Abwasserbasierte Infektionsepidemiologie – manchmal muss man für Innovationen auch im Trüben fischen
Wastewater Based Epidemiology (WBE) - Sometimes you have to Fish in Muddy Waters to Innovate
Dimitrios Frangoulidisb, Rudolf Markta, Daniela Barthb, Matthias Frankb, Gerd Großmannb, Alexander Zieglerb, Katalyn Roßmannb, Carsten Balczunc, Sebastian Albrechtb
a Fachhochschule Kärnten, Fachbereich Gesundheit und Soziales, Klagenfurth am Wörthersee, Österreich
b Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr, Referat VI 2 – Gesundheitsüberwachung und -berichterstattung, München
c Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz, Abteilung XXI – Mikrobiologie und Krankenhaushygiene
Zusammenfassung
Abwassermonitoring, eine Methodik, um die Zusammensetzung und Qualität von Abwasser zu analysieren, ist eine revolutionäre Methode, deren Ergebnisse es ermöglichen, Einblicke in die öffentliche Gesundheit und Umweltbelastungen auf Ebene einer Gemeinschaft (z. B. Stadt, Kaserne, Schiff) zu gewinnen, die durch herkömmliche Verfahren nicht möglich wären. Die COVID-19-Pandemie hat das Potenzial dieser Technik deutlich gemacht, indem sie eine kosteneffiziente, umfassende und zeitnahe Überwachung der Virusverbreitung ermöglichte. Trotz der Herausforderungen in Bezug auf Dateninterpretation, Spezifität und Ressourcenaufwand bietet das Abwassermonitoring eine vielversprechende Perspektive für die zukünftige Überwachung und Kontrolle von Infektionskrankheiten sowie für die Bewertung von Umweltbelastungen. Dies ist damit ganz im Sinne des sog. One Health-Ansatzes der Weltgesundheitsorganisation (WHO), in dem verschiedene Sektoren zusammenarbeiten, um bessere Ergebnisse in Bezug auf die öffentliche Gesundheit zu erreichen.
Abgeleitet aus diesen Möglichkeiten im Bereich der zivilen Gesundheitsüberwachung zeigte sich auch, dass im militärischen Kontext von Einsätzen der Gesundheitsschutz aller Soldatinnen und Soldaten (sog. Force Health Protection (FHP)) enorm vom Abwassermonitoring bzw. der abwasserbasierten Infektionsüberwachung auf SARS-CoV-2 profitieren konnte und kann. Der Sanitätsdienst der Bundeswehr – federführend durch das Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr (KdoSanDstBw), Referat VI 2, Gesundheitsüberwachung und -berichterstattung – hat seit 2020 auch im Rahmen der zivil-militärischen Zusammenarbeit (ZMZ) in zahlreichen Projekten viele wertvolle Erfahrungen sammeln und die Bedeutung und Vorteile der Methode ständig weiterentwickeln und erweitern können. Die weltweit erstmalige Durchführung bzw. Anwendung eines SARS-CoV-2-Abwassermonitorings in einem Auslandseinsatz in einem Feldlager in Gao, Mali, von 2021 bis 2023 ist nur ein Beispiel dafür. Mittlerweile ist die Bundeswehr durch KdoSanDstBw VI 2 und ausgewählten Diagnostikeinrichtungen im Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz (Abteilung XXIB) und des Instituts für Mikrobiologie der Bundeswehr (InstMikroBioBw), München, sowohl im Betrieb als auch bei der Weiterentwicklung der abwasserbasierten epidemiologischen Überwachung von Infektionserregern inhaltlich, fachlich und methodisch ein national und international anerkannter Partner. Damit verbunden ist auch eine wichtige konzeptionelle Weiterentwicklung der Fähigkeit Gesundheitsschutz/FHP in der Bundeswehr im Allgemeinen bzw. auch der sog. Zelle Gesundheitsschutz/FHP der zukünftig in Litauen stationierten deutschen Brigade (Brig LTU), die dann das Element des Abwassermonitorings von Beginn an enthalten soll.
