Andrologische Aspekte urogenitaler Traumata
Andrological Aspects of Urogenital Trauma
Kim André Hoppacha
a Bundeswehrkrankenhaus Hamburg, Klinik für Urologie
Zusammenfassung
Urogenitale Traumata im Einsatz haben durch die veränderte Kriegsführung in den vergangenen Jahren an relativer Häufigkeit zugenommen. Die Auswirkungen auf die Fertilität und sexuelle Funktion können enorm sein. Eine korrekte chirurgische Erstversorgung ist entscheidend für das langfristige funktionelle und kosmetische Ergebnis. Präventiv kann die Fertilität durch eine Kryokonservierung vor Einsatzbeginn sichergestellt werden.
Schlüsselwörter: Genitaltrauma, Fertilität, Erektile Dysfunktion, Hormonstörungen, Kryokonservierung
Summary
Due to changes in warfare, genitourinary trauma during operations has increased in relative frequency over recent years. Their impact on fertility and sexual function can be enormous. Correct initial surgical treatment is decisive for long-term functional and cosmetic results. Preventatively, fertility can be ensured through cryopreservation before deployment.
Keywords: genital trauma; fertility; erectile dysfunction; hormone imbalance; cryopreservation
Einleitung
Die Anforderungen an die notfallmedizinische Versorgung im Einsatz sind hoch. Entsprechend umfangreich gestaltet sich die einsatzvorbereitende Ausbildung des medizinischen Personals. Der Fokus liegt dabei auf der Verwundetenversorgung, auch werden fachübergreifende truppenärztliche Fähigkeiten geschult. Andrologische Aspekte stehen dabei eher im Hintergrund, trotz der hohen und langfristigen Beeinträchtigung der Lebensqualität bei entsprechenden Verletzungsmustern. Die in diesem Heft beschriebene Kasuistik „Kasuistik einer Verwundung durch eine improvisierte Sprengvorrichtung (IED) am 6. März 2019 in Pamir/Afghanistan“ beschreibt den Fall eines Soldaten, der durch einen IED Anschlag multiple schwerwiegende Verletzungen im Genitalbereich erlitt. Bezugnehmend darauf erwähnt der vorliegende Beitrag die häufigsten andrologisch relevanten Verletzungsmuster im Einsatz, ihre Ursachen, Auswirkungen, therapeutische und präventive Maßnahmen.
Urogenitale Traumata
Durch den flächendeckenden Einsatz und die Optimierung der persönlichen Schutzausrüstung ist die Anzahl von Verletzungen in Auslandseinsätzen in den vergangenen Jahrzehnten deutlich gesunken. Dennoch wurde eine relative Zunahme urogenitaler Verletzungen aufgezeigt. Sie treten in 5–7 % der gefechtsassoziierten Verwundungen auf [4]. Dies ist hauptsächlich mit der veränderten Kriegsführung und damit zu erklären, dass die Genitalregion unzureichend gegen Sprengwirkung von unten geschützt ist. Der korrekte Umgang mit der persönlichen Schutzausrüstung muss vor Beginn des Einsatzes geschult werden.
Typische genitale Unfallmechanismen können durch Sprengstoffe, Schusswaffen oder improvisierte Sprengsätze verursacht werden und haben schwerwiegende Auswirkungen auf die sexuelle Funktion, Reproduktion und damit auch langfristig auf die psychische Gesundheit der betroffenen Soldaten. Eine adäquate chirurgische Erstbehandlung vor Ort ist entscheidend für das finale kosmetische und funktionelle Ergebnis nach Versorgung des Genitals im Heimatland.
Aufgrund potenzieller Fertilitätseinschränkungen durch Hodentraumata wird die prophylaktische Kryokonservierung von Spermien vor Auslandseinsätzen diskutiert, um die reproduktiven Fähigkeiten des Soldaten zu erhalten. Dies gilt insbesondere für abgesessen kämpfende Truppenteile, bei denen die höchste Gefahr für Genitalverletzungen durch IED besteht [1].
Verletzungen des Skrotums und der Hoden
Hodenverletzungen haben die schwerwiegendsten Folgen in Bezug auf die Fertilität. Bei Verletzungsmustern, die einen vollständigen oder inkompletten Hodenverlust nach sich ziehen, kann durch ein rasches Einfrieren des abladierten Hodens inklusive Nebenhoden und Samenleiter bei zeitnaher Spermienextraktion durch ein Speziallabor eine Kryokonservierung von Spermien ermöglicht werden. Entscheidend ist hierbei ein korrekter Umgang mit dem entnommenen Präparat in der Erstversorgung und ein enges Zeitfenster für das Einfrieren von Keimzellen oder Gewebe von 24 bis 36 Stunden [10].
