Praktikabilitätstestung der Bakteriophagentherapie am Bundeswehrkrankenhaus Berlin
Practicality Assessment of Bacteriophage Therapy at the Bundeswehr Hospital Berlin
Melanie Häfnera, Imke Korfb, Kai Halamac, Werner Wenzeld, Christian Willya
a Bundeswehrkrankenhaus Berlin – Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie
b Fraunhofer-Institut für Toxikologie und Experimentelle Medizin, ITEM
c Bundeswehrkrankenhaus Berlin – Krankenhausapotheke
d Bundeswehrkrankenhaus Berlin – Abteilung für Mikrobiologie
Zusammenfassung
Am Bundeswehrkrankenhaus Berlin wurde die Praktikabilität der therapeutischen Anwendung von Bakteriophagen im Rahmen individueller Heilversuche getestet. Dazu standen 3 Phagen gegen Pseudomonas aeruginosa zur Verfügung. Vor Behandlungsbeginn wurden Patientenisolate mittels Phagogramm auf Suszeptibilität gegenüber den Phagen getestet. Eine patientenindividuelle Formulierung erfolgte durch die Krankenhausapotheke. Es wurden zehn individuelle Heilversuche durchgeführt. In fünf Fällen konnten mikrobiologische Erfolge verzeichnet werden, wobei es auch zu Rezidiven kam.
Schlüsselwörter: Bakteriophagen, magistrale Herstellung, individueller Heilversuch, Fallserie
Summary
The practicability of the therapeutic use of bacteriophages was tested at the Bundeswehr Hospital in Berlin as part of individual treatment trials. For this purpose 3 phages against Pseudomonas aeruginosa were available. Before starting treatment, patient isolates were tested for susceptibility to the phages using a phagogram. The hospital pharmacy prepared a patient-specific formulation. Ten individual treatment trials were carried out. Microbiological success was recorded in five cases, although recurrences also occurred.
Keywords: bacteriophages; magistral production; individual treatment trial; case series
Einleitung
Bakteriophagen sind Viren, die Bakterien als ihren Wirt zur Vermehrung nutzen und diese durch Lyse gezielt töten können (lytische Bakteriophagen). Die Bakteriophagentherapie wurde erstmals 1919 klinisch angewendet und erlebte in den 1920er und 1930er Jahren ihre Blütezeit, bevor sie durch Qualitätsprobleme und die Entdeckung von Antibiotika wie Penicillin in der westlichen Welt stark an Bedeutung verlor [3]. In der Sowjetunion hingegen wurde sie insbesondere während des Zweiten Weltkrieges weiterentwickelt und in Ländern wie Georgien und Russland bleibt sie bis heute eine anerkannte Therapieform [1]. In Deutschland konnte sich die Therapie nicht durchsetzen, obwohl es während des Zweiten Weltkrieges und in der DDR Phagenanwendungen gab [4]. Erst seit den 1990er Jahren und intensiver ab 2015 wird die Therapie in Einzelfällen, etwa bei chronischen Infektionen und Infektionen mit multiresistenten Erregern, genutzt. Die Anzahl der Publikationen erfolgreicher Einzelfallbehandlungen mit Bakteriophagen nimmt weltweit stetig zu. Dennoch hat sich die Bakteriophagentherapie in Deutschland noch nicht etabliert, da wichtige regulatorische Hürden bezüglich der Zulassung nicht abschließend geklärt sind.
Auch in der modernen Militärmedizin gewinnen Bakteriophagen zunehmend an Bedeutung, insbesondere im Kontext von Infektionen durch multiresistente Erreger [2]. Soldatinnen und Soldaten sind während Einsätzen häufig in Umgebungen tätig, die ein erhöhtes Risiko für Verletzungen und Infektionen mit sich bringen. Dies ist besonders relevant bei der Behandlung von Schuss- und Explosionsverletzungen, da die Wunden sich in solchen Szenarien leicht mit in den meisten Einsatzgebieten höher prävalenten multiresistenten Bakterien infizieren, gegen die herkömmliche Antibiotika oft nicht mehr wirksam sind [5][6]. Diese Herausforderung zeigte sich in jüngster Vergangenheit auch bei der Behandlung ukrainischer Soldaten im Bundeswehrkrankenhaus Berlin.
