Einsatzurologie – ein Ausbildungskonzept für die
Sicherstellung der urologischen Versorgung
im Rahmen neuer militärischer Herausforderungen
Combat Urologic Surgery: An Educational Approach to Urological Care in the Context of New Military Challenges
Christian Rufa, Cord Matthiesb, Tim Nestlerc, Karl von Dobschützd, Hans-Ulrich Schmelzc
a Klinik für Urologie und Uroonkologie, Bundeswehrkrankenhaus Ulm
b Klinik für Urologie und Uroonkologie, Bundeswehrkrankenhaus Hamburg
c Klinik für Urologie und Uroonkologie, Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz
d Klinik für Urologie und Uroonkologie, Bundeswehrkrankenhaus Berlin
Zusammenfassung
Die Qualifikation für die Behandlung urologischer Krankheitsbilder in Krise und Krieg hat sich in Zeiten neuer Herausforderungen für den Sanitätsdienst deutlich erweitert. Die handwerklichen Fertigkeiten, die im Rahmen der Facharztweiterbildung für Urologie erworben werden, reichen dafür nicht mehr aus. Daher ist es notwendig, Ausbildungskonzepte in der Urologie zu entwickeln, die den veränderten Anforderungen Rechnung tragen. Insbesondere die operativen Fähigkeiten müssen erweitert werden. Die fachliche Expertise für solch eine Ausbildung ist in den Bundeswehrkrankenhäusern vorhanden. Die Konsiliargruppe Urologie hat ein Konzept entwickelt, wie eine Ausbildung in der Einsatzurologie aus fachlicher Sicht ausgestaltet werden soll. Der Artikel stellt die Grundzüge dieses Konzepts vor und beschreibt, welche Vorteile dadurch entstehen, aber auch welche Ressourcen dafür benötigt werden.
Schlüsselwörter: Einsatzurologie, Weiterbildung, Ausbildungskonzepte, Kapazitäten, Verwundetenversorgung, Krise und Krieg
Summary
The qualifications for treating urological diseases in times of crises and war have increased significantly in the face of new challenges for the Bundeswehr Medical Service. The technical skills acquired as part of the specialist training in urology is no longer sufficient. Therefore, it is necessary to develop training concepts in urology, considering the changing requirements. In particular, surgical skills need to be expanded. The technical expertise for such training is available in the Bundeswehr hospitals. The Urology Consultative Group has developed a conception of how training in combat urologic surgery should be designed from a urologic professional perspective. This article introduces this concept and describes the advantages it creates and what resources are required for this training.
Keywords: Combat Urologic Surgery; training concepts; capacities; casualty care; crisis and war
Einleitung und Hintergrund
Die Aufgaben der gesamten Bundeswehr, im speziellen auch des Sanitätsdienstes, haben sich in den letzten Jahren deutlich verändert. Neben den zeitlich und räumlich begrenzten Einsätzen im Rahmen des Internationalen Krisenmanagements (IKM) nimmt aktuell die Landes- und Bündnisverteidigung (LV/BV) mit erheblichen Aufwendungen an medizinischem Personal über einen unbestimmten Zeitraum einen entscheidenden Stellenwert ein.
Eine Auswertung der urologischen Eingriffszahlen im amerikanischen Feldhospital der Role 3 in Bagram von 2015 bis 2020 (vgl. hierzu den Artikel von Schoch et al. in diesem Heft) zeigte, dass etwa die Hälfte aller urologischen Operationen aufgrund einsatzspezifischer Kriegsverletzungen durchgeführt wurden [5]. Dabei standen mit rund 40 % die verletzten Bereiche des äußeren Genitals sowie zu rund 30 % auch Verletzungen im Becken und Abdomen sowie Retroperitoneum im Vordergrund. Auch in anderen Einsätzen wurden die Schussverletzungen der Niere, des Beckens und des äußeren Genitals als die häufigsten urologischen Kriegsverletzungen identifiziert. Die Versorgung dieser Verletzungen ist die Kernkompetenz der Fachärztinnen und Fachärzte für Urologie1.
Folgerichtig wurde von der Führung des Sanitätsdienstes die Behandlung urologischer Krankheitsbilder durch Fachärzte für Urologie in einem LV/BV-Szenario fest bei Sanitätseinrichtungen ab Role 3 implementiert. Die notwendige Anzahl dieser Einrichtungen richtet sich dabei nach militärisch taktischen Anforderungen. Angesichts der aktuellen geopolitischen Entwicklungen ist hier allerdings in Zukunft eher von einer zunehmenden Zahl auszugehen.