Grundsätzlich wird ein Hodenerhalt angestrebt. Vakuumverbände haben sich bei der skrotalen Wundversorgung als nützlich erwiesen [11], sind jedoch nicht geeignet in Fällen, in denen die Tunica albuginea des Hodens nicht verschlossen wurde. Bei großen skrotalen Weichteilschäden hat es sich bewährt, neben den Vakuumverbänden eine subcutane Tasche im Bereich des jeweils ipsilateralen medialen Oberschenkels für den oder die Hoden zu bilden, wodurch diese bei fehlendem Skrotum geschützt im Körper verbleiben und somit die Fertilität erhalten bleibt.
Verletzungen des Penis
Verletzungen des Penis treten meist in Kombination mit weiteren Verletzungen im Genital- und Abdominalbereich auf und finden in der Primärversorgung manchmal weniger Beachtung, da diese nicht lebensbedrohlich sind. Ein Riss der Schwellkörper führt bei inadäquater operativer Versorgung jedoch zu einer langfristigen erektilen Dysfunktion.
Bei Verletzungen des äußeren Genitals erfolgt im Bereich von Hoden und Penis ein sorgfältiges und zunächst eher sparsames Wunddebridement, um möglichst viel „Funktionsgewebe“ zu erhalten [9]. Second oder Third-Look Operationen zur Nekroseabtragung sind nach Stabilisierung des Patienten obligat und werden im interdisziplinären Setting stattfinden, da isolierte Genitalverletzungen in der Einsatzsituation eher selten zu erwarten sind. Um erektile Funktionsstörungen frühzeitig zu erkennen und zu therapieren, müssen diese im weiteren Verlauf sowie im Rahmen der Nachsorge aktiv thematisiert werden.
Verletzungen der männlichen Harnröhre
Harnröhrenverletzungen im Einsatz sind seltene, aber ernsthafte Verletzungen, die meist durch stumpfe Traumata im Beckenbereich verursacht werden [2]. Eine Makrohämaturie, Blut am Meatus urethrae und der Traumamechanismus deuten auf eine mögliche Harnröhrenverletzung hin. Häufig sind diese akut mit einem Harnverhalt verbunden. Im Verlauf drohen weitere Komplikationen wie Harnröhrenstrikturen [5].
Die operative Versorgung hängt von der Art und Schwere der Verletzung ab. In akuten Fällen kann eine sofortige chirurgische Intervention notwendig sein, insbesondere bei vollständiger Ruptur der Harnröhre. Hierbei wird oft eine primäre Rekonstruktion durchgeführt, bei der die verletzten Enden der Harnröhre reanastomosiert werden [3]. Ist eine sofortige Rekonstruktion nicht möglich, wird ein suprapubischer Katheter eingesetzt, um die Blase zu entlasten und die Harnröhre zu schonen [7]. Langfristig können rekonstruktive Eingriffe notwendig sein, um die Durchgängigkeit der Harnröhre wiederherzustellen. Dazu gehören Techniken wie die End-zu-End-Anastomose oder die Verwendung von Gewebetransplantaten. Die Prognose hängt stark von der Schwere der Verletzung und der Schnelligkeit der Behandlung ab. Eine frühzeitige und präzise operative Versorgung ist entscheidend, um Langzeitfolgen wie Inkontinenz oder erektile Dysfunktion zu minimieren.
Verletzungen der Harnblase
Harnblasenverletzungen sind im Einsatz relativ häufige und schwerwiegende Komplikationen, die durch Schuss- oder Explosionsverletzungen entstehen können [6][8]. Die Blase ist aufgrund ihrer Lage im Becken anfällig für direkte oder indirekte Traumata, besonders bei abdominalen Verletzungen. Solche Verletzungen sind oft mit erheblichen Blutungen, Infektionen und einer potenziell lebensbedrohlichen Sepsis verbunden.
