Moderne Rehabilitation Schwerverletzter im zivilmilitärischen Kontext
Contemporary Rehabilitation of Severely Injured Patients in a Civil-military Context
Christoph Reimertza, Matthias Münzberga
a Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik, Frankfurt am Main
Zusammenfassung
Die akutmedizinische Versorgung schwerverletzter Patientinnen und Patienten ist in Deutschland flächendeckend gut strukturiert und grundsätzlich für einen regionalen Massenanfall von Verletzten (MANV) stabil aufgestellt. Eine schnittstellenfreie und sektorenübergreifende Rehabilitation komplettiert diese Schwerverletztenbehandlung und kann alle Rehabilitationspotentiale polytraumatisierter Patienten haben. Jedoch gilt dies aktuell nicht für die Gesamtbevölkerung, v. a. nicht für die postakute Rehabilitation, und führt zu einem Bruch in der Behandlungskette. Lediglich Versicherte nach einem Arbeits- und Wegeunfall und seit 2021 auch Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr haben einen strukturierten Zugang zu diesem Leistungsangebot der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung. Für den Fall einer Landes- oder Bündnisverteidigung gilt es daher, einerseits die akutmedizinische Versorgung bei den zu erwartenden großen Verletztenzahlen, andererseits aber auch die strukturierte Rehabilitation zu organisieren, um damit ein bestmögliches individuelles Ergebnis nach den zu erwartenden schweren Verletzungsmustern zu erreichen.
Schlüsselwörter: Rehabilitation Schwerverletzter, Polytrauma, Traumarehabilitation, BG-Unfallklinik
Summary
The acute medical care for severely injured patients in Germany is comprehensively structured and resiliently prepared to handle regional mass casualty incidents. Only seamless, cross-sectoral rehabilitation completes the treatment of severely injured patients and can fully realize the rehabilitation potential of polytraumatized patients. This is currently not the case for post-acute rehabilitation, leading to a break in the continuum of care. At present, only those insured after occupational or commuting accidents and, since 2021, members of the Bundeswehr have structured access to this service through the Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV). In the context of national or alliance defense, it is essential not only to organize acute medical care for large numbers of injured patients but also to ensure structured rehabilitation to achieve optimal individual outcomes following polytrauma.
Keywords: Rehabilitation of severely injured patients; trauma rehabilitation; polytrauma; BG-Unfallklinik
Einleitung und Hintergrund
Die Versorgungskette für Patientinnen und Patienten mit Polytrauma in Deutschland ist in Friedenszeiten gut strukturiert und belastbar. Die Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie hat mit ihrem regelmäßig aktualisierten Weißbuch zur Schwerverletztenversorgung 2006 ein dreigliedriges Netzwerk von Kliniken geschaffen [3]. Traumazentren unterschiedlicher Versorgungsstufen garantieren eine standardisierte, qualitätsgesicherte und ganzjährige „Rund-um-die-Uhr“-Akutversorgung. Diese Strukturen sind auch für die Bewältigung eines Massenanfalls von Verletzten (MANV) regional gut gerüstet und haben sich in verschiedenen Katastrophenfällen bereits nachweislich bewährt.
Neben dem TraumaNetzwerk DGU® existiert seit dem 1. Januar 2013 ein ebenfalls dreigliedriges Netzwerk zur Versorgung von Patientinnen und Patienten nach Arbeits- und Wegeunfällen im Bereich der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) [5]. Die Zulassungskriterien unterscheiden sich u. a. durch Verlegungspflichten und Voraussetzungen zur lückenlosen Rehabilitation sowie ab 2025 die Erfüllung von Qualitätsindikatoren (Mindestmengen). Eine abgestufte Versorgung der Verletzten in den Heilverfahren der DGUV wird flächendeckend in Deutschland im Akutbereich durch Einrichtungen mit Zulassung zum Schwerverletztenartenverfahren (SAV), Verletztenartenverfahren (VAV) und stationären D-Arzt-Verfahren gewährleistet. Ein geschlossenes Netz von stationären und ambulanten Rehabilitationseinrichtungen und sektorenübergreifende ambulante Behandlungen durch Durchgangsärztinnen und Durchgangsärzte mit einheitlichen Berichtspflichten komplettiert die Verletztenversorgung für Patientinnen und Patienten nach Arbeits- und Wegeunfällen.