Sowohl fachlich als auch numerisch gilt es jetzt die Weichen für die Zukunft zu stellen. Hierzu gehört es insbesondere, die Fachärzte für Urologie, welche in den Role 3-Einrichtungen Dienst tun, fundiert für ihre Verwendung in einem Einsatz-Szenario – LV/BV und IKM – auszubilden. Es handelt sich um ein spezielles Aufgabengebiet, das sich operativ grundlegend von der Tätigkeit im Frieden im deutschen Gesundheitswesen unterscheidet.
Hierfür wurde von der Konsiliargruppe Urologie das fachliche Konzept „Einsatzurologie“ entwickelt, welches wir hier in Auszügen vorstellen.
Facharzt für Urologie – zivile Anforderungen in Deutschland
Der Weiterbildungskatalog zum Erwerb der Qualifikation „Facharzt/Fachärztin für Urologie“ in Deutschland orientiert sich im Grundsatz an den aktuellen Anforderungen im Rahmen der Musterweiterbildungsordnung der Bundesärztekammer. In Deutschland sind etwa 52 % der Urologen in der Praxis tätig. Von den 48 % Klinikärzten sind etwa 20 % nur eingeschränkt oder nicht operativ tätig [1]. Entsprechend umfasst die Ausbildung zum Facharzt/zur Fachärztin für Urologie in Deutschland einen großen ambulanten Schwerpunkt und endourologische sowie kleinere operative Eingriffe. Die medikamentöse Tumortherapie nimmt aufgrund ihrer zunehmenden Komplexität mittlerweile einen sehr großen Stellenwert in der Facharztausbildung ein.
Die Anzahl der komplexen operativen Eingriffe an der Niere, im Becken und im Retroperitoneum ist auf ein Minimum reduziert worden. Um die Facharztprüfung in Deutschland ablegen zu können, müssen beispielsweise nur fünf Eingriffe an Nierentumoren durchgeführt werden. Dabei wird es sich in der Regel um einfache Eingriffe, z. B. bei schlanken Personen mit kleinen, gut erreichbaren Tumoren handeln. Mit dem operativen Handling einer komplexen, lebensbedrohlich blutenden Niere nach Schussverletzung hat das nichts zu tun. Die selbstständige Durchführung offener Eingriffe im Becken (z. B. Zystektomie, Prostatektomie) sind kein Inhalt der Facharztausbildung.
Hinzu kommt, dass praktisch alle tumorchirurgischen Eingriffe in Deutschland mittlerweile in laparoskopischer und/oder robotisch assistierter Technik, also minimalinvasiv, durchgeführt werden. Die Patienten fragen das minimalinvasive Vorgehen, wann immer möglich, nach und entscheiden sich für die Klinik, in der die Operation minimalinvasiv durchgeführt wird. Um auf ausreichende Zahlen großer offener Eingriffe zu kommen, muss daher bei den meisten Eingriffen ein Vielfaches der Eingriffszahl minimalinvasiv operiert werden.
Die operative Ausbildung bei großen offenen Operationen im Abdomen, dem Retroperitoneum oder dem Becken findet im Rahmen der urologischen Facharztausbildung daher faktisch kaum noch statt; und wenn, dann werden diese Eingriffe nach der Facharztprüfung in wenigen für urologische Tumorchirurgie spezialisierten Zentren ausgebildet, die eine ausreichend hohe Fallzahl haben. Nur noch ausgewählte Personen erlangen daher diese Kompetenz. Und auch hier dauert es lange, bis die einzelnen Operateure eine ausreichende Expertise erreicht haben.
Anforderungen an einen Urologen im militärischen Einsatz
Anders stellen sich die Anforderungen an einen Urologen in einem militärischen Einsatz dar. Diese Sanitätsstabsoffiziere sind in einer Auslandsmission fachlich auf sich allein gestellt, arbeiten in einem in der Regel nicht eingespielten Team, haben nur eine eingeschränkte technische Ausstattung (z. B. fehlt eine interventionelle Radiologie, im Einsatzszenario ist überwiegend von offenen Eingriffen auszugehen) und müssen daher über eine operative Qualifikation verfügen, die deutlich über den fachärztlichen Ausbildungsstand in Deutschland hinausgeht. Die dazu gehörenden operativen Fähigkeiten werden im Rahmen der „normalen“ Facharztausbildung nicht mehr ausreichend vermittelt.