Das abwasserbasierte Monitoring auf Infektionserreger hat somit die einzigartige Qualität Epidemiologie vorausschauend, regelmäßig, aktuell und populationsbezogen zu erfassen und damit sowohl präventiv als auch im Bereich der Bekämpfung bzw. Eindämmung von Geschehnissen im Rahmen des Ausbruchsmanagements eine neue Qualitätsebene des Gesundheitsschutzes/FHP unter Berücksichtigung des One Health-Ansatzes der WHO zu ermöglichen.
Schlüsselwörter: SARS-CoV-2 Abwassermonitoring, Epidemiologie, COVID-19, Ausbruchsfrüherkennung, Gesundheitsschutz/Force Health Protection (FHP), One Health
Summary
Wastewater monitoring, a methodology that allows the analyzation of composition and quality of wastewater, is a revolutionary method providing insights into public health and environmental pollution at the community level (e.g. city, barracks, ship) that would not be possible using conventional methods. The COVID-19 pandemic has highlighted the potential of this technology by enabling cost-effective, comprehensive and timely monitoring of the virus spread. Despite the challenges in terms of data interpretation, specificity and resource requirements, wastewater monitoring offers a promising perspective for the future surveillance and control of infectious diseases as well as for the assessment of environmental pollution. This is fully in line with the World Health Organization’s (WHO) One Health approach, in which different sectors work together to achieve better public health outcomes.
Derived from these possibilities in the field of civilian health monitoring, however, it has also been shown that in the military context of deployments, the health protection of all soldiers (Force Health Protection (FHP)) could and can benefit enormously from wastewater monitoring repectively wastewater based epidemiology (WBE) and surveillance on SARS-CoV-2.
Since 2020, the Bundeswehr Medical Service (under leadership of Bundeswehr Medical Service Headquarters, Branch VI 2 – Medical Intelligence and Information) could gain a wide spectrum of valuable experience in numerous projects, even within the framework of civil-military cooperation (CIMIC), and has been able to continuously develop and expand the importance and advantages of the method. The world’s first implementation respectively application of SARS-CoV-2 wastewater monitoring in a foreign assignment in a field camp in Gao, Mali, from 2021 to 2023, is just one example. The Bundeswehr is now a nationally and internationally recognized partner in terms of content, expertise and methodology in the operation and further development of WBE monitoring of infectious pathogens through Bundeswehr Medical Service Headquarters, Branch VI 2 and selected diagnostic facilities at the Bundeswehr Central Hospital Koblenz (Department XXIB) and the Bundeswehr Institute of Microbiology (BwIM) in Munich. This is also associated with an important conceptual development of the FHP capability in the Bundeswehr in general and in the future also in the Cell FHP of the German Brigade stationed in Lithuania (Brig LTU), which will include the element of wastewater monitoring from the outset. Taking into account the WHO’s One Health approach, wastewater-based monitoring for infectious agents has the unique quality of recording epidemiology in an anticipatory, regular, up-to-date and population-related manner, thus enabling a new quality level of health protection and FHP both preventively and in the area of combating or containing incidents as part of outbreak management.
Key Words: SARS-CoV-2 Wastewater Monitoring; Surveillance; Epidemiology; COVID-19; Outbreak prevention; Force Health Protection/FHP; One Health
Hintergrund
Prinzip des Abwassermonitorings
Das Prinzip des Abwassermonitorings basiert auf der systematischen und regelhaften Überwachung und der Analyse von Abwasserproben, um biologische oder chemische Markersubstanzen zu identifizieren und zu quantifizieren. Systematische Überwachung bedeutet hierbei, dass an definierten Punkten des Abwasserstroms, z. B. Kläranlagenzuläufen und/oder Abwassersträngen, an denen das Abwasser der zu überwachenden (Sub-)Population zusammenkommt, zeitlich wiederholt eine repräsentative Probe entnommen wird. Dabei hat sich die fraktionierte Probenentnahme aus dem Abwasser über vordefinierte Zeiträume (z. B. 24 h-Probe) mittels vollautomatischer Probennehmer mittlerweile etabliert, damit das Auftreten einer kurzzeitig in das Abwasser eingebrachten Menge der Markersubstanzen nicht unbemerkt bleibt [12]. Diese Marker können von menschlichen Metaboliten über Arzneimittelrückstände bis hin zu pathogenen Mikroorganismen reichen. Durch die Erfassung dieser Marker im Abwasser können Rückschlüsse auf die Gesundheit, den Konsum und weitere allgemeine Verhaltensweisen in der Bevölkerung gezogen werden [10].
