TRP-Kanäle (transient receptor potential channels) als neues therapeutisches Ziel zur Behandlung der akuten Strahlenkrankheit
TRP-Channels (Transient Receptor Potential Channels) as New Therapeutic Target for Treatment of Acute Radiation Syndrome
Timo Orbena, Bernhard Stengera, Michel Pepera, Roland Ridia, Matthias Porta, Tanja Poppa
a Institut für Radiobiologie der Bundeswehr in Verbindung mit der Universität Ulm, München
Zusammenfassung
Das zunehmende Risiko von nuklearen Unfällen und globalen Konflikten unterstreicht die dringende Notwendigkeit, die lebensbedrohliche akute Strahlenkrankheit, therapeutische Ziele und lebensrettende Behandlungsoptionen besser zu verstehen. In dieser Studie untersuchten wir nicht-selektive TRP (transient receptor potential)-Kationenkanäle als potenzielle neue therapeutische Ziele der Strahlenkrankheit. Diese Kanäle werden durch eine Vielzahl von Stimuli, einschließlich Nozizeption und Temperatur, aktiviert, was sowohl physiologische als auch pathologische Reaktionen zur Folge haben kann. Das derzeitige Wissen über ihre Rolle bei strahleninduzierten Schäden ist jedoch begrenzt. Daher war es unser Ziel, das Potenzial dieser Kanäle als Ziele für eine zielgerichtete Behandlung zu erforschen.
Wir zeigten, dass die Überexpression des TRPA1-Kanals in Zellkulturen das Zellwachstum nach Bestrahlung negativ beeinflusste. Außerdem fanden wir heraus, dass die TRPA1-Expression nach Bestrahlung hochreguliert wird. Durch die Hemmung dieses Kanals konnten wir die beeinträchtigte Proliferation der Zellen wiederherstellen. Interessanterweise zeigte ein weiterer Vertreter der TRP-Kanal-Familie, TRPV4, den gegenteiligen Effekt. Die Überexpression von TRPV4 führte zu einer verbesserten Zellproliferation nach Bestrahlung im Vergleich zu den Kontrollzellen.
Abschließend könnte die Hemmung von TRPA1 oder die Aktivierung von TRPV4 die Radiosensitivität mildern und potenziell vorteilhafte Effekte bei der Behandlung der akuten Strahlenkrankheit bieten. Diese Ergebnisse erfordern weitere Untersuchungen zum therapeutischen Potenzial der Modulation von TRP-Kanälen.
Schlüsselwörter: TRP-Kanäle, akute Strahlenkrankheit, medizinischer A-Schutz, neue Therapieoptionen
Summary
The increasing risk of radiological and nuclear accidents, as well as global conflicts, underscores the urgent need for further understanding of the potential life-threatening acute radiation syndrome (ARS), therapeutic targets, and life-saving treatment options. In this study, we investigated non-selective TRP (transient receptor potential) cation channels as potential new therapeutic targets for ARS. Various stimuli, including nociception and temperature, naturally activated these channels, leading to physiological and pathological responses. However, current knowledge regarding their role in radiation-induced damage is limited. Therefore, we aimed to explore the potential of these channels as targets for specialized treatment of ARS.
In cell cultures, overexpressing the TRPA1 channel negatively impacts cell proliferation after irradiation. Additionally, TRPA1 expression was found to be upregulated following irradiation. By inhibiting this channel, we were able to rescue the impaired proliferative capacity of the cells. Interestingly, another member of the TRP channel family, TRPV4, exhibited the opposite effect. Overexpression of TRPV4 led to improved cell growth following irradiation compared to control cells.
In conclusion, the inhibition of TRPA1 or the activation of TRPV4 could potentially mitigate radiosensitivity and offer beneficial effects in the treatment of ARS. These findings warrant further investigation into the therapeutic potential of modulating TRP channels in radioprotection.