Wie dargestellt, spielen Urologen eine entscheidende Rolle in militärischen Auslandseinsätzen und sind in der Bundeswehr fest in den Role 3-Einrichtungen verankert. Zu den häufigsten urologischen Behandlungen in einem kriegerischen Szenario gehören:
- Urogenitaltraumata
Die Versorgung von urogenitalen Traumata des äußeren Genitales, des Abdomens, des Retroperitoneums und des Beckens macht den Großteil der Arbeit eines Urologen im militärischen Einsatz aus. Aus Einsätzen in Jugoslawien in den 1990er Jahren sowie aktuell aus der Ukraine zeigt sich, dass Schussverletzungen der Niere, des Beckens und des äußeren Genitales die häufigsten urologischen Kriegsverletzungen sind [2][3][4][6][7]. Auch deutsche Sanitätsstabsoffiziere versorgten als Urologen im amerikanischen Feldlazarett Bagram in ca. 50 % einsatzspezifische Traumata des äußeren Genitals, des Abdomens, des Retroperitoneums und des Beckens [5]. Alle Eingriffe wurden ausschließlich offen durchgeführt.
- Damage Control Surgery
Der gleichzeitige Anfall von vielen Verletzten ist ein Merkmal kriegerischer Auseinandersetzungen. Das bedeutet, dass eine Individualmedizin, wie in Deutschland üblich, zumindest in den ersten Versorgungseinrichtungen nicht möglich ist. Es gilt hier, Leben zu retten und den betroffenen Patienten so zu stabilisieren, dass er in rückwärtige Einrichtungen verlegt werden kann. Dazu werden spezielle Eingriffe im Rahmen der Damage Control Surgery durchgeführt. Diese sind kein Bestandteil der urologischen Facharztausbildung.
- Unterstützung der Viszeralchirurgen
Urologen im Einsatz sind aufgrund ihrer „Höhlenkompetenz“ in Abdomen, Retroperitoneum und Becken als Fachärzte aus allen nicht-viszeralchirurgischen Fächern am besten in der Lage, diese Damage Control Surgery durchzuführen, wenn sie entsprechend ausgebildet sind. Bei einem Massenanfall von Verletzten sind die Einsatzurologen damit eine wichtige Unterstützung für die Viszeralchirurgen.
- Rekonstruktive Eingriffe
40 % der Urogenitaltraumata in Afghanistan betrafen das äußere Genital [5]. Neben einer Akutversorgung, welche die endgültige plastische Versorgung dieser Verletzungen im Blick behält, ist es Aufgabe des Urologen der Bundeswehr, die langfristige Rekonstruktion sicherzustellen. Dies betrifft naturgemäß vor allem die Versorgung in der Role 4. Teilweise müssen aber auch in Role 3-Einrichtungen vorbereitende Operationen durchgeführt werden, um langfristig eine gute, funktionelle und ästhetische Rekonstruktion zu ermöglichen.
- Dringliche Operationen
Aus den Bagram-Daten ergibt sich, dass etwa 50 % der urologischen Operationen durch Nicht-Kriegsverletzungen indiziert waren [5]. Bei den Operationen aufgrund nicht einsatzbedingter Erkrankungen standen die endourologischen Erkrankungen, vor allem Nieren- und Harnleitersteine, im Vordergrund. Die routinierte und schnelle Versorgung dieser Erkrankungen direkt im Einsatzland kann Repatriierungen verhindern und helfen, die Einsatzfähigkeit der Truppe zu erhalten.
Insgesamt stellt die urologische Tätigkeit in einem militärischen Einsatz jeder Art deutlich weitreichendere zusätzliche Anforderung an die urologische Versorgung als in einem zivilen Krankenhaus in Deutschland in Friedenszeiten. Der deutsche Facharztstandard ist auf die Tätigkeit in Deutschland abgestimmt, für die suffiziente einsatzurologische Versorgung unserer Soldaten ist dieser nicht ausreichend.
Für die Tätigkeit in einem militärischen Einsatz müssen daher weitere insbesondere „handwerkliche“ Fähigkeiten ausgebildet werden, um die urologische Versorgungsqualität im Ergebnis auf einem deutschen Klinikstandards entsprechenden Niveau sicherzustellen. Diesen Anforderungen soll in dem Ausbildungskonzept „Einsatzurologie“ Rechnung getragen werden.