Historische Entwicklung
Die Wurzeln des Abwassermonitorings lassen sich bis ins 19. Jahrhundert zurückverfolgen, als erste Untersuchungen zur Verunreinigung von Wasserwegen durchgeführt wurden. Mit der zunehmenden Industrialisierung und Urbanisierung stieg die Notwendigkeit, die Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf die Wasserqualität zu überwachen. Die große Bedeutung der Infektionserreger im Abwasser für die Gesundheit der Menschen wurde mit den wissenschaftlichen Entdeckungen im Bereich der Mikrobiologie u. a. durch Louis Pasteur und Robert Koch als in dieser Zeit herausragenden Akteuren ermöglicht. Durch Abwasser verunreinigtes Trinkwasser war schon immer eine sehr wichtige Ursache von Erkrankungen, aber erst durch die Aufklärungsarbeiten von John Snow in London und auch Max von Pettenkofer in München wurden diese Zusammenhänge wissenschaftlich aufgeklärt und detailliert analysiert. So bildeten ihre Erkenntnisse bei den damals grassierenden Choleraausbrüchen in den städtischen Ballungszentren die Grundlagen für die Entwicklung eines Kanalisationssystems und der anschließenden Klärung bzw. Aufarbeitung der Abwässer [8][17]. Beide Forscherpersönlichkeiten gelten als Begründer der Epidemiologie wie wir sie heute noch verstehen. Im Laufe des 20. Jahrhunderts entwickelten sich die Methoden weiter, von einfachen chemischen Analysen bis hin zu komplexen molekularbiologischen Techniken, die besonders den Nachweis von Viren verbesserten. Diese Fortschritte ermöglichten es, spezifischere und sensitivere Marker im Abwasser zu identifizieren und zu quantifizieren.
Das Potenzial einer abwasserbasierten infektionsepidemiologischen Überwachung von ganzen Populationen wurde erstmals bei der durch die WHO initiierten weltweiten Ausrottung des Polioerregers umfassend genutzt. Um im Menschen ggf. noch zirkulierende Polioviren nachweisen zu können, führte die WHO 2003 ein weltweit anwendbares Konzept zur Untersuchung von Abwässern und sonstigen Wasserproben aus der Umwelt auf Polioviren ein [16]. Zusätzlich wurde sich hierbei die genomische Charakterisierung der detektierten Polioviren zu Nutze gemacht, um die besonders wichtige Unterscheidung von Impf- und Wildvirusformen durchführen zu können. Daraus ergibt sich im Hinblick auf die Infektionsepidemiologie bzw. aus infektionspräventiver Sichtweise die Möglichkeit Impfdurchbrüche bzw. -lücken zu identifizieren [7][9]. Folglich ist es den öffentlich-rechtlichen Gesundheitsschutz/-wesen (Public Health Protection) sehr leicht möglich zielführende präventivmedizinische Handlungen und Maßnahmen ableiten bzw. anordnen zu können, um die Bevölkerung zügig und adäquat zu schützen bzw. das Gesundheitsrisiko für die entsprechende (Sub-)Population deutlich zu senken.