Dieser Artikel hat zum Ziel, den aktuellen Stand der Rehabilitation Schwerverletzter in Deutschland zu beleuchten und die Herausforderungen im Falle kriegerischer Auseinandersetzungen zu beschreiben.
Rehabilitationskette
Der Betrachtung liegt die ICF (Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit) das bio-psychosoziale Betrachtungsmodell der WHO, zugrunde. Körperfunktionen, Körperstrukturen, Aktivitäten und Partizipation (Teilhabe) sowie Umweltfaktoren stehen in der Rehabilitation in direkter Wechselwirkung zueinander und bedingen einander im Positiven wie im Negativen [2].
Untersuchungen zum langfristigen Outcome polytraumatisierter oder schwerstverletzter Patienten zeigen, dass trotz signifikanter Verbesserung der Überlebenschancen über die Jahre hinweg dauerhafte relevante Beeinträchtigungen der physischen und psychischen Gesundheit bestehen bleiben. Dies führt zu einer Verringerung der Lebensqualität und resultiert in erheblichen Folgekosten für das Gesundheitssystem [9][12][15]. Die Rehabilitation schwerverletzter Patienten muss sich daher folgerichtig von der Nach- und Weiterbehandlung nach elektiven konservativen und operativen Behandlungen in Orthopädie und Unfallchirurgie unterscheiden.
Ziel einer adäquaten Traumarehabilitation ist es, ein bestmögliches Ergebnis für eine möglichst schnelle und lange anhaltende soziale, familiäre und berufliche Wiedereingliederung Schwerverletzter zu erreichen. Um alle Rehabilitationspotenziale der Schwerverletzten zu heben, ist es notwendig, frühestmögliche multidisziplinäre und phasenübergreifende Rehabilitationsmaßnahmen einzuleiten sowie ineinander übergreifende und aufeinander abgestimmte Rehabilitationsphasen nahtlos umzusetzen. Dies ist sowohl in der UN-Behindertenrechtskonvention von 2006 (Artikel 26 Satz 1a) als auch im aktuellen Weißbuch Schwerverletztenversorgung formuliert [3][7].
Die Behandlung eines Polytraumas wird erst durch eine schnittstellenfreie Rehabilitation komplettiert. Das Rehabilitationspotenzial schwerverletzter Patienten wird aktuell in den meisten Fällen nicht vollständig ausgeschöpft. Auswertungen aus dem TraumaRegister DGU® ergeben, dass 2021 lediglich 14,8 % der Überlebenden nach Polytrauma in eine Reha-Klinik verlegt wurden. 65 % wurden in die häusliche Pflege entlassen [4].
Patienten mit schwerem Schädel-Hirn-Trauma oder Querschnittsymptomatik werden in spezialisierten Zentren behandelt, die besondere Anforderungen erfüllen müssen. Ausgehend von einem Vorschlag durch den ehemaligen Verband Deutscher Rentenversicherungsträger ist seit 1995 ein neurologisch/neurochirurgisches Phasenmodell kostenträgerübergreifend flächendeckend umgesetzt. Die Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR) hat hierzu inhaltliche und strukturelle Empfehlungen vorgegeben. Schwerbrandverletzte werden in überregionalen Traumazentren mit einem entsprechenden Zentrum behandelt [1].
In Anlehnung an das neurologische Phasenmodell wurde 2017 ein Phasenmodell der Traumarehabilitation publiziert [13]. Es läuft ebenfalls in sechs Phasen ab, die fließend ineinander übergehen (Abbildung 1). Bei definierten Ein- und Ausgangskriterien können einzelne Phasen auch übersprungen werden.
Abb. 1: Phasenmodell der Traumarehabilitation
Phasenmodell der Traumarehabilitation
- Phase A: Akutbehandlung
- Phase B: Frührehabilitation (während der Akutbehandlung)
- Phase C: Postakute Rehabilitation
- Phase D: Anschlussrehabilitation (z. B. Anschlussrehabilitation (AR), Anschlussheilbehandlung (AHB), Berufsgenossenschaftliche Stationäre Weiterbehandlung (BGSW)
- Phase E: Weiterführende Rehabilitation (z. B. ambulante Therapie, berufliche, psychologische oder Schmerzrehabilitation)
- Phase F: Nachsorge (bei bleibenden oder langfristigen Unfallfolgen)
Die Akutbehandlung (Phase A) der Traumarehabilitation sowie die Frührehabilitation (Phase B) finden im Traumazentrum oder in spezialisierten Akutkliniken statt und beginnen im Bedarfsfall auf der Intensivstation des Akutkrankenhauses mit physikalisch-therapeutischen Maßnahmen.