Ausbildungskonzept Einsatzurologie
Die Ausbildung zum Einsatzurologen umfasst die folgenden vier Schwerpunkte:
1. Ablegen der deutschen Facharztprüfung
Die Basis für die Weiterbildung in der Einsatzurologie muss die bestandene deutsche Facharztprüfung sein. Die Weiterbildungszeit beträgt 60 Monate. Mit dem Ablegen der Facharztprüfung wird ein breites urologisches Grundwissen sowie die Fähigkeit zur Diagnostik und konservativen Therapie im urologischen Fachgebiet dokumentiert. Auch medikolegale Aspekte werden durch Ablegen der Facharztprüfung erfüllt.
2. Operative Ausbildung für Eingriffe höheren Schwierigkeitsgrades
Die Facharztausbildung umfasst unter anderem 50 erste Assistenzen bei urologischen Eingriffen höheren Schwierigkeitsgrades (eine Übersicht über die Details ist in Tabelle 1 dargestellt). Damit ist der Urologe nicht befähigt, Eingriffe höheren Schwierigkeitsgrades selbstständig durchzuführen, zumal – wie oben dargestellt – viele dieser Eingriffe minimalinvasiv durchgeführt werden. Insbesondere bei Verletzungen mit veränderter Anatomie oder bei traumatischen Blutungen ist eine operative Routine essenziell.
Tab. 1: Richtzahlen der operativen Eingriffe für die Weiterbildung Fachärztin/Facharzt für Urologie gem. Musterweiterbildungsordnung 2020
Aus den Daten vorangegangener Einsätze und des aktuellen Ukraine-Krieges wurden von der Konsiliargruppe Urologie als Schwerpunkte für den Einsatz Operationen zur Blutstillung im Becken sowie im Retroperitoneum identifiziert.
Verletzungen des Urogenitaltraktes im Rahmen der Polytraumaversorgung in Deutschland sind selten, sodass die operative Expertise im Grundsatz ausschließlich über offene uroonkologische Operationen erfolgen kann. Bis zur letzten Reform der Weiterbildungsordnung gab es eine fakultative Weiterbildung „Spezielle urologische Chirurgie“. Diese war für schwerpunktmäßig operativ tätige Urologen gedacht. Diese Richtzahlen sind konsensuell entstanden und dienen als Grundlage für die spezielle operative Ausbildung.
Die operative Aus- und Weiterbildung in der Einsatzurologie basiert auf diesen Zahlen und ist an die Verletzungsmuster aktueller und vergangener Einsätze angepasst. Die Details dazu sind in Tabelle 2 dargestellt.
Tab. 2: Richtzahlen operativer Eingriffe „Einsatzurologie“, angelehnt an die fakultative Weiterbildung „Spezielle Urologische Chirurgie“
3. Damage Control Surgery
Fachärzte für Urologie werden im Rahmen ihrer Verwendung in Einrichtungen der Role 3 im Falle eines Massenanfalls von Verwundeten als Operateure im Abdominalbereich mit eingesetzt. Die (Uro-)Traumatologie spielt in der Facharztausbildung eine untergeordnete Rolle und die Damage Control Surgery ist weder in der Urologie noch in einem anderen Fach Bestandteil der Facharztausbildung. Die Bundeswehr führt folgerichtig Kurse zur Damage Control Surgery durch, welche für fortgeschrittene Operateure relevante Inhalte vermitteln. Die Teilnahme an dem Bundeswehr-Einsatzchirurgie-Kurs in Wendisch-Rietz und auch dem Fortgeschrittenenkurs „Gefäßchirurgie für Nicht-Gefäßchirurgen“ in Ulm wird daher obligat in die Weiterbildung der Einsatzurologie integriert. Weitere Kurse, auch Simulationen, welche im Verlauf integriert werden sollen, sind derzeit in der Entwicklung.
4. Plastisch rekonstruktive Urologie
Die plastisch rekonstruktive Versorgung von Verletzungen des äußeren Genitals und der Harnröhre, spielen in der Role 3, vor allem aber in der Role 4, eine entscheidende Rolle, da sie zu den häufigsten urologischen Verletzungsarten in kriegerischen Auseinandersetzungen gehören. Da zumeist junge Männer und Frauen betroffen sind, ist die Behandlung dieser Verletzungen mit einem guten kosmetischen und vor allem funktionellen Ergebnis obligat. Hier ist eine besondere Expertise notwendig, über die in Deutschland auch nur wenige urologische Kliniken verfügen. Ziel ist es, in Zukunft in der Bundeswehr eine ausreichende Anzahl an rekonstruktiv und plastisch versierten Urologen auszubilden, welche alle Facetten dieser besonderen urologischen Chirurgie beherrschen. Alle im Einsatz tätigen Urologen müssen die Grundzüge der plastisch rekonstruktiven Chirurgie beherrschen, um für die betroffenen Patienten die bestmögliche Ausgangsposition für eine endgültige Versorgung herzustellen. Derzeit wird am Bundeswehrzentralkrankenhaus in Koblenz eine plastisch-rekonstruktiv tätige Urologin ausgebildet. Geplant ist ein bundeswehrinterner, für alle Einsatzurologen obligater Kurs, der die Grundzüge der plastisch rekonstruktiven Urologie vermittelt.
Vorteile der Ausbildung zur Einsatzurologin bzw. zum Einsatzurologen für die Bundeswehr
Die Ausbildung zum Einsatzurologen bringt die Fachärztinnen und Fachärzte für Urologie auf einen Ausbildungsstand, auf dem sie handwerklich sicher agieren können. Auch für den Fall, dass mehrere hundert Verletzte in Deutschland eintreffen, wird eine adäquate Anzahl operativ gut ausgebildeter Urologen in den Role 4-Einrichtungen zur Verfügung stehen, obwohl einige in Role 3-Einrichtungen gebunden sein werden.
Die Maxime des Sanitätsdienstes kann nur erfüllt werden, wenn erfahrene Fachärzte mit einem Ausbildungsstand, in dem sie handwerklich sicher auch größere und komplexe Eingriffe durchführen können, im Einsatz verwendet werden. Nur damit entspricht die urologische Versorgung der Patienten in Einsätzen im Ergebnis der im Inland.
Die Weiterbildungsinhalte können personalneutral in den urologischen Kliniken der Bundeswehrkrankenhäuser vermittelt werden, ohne die Sanitätsstabsoffiziere zur Ausbildung an andere Kliniken – sofern diese überhaupt zur Verfügung stehen – abzugeben. Die Attraktivität der Bundeswehr als Arbeitgeber steigt aufgrund der fundierten handwerklichen Ausbildung, welche die meisten zivilen Kliniken nicht bieten.
Voraussetzungen
Ausbildung kostet Zeit, vor allem Operationszeit. Jede urologische Klinik in den Bundeswehrkrankenhäusern bildet im Schnitt pro Jahr eine Fachärztin oder einen Facharzt für Urologie aus. Zusätzlich müsste in jeder Klinik ein Einsatzurologe pro Jahr ausgebildet werden. Die fundierte operative Ausbildung in der Einsatzurologie wird, analog zu der ehemaligen Zusatzweiterbildung „Spezielle Urologische Chirurgie“, aufgrund der Komplexität und Länge der Eingriffe etwa die gleiche Operationszeit in Anspruch nehmen.
Zusätzlich werden in den nächsten Jahren, gemäß Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA), Mindestmengen für die urologischen Tumoroperationen eingeführt werden. Wenn eine Klinik die Mindestmengen nicht erfüllt, können die Eingriffe dann in diesen Kliniken nicht mehr durchgeführt werden.
Um eine ausreichende Anzahl offener Operationen durchführen zu können, müssen zusätzlich minimalinvasive Eingriffe angeboten und durchgeführt werden, damit es für Patienten attraktiv ist, sich in den Bundeswehrkrankenhäusern zur Behandlung vorzustellen. Dies ist mit den aktuellen Operationskapazitäten der urologischen Kliniken nicht möglich.
Bei der Facharztweiterbildung und Einsatzurologie-Ausbildung ergeben sich Synergieeffekte, z. B. zwischen Erst-Assistenzen bei großen Operationen im Rahmen der Facharztweiterbildung und den uroonkologischen Eingriffen oder zwischen der Weiterbildung in der Einsatzurologie und der Erfüllung von Mindestmengen.
Letztlich können aber die notwendigen Voraussetzungen, um Soldaten im Einsatz urologisch so zu versorgen, dass das Behandlungsergebnis einer Behandlung im Heimatland entspricht, nur erfüllt werden, wenn in den Bundeswehrkrankenhäusern die entsprechenden Ausbildungskapazitäten bereitgestellt werden.