Keywords: TRP-channels; acute radiation sickness; medical nuclear protection; new therapeutic options
Einleitung
Aufgrund der zunehmenden Anspannung der Sicherheitslage in Europa wächst die Gefahr einer nuklearen Bedrohung. Angesichts dieser Bedrohungslage wird es immer wichtiger, nicht nur präzise diagnostische Fähigkeiten zu entwickeln, sondern auch schnell und effektiv potenzielle Patienten zu identifizieren und zu behandeln. Ein entscheidender Bereich in diesem Zusammenhang ist die Behandlung der akuten Strahlenkrankheit. Hierbei sind innovative therapeutische Ansätze von großer Bedeutung. Derzeit konzentriert sich die medikamentöse Therapie überwiegend auf die Linderung der Symptome, wie etwa Übelkeit, Schmerzen und die Wiederherstellung des Flüssigkeits- und Elektrolythaushalts [2].
Ein vielversprechender Ansatz, um das Gesamtüberleben nach einem Strahlenereignis zu verbessern, sind Zytokine wie G-CSF (granulocyte-colony stimulating factor), die bereits in den USA in dieser Indikation zugelassen sind. In der Zukunft könnte eine neue therapeutische Zielstruktur von Bedeutung werden: die Familie der nicht-selektiven transienten Rezeptorpotenzial (TRP)-Kationenkanäle. Diese Kanäle werden durch verschiedene äußere Reize wie mechanische, chemische oder thermische Einflüsse aktiviert und spielen eine Schlüsselrolle bei vielen physiologischen und pathologischen Prozessen [3][4]. Es sind bereits sieben verschiedene Gruppen von TRP-Kanälen mit insgesamt 29 verschiedenen Vertretern bekannt, die im gesamten Körper vorkommen [1].
Obwohl bisher nur wenig über den Einfluss der TRP-Kanäle bei der Reaktion auf ionisierende Strahlung bekannt ist, deuten erste Untersuchungen auf ein großes Potenzial sowohl als Biomarker, als auch als mögliches, spezifisches Target bei der akuten Strahlenkrankheit hin.
Methoden
Die Modellzelllinien, die in dieser Studie verwendet wurden, sind humane embryonale Nierenzellen (human embryonal kidney cells, HEK-Wildtyp [WT]), welche die Kanäle TRPA1 und TRPV4 einzeln verstärkt exprimieren. Diese Zellen bieten ein geeignetes Modell, um die Wirkung der Strahlung auf die TRP-Kanäle zu untersuchen und deren Beteiligung bei der zellulären Antwort auf ionisierende Strahlung zu klären. Zu Beginn der Untersuchung wurde das Zellwachstum in einem Live-Cell-Imaging-System überwacht. Hierbei wurden die Überexpressionszelllinien (HEK-A1 und HEK-V4) zusammen mit den HEK-WT-Zellen als Kontrolle auf 96-Stripwellplatten ausgesät. Die einzelnen Streifen der Platten wurden mit unterschiedlichen Strahlendosen (0–40 Gy) bestrahlt und die Konfluenz der Zellen in Intervallen von 4 Stunden bestimmt, um das Zellwachstum sowie die Wirkung der Strahlung auf das Wachstum zu messen.
Die Analyse der Expressionsänderung der TRP-Kanäle erfolgte mittels Western Blot. Zu festgelegten Zeitpunkten (6 h, 24 h, 72 h) nach der Bestrahlung wurden die Zellen lysiert, um die membranständigen TRP-Kanäle semiquantitativ nachzuweisen. Zur Normalisierung wurde GAPDH als stabil exprimiertes Housekeeping-Protein mitbestimmt.
Um den Einfluss einer Inhibition auf den strahleninduzierten Zellschaden zu untersuchen, wurden vor der Bestrahlung spezifische TRPA1-Inhibitoren (A967079 und N-Acetylcystein) zu den Zellen gegeben.
Ergebnisse
Die Ergebnisse der Untersuchung zeigten, dass ionisierende Strahlung die Proliferationsrate aller Zelllinien dosisabhängig reduzierte. Insbesondere der Vergleich der Proliferation von HEK-WT und HEK-A1 nach Bestrahlung ergab, dass die TRPA1-Überexpressionszelllinie ein signifikant schlechteres Wachstum aufwies als die Wildtyp-Zellen (Abbildung 1). Dies deutet darauf hin, dass der TRPA1-Kanal das Zellwachstum hemmt und somit offensichtlich eine Rolle bei der Wachstumsregulation nach Strahlenexposition spielt. Ein möglicher dem zugrunde liegender Mechanismus könnte in der Aktivierung von Stressantworten liegen, die das Zellwachstum negativ beeinflussen.
Abb. 1: Die relative Konfluenz der Zellen in Bezug auf die jeweils unbestrahlte Kontrolle verdeutlicht die reduzierte Zellproliferation in den TRPA1-Überexpressionszellen (HEK-A1) nach Bestrahlung im Vergleich zu den Wildtyp-Zellen (HEK-WT). Besonders auffällig war, dass die TRPA1-Überexprimierung die Zellen stärker in ihrer Proliferation beeinträchtigte, was auf eine Wachstumshemmung durch die Aktivierung dieses Kanals hindeutet. Dies könnte auf eine verstärkte oxidative Belastung und eine Erhöhung der Entzündungsreaktionen hindeuten, die durch den TRPA1-Kanal nach Strahlenexposition ausgelöst werden.
Die Western-Blot-Analyse ergab eine deutlich erhöhte Expression der TRPA1-Kanäle in Abhängigkeit von der Strahlendosis. Eine höhere Strahlendosis führte zu einer merklich stärkeren Expression des Kanals. Zudem zeigte sich, dass das TRPA1-Proteinlevel im Zeitverlauf nach Bestrahlung weiter zunahm (Abbildung 2).
Abb. 2: Expressionsanalyse von TRPA1 zu verschiedenen Zeitpunkten nach Bestrahlung
Die Inhibition der TRPA1-Kanäle vor der Bestrahlung führte zu einer signifikant besseren Proliferation der Zellen. Der Vergleich mit den unbehandelten TRPA1-Zellen zeigte, dass die Inhibierung entweder eine ähnlich gute oder sogar bessere Zellproliferation bewirkte (Abbildung 3). Dies deutet darauf hin, dass die Hemmung des TRPA1-Kanals den zuvor beobachteten Proliferationsnachteil der TRPA1-Überexpressionszellen vollständig ausgleichen kann.
Abb. 3: Einfluss Inhibition der TRPA1-Kanäle nach ionisierender Strahlung im Verlauf der Zeit nach Bestrahlung: Eine Inhibition der TRPA1-Kanäle sorgt für eine Verbesserung des relativen Zellwachstums.
Im Gegensatz dazu zeigte die Überexpression des TRPV4-Kanals einen positiven Effekt auf das Zellwachstum. Die TRPV4-Überexpressionszellen wuchsen besser als die Wildtyp-Zellen, was darauf hinweist, dass die Aktivierung dieses Kanals das Zellwachstum nach Strahlenexposition begünstigt. In Abbildung 4 ist die Verbesserung der Proliferation bei TRPV4-Überexpressionszellen deutlich sichtbar, was die förderliche Rolle dieses Kanals für das Wachstum der Zellen belegt.
Abb. 4: Beteiligung von TRPV4-Kanälen nach Bestrahlung. Das Zellwachstum der TRPV4-Überexpressionszellen ist besser als das der Wildtypzellen.
Diskussion und Fazit
Die vorliegenden Untersuchungen konnten eindeutig einen Einfluss ionisierender Strahlung auf TRP-Kanäle nachweisen, wobei der Effekt für verschiedene Kanaltypen unterschiedlich ausfiel. Die Inhibition von TRPA1 führte zu einem besseren Zellwachstum. Dieser Effekt könnte durch eine Reduktion des oxidativen Stresses und eine verbesserte Zellreparatur nach Strahlenschäden erklärt werden. Der in unserer Untersuchung gezeigte schädliche Einfluss von TRPA1 bei der Zellreaktion auf ionisierende Strahlung stimmen mit den Ergebnissen früherer Studien zu TRPA1-Kanälen und anderen Noxen überein. Auch beim Einsatz von Senfgas als schädliche Noxe konnte durch die Inhibition dieses Kanals das Überleben der Zellen verbessert und die Schädigung durch den Kampfstoff verringert werden [5]. Dies lässt den Schluss zu, dass TRPA1 nicht nur bei Strahlenschäden, sondern auch bei der Reaktion auf andere Umweltgifte eine Rolle spielt und unterstreicht das Potenzial als Target einer medikamentösen Therapie.
Zusätzlich wurde in dieser Studie der radioprotektive Effekt der TRPV4-Kanäle untersucht. Dass dessen Überexpression das Zellwachstum nach Strahlenexposition förderte, weist darauf hin, dass TRPV4-Kanäle eine schützende Wirkung auf die Zellen haben könnten, indem sie die Zellproliferation nach einer Schädigung durch ionisierende Strahlung unterstützen. TRPV4 könnte dabei durch die Modulation von Ca²+-Strömen und zellulären Reparaturmechanismen eine Rolle spielen, dadurch könnte seine Aktivierung nach Strahlenexposition zusätzliche Schutzmechanismen aktivieren. In Anbetracht dieser Ergebnisse ist es sinnvoll, TRPV4-Kanäle als ein weiteres potenzielles therapeutisches Target für die Behandlung der akuten Strahlenkrankheit zu betrachten.
Für eine umfassendere Bewertung dieser Ergebnisse müssen in weiterführenden Forschungsprojekten mit Zelllinien und Primärzellen unterschiedlicher Herkunft die genauen Mechanismen hinter dem radiosensitivierenden Effekt von TRPA1 und radioprotektiven Wirkung von TRPV4 entschlüsselt werden. Derartige Studien können klären, ob gewebespezifische Unterschiede in der Expression und Funktion der TRP-Kanäle eine Rolle bei der Reaktion auf ionisierende Strahlung spielen. Dies bietet schlussendlich die Grundlage für die zukünftige Entwicklung maßgeschneiderter therapeutischer Strategien in der Strahlenmedizin.
Literatur
- Büch T, Schäfer E, Steinritz D, et al.: Chemosensory TRP channels in the respiratory tract: role in toxic lung injury and potential as "sweet spots" for targeted therapies. Rev Physiol Biochem Pharmacol 2013; 165: 31-65. mehr lesen
- Dainiak N, Gent RN, Carr Z, et al.: First global consensus for evidence-based management of the hematopoietic syndrome resulting from exposure to ionizing radiation. Disaster Med Public Health Prep 2011; 5(3): 202-212. mehr lesen
- Koivisto AP, Belvisi MG, Gaudet R, et al.: Advances in TRP channel drug discovery: from target validation to clinical studies. Nat Rev Drug Discov 2022; 21: 41–59. mehr lesen
- Steinritz D, Stenger B, Dietrich A, et al.: TRPs in Tox: Involvement of Transient Receptor Potential-Channels in Chemical-Induced Organ Toxicity-A Structured Review. Cells. 2018; 7(8): 98. mehr lesen
- Stenger B, Popp T, John H, et al.: N-Acetyl-L-cysteine inhibits sulfur mustard-induced and TRPA1-dependent calcium influx. Arch Toxicol 2017; 91(5): 2179-2189. mehr lesen
Manuskriptdaten
Zitierweise
Orben T, Stenger B, Peper M, Ridi R, Port M, Popp T: TRP-Kanäle (transient receptor potential channels) als neues therapeutisches Ziel zur Behandlung der akuten Strahlenkrankheit. WMM 2025; 69(1–2): 20-23.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-392
Für die Verfasser
Oberstabsarzt Dr. Timo Orben
Institut für Radiobiologie der Bundeswehr
Neuherbergstr. 11, 80937 München
E-Mail: timoorben@bundeswehr.org
Manuscript Data
Citation
Orben T, Stenger B, Peper M, Ridi R, Port M, Popp T: [TRP-Channels (Transient Receptor Potential Channels) as New Therapeutic Target for Treatment of Acute Radiation Syndrome.] WMM 2025; 69(1–2): 20-23.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-392
For the Authors
Major (MC) Dr. Timo Orben, MD
Bundeswehr Institute for Radiobiology
Neuherbergstr. 11, D-80937 München
E-Mail: timoorben@bundeswehr.org