Die postakute Rehabilitation (Phase C) ist gekennzeichnet durch einen großen Anteil pflegebedürftiger Patienten mit hohem Rehabilitationsbedarf, aber auch durch die medizinische Notwendigkeit einer interdisziplinären Behandlung, weiterführender Diagnostik (auch mittels Großgeräte) und der Möglichkeit, komplexe operative Revisionseingriffe durchzuführen.
Die Anschlussrehabilitation in der Phase D ist etabliert und entspricht den gegenwärtigen Rehabilitationsmaßnahmen: Anschlussrehabilitation (AR), Anschlussheilbehandlung (AHB), Berufsgenossenschaftliche Stationäre Weiterbehandlung (BGSW).
Weiterführende, auch ambulante Rehabilitationsmaßnahmen aus der Phase E können ebenfalls zur sozialen und beruflichen Wiedereingliederung erforderlich werden.
Die in der Phase F erfolgende lebenslange kontinuierliche Nachsorge zur langfristigen Sicherung des erreichten Ergebnisses ist gerade bei Patienten mit bleibenden Unfallfolgen zu gewährleisten. Dies betrifft z. B. Patienten nach Amputationen, bei andauerndem Pflege-, Therapie- oder Hilfsmittelbedarf, chronischen Schmerzen und psycho-traumatologischen Langzeitfolgen (Phase F).
Phase C – Rehabilitation
In der postakuten Rehabilitation besteht aktuell in Deutschland ein relevantes „Rehaloch“. Die Phase-C-Rehabilitation ist lediglich im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung – ausschließlich in den BG-Kliniken – als „Komplexe Stationäre Rehabilitation (KSR)“ flächendeckend umgesetzt [11].
Außerhalb der Heilverfahren der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung gelten für eine unfallchirurgische/orthopädische Rehabilitation die Kriterien der Rentenversicherung für die Fähigkeit von Patienten zur Rehabilitation und orientieren sich an einer ausreichenden Motivation und Belastbarkeit der Patienten [8].
Danach muss die Rehabilitandin oder der Rehabilitand:
- mindestens frühmobilisiert und insbesondere in der Lage sein, ohne fremde Hilfe zu essen, sich zu waschen und auf Stationsebene zu bewegen,
- für effektive rehabilitative Leistungen ausreichend belastbar sein sowie
- motiviert und in der Lage sein, aktiv mitzuarbeiten.
Eine Rehabilitation ist nicht möglich bei akuten Infektionen, der Besiedelung mit multiresistenten Erregern, schwerwiegenden Begleiterkrankungen oder dem Auftreten von Komplikationen. Diese sogenannte „Rehabilitationsfähigkeit“ ist allerdings auch mit Blick auf die ICF-Kriterien für schwerverletzte Patienten primär irrelevant und wird oftmals erst durch Behandlung in der Phase C hergestellt.
So müssen nach wie vor Patienten mit Polytrauma außerhalb des Leistungsangebots der gesetzlichen Unfallversicherung nach der poststationären Phase B zunächst in eine für die Patienten völlig unzureichende Kurzzeitpflegeeinrichtung verlegt werden, wenn eine häusliche Pflege bzw. eine ambulante Rehabilitation noch nicht möglich ist.
Die Rehabilitation in der postakuten Phase C stellt dabei besondere Anforderungen, die bislang nur in den BG-Kliniken für Patienten nach einem Arbeits- oder Wegeunfall oder mit einer anerkannten Berufserkrankung (SGB VII) umgesetzt sind, da hohe Kompetenzen sowohl im akutmedizinischen als auch im rehabilitativen Bereich erforderlich sind [14]. Eine monozentrische Auswertung aus 2018 zeigt eine Häufigkeit notwendiger operativer Revisionen in der Phase C von 51 % [10].