Besondere Anwendung in der COVID-19-Pandemie
Während der COVID-19-Pandemie erlangte das Abwassermonitoring besondere Bedeutung als Instrument zur Überwachung der Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus [6][11]. Nach den ersten Nachweisen im März 2020 entwickelte sich die Methodik und deren Ausbreitung ständig weiter. Durch die Analyse von SARS-CoV-2-RNA im Abwasser konnten Forscher so Infektionsherde identifizieren, noch bevor sie durch klinische Tests im Rahmen der Diagnostik beim Menschen bestätigt wurden. Diese Methode bot eine kosteneffiziente und flächendeckende Alternative bzw. Ergänzung zur Überwachung der Pandemie und ermöglichte es Gesundheitsbehörden, präventive Maßnahmen gezielter und zeitnah umzusetzen (Abbildung 1).
Abb. 1: Übersichtsgrafik Frühwarnsystem durch Abwassermonitoring
Diese Erfahrungen führten dazu, dass die Europäische Kommission bereits am 17. März 2021 eine Empfehlung an die Mitgliedsstaaten aussprach [3], die einen gemeinsamen Ansatz zur Einführung einer systematischen Überwachung von SARS-CoV-2 und seinen Varianten im Abwasser in der EU vorsieht. Diese Empfehlung beinhaltete ebenfalls die nachdrückliche Aufforderung an alle Mitgliedsländer, ein nationales Abwassermonitoring schnellstmöglich einzurichten. In Deutschland wurden hierbei verschiedene Forschungsvorhaben im nationalen Pilotprojekt ESI-CorA- einheitlicher koordiniert und besser vernetzt. Nach Ende der Projektförderung im März 2023 wurde nachfolgend auf das Pilotprojekt ESI-CorA ein zentral koordiniertes Folgeprojekt AMELAG (Abwassermonitoring für die epidemiologische Lagebewertung) unter gemeinsamer Führung des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG), des Robert Koch-Instituts (RKI) und des Umweltbundesamtes (UBA) ins Leben gerufen, an dem auch der Sanitätsdienst der Bundeswehr beteiligt ist [13]. Im Rahmen des AMELAG-Projektes werden hierbei die Standorte zur Anwendung der abwasserbasierten Surveillance und somit die Möglichkeit einer zunehmenden flächendeckenden Trendbeobachtung bezüglich des Infektionsdruckes von SARS-CoV-2 in der Bevölkerung sukzessive auf bis zu 175 Kläranlagen im gesamten Bundesgebiet ausgeweitet (Abbildung 2).
Abb. 2: Übersichtskarte teilnehmender AMELAG-Standorte mit Trendanzeige für Erregerlast von SARS-CoV-2 im Abwasser, Stand: 12. KW 2024
Verwendung der Methode im Bereich der Bundeswehr
Abgeleitet aus den zuvor genannten Möglichkeiten im Bereich der zivilen Gesundheitsüberwachung zeigte sich schnell, dass auch im militärischen Kontext von Einsätzen der Gesundheitsschutz aller Soldatinnen und Soldaten (sog. Force Health Protection) enorm vom Abwassermonitoring auf SARS-CoV-2 profitieren konnte und kann. Der Sanitätsdienst der Bundeswehr – federführend durch das KdoSanDstBw VI 2 – hatte daher schon frühzeitig im Rahmen zivil-militärischer Kooperationen Pilotprojekte begleitet, entwickelt und unterstützt. So wurde das erste regionale funktionierende infektiologische Abwasserüberwachungssystem im Landkreis Berchtesgadener Land auch durch die gute und enge Zusammenarbeit mit KdoSanDstBw VI 2 ermöglicht [14][15]. In zwei weiteren kleineren Pilotprojekten in zwei Grundausbildungsstandorten in Bayern konnten Methodik und Verfahrensablauf zusammen mit der TU München und dem Karlsruhe Institute of Technology unter den Bedingungen einer militärischen Liegenschaft erprobt werden. Die gewonnenen Erfahrungen flossen dann auch in den Aufbau und Betrieb des weltweit ersten Abwassermonitorings auf Infektionserreger in einem militärischen Feldlager ein (Camp Castor, Gao, Mali)1. In der Zwischenzeit ist die Bundeswehr durch das KdoSanDstBw VI 2 im Verbund mit ausgewählten Diagnostikeinrichtungen im BwZKrhs Koblenz (Abteilung XXIB) und mit dem InstMikroBioBw in München sowohl im Betrieb als auch der