Ein wesentlicher Vorteil der Bakteriophagentherapie liegt in ihrer Flexibilität und Anpassungsfähigkeit, da Bakteriophagen gezielt bakterielle Pathogene angreifen und dadurch eine vielversprechende Ergänzung zu bestehenden Behandlungsmöglichkeiten bieten. Durch die patientenspezifische Herstellung von Phagenzubereitungen können Infektionen gezielt behandelt werden. Der gezielte Einsatz kann helfen, Infektionen dort zu bekämpfen, wo Antibiotika versagen, und somit die Genesung fördern sowie die Einsatzbereitschaft wiederherstellen bzw. erhalten. Erste Einzelfall-Anwendungen zeigen, dass Bakteriophagen erfolgreich bei schwierig zu behandelnden Infektionen eingesetzt werden können [7]. Die Nutzung dieser Therapieform erfordert jedoch eine enge Zusammenarbeit zwischen mikrobiologischen Laboren, Krankenhausapotheken und behandelnden Ärztinnen und Ärzten.
Ziel des Forschungsprojektes PhagoFlow war die Untersuchung der Praktikabilität der Bakteriophagenherstellung und -therapie unter den in Deutschland vorhandenen infrastrukturellen Bedingungen unter Einhaltung der aktuellen gesetzlichen Vorgaben. Mittels der Durchführung einer klinischen Fallserie von individuellen Heilversuchen sollten mögliche Hürden identifiziert und Lösungsvorschläge erarbeitet werden. Es handelt sich folglich um keine Studie, in welcher die Sicherheit/Verträglichkeit und Wirksamkeit der Phagen unter Heranziehung einer Vergleichsgruppe getestet wird, sondern um eine Erprobung von Prozessen und der Umsetzbarkeit.
Methodik
Im Rahmen des Konsortialprojektes zwischen dem Leibniz-Institut DSMZ (Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen), dem Fraunhofer-Institut für Toxikologie und Experimentelle Medizin (Fraunhofer ITEM) und dem Bundeswehrkrankenhaus Berlin wurden die in Abbildung 1 vereinfacht dargestellten Prozesse entwickelt und erprobt.
Abb. 1: Übersicht der Projektstruktur des Konsortialprojektes zwischen Leibniz-Institut DSMZ (Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen), Fraunhofer-Institut für Toxikologie und Experimentelle Medizin (Fraunhofer ITEM) und dem Bundeswehrkrankenhaus Berlin (Konsortialführung).
Nach Isolierung, Charakterisierung und Auswahl von Phagen und bakteriellen Wirten durch die DSMZ wurden Phagenwirkstoffe (API) gemäß der mit den Behörden festgelegten Qualitätsstandards durch das Fraunhofer ITEM hergestellt. Es wurden GMP-konforme Freigabetests durchgeführt, um die Identität, Reinheit und den Gehalt der Wirkstoffe zu überprüfen.
Im Bundeswehrkrankenhaus Berlin wurden potenzielle Patientinnen und Patienten auf Eignung für eine Bakteriophagentherapie im Rahmen individueller Heilversuche geprüft. Neben dem Erregerspektrum der Patientenisolate, der Art der Infektion und den bereits erfolgten indikationsgerechten Behandlungsversuchen mussten dabei auch organisatorische Aspekte wie bspw. die Transportfähigkeit der Patienten beachtet werden, um eine Behandlung im Bundeswehrkrankenhaus Berlin zu ermöglichen. Bei Eignung eines Patienten für die Bakteriophagentherapie wurden Erregerproben in domo entnommen oder von extern eingesendet. Je nach Indikation handelte es sich dabei um Abstriche, Gewebe-, Sputum- oder Urinproben. Durch die Abteilung Mikrobiologie erfolgte die Durchführung einer Empfindlichkeitstestung von Patientenisolaten sowohl auf Antibiotika (Antibiogramm) als auch auf die Phagen (Phagogramm). Bei letzterem handelt es sich um ein Plaque-Assay-Verfahren, bei dem eine Phagen-Verdünnungsreihe erstellt und auf eine Agarplatte mit der Bakterienkultur aufgetragen wird. Diese Methode wurde erprobt, standardisiert und etabliert. Sofern mindestens einer der Phagen in vitro eine ausreichende Wirksamkeit zeigte, wurde nach Identifikation der individuellen Anwendungsmöglichkeiten einer Bakteriophagentherapie durch Fachärzte der verschiedenen Fachkliniken gemeinsam mit den Patienten über die Umsetzung der Bakteriophagentherapie entschieden.