Hierzu gehören neben einer (auch räumlich) engen Kooperation und Vernetzung mit den Traumazentren auch:
- die Sicherstellung zügiger operativer Revisionsmöglichkeiten im Bedarfsfall,
- die Sicherstellung einer postakuten Anschluss- und weiterführenden Traumarehabilitation sowie der langfristigen Nachsorge (inkl. Schmerzrehabilitation und neuro-/psychologischer Kompetenz) und
- die Vorhaltung hierfür notwendiger personeller, räumlicher sowie technisch-apparativer Ausstattung.
Heilverfahren der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV)
Nach der Einführung der Gesetzlichen Krankenversicherung 1883 durch Otto von Bismarck folgte am 6. Juli 1884 die Unfallversicherung als Antwort auf die Zunahme schwerer Arbeitsunfälle im Rahmen der Industrialisierung und der damit einhergehenden Haftungsfrage. Die Arbeitgeber übernehmen bis heute die Kosten hierfür komplett. Im Gegenzug werden die Arbeitgeber von der zivilrechtlichen Haftung gegenüber den geschädigten Arbeitnehmern freigestellt. Diese Ansprüche richten sich seither an den jeweiligen Träger der gesetzlichen Unfallversicherung im Sinne der Haftungsablösung.
Bei Arbeits- und Wegeunfällen sowie Berufserkrankungen gelten die Kriterien des Sozialgesetzbuches VII. Die Leistungen unterscheiden sich maßgeblich von denen der Gesetzlichen Krankenversicherung (SGB V). Die Leistungen der GKV müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein (§ 12 SGB V). Demgegenüber ist der Ansatz im SGB VII unter dem Aspekt der Wertschöpfung für den Patienten grundsätzlich anders. Hier steht eine sektorenübergreifende Behandlung mit allen geeigneten Mitteln von der Rettung bis zur Rehabilitation und sozialen und beruflichen Wiedereingliederung sowie lebenslanger Nachsorge im Fokus.
Die Rehabilitation der DGUV ist durch eigene Heilverfahren lückenlos und sektorenübergreifend organisiert. Es findet während des gesamten Verlaufes kein Wechsel des Kostenträgers statt und das gesamte Verfahren wird ab einer bestimmten Verletzungsschwere durch ein nachweislich effizientes und erfolgreiches Reha-Management begleitet [6][15].
Aufseiten der Unfallversicherungsträger (UVT) wurde mit dem Reha-Management eine Einzelfallsteuerung für besonders schwere Fälle entwickelt. Die erste Handlungsanleitung durch die DGUV hierzu entstand 2010. Seitdem hat sich eine umfassende, flächendeckende und sektorenübergreifende Betreuung für Patienten ab einem gewissen Schweregrad der Verletzung entwickelt.
Reha-Berater betreuen persönlich ihre Versicherten durch alle Phasen der Behandlung und unterstützen oft als Berufshelfer bei der Reintegration. Sie sind zumeist an DGUV-eigenen Hochschulen ausgebildet. Patient, Reha-Berater und Arzt erstellen gemeinsam einen Reha-Plan, der von allen Beteiligten unterschrieben wird. Dieser Reha-Plan legt wesentliche Eckpunkte sowie die Ziele des weiteren Heilverfahrens fest und schafft so Verbindlichkeit.
Das Reha-Management ist in dieser Form weltweit einzigartig. Eine hohe Vorortpräsenz und Integration in das Behandlungsteam in den BG-Kliniken und SAV-Häusern ist mittlerweile fester Bestandteil der Behandlung von Schwerverletzten [6][15].
Abb. 2: Motivation und Ehrgeiz der Patienten lassen sich durch gezielten Einsatz moderner Technologien und spielerischer Aspekte (Gamification) steigern. (Bild: BG Unfallklinik Frankfurt/Main)
Sektorenübergreifende Rehabilitation
Einzig die Heilverfahren der DGUV bieten mit den Möglichkeiten des SGB VII in ihrem gestaffelten System unterschiedlicher Verfahren eine schnittstellenfreie, lückenlose und sektorenübergreifende Rehabilitation. Die Rehabilitation ist keine Adnexe der operativen Medizin. Erst sie komplettiert die Behandlung Schwerverletzter und trägt maßgeblich zum bestmöglichen Outcome bei. Sie erfolgt ICF-orientiert und Assessment-basiert. Die Behandlung ist interprofessionell und ganzheitlich. Es existieren eigene Verfahren für chronische Schmerzpatienten und Psychotraumata. In den 9 BG-Unfallkliniken findet mit dem Prinzip der Integrierten Rehabilitation bei der Behandlung schwerverletzter Patienten eine Verschmelzung von Akutmedizin und Rehabilitation statt. Alle Prozesse sind aufeinander abgestimmt und integrieren von Beginn an auch das Rehamanagement der Unfallversicherungsträger.