Die chirurgische Behandlung hängt von der Art und dem Ausmaß der Verletzung ab. Bei einer extraperitonealen Ruptur, die häufig bei stumpfen Traumata vorkommt, ist meist die alleine Harnableitung ausreichend, bei größeren Traumata der Blase wird diese in der Regel durch eine chirurgische Naht repariert [12]. Bei intraperitonealen Rupturen, die häufiger bei penetrierenden Verletzungen auftreten, ist eine umfassendere chirurgische Exploration und Reparatur erforderlich. Diese kann eine vollständige Schichtung der Blasenwand und eine Spülung der Bauchhöhle umfassen, um Infektionen zu verhindern. Zur Einschätzung der Lokalisation und des Ausmaßes der Verletzung kann im Rahmen der akuten CT-Diagnostik eine Kontrastmittelfüllung der Blase erfolgen. Postoperativ wird meist ein Blasenkatheter über mehrere Wochen gelegt, um die Heilung zu unterstützen. Die Prognose hängt stark von der Schnelligkeit der Versorgung und der Begleitverletzungen ab. Eine rechtzeitige und adäquate chirurgische Intervention kann jedoch die meisten Komplikationen verhindern und die Überlebenschancen erheblich verbessern.
Nicht-traumatische Fertilitätseinschränkungen
Neben urogenitalen Verletzungen bestehen im Einsatz weitere Einflüsse mit andrologischer Relevanz. Stress, unzureichende Ernährung und Umweltfaktoren können hormonelle Ungleichgewichte hervorrufen, welche sich negativ auf die Männergesundheit auswirken. Vor allem Veränderungen des Testosteron- und Cortisolspiegels können einen rasch spürbaren Effekt auf Körper und Psyche nach sich ziehen, werden aber oft nicht erkannt. Ungleichgewichte können z. B. zu verminderter Libido, Erschöpfung, Stimmungsschwankungen und Gewichtszunahme führen. Eine medikamentöse Hormontherapie vor oder während des Einsatzes wird nicht empfohlen, da diese bei fehlendem Monitoring zu einem verstärkten Ungleichgewicht führen und schwerwiegende Herz- Kreislauferkrankungen nach sich ziehen kann. Eine präventive, ganzheitliche Gesundheitsversorgung im Rahmen der Einsatzvorbereitung, einschließlich Ernährungsberatung und Stressmanagement, kann dazu beitragen, hormonelle Ungleichgewichte zu minimieren. Darüber hinaus ist es wichtig, nach Beendigung des Einsatzes den Körper durch Rehabilitationsmaßnahmen ausreichend lang an die gewohnten Verhältnisse anzupassen.
Fertilitätsprotektion durch Kryokonservierung von Keimzellen oder Keimgewebe
Aufgrund des durchschnittlich jungen Alters der Soldaten im Einsatz ist die Familienplanung häufig nicht abgeschlossen. Die derzeit ergriffenen fertilitätsprotektiven Maßnahmen konzentrieren sich auf den mechanischen Schutz der Genitalien durch die persönliche Schutzausstattung, die aber für diesen Bereich technisch schwierig bis unmöglich ist. Diskutiert wird daher eine prophylaktische Kryokonservierung von Spermien vor Einsatzbeginn. Jedem Soldaten eine Kryokonservierung anzubieten, scheint jedoch aktuell logistisch nicht umsetzbar und so besteht die Herausforderung, diejenigen Soldaten mit dem höchsten Risiko urogenitaler Verletzungen zu identifizieren und eine Richtlinie zur Umsetzung zu etablieren.
Kernaussagen
- Urogenitalverletzungen haben einen negativen und langfristigen Einfluss auf Fertilität und Sexualfunktion.
- Der korrekte Umgang mit der persönlichen Schutzausstattung ist der wichtigste Faktor zur Vermeidung urogenitaler Verletzungen.
- Frühzeitige und korrekte chirurgische Behandlungen können Langzeitfolgen deutlich reduzieren.
- Nichttraumatische Ursachen für hormonelle Störungen sollten vor Einsatzbeginn identifiziert werden.
- Soldaten mit hohem Risiko für Urogenitalverletzungen sollte in Zukunft eine prophylaktische Kryokonservierung von Spermien angeboten werden.