Für die magistrale (patientenindividuelle) Formulierung der geeigneten Phagen durch die Krankenhausapotheke wurde ein spezieller Reinraum eingerichtet, der den Anforderungen zur Herstellung steriler Arzneimittel entspricht. Dafür wurden strenge Hygiene- und Dokumentationsmaßnahmen sowie Schulungen und Prüfungen des pharmazeutischen Personals durchgeführt und spezifische Herstellungsanweisungen sowie ein Herstellungsprotokoll entwickelt. Die Zubereitungen als Flüssiglösung wurden individuell für jeden Patienten auf ärztliche Anforderung angefertigt.
Die Applikationsart, -dosis, -häufigkeit und -dauer wurde für jeden Patienten indikationsabhängig, individuell und unter Prüfung der aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse gewählt. Es wurde eine Mindestanwendungsdauer von 10 Tagen angestrebt, um Resistenzbildungen zu vermeiden. Der Behandlungserfolg wurde anhand klinischer und mikrobiologischer Aspekte qualitativ bewertet. Eine Vergleichbarkeit zwischen den einzelnen Anwendungen ist nicht möglich.
Ergebnisse
Durch die DSMZ wurden aus 140 Phagen gegen Pseudomonas aeruginosa basierend auf der Analyse des Wirtsspektrums, der genetischen Eigenschaften und der Lysewirksamkeit 3 Phagen für die Produktion ausgewählt. Für die Phagen-APIs wurde durch das Fraunhofer ITEM ein Herstellungsprozess und eine Freigabeanalytik entwickelt, die Anforderungen mit den zuständigen Behörden abgestimmt und die Phagen-APIs nach Herstellung und Freigabe an das Bundeswehrkrankenhaus Berlin ausgeliefert.
Für die Umsetzung der klinischen Fallserie wurden zunächst im Sinne der Praktikabilitätstestung sämtliche unter Methodik beschriebenen Prozesse erprobt, standardisiert und etabliert. Im Zeitraum April 2023 bis September 2024 wurden insgesamt 308 Patientenanfragen bearbeitet. Eine Übersicht der Fallzahlen bietet Abbildung 2.
Abb. 2: Übersicht Fallzahlen der durchgeführten Behandlungsserie:
* 1 Patient wies 2 Infektionslokalisationen aus unterschiedlichen Fachbereichen auf; daher ergibt die Summe nach Fachbereichen aufgeführt 11.
Bei knapp 20 % der Anfragen handelte es sich um Infektionen u. a. mit dem Erreger P. aeruginosa. Auf Basis der Aktenlage und nach Rücksprache mit zuvor behandelnden Ärztinnen und Ärzten sowie den betroffenen Patientinnen und Patienten eigneten sich 33 Personen potenziell für eine Bakteriophagenbehandlung im Rahmen eines individuellen Heilversuchs. Es handelte sich ausnahmslos um hochkomplexe klinische Fälle, bei denen überwiegend bereits mehrere erfolglose Therapieversuche unternommen wurden. Für die Patientenisolate der Betroffenen wurden Phagogramme für den Erreger P. aeruginosa durchgeführt. In 18 Fällen zeigte keiner der 3 Phagen eine ausreichende in vitro-Wirksamkeit. Nach festgestellter in vitro-Wirksamkeit von mindestens einem der Phagen konnten zehn Patienten durch vier verschiedene Fachabteilungen des Bundeswehrkrankenhauses Berlin behandelt werden. Dazu wurden durch die Krankenhausapotheke individuell Phagenzubereitungen entsprechend der zuvor im Phagogramm ermittelten Wirktiter formuliert. In 5 Fällen konnte nach der Behandlung mikrobiologisch der Zielerreger nicht mehr nachgewiesen werden, wobei im Verlauf in einigen Fällen Rezidive auftraten. In einem Fall konnte nachhaltig (Follow-Up über 9 Monate) sowohl eine mikrobiologische als auch eine klinische Heilung erzielt werden.
Diskussion
Die Bakteriophagentherapie bietet eine vielversprechende Möglichkeit, im Falle von Antibiotikaresistenzen oder bei schwer therapierbaren Infektionen bakterielle Infektionen gezielt zu behandeln. Sie steht jedoch vor zahlreichen Herausforderungen, die ihre breite Anwendung im klinischen Alltag bisher erschweren.