Abb. 3: Die instrumentelle Bewegungsanalyse hilft, komplexe Fehlbelastungen zu detektieren und die Therapie stärker individuell auszurichten. (Bild: BG Unfallklinik Frankfurt/Main)
Die therapeutischen Berufe (Physiotherapie, Ergotherapie, Sporttherapie, Massage) arbeiten innerhalb der Rehabilitation berufsgruppenübergreifend in Teams. Die Patienten werden in interdisziplinären Teams Assessment-basiert aufgenommen und regelmäßig überprüft. Kurz und mittelfristige Ziele werden mit dem Patienten vereinbart und regelmäßig überprüft. Auch digitale Formen der Rehabilitation und VR-gestützte Behandlungen werden integriert.
In allen anderen Versorgungsbereichen fallen die Patienten nach der Akutbehandlung mit Frührehabilitation meist in ein sogenanntes „Rehaloch“. Diese Vorgehensweise ist weder aus humanitärer noch aus ökonomischer Sicht gerechtfertigt. Die Rehabilitation wird mindestens verzögert, wichtige Folgeeingriffe werden ggf. verpasst, wodurch sich der gesamte Prozess zum Nachteil der Patienten – und auch der Kostenträger – verzögert.
Auch Aspekte wie lebenslange Nachsorge oder Hilfsmittelversorgung variieren je nach Sozialversicherungsträger erheblich. Nach § 70 Abs. 1 des SGB V muss die Hilfsmittelversorgung ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und darf das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. In § 31 SGB VII geht es vielmehr darum, eine Gesundheitsschädigung durch ein Hilfsmittel zu mildern oder auszugleichen. Der Unterschied der Systeme kann im Einzelfall erheblich sein.
Die Heilverfahren der DGUV mit ihrem begleitenden Rehamanagement stellen eine Blaupause für eine optimale Schwerverletztenbehandlung dar, denn nur eine lückenlose Rehabilitation vervollständigt die Traumabehandlung und hebt alle Potenziale der Überlebenden nach Polytrauma.
Abb. 4: Polytraumatisierter Patient, der nach Beckenfraktur und schwerer Plexusläsion mit Hilfe einer computergestützten Orthese wieder laufen lernt. (Bild: BG Unfallklinik Frankfurt/Main)
Kooperation des Sanitätsdienstes der Bundeswehr mit den BG-Kliniken
Der Sanitätsdienst der Bundeswehr und die BG-Kliniken zeichnen sich durch eine Reihe von Gemeinsamkeiten aus („gleiche DNA“). Ein vergleichbares Ziel ist die Sicherstellung einer bestmöglichen medizinischen Versorgung der anvertrauten Patientinnen und Patienten. Die Grundsätze im SGB VII „Prävention“, „Rehabilitation“ und „Entschädigung“ finden sich auch in den sanitätsdienstlichen Grundsätzen „Gesundheit schützen, erhalten und wiederherstellen“ wieder. Das Handeln beider Organisationen erfolgt grundsätzlich ganzheitlich, nachhaltig und gemeinnützig. Dabei ist die medizinische Behandlung beiderseits von Exzellenz und hochwertiger Qualität gekennzeichnet.
Die Kernkompetenzen der Partner liegen, innerhalb des jeweiligen gesetzlichen Rahmens, in der Unfall- und Notfallversorgung, dem Umgang mit Krisensituationen und der Bewältigung von Großschadensereignissen aller Art, sowie der Aus-, Fort- und Weiterbildung vor allem auch in Spezialbereichen. Das eigene Leistungsspektrum wird – zumeist in den Bereichen außerhalb der Kernkompetenzen – durch die Zusammenarbeit mit strategischen Kooperationspartnern ergänzt.
Zur Sicherstellung und Vorhaltung der hierfür benötigten Ressourcen beteiligen sich die Partner an der allgemeinen Daseinsfürsorge und übernehmen regelmäßig einen Versorgungsauftrag für die Gesamtbevölkerung. So sind die Kliniken beider Organisationen mit einem Teil ihrer Betten in die Krankenhauspläne der Länder aufgenommen oder besitzen entsprechende Versorgungsverträge.
Am 14. August 2019 wurde zwischen dem Sanitätsdienst der Bundeswehr (SanDstBw) und den BG-Kliniken ein Letter of Intent (LOI) mit dem Ziel unterzeichnet, in gemeinsam definierten Handlungsfeldern langfristige und nachhaltige Kooperationen zu entwickeln, zu vereinbaren und umzusetzen. Im Hinblick auf die Schwerverletztenversorgung konnte nachfolgend durch die Zeichnung eines gemeinsamen Vertrags am 4. Oktober 2021 Soldatinnen und Soldaten der Zugang zur Phase C Rehabilitation (KSR) in BG-Kliniken ermöglicht werden. Hierdurch war es möglich, eine Fähigkeitslücke auf Seiten des Sanitätsdienstes zu schließen.
Eine veränderte Sicherheitslage im inner- und außereuropäischen Ausland mit stärkerer Akzentuierung von Bündnis- und Landesverteidigung führen zu einer strukturellen Re-Fokussierung der Bundeswehr. In der zentralen Rolle als „Drehscheibe“ in der Mitte Europas ist dabei die sanitätsdienstliche Versorgung eigener Verwundeter, Verletzter und Erkrankter als auch solcher von Partnern in Deutschland zu gewährleisten.
Kriegerische Auseinandersetzungen, wie aktuell durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine, führen zu Verletztenzahlen, die das deutsche Gesundheitssystem vor eine enorme Herausforderung stellen würden. Auftretende Verletzungsmuster einer drohnenbasierten Kriegsführung mit Amputationen, offenen und infizierten Haut- Weichteilverletzungen und Knochenbrüchen sowie Verbrennungen, benötigen die Expertise großer Traumazentren.
Die klinische Versorgung und Rehabilitation in diesen Szenarien kann kapazitätsbedingt nicht ausschließlich in den fünf Bundeswehrkrankenhäusern bewältigt werden. Eine weitere Vernetzung mit geeigneten Partnerkliniken ist daher notwendig. Die neun BG-Unfallkliniken stellen mit ihrem gesetzlichen Auftrag und der beschriebenen gemeinsamen DNA, unter der Kurzformel 5+9+X, einen ersten idealen Partner für diese zivil-militärische Zusammenarbeit dar.
Mit Blick auf Landes- und Bündnisverteidigung sind, angesichts anzunehmender Patientenzahlen und Verletzungsmuster, allerdings weitere Partner für die Akutversorgung als fester Bestandteil notwendig. Zuallererst sind hier Universitätsklinika und große Maximalversorger (aufgrund des Verletzungsmusters die SAV Häuser) zu nennen. Konzeptionell werden darüber hinaus flächendeckend zusätzlich weitere Kliniken unterschiedlicher Versorgungsstufen notwendig, um nach der Primärversorgung, eine weitere intensivmedizinische und normalstationäre Weiterbehandlungen zu gewährleisten.
Für eine lückenlose Rehabilitation ist allerdings auch eine gestaffelte Rehabilitationskette erforderlich. Analog der Akutbehandlung ist dabei eine Dreiteilung sinnvoll. Es werden Rehabilitationseinrichtungen benötigt, die den Anspruch einer Phase C Rehabilitation erfüllen. Personelle, strukturelle und technische Voraussetzungen müssen gegeben sein, um dem hohen Therapie- und Pflegebedarf der Patienten gerecht zu werden und notwendige operative Revisionen ohne Verzögerung durchzuführen. Strukturell ist dies bislang ausschließlich in den BG-Unfallkliniken gegeben. Weitere stationäre Einrichtungen der Phase D sowie ambulante ärztliche und therapeutische Strukturen sind daher notwendig. Für Angehörige des Sanitätsdienstes der Bundeswehr sollten auch die vorhandenen eigenen Strukturen der Rehabilitation, wie z. B. das Zentrum für Sportmedizin in Warendorf, in die Überlegungen eines Trauma-Reha-Netzwerkes einbezogen werden.