Weiterentwicklung der abwasserbasierten epidemiologischen Überwachung von Infektionserregern inhaltlich, fachlich und methodisch ein national und international anerkannter Partner. So wurden nicht nur die einzigartigen Erfahrungen und Ergebnisse des Abwassermonitorings in Mali von 2021 bis 2023, sondern auch die Etablierung des Verfahrens an 4 Bundeswehrstandorten in Deutschland im Herbst 2023 sehr positiv in der Fachöffentlichkeit wahrgenommen und führten u. a. auch dazu, dass der Sanitätsdienst ein fester und verlässlicher Partner im oben bereits erwähnten nationalen Netzwerk zur Abwasser-Surveillance (AMELAG) geworden ist. Kläranlagenstandorte in den Bundesländern Hessen und Nordrhein-Westfalen werden hierbei durch Labordiagnostik unterstützt. Weiterhin engagiert sich KdoSanDstBw VI 2 aktiv im Global Consortium for Wastewater and Environmental Surveillance for Public Health (GLOWACON), welches auf Initiative des Joint Research Centre (JRC) und der European Health Emergency Response Authority (HERA) der Europäischen Kommission im März 2024 neu gegründet wurde [4].
Die Weiterentwicklung des Verfahrens des abwasserbasierten Infektionsmonitorings auf andere Infektionserreger (z. B. Influenzaviren, Respiratorisches Synzitial Virus/RSV) einschließlich der Überwachung und Bestimmung von Antibiotikaresistenzgenen und den Möglichkeiten einer Anwendung auf seegehenden Einheiten ist bereits geplant. Dies ist eine wichtige konzeptionelle Weiterentwicklung der Fähigkeit Gesundheitsschutz/FHP in der Bundeswehr. Erstmals wird diese neue Methodik von Anfang an als Bestandteil des im Aufbau befindlichen deutschen Stützpunktes einer deutschen Brigade in Litauen eingeplant und umgesetzt werden. Dadurch kann die von Beginn an dort agierende Zelle Gesundheitsschutz/FHP, im Besonderen der Leitende Hygieniker und Gesundheitsaufseher, in der infektionspräventiven Beratung bzw. der Risikoeinschätzung bezüglich des populationsbezogenen Infektionsdruckes der in Rukla und Rudninkai stationierten Soldaten auf ein „Infektionsüberwachungswerkzeug“ zurückgreifen, welches zur Sicherstellung der Auftragserfüllung der deutschen Kräfte in Litauen wertvolle Beiträge liefern kann [2].
Vor- und Nachteile der Methodik
Einer der wesentlichen Vorteile von Abwasseruntersuchungen besteht in einer deutlichen Kosteneffizienz. Durch die Abwassertestung entfällt der Aufwand individueller epidemiologischer Testungen. Klinisch diagnostische Untersuchungen können zielgerichteter und im Umfang daher deutlich geringer durchgeführt werden. Gleichzeitig ist die Anwendung nicht-invasiv und damit für die Menschen weniger belastend. Sie sichert somit auch den Schutz der individuellen Privatsphäre (Abbildung 1).
Zusätzlich gelingt es so schnell und aktuell die epidemiologische Situation einer gesamten Bevölkerung bzw. auch adaptiert, unter Einbezug verschiedener Faktoren und Informationen, die Situation für eine ausgewählte Subpopulation, z. B. Soldaten, welche in der militärischen Gemeinschaft leben, zu erfassen und fachlich lageangepasst zu bewerten. Beispielsweise kann man durch die in Abbildung 3 dargestellten und verglichenen Datensätze deutlich erkennen, wie die SARS-CoV-2-Konzentration im Abwasser in beiden militärischen Einrichtungen deutlich später als in der Allgemeinbevölkerung der Umgebung ansteigt. Zudem sinkt das Signal während der Weihnachtsfeiertage trotz laufender COVID-19-Welle nahezu auf null, da die militärischen Liegenschaften auftragsbedingt in der Zeit der Weihnachtsferien nur mit sehr wenig diensthabenden Personal besetzt sind. Zum Frühjahr hin sinkt das SARS-CoV-2-Signal im Abwasser sowohl in den militärischen Liegenschaften als auch dem urbanen Einzugsgebiet um die Liegenschaft sehr gleichmäßig und kontinuierlich mit dem Auslaufen der COVID-19-Saison ab.
Weiterhin kann das Abwassermonitoring auf eine Vielzahl von Substanzen und anderen Pathogenen eingesetzt werden und bietet somit eine große Breite an Anwendungsmöglichkeiten [16].
Diese letztgenannten Punkte bedingen jedoch einen enorm hohen Anspruch an die Dateninterpretation mit einer vielfältigen Komplexität. Es liegt in der Beschaffenheit des Abwassers, dass viele Einflussfaktoren vorhanden sind und eine Rolle bei der Bewertung der Ergebnisse spielen können. So erschweren u. a. Verdünnungseffekte, variable Abwasserflüsse und technische Besonderheiten der Abwassersysteme, aber auch viele chemische Substanzen die Dateninterpretation.
Durch die Vermischung von Infektionserregern einer ganzen Population wird die Spezifität der Methode naturgemäß herabgesetzt. So kann es z. B. schwierig sein, spezifische Infektionsherde innerhalb großer Bevölkerungsgruppen zu identifizieren.
Auch sind im Gegensatz zu individuell gewonnenen Proben vom Menschen keine demografischen Daten vorhanden, die spezifische epidemiologische Entwicklungen (z. B. Rückschlüsse auf Altersgruppen usw.) aus dem Abwasser ermöglichen könnten.
Ebenfalls ist die Einleitung eines funktionierenden und wirksamen personenbezogenen Screenings und das Durchbrechen von Infektionsketten aufgrund von auffälligen Werten im Abwasser nur möglich, wenn sehr nahe am „Ausscheider“ beprobt werden kann – salopp ausgedrückt: „Je näher an der Toilettenschüssel die Abwasserprobe gewonnen werden kann, desto effektiver können infektionspräventive Rückschlüsse auf den Infektionsdruck und Ableitung für den Gesundheitsschutz/FHP gezogen werden“.
Trotz der oben genannten Kosteneffizienz im Vergleich zur Individualtestung sind aber auch technische und finanzielle Herausforderungen zu bewältigen, da die Einrichtung und Aufrechterhaltung der Infrastruktur und entsprechenden Logistik für ein Abwassermonitoring erhebliche technische und finanzielle Ressourcen erfordert.
Bedeutung für die Dynamik des Infektionsgeschehens beim Menschen
Das Abwassermonitoring hat sich als wertvolles Instrument erwiesen, um die Dynamik von Infektionskrankheiten in der Bevölkerung zu verstehen [1][5][15][16]. Durch die frühzeitige Erkennung von Pathogenen im Abwasser können Ausbrüche antizipiert und Maßnahmen zur Eindämmung schneller eingeleitet werden (Abbildung 1). Dieses Monitoring bietet somit einen einzigartigen Einblick in die Verbreitung von Krankheiten auf einer Bevölkerungsebene und ermöglicht eine effektivere Reaktion auf öffentliche Gesundheitskrisen. Darüber hinaus liefert das Abwassermonitoring räumlich und zeitlich hoch aufgelöste unabhängige Daten. Dadurch werden Informationen zu Saisonalität und Regionalität für eine Vielzahl an Erregern zugänglich, auch für solche, welche im klinisch-diagnostischen Bereich weniger Beachtung finden (u. a. Polioviren und Affenpockenerreger). Ergänzend ist diese Methodik auch eine sinnvolle und wertvolle Ergänzung im Sinne des sog. One Health-Ansatzes der WHO. Dieser integrierte, vereinheitlichende Ansatz zielt darauf ab, die Gesundheit von Menschen, Tieren und Ökosystemen nachhaltig auszugleichen und zu optimieren. Dieser Ansatz erkennt an, dass die Gesundheit von Menschen, Haus- und Wildtieren, Pflanzen und der weiteren Umwelt (einschließlich Ökosystemen) eng miteinander verbunden und voneinander abhängig sind [18][19].
