahrung waren von unschätzbarem Wert für die Verwirklichung sämtlicher Projekte.

Manuskriptdaten

Zitierweise

Nestler K: Kraftdefizite beim Schießen mit der Handwaffe. WMM 2023; 67(6): 245-250.

DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-157

Verfasser

Oberfeldarzt Dr. Kai Nestler

Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz

Klinik VIII – Radiologie und Neuroradiologie

Rübenacher Str. 170, 56072 Koblenz

E-Mail: kai1nestler@bundeswehr.org

Manuscript Data

Citation

Nestler K: [Index Finger Muscle Fatigue and Pistol Firing Failure]. WMM 2023; 67(6): 245-250.

DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-157

Author

Lieutenant Colonel (MC) Dr. Kai Nestler

Bundeswehr Central Hospital Koblenz

Department VIII – Radiology und Neuroradiology

Rübenacher Str. 170, 56072 Koblenz

E-Mail: kai1nestler@bundeswehr.org

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