Die beschriebenen Strukturen und Behandlungsvorteile des SGB VII sowie die geschlossene Behandlungskette mit gestaffelten sektorenübergreifenden Einrichtungen können dabei als Blaupause für sinnvolle Versorgungsstrukturen dienen. Im Bereich der Rehabilitation ist ebenfalls eine geordnete und differenzierte Behandlung Schwerverletzter nach dem Phasenmodell Traumarehabilitation bei großer Zahl Schwerverletzter dringend notwendig, um ein individuell optimales Ergebnis für jeden einzelnen Betroffenen erzielen zu können.
Literatur
- BDH-Klinik Hessisch-Oldendorf: Phasenmodell der neurologischen/neurochirurgischen Rehabilitation. , letzter Aufruf 19. November 2024. mehr lesen
- Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte: ICF - Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit. , letzter Aufruf 19. November 2024. mehr lesen
- Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie e. V. (DGU): DGU-Weissbuch_Schwerverletztenversorgung (3.Auflage). , letzter Aufruf 19. November 2024. mehr lesen
- DGU Traumaregister: Jahresbericht 2021. , letzter Aufruf 19. November 2024. mehr lesen
- Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung: Schwerstverletzungsartenverfahren (SAV, Stand 01.07.2023). , letzter Aufruf 19. November 2024. mehr lesen
- Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung: Das Rehamanagement der DGUV. , letzter Aufruf 19. November 2024. mehr lesen
- Deutsches Institut für Menschenrechte: Artikel 26 UN-BRK (Habilitation und Rehabilitation). , letzter Aufruf 19. November 2024. mehr lesen
- Deutsche Rentenversicherung: Medizinische Voraussetzungen der Anschlussrehabilitation. AHB-Indikationskatalog, Stand: 2/2017. , letzter Aufruf 19. November 2024. mehr lesen
- Kleber C, Lefering R, Kleber AJ, et al.: DGU TraumaRegister. Rettungszeit und Überleben von Schwerverletzten in Deutschland Unfallchirurg 2013; 116(4): 345-50. mehr lesen
- Reimertz C, Benner B, Hoffmann R, Rindermann M: Stellenwert der Rehasprechstunden im BG Heilverfahren. Phys Med Rehab Kuror 2022; 32(02) :100-107. mehr lesen
- Reimertz C, Benner S, Hoffmann R: Stationäre und ambulante Heilverfahren der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung. Allgemein und Visceralchirurgie up2date 2023; 17(2): 1-14. mehr lesen
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- Simmel S, Müller WD, Reimertz C, et al.: Phasenmodell der Traumarehabilitation - Wie können wir das „Rehaloch“ vermeiden? Unfallchirurg 2017; 120: 804–812.
- Simmel S, Müller WD, Bork H, et al.: Anforderungen an Einrichtungen der Phase C der Traumarehabilitation – Überregionale Traumarehabilitationszentren in der postakuten Rehabilitation. Phys Med Rehab Kuror 2018; 28: 82–286. mehr lesen
- Valdez C, Sarani B, Young H, et al.: Timing of death after traumatic injury - a contemporary assessment of the temporal distribution of death. J Surg Res 2016; 200(2): 604-9. mehr lesen
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Manuskriptdaten
Zitierweise
Reimertz C, Münzberg M: Moderne Rehabilitation Schwerverletzter im zivilmilitärischen Kontext. WMM 2025; 69(1–2): 34-39
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-393
Für die Verfasser
Dr. med. Christoph Reimertz
Prof. Dr. Matthias Münzberg
Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Frankfurt am Main,
Friedberger Landstraße 430, 60389 Frankfurt/Main
E-Mail: christoph.reimertz@bgu-frankfurt.de
Manuscript Data
Citation
Reimertz C, Münzberg M: [Contemporary rehabilitation of severely injured patients in a civil-military context]. WMM 2025; 69(1–2): 34-39.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-393
For the Authors
Dr. med. Christoph Reimertz
Prof. Dr. Matthias Münzberg
BG Trauma Centre Frankfurt am Main,
Friedberger Landstraße 430, D-60389 Frankfurt/Main