Fazit und Kernaussage
Das Abwassermonitoring im Sinne eines Populationsscreening auf ausgewählte Infektionserreger in Verbindung mit den dadurch früher eingeleiteten Präventionsmaßnahmen durch den öffentlichen Gesundheitsdienst sowie nachfolgend einer schnelleren und effizienteren Infektionsausbruchseindämmung bzw. möglichen Infektionsausbruchsverhinderung kann in der Gesamtheit den Kostendruck im öffentlichen Gesundheitswesen durch die ambulante und stationäre Versorgung potenziell deutlich senken und zu einer nachhaltigen Verbesserung der Gesundheit beitragen.
Es gilt festzuhalten:
- Die Analyse von Abwasser auf verschiedene Infektionserreger hat im historischen Gesamtkontext einen entscheidenden Beitrag zur Weiterentwicklung der Epidemiologie und Gesundheitsprävention geleistet.
- Das Abwassermonitoring hat sich in der COVID-19-Pandemie als wertvolles Instrument erwiesen, um die Dynamik dieser neuen Infektionskrankheit in der Bevölkerung zu verstehen.
- Das Abwassermonitoring hat sich als „Frühwarnsystem“ zur raschen und effizienten Ausbruchsverhinderung bzw. -eindämmung erwiesen.
- Durch die Ergebnisse eines kontinuierlichen Abwassermonitorings ist es möglich, entscheidende Präventivmaßnahmen ca. 24–72 h früher und zielgerichteter einzuleiten als bei konventionellem Monitoring.
- Die Nutzung des Abwassermonitorings als Populationsscreening in Verbindung mit so früher eingeleiteten Präventivmaßnahmen kann den Kostendruck im öffentlichen Gesundheitswesen reduzieren.
- Abwassermonitoring hat das Potenzial, in der Zukunft ein fester Methodenbestandteil der Zelle Gesundheitsschutz/Force Health Protection in Bundeswehr und NATO zu werden.
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Interessenkonflikt
Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht.
Bildquellennachweis
Abbildung 1: Im Auftrag KdoSanDstBw VI 2 erstellt durch Luphalia
Abbildung 2: Robert Koch Institut/AMELAG Wochenbericht vom 02. April 2024
Abbildung 3: FH Kärnten/Rudolf Markt
Manuskriptdaten
Zitierweise
Frangoulidis D, Markt R, Barth D, Frank M, Großmann D, Ziegler A, Roßmann K, Balczun C, Albrecht S: Abwasserbasierte Infektionsepidemiologie – manchmal muss man für Innovationen auch im Trüben fischen. WMM 2024; 68(6): 283-289.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-303
Für die Verfasser
Oberfeldarzt Priv.-Doz. Dr. Dimitrios Frangoulidis
Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr
Referat VI 2 – Gesundheitsüberwachung und -berichterstattung
Dachauer Straße 128, 80637 München
E-Mail: dimitriosfrangoulidis@bundeswehr.org
Manuscript Data
Citation
Frangoulidis D, Markt R, Barth D, Frank M, Großmann D, Ziegler A, Roßmann K, Balczun C, Albrecht S: [Wastewater Based Epidemiology (WBE): Sometimes You Have to Fish in Muddy Waters to Innovate.] WMM 2024; 68(6): 283-289.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-303
For the Authors
Lieutenant Colonel (MC) Ass. Prof. Dr. Dimitrios Frangoulidis
Bundeswehr Medical Service Headqarter
Branch VI 2 – Medical Intelligence & Information + Surveillance
Dachauer Straße 128, D-80637 München
E-Mail: dimitriosfrangoulidis@bundeswehr.org
1 Der Beitrag von Albrecht S et al. in dieser Ausgabe stellt den Einsatz des Abwassermonitoring in Mali vor.