Die bisherigen klinischen Erfahrungen zeigen, dass die Bakteriophagentherapie gute Ergebnisse bei einzelnen Patienten erzielen konnte. Einige der Behandlungserfolge können direkt auf die Phagenanwendung zurückgeführt werden, während in anderen Fällen der klinische Erfolg durch zusätzliche Maßnahmen unterstützt wurde. Dennoch blieb der mikrobiologische Erfolg insgesamt hinter den Erwartungen zurück. Gründe hierfür liegen möglicherweise in der Darreichungsform der Phagen als Flüssigmedium, das insbesondere bei chronischen Wunden eine kürzere Kontaktzeit mit den Bakterien bietet. Auch die Anwendungsdauer könnte in einigen Fällen zu kurz gewesen sein, um eine nachhaltige Keimreduktion zu erreichen. Komplexe anatomische Gegebenheiten bei bestimmten Patienten, wie Blasendivertikel, sorgten für erschwerte Anwendungsbedingungen. Zudem handelte es sich bei allen eingeschlossenen Patienten um komplexe Fälle, bei denen überwiegend bereits mehrere erfolglose konventionelle Therapieversuche unternommen worden waren. In einigen Fällen bestand nach Therapieende keine in vitro-Suszeptibilität mehr, was eine Resistenzbildung vermuten lässt. Dennoch ist hervorzuheben, dass keine Nebenwirkungen oder Komplikationen im Zusammenhang mit der Phagenanwendung beobachtet wurden.
Die derzeitigen Anforderungen an die Herstellung von Phagen erfordern einen zeitaufwändigen Prozess, was zu einem Mangel an verfügbaren Phagen in diesem Projekt geführt hat. Um die Phagentherapie vielen Patienten zugänglich zu machen, müssen die Produktions- und Sensitivitätsprüfungskapazitäten erweitert werden. Die Phagenherstellung ist derzeit stark von projektgebundener Finanzierung abhängig und es fehlen nachhaltige Finanzierungsmodelle, da in Apotheken hergestellte magistrale Phagenpräparate nicht kommerziell vertrieben werden dürfen. Eine entscheidende Maßnahme wäre daher eine klare gesundheitspolitische Einordnung dieser Therapieform, einschließlich einer Vergütung der Herstellung über Zusatzentgelte im sogenannten NUB-Verfahren. Zudem sollten Regierung und Gesundheitseinrichtungen die Forschung finanziell unterstützen, standardisierte Herstellungs- und Anwendungsprotokolle entwickeln und klinische Studien fördern.
Die bestehenden Phagensammlungen, Produktionsbetriebe und die Anzahl der durchführbaren Phagogramme pro Zeiteinheit reichen derzeit nicht aus, um die Bakteriophagentherapie in eine Regelversorgung zu überführen. Ein Ausbau der Infrastruktur sowie die Schaffung klarer regulatorischer Rahmenbedingungen sind entscheidend. Pharmazeutische Unternehmen oder Krankenhausapotheken müssten in der Lage sein, Phagen herzustellen und diese mit den Krankenkassen abzurechnen, um die Finanzierung nachhaltig zu sichern.
Ein wesentlicher Engpass besteht in den infrastrukturellen und personellen klinischen Ressourcen. Die klinische Behandlungsplanung und -durchführung erfordert aufgrund der Komplexität der Patientenfälle zusätzliches geschultes Personal in klinischen Einrichtungen. Die Administration und Koordination zahlreicher Patientenanfragen sowie klinikinterner Abläufe erfordern spezialisiertes Personal, das derzeit nicht ausreichend zur Verfügung steht. Im Projektzeitraum konnte kein Therapieansatz innerhalb von zwei Wochen nach der ersten Probenentnahme – wie ursprünglich angestrebt – realisiert werden. Verzögerungen entstehen vor allem durch die aufwendige Suszeptibilitätstestung der Bakterienisolate (Phagogramm), die essenziell für die Therapie ist und ebenfalls geschulte Kräfte benötigt, sowie logistische Hürden im Klinikbetrieb. Erst nach Koordinationsanpassungen war ein Beginn der Therapie innerhalb von ca. zwei bis vier Wochen möglich. Um diese Prozesse zu beschleunigen, wären eine bessere Integration der Bakteriophagentherapie in die mikrobiologische Routine, der Zugang zu fertigen Phagencocktails sowie eine zentrale Koordination der Isolierung und Charakterisierung von Phagen erforderlich. Eine zentrale Anlaufstelle zur Koordination und Kommunikation zwischen den beteiligten Institutionen ist notwendig, um den Prozess effizient zu gestalten.
Fazit
Bei derzeitiger Beurteilung zeigt die Bakteriophagentherapie großes Potenzial als zusätzliche Behandlungsmethode im Kampf gegen Antibiotikaresistenzen und könnte in Zukunft insbesondere bei schwer behandelbaren Infektionen eine bedeutende Rolle im deutschen Gesundheitswesen spielen. Dafür sind jedoch erhebliche gesundheitspolitische Anstrengungen erforderlich, die Forschung, Entwicklung und klinische Anwendung gleichermaßen fördern. Eine koordinierte Strategie, die auf den Ausbau der Produktionskapazitäten, die Einführung standardisierter Verfahren und die Schulung medizinischen Personals setzt, ist notwendig, um diese Therapieform flächendeckend verfügbar zu machen und ihr Potenzial vollständig auszuschöpfen. Nur durch eine enge Zusammenarbeit zwischen Politik, Wissenschaft und Gesundheitseinrichtungen kann die Bakteriophagentherapie zu einer festen Säule im Kampf gegen multiresistente Keime werden.
Literatur
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- Willy C, Bugert JJ, Classen AY, Deng L, Düchting A, Gross J, Hammerl JA, Korf IHE, Kühn C, Lieberknecht-Jouy S, Rohde C, Rupp M, Vehreschild MJGT, Vogele K, Wienecke S, Witzenrath M, Würstle S, Ziehr H, Moelling K, Broecker F. Phage Therapy in Germany-Update 2023. Viruses 2023; 15(2): 588. mehr lesen
Förderung
Teile dieser Arbeit wurden durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (Fördernummer 01VSF18049) gefördert.
Manuskriptdaten
Zitierweise
Häfner M, Korf I, Halama K, Wenzel W, Willy C: Praktikabilitätstestung der Bakteriophagentherapie am Bundeswehrkrankenhaus Berlin. WMM 2025; 69(1–2): 16-19.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-391
Für die Verfasser
Lt (SanOA) Melanie Häfner, M.Sc.
Bundeswehrkrankenhaus Berlin
Klinik XIV – Unfallchirurgie und Orthopädie
Scharnhorststr. 13, 10115 Berlin
E-Mail: melaniehaefner@bundeswehr.org
Manuscript Data
Citation
Häfner M, Korf I, Halama K, Wenzel W, Willy C: [Practicality Assessment of Bacteriophage Therapy at the Bundeswehr Hospital Berlin] WMM 2025; 69(1–2): 16-19.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-391
For the Authors
Lieutenant (MC) Melanie Häfner, M.Sc.
Bundeswehr Hospital Berlin
Department of Trauma Surgery and Orthopedics
Scharnhorststr. 13, D-10115 Berlin
E-Mail: melaniehaefner@bundeswehr.org
TRP-Kanäle (transient receptor potential channels) als neues therapeutisches Ziel zur Behandlung der akuten Strahlenkrankheit
TRP-Channels (Transient Receptor Potential Channels) as New Therapeutic Target for Treatment of Acute Radiation Syndrome
Timo Orbena, Bernhard Stengera, Michel Pepera, Roland Ridia, Matthias Porta, Tanja Poppa
a Institut für Radiobiologie der Bundeswehr in Verbindung mit der Universität Ulm, München
Zusammenfassung
Das zunehmende Risiko von nuklearen Unfällen und globalen Konflikten unterstreicht die dringende Notwendigkeit, die lebensbedrohliche akute Strahlenkrankheit, therapeutische Ziele und lebensrettende Behandlungsoptionen besser zu verstehen. In dieser Studie untersuchten wir nicht-selektive TRP (transient receptor potential)-Kationenkanäle als potenzielle neue therapeutische Ziele der Strahlenkrankheit. Diese Kanäle werden durch eine Vielzahl von Stimuli, einschließlich Nozizeption und Temperatur, aktiviert, was sowohl physiologische als auch pathologische Reaktionen zur Folge haben kann. Das derzeitige Wissen über ihre Rolle bei strahleninduzierten Schäden ist jedoch begrenzt. Daher war es unser Ziel, das Potenzial dieser Kanäle als Ziele für eine zielgerichtete Behandlung zu erforschen.
Wir zeigten, dass die Überexpression des TRPA1-Kanals in Zellkulturen das Zellwachstum nach Bestrahlung negativ beeinflusste. Außerdem fanden wir heraus, dass die TRPA1-Expression nach Bestrahlung hochreguliert wird. Durch die Hemmung dieses Kanals konnten wir die beeinträchtigte Proliferation der Zellen wiederherstellen. Interessanterweise zeigte ein weiterer Vertreter der TRP-Kanal-Familie, TRPV4, den gegenteiligen Effekt. Die Überexpression von TRPV4 führte zu einer verbesserten Zellproliferation nach Bestrahlung im Vergleich zu den Kontrollzellen.
Abschließend könnte die Hemmung von TRPA1 oder die Aktivierung von TRPV4 die Radiosensitivität mildern und potenziell vorteilhafte Effekte bei der Behandlung der akuten Strahlenkrankheit bieten. Diese Ergebnisse erfordern weitere Untersuchungen zum therapeutischen Potenzial der Modulation von TRP-Kanälen.
Schlüsselwörter: TRP-Kanäle, akute Strahlenkrankheit, medizinischer A-Schutz, neue Therapieoptionen
Summary
The increasing risk of radiological and nuclear accidents, as well as global conflicts, underscores the urgent need for further understanding of the potential life-threatening acute radiation syndrome (ARS), therapeutic targets, and life-saving treatment options. In this study, we investigated non-selective TRP (transient receptor potential) cation channels as potential new therapeutic targets for ARS. Various stimuli, including nociception and temperature, naturally activated these channels, leading to physiological and pathological responses. However, current knowledge regarding their role in radiation-induced damage is limited. Therefore, we aimed to explore the potential of these channels as targets for specialized treatment of ARS.
In cell cultures, overexpressing the TRPA1 channel negatively impacts cell proliferation after irradiation. Additionally, TRPA1 expression was found to be upregulated following irradiation. By inhibiting this channel, we were able to rescue the impaired proliferative capacity of the cells. Interestingly, another member of the TRP channel family, TRPV4, exhibited the opposite effect. Overexpression of TRPV4 led to improved cell growth following irradiation compared to control cells.
In conclusion, the inhibition of TRPA1 or the activation of TRPV4 could potentially mitigate radiosensitivity and offer beneficial effects in the treatment of ARS. These findings warrant further investigation into the therapeutic potential of modulating TRP channels in radioprotection.
Keywords: TRP-channels; acute radiation sickness; medical nuclear protection; new therapeutic options
Einleitung
Aufgrund der zunehmenden Anspannung der Sicherheitslage in Europa wächst die Gefahr einer nuklearen Bedrohung. Angesichts dieser Bedrohungslage wird es immer wichtiger, nicht nur präzise diagnostische Fähigkeiten zu entwickeln, sondern auch schnell und effektiv potenzielle Patienten zu identifizieren und zu behandeln. Ein entscheidender Bereich in diesem Zusammenhang ist die Behandlung der akuten Strahlenkrankheit. Hierbei sind innovative therapeutische Ansätze von großer Bedeutung. Derzeit konzentriert sich die medikamentöse Therapie überwiegend auf die Linderung der Symptome, wie etwa Übelkeit, Schmerzen und die Wiederherstellung des Flüssigkeits- und Elektrolythaushalts [2].
Ein vielversprechender Ansatz, um das Gesamtüberleben nach einem Strahlenereignis zu verbessern, sind Zytokine wie G-CSF (granulocyte-colony stimulating factor), die bereits in den USA in dieser Indikation zugelassen sind. In der Zukunft könnte eine neue therapeutische Zielstruktur von Bedeutung werden: die Familie der nicht-selektiven transienten Rezeptorpotenzial (TRP)-Kationenkanäle. Diese Kanäle werden durch verschiedene äußere Reize wie mechanische, chemische oder thermische Einflüsse aktiviert und spielen eine Schlüsselrolle bei vielen physiologischen und pathologischen Prozessen [3][4]. Es sind bereits sieben verschiedene Gruppen von TRP-Kanälen mit insgesamt 29 verschiedenen Vertretern bekannt, die im gesamten Körper vorkommen [1].
Obwohl bisher nur wenig über den Einfluss der TRP-Kanäle bei der Reaktion auf ionisierende Strahlung bekannt ist, deuten erste Untersuchungen auf ein großes Potenzial sowohl als Biomarker, als auch als mögliches, spezifisches Target bei der akuten Strahlenkrankheit hin.
Methoden
Die Modellzelllinien, die in dieser Studie verwendet wurden, sind humane embryonale Nierenzellen (human embryonal kidney cells, HEK-Wildtyp [WT]), welche die Kanäle TRPA1 und TRPV4 einzeln verstärkt exprimieren. Diese Zellen bieten ein geeignetes Modell, um die Wirkung der Strahlung auf die TRP-Kanäle zu untersuchen und deren Beteiligung bei der zellulären Antwort auf ionisierende Strahlung zu klären. Zu Beginn der Untersuchung wurde das Zellwachstum in einem Live-Cell-Imaging-System überwacht. Hierbei wurden die Überexpressionszelllinien (HEK-A1 und HEK-V4) zusammen mit den HEK-WT-Zellen als Kontrolle auf 96-Stripwellplatten ausgesät. Die einzelnen Streifen der Platten wurden mit unterschiedlichen Strahlendosen (0–40 Gy) bestrahlt und die Konfluenz der Zellen in Intervallen von 4 Stunden bestimmt, um das Zellwachstum sowie die Wirkung der Strahlung auf das Wachstum zu messen.
Die Analyse der Expressionsänderung der TRP-Kanäle erfolgte mittels Western Blot. Zu festgelegten Zeitpunkten (6 h, 24 h, 72 h) nach der Bestrahlung wurden die Zellen lysiert, um die membranständigen TRP-Kanäle semiquantitativ nachzuweisen. Zur Normalisierung wurde GAPDH als stabil exprimiertes Housekeeping-Protein mitbestimmt.
Um den Einfluss einer Inhibition auf den strahleninduzierten Zellschaden zu untersuchen, wurden vor der Bestrahlung spezifische TRPA1-Inhibitoren (A967079 und N-Acetylcystein) zu den Zellen gegeben.
Ergebnisse
Die Ergebnisse der Untersuchung zeigten, dass ionisierende Strahlung die Proliferationsrate aller Zelllinien dosisabhängig reduzierte. Insbesondere der Vergleich der Proliferation von HEK-WT und HEK-A1 nach Bestrahlung ergab, dass die TRPA1-Überexpressionszelllinie ein signifikant schlechteres Wachstum aufwies als die Wildtyp-Zellen (Abbildung 1). Dies deutet darauf hin, dass der TRPA1-Kanal das Zellwachstum hemmt und somit offensichtlich eine Rolle bei der Wachstumsregulation nach Strahlenexposition spielt. Ein möglicher dem zugrunde liegender Mechanismus könnte in der Aktivierung von Stressantworten liegen, die das Zellwachstum negativ beeinflussen.
Abb. 1: Die relative Konfluenz der Zellen in Bezug auf die jeweils unbestrahlte Kontrolle verdeutlicht die reduzierte Zellproliferation in den TRPA1-Überexpressionszellen (HEK-A1) nach Bestrahlung im Vergleich zu den Wildtyp-Zellen (HEK-WT). Besonders auffällig war, dass die TRPA1-Überexprimierung die Zellen stärker in ihrer Proliferation beeinträchtigte, was auf eine Wachstumshemmung durch die Aktivierung dieses Kanals hindeutet. Dies könnte auf eine verstärkte oxidative Belastung und eine Erhöhung der Entzündungsreaktionen hindeuten, die durch den TRPA1-Kanal nach Strahlenexposition ausgelöst werden.
Die Western-Blot-Analyse ergab eine deutlich erhöhte Expression der TRPA1-Kanäle in Abhängigkeit von der Strahlendosis. Eine höhere Strahlendosis führte zu einer merklich stärkeren Expression des Kanals. Zudem zeigte sich, dass das TRPA1-Proteinlevel im Zeitverlauf nach Bestrahlung weiter zunahm (Abbildung 2).
Abb. 2: Expressionsanalyse von TRPA1 zu verschiedenen Zeitpunkten nach Bestrahlung
Die Inhibition der TRPA1-Kanäle vor der Bestrahlung führte zu einer signifikant besseren Proliferation der Zellen. Der Vergleich mit den unbehandelten TRPA1-Zellen zeigte, dass die Inhibierung entweder eine ähnlich gute oder sogar bessere Zellproliferation bewirkte (Abbildung 3). Dies deutet darauf hin, dass die Hemmung des TRPA1-Kanals den zuvor beobachteten Proliferationsnachteil der TRPA1-Überexpressionszellen vollständig ausgleichen kann.
Abb. 3: Einfluss Inhibition der TRPA1-Kanäle nach ionisierender Strahlung im Verlauf der Zeit nach Bestrahlung: Eine Inhibition der TRPA1-Kanäle sorgt für eine Verbesserung des relativen Zellwachstums.
Im Gegensatz dazu zeigte die Überexpression des TRPV4-Kanals einen positiven Effekt auf das Zellwachstum. Die TRPV4-Überexpressionszellen wuchsen besser als die Wildtyp-Zellen, was darauf hinweist, dass die Aktivierung dieses Kanals das Zellwachstum nach Strahlenexposition begünstigt. In Abbildung 4 ist die Verbesserung der Proliferation bei TRPV4-Überexpressionszellen deutlich sichtbar, was die förderliche Rolle dieses Kanals für das Wachstum der Zellen belegt.