Die Weiterbildung zum Einsatzurologen in zivilen Kliniken wird von der Konsiliargruppe Urologie als nicht sinnvoll erachtet, denn:
- Zum einen muss die zivile Klinik verlässlich handwerklich ausbilden. Dabei treten die Bundeswehr-Urologen in Konkurrenz zum hauseigenen Personal der Kliniken, das ebenfalls auf eine entsprechende Ausbildung wartet. Die gut ausgebildeten Sanitätsstabsoffiziere verlassen dann nach der Ausbildung die zivile Klinik, sodass sie dort nicht mehr zur Verfügung stehen. Damit ist der Anreiz für externe Kliniken, operativ auszubilden, sehr gering.
- Die meisten zivilen Kliniken führen die großen Operationen ausschließlich minimalinvasiv durch. Damit ist eine Ausbildung für die offenen, einsatzrelevanten Eingriffe nicht möglich.
- Außerdem stehen die Fachärzte in den Bundeswehrkrankenhäusern dann für die Patientenversorgung im Regel- und Rufdienst nicht zur Verfügung, was das Personalproblem weiter verschärfen wird.
- Zusätzlich besteht die Gefahr, dass durch zusätzlich fehlendes – weil extern verwendetes – Personal und fehlende Operationskapazitäten die Leistungszahlen der urologischen Kliniken sinken, was in Zeiten von Krankenhausreformen und Mindestmengen die Gefahr einer Einschränkung des urologischen Spektrums in den urologischen Kliniken der Bundeswehrkrankenhäuser nach sich zieht.
Fazit
Die Anforderungen an eine Einsatzurologin/einen Einsatzurologen haben sich durch die aktuelle geopolitische Situation mit einem geänderten Bedrohungs- und Einsatzspektrum grundlegend geändert. Zur Aufrechterhaltung der sanitätsdienstlichen Maxime, den Soldaten im Einsatz im Ergebnis die gleiche medizinische Versorgung zukommen zu lassen wie im Heimatland, ist eine breite Basis an urologischem Wissen, vor allem aber ein Höchstmaß an operativen Fähigkeiten erforderlich. Diese Fähigkeiten können in der „normalen“ Facharztausbildung nicht erworben werden. Die weiterführende Ausbildung zum Einsatzurologen erfordert daher eine vertiefte Spezialisierung und zusätzliche operative Fertigkeiten, die es dem Urologen im Einsatz ermöglichen, komplexe chirurgische Eingriffe durchzuführen.
Die fachliche Qualifikation für eine solche Ausbildung ist in den urologischen Kliniken der Bundeswehrkrankenhäuser gegeben. Diese Ausbildung erfordert Ressourcen, besonders Zeit und OP-Kapazitäten. Nur durch die Verfügbarkeit dieser Ressourcen kann die Maxime des Sanitätsdienstes auch unter zukünftigen Einsatzbedingungen aufrechterhalten werden.
Literatur
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- Schoch J, Matthies C, Heidenreich H, et al: Urology during Afghanistan mission: lessons learned and implications for the future. World J Urol 2023; 41(8): 2195-2200. mehr lesen
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Manuskriptdaten
Zitierweise
Ruf C, Matthies C, Nestler T, von Dobschütz K, Schmelz HU: Einsatzurologie – ein Ausbildungskonzept für die Sicherstellung der urologischen Versorgung im Rahmen neuer militärischer Herausforderungen. WMM 2024; 68(12): 562-567.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-373
Für die Verfasser
Oberstarzt Priv.-Doz. Dr. Christian Ruf
Bundeswehrkrankenhaus Ulm
Klinik für Urologie und Uroonkologie
Oberer Eselsberg 40, 89081 Ulm
E-Mail: christianruf@bundeswehr.org
Manuscript Data
Citation
Ruf C, Matthies C, Nestler T, von Dobschütz K, Schmelz HU: [Combat urologic surgery: An educational approach to urological care in the context of new military challenges.] WMM 2024; 68(12): 562-567.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-37
For the Authors
Colonel (MC) Priv.-Doz. Dr. Christian Ruf, MD
Bundeswehr Hospital Ulm
Department of Urology and urologic oncology
Oberer Eselsberg 40, D-89081 Ulm
E-Mail: christianruf@bundeswehr.org
1 Zur besseren Lesbarkeit wird im Folgenden ganz überwiegend die maskuline Form (Facharzt für Urologie, Urologe, Soldat usw.) verwendet; angesprochen sind damit aber stets beide Geschlechter.