Literatur
- Banti M, Walter J, Hudak S, Soderdahl D: Improvised explosive device-related lower genitourinary trauma in current overseas combat operations. J Trauma Acute Care Surg 2016; 80(1): 131-134. mehr lesen
- Barratt RC, Bernard J, Mundy AR, Greenwell TJ: Pelvic fracture urethral injury in males-mechanisms of injury, management options and outcomes. Transl Androl Urol 2018; 7(Suppl 1): S29-S62. mehr lesen
- Barros R, Silva M, Antonucci V, et al.: Primary urethral reconstruction results in penile fracture. Ann R Coll Surg Engl 2018 ; 100(1): 21-25. mehr lesen
- Kronstedt S, Peterson C: Combat-related urologic injuries. AUA News December 2023. , letzter Aufruf 23. Oktober 2024. mehr lesen
- Latini JM, McAninch JW, Brandes SB, et al.: SIU/ICUD Consultation on urethral strictures: epidemiology, etiology, anatomy, and nomenclature of urethral stenoses, strictures, and pelvic fracture urethral disruption injuries. Urology 2014; 83(3 Suppl): S1-7. mehr lesen
- Matlock KA, Tyroch AH, Kronfol ZN, et al.: Blunt traumatic bladder rupture: a 10-year perspective. Am Surg 2013; 79(6): 589-93. mehr lesen
- Mundy AR, Andrich DE: Urethral trauma. Part I: introduction, history, anatomy, pathology, assessment, and emergency management. BJU Int 2011; 108(3): 310-327. mehr lesen
- Pereira BM, de Campos CC, Calderan TR, et al.: Bladder injuries after external trauma: 20 years experience report in a population-based cross-sectional view. World J Urol 2013; 31(4): 913-917. mehr lesen
- Phonsombat S, Master VA, McAninch JW: Penetrating external genital trauma: a 30-year single institution experience. J Urol 2008; 180(1): 192-195; discussion 195-196. mehr lesen
- Shefi S, Raviv G, Eisenberg ML, et al.: Posthumous sperm retrieval: analysis of time interval to harvest sperm. Hum Reprod. 2006; 21(11): 2890-2893. mehr lesen
- Williams, M., et al. Management of combat-related urological trauma in the modern era. Nat Rev Urol 2013; 10: 504. mehr lesen
- Wirth GJ, Peter R, Poletti PA, Iselin CE: Advances in the management of blunt traumatic bladder rupture: experience with 36 cases. BJU Int. 2010; 106(9): 1344-1349. mehr lesen
Manuskriptdaten
Zitierweise
Hoppach KA: Andrologische Aspekte urogenitaler Traumata. WMM 2024; 68(12): 554-556.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-378
Verfasser
Oberfeldarzt Kim André Hoppach
Bundeswehrkrankenhaus Hamburg
Klinik für Urologie
Lesserstrasse 180, 22049 Hamburg
E-Mail: kimhoppach@bundeswehr.org
Manuscript data
Citation
Hoppach KA: [Andrological Aspects of Urogenital Trauma]. WMM 2024; 68(12): 554-556.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-378
Author
Lieutenant Colonel (MC) Kim André Hoppach
Bundeswehr Hospital Hamburg
Department of Urology
Lesserstrasse 180, 22049 Hamburg
E-Mail: kimhoppach@bundeswehr.org
Brauchen wir den Da Vinci-OP-Roboter für die Einsatzurologie?
Do we Need a Da Vinci Robotic System in Deployment Urology?
Karl von Dobschütza, Michael Wiedmannb
a Bundeswehrkrankenhaus Berlin, Klinik für Urologie
b Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz, Klinik für Urologie
Zusammenfassung
Technische Hilfsmittel wie ein Robotersystem stehen in einem Einsatzszenario nicht zur Verfügung. Die Urologen im Einsatz müssen also – entgegen dem aktuellen Trend zur minimalinvasiven Chirurgie in der Viszeralchirurgie und der Urologie – fachlich versiert sein und die Techniken der offenen Operation sicher beherrschen können.
Der Kompetenzerwerb in der offenen Operationstechnik gestaltet sich aufgrund des allgemeinen Trends zur robotischen Chirurgie zunehmend schwierig. Der Artikel zeigt, wie ein Operationsroboter für den Kompetenzerhalt in der offen operativen Chirurgie genutzt werden kann. Anhand der Niereneingriffe der Urologie des Bundeswehrzentralkrankenhauses Koblenz wird dargelegt, wie sich die Einführung des da Vinci-Roboters im Jahr 2014 auf die Niereneingriffe in den Jahren 2012 bis 2023 ausgewirkt hat.
Mit der Einführung des Operationsroboters im Jahr 2014 konnte die Anzahl der Niereneingriffe insgesamt gesteigert werden. Die Zahlen zeigen auch, dass die Anzahl der offen durchgeführten operativen Niereneingriffe gehalten werden konnte. Die Anwendung von Operationsrobotern in der Urologie wird sich für viele urologische Eingriffe als operativer Standard etablieren. Der Einsatz eines Operationsroboters in einer urologischen Klinik führt dennoch zu einer ausreichend hohen Anzahl offen operativer Eingriffe, welche für das Training der Einsatzurologen genutzt werden kann.