Abb. 4: Beteiligung von TRPV4-Kanälen nach Bestrahlung. Das Zellwachstum der TRPV4-Überexpressionszellen ist besser als das der Wildtypzellen.
Diskussion und Fazit
Die vorliegenden Untersuchungen konnten eindeutig einen Einfluss ionisierender Strahlung auf TRP-Kanäle nachweisen, wobei der Effekt für verschiedene Kanaltypen unterschiedlich ausfiel. Die Inhibition von TRPA1 führte zu einem besseren Zellwachstum. Dieser Effekt könnte durch eine Reduktion des oxidativen Stresses und eine verbesserte Zellreparatur nach Strahlenschäden erklärt werden. Der in unserer Untersuchung gezeigte schädliche Einfluss von TRPA1 bei der Zellreaktion auf ionisierende Strahlung stimmen mit den Ergebnissen früherer Studien zu TRPA1-Kanälen und anderen Noxen überein. Auch beim Einsatz von Senfgas als schädliche Noxe konnte durch die Inhibition dieses Kanals das Überleben der Zellen verbessert und die Schädigung durch den Kampfstoff verringert werden [5]. Dies lässt den Schluss zu, dass TRPA1 nicht nur bei Strahlenschäden, sondern auch bei der Reaktion auf andere Umweltgifte eine Rolle spielt und unterstreicht das Potenzial als Target einer medikamentösen Therapie.
Zusätzlich wurde in dieser Studie der radioprotektive Effekt der TRPV4-Kanäle untersucht. Dass dessen Überexpression das Zellwachstum nach Strahlenexposition förderte, weist darauf hin, dass TRPV4-Kanäle eine schützende Wirkung auf die Zellen haben könnten, indem sie die Zellproliferation nach einer Schädigung durch ionisierende Strahlung unterstützen. TRPV4 könnte dabei durch die Modulation von Ca²+-Strömen und zellulären Reparaturmechanismen eine Rolle spielen, dadurch könnte seine Aktivierung nach Strahlenexposition zusätzliche Schutzmechanismen aktivieren. In Anbetracht dieser Ergebnisse ist es sinnvoll, TRPV4-Kanäle als ein weiteres potenzielles therapeutisches Target für die Behandlung der akuten Strahlenkrankheit zu betrachten.
Für eine umfassendere Bewertung dieser Ergebnisse müssen in weiterführenden Forschungsprojekten mit Zelllinien und Primärzellen unterschiedlicher Herkunft die genauen Mechanismen hinter dem radiosensitivierenden Effekt von TRPA1 und radioprotektiven Wirkung von TRPV4 entschlüsselt werden. Derartige Studien können klären, ob gewebespezifische Unterschiede in der Expression und Funktion der TRP-Kanäle eine Rolle bei der Reaktion auf ionisierende Strahlung spielen. Dies bietet schlussendlich die Grundlage für die zukünftige Entwicklung maßgeschneiderter therapeutischer Strategien in der Strahlenmedizin.
Literatur
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- Steinritz D, Stenger B, Dietrich A, et al.: TRPs in Tox: Involvement of Transient Receptor Potential-Channels in Chemical-Induced Organ Toxicity-A Structured Review. Cells. 2018; 7(8): 98. mehr lesen
- Stenger B, Popp T, John H, et al.: N-Acetyl-L-cysteine inhibits sulfur mustard-induced and TRPA1-dependent calcium influx. Arch Toxicol 2017; 91(5): 2179-2189. mehr lesen
Manuskriptdaten
Zitierweise
Orben T, Stenger B, Peper M, Ridi R, Port M, Popp T: TRP-Kanäle (transient receptor potential channels) als neues therapeutisches Ziel zur Behandlung der akuten Strahlenkrankheit. WMM 2025; 69(1–2): 20-23.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-392
Für die Verfasser
Oberstabsarzt Dr. Timo Orben
Institut für Radiobiologie der Bundeswehr
Neuherbergstr. 11, 80937 München
E-Mail: timoorben@bundeswehr.org
Manuscript Data
Citation
Orben T, Stenger B, Peper M, Ridi R, Port M, Popp T: [TRP-Channels (Transient Receptor Potential Channels) as New Therapeutic Target for Treatment of Acute Radiation Syndrome.] WMM 2025; 69(1–2): 20-23.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-392
For the Authors
Major (MC) Dr. Timo Orben, MD
Bundeswehr Institute for Radiobiology
Neuherbergstr. 11, D-80937 München
E-Mail: timoorben@bundeswehr.org