Schlüsselwörter: Urologie, militärischer Einsatz, Operationstechnik, da Vinci-System
Summary
Technical aids such as robotic systems are not available in deployment surgery. Contrary to the current trend towards minimally invasive surgery in visceral surgery and urology, urologists on deployment must be proficient and confident in performing open surgery techniques.
Due to the general trend towards robotic surgery, it is becoming increasingly difficult to acquire skills in open surgical techniques. This article demonstrates how a surgical robot can be used to maintain competence in open surgical techniques. The impact of introducing the da Vinci robot in 2014 on kidney surgeries from 2012 to 2023 at the Central Bundeswehr Hospital in Koblenz is presented.
The introduction of the surgical robot in 2014 led to an increase in the number of kidney operations. The figures also show that the frequency of open surgical kidney procedures could be maintained. Surgical robots in urology will establish itself as the standard for many urological procedures. Using a surgical robot in a urological clinic nevertheless leads to a sufficiently high number of open surgical procedures, which can be used to train field urologists.
Keywords: urology; military deployment; operative technique; da Vinci system
Einleitung
Um gefechtsassoziierte Verwundungen fachgerecht versorgen zu können, ist ein interdisziplinäres chirurgisches Team vonnöten. Innerhalb eines solchen chirurgischen Teams ist der Urologe der Spezialist für das Retroperitoneum, Becken und – gemeinsam mit dem Viszeralchirurgen – für das Abdomen [7]. Im Inland wird diese Expertise im Rahmen von uroonkologischen Operationen ausgebildet und in Übung gehalten. Es stellt sich nun die Frage, wie es gelingen kann, an einem Bundeswehrkrankenhaus eine solche Expertise zu erlangen bzw. die vorhandene Expertise zu erhalten.
Unstrittig ist es, dass nur durch regelmäßige Durchführung von uroonkologischen Operationen in einer hohen Anzahl die nötige Expertise erlangt und trainiert werden kann, unter den Bedingungen eines Einsatzszenarios sicher im Retroperitoneum, Becken oder Abdomen operieren zu können. In einem Einsatzszenario werden die Operationen typischerweise offen-operativ durchgeführt. Technische Hilfsmittel wie ein Robotersystem stehen nicht zur Verfügung. Die Urologen im Einsatz müssen also entgegen dem aktuellen Trend zur minimalinvasiven Chirurgie in der Viseralchirurgie und der Urologie fachlich versiert sein und die Techniken der offenen Operation sicher beherrschen. Der Kompetenzerwerb in der offenen Operationstechnik gestaltet sich aufgrund des allgemeinen Trends zur robotischen Chirurgie zunehmend schwierig.
Trend zum Operieren mit einem OP-Roboter
Die robotische Chirurgie hat zunehmend Einzug in die Urologie gefunden und breitet sich aktuell rasant weiter aus. Derzeit steigen die Eingriffszahlen stetig und auch die Indikationen für alle urologischen Operationen werden zunehmend erweitert [4].
Der Trend, Eingriffe zunehmend robotisch-assistiert durchzuführen, zeigt sich auch in wissenschaftlichen Publikationen zum Thema. So wurden in der Medizindatenbank PubMed von 1990–2023 insgesamt 25 668 Veröffentlichungen zu dieser Thematik publiziert, mit einem bis heute andauernden stetigen Anstieg der jährlichen Publikationszahl [2] (Abbildung 1).
Abb. 1: Kontinuierlicher Anstieg an Publikationen zum Thema „robotic assisted surgery“ von 1990–2023 in der Medizindatenbank PubMed [2]
Derzeit stehen in der Urologie noch prospektiv randomisierte vergleichende Studien aus, um unterschiedliche Operationstechniken zu vergleichen. Die roboterassistierte Chirurgie hat sich jedoch inzwischen durch ihre vielen positiven Aspekte und auf Wunsch der Patienten als Alternative zum offenen Operieren durchgesetzt.
Operatives Geschick, Anatomie und der da Vinci-OP Roboter
Insgesamt trägt der da Vinci-Roboter zur Verbesserung des operativen Geschicks bei, indem er präzisere Bewegungen ermöglicht, die Lernkurve verkürzt und durch bessere Visualisierung das Verständnis für die operative Anatomie steigert. Das Verständnis für die operative Anatomie ist neben der Präparation essenziell für die offen-operative Chirurgie.
Der da Vinci-Roboter selbst führt nicht direkt zu einem besseren Verständnis der Anatomie, kann aber durch seine technischen Möglichkeiten das anatomische Wissen der Operierenden indirekt verbessern. Folgende Faktoren spielen dabei eine Rolle [6]:
• Hochauflösende 3D-Visualisierung:
Das da Vinci-System bietet eine vergrößerte, hochauflösende 3D-HD-Sicht des Operationsfeldes. Dadurch sehen Chirurgen und Urologen anatomische Strukturen viel detaillierter, was ein tieferes Verständnis von Gewebe, Nerven und Blutgefäßen in den relevanten Bereichen fördert (Abbildung 2).
Abb. 2: Beste Sicht anatomischer Strukturen dank hochauflösender 3D-Visualisierung, hier dargestellt am Beispiel des Nierenstils (Bild aus [11])
• Präzise Dissektion und Gewebemanipulation:
Die Fähigkeit, Gewebe millimetergenau zu trennen, ermöglicht es Chirurgen, die Lage und Beziehung von Strukturen besser zu erfassen. Dies fördert das Erkennen und Schützen kritischer Strukturen wie Nerven und Blutgefäße (Abbildung 3).
Abb. 3: Da Vinci-Nierenbeckenplastik, hier Naht der Anastomose – Beispiel für präzise Gewebemanipulation und Darstellung kritischer Strukturen (Bild aus [11])
• Verbesserte Sicht auf kritische Strukturen:
Bei der Verwendung des da Vinci-Roboters können Chirurgen kleinste anatomische Details besser erkennen, was besonders in Bereichen wie der Prostata- oder der Kopf-Hals-Chirurgie wichtig ist. Das hilft ihnen, komplexe anatomische Verhältnisse besser zu verstehen und gezielter zu operieren (Abbildung 4)
Abb. 4: Sicht auf einen Nierentumor im Rahmen einer robotischen Nierenteilresektion (Bild aus [11])
• Schulung und Simulation:
Viele Ausbildungsprogramme für den da Vinci-Roboter umfassen detaillierte Simulationen und Trainings an realistischen anatomischen Modellen. Dadurch können Chirurgen die Anatomie virtuell üben und ein tiefgehendes Verständnis der menschlichen Anatomie erlangen, bevor sie reale Eingriffe durchführen.
• Bessere intraoperative Orientierung:
Der Roboter ermöglicht es Chirurgen, Strukturen während der Operation von verschiedenen Blickwinkeln aus zu betrachten, was ihnen hilft, eine dreidimensionale Vorstellung der Anatomie zu entwickeln und ihre Kenntnisse weiter zu vertiefen.
Der da Vinci-Roboter trägt somit vor allem durch seine präzise Visualisierung und die detaillierte intraoperative Ansicht zur Verbesserung des anatomischen Verständnisses und präparatorischen Geschicks bei.
Abb. 5: Zwei da Vinci-Konsolen für den Operateur – beste Voraussetzungen für die Ausbildung von weniger erfahrenen Urologen (Bild aus [11])
Da Vinci-Roboter: Stellenwert in der Urologie, Wettbewerb und Lernkurve
Das da Vinci-System von Intuitive Surgical Inc. hat sich in der Urologie um die Jahrtausendwende mit der Durchführung der ersten robotisch assistierten Prostatektomie als führendes System durchgesetzt [3][4].
Für die radikale Prostatektomie wurde jüngst in einer prospektiven randomisierten Studie die Überlegenheit des robotischen Vorgehens im Vergleich zur konventionellen Laparoskopie hinsichtlich der funktionellen Ergebnisse nach 3 Monaten bei einem vergleichbaren onkologischen Outcome festgestellt [8].
Die onkologischen Patienten der Gegenwart und nahen Zukunft sind bezüglich der Operationsverfahren meist sehr gut informiert und wissen über unterschiedliche Operationstechniken und deren Vorteile Bescheid. Sollte das gewünschte Operationsverfahren in einer Klinik nicht verfügbar sein, wird sich eine alternative Klinik in der Umgebung finden, die dieses Operationsverfahren anbieten kann. Wright et al. [13] konnten in einer amerikanischen Kohortenstudie den Einfluss des Wettbewerbs auf die Verwendung des OP-Roboters bestätigen. In einem hochkompetitiven Umfeld steigt die Wahrscheinlichkeit der Anwendung des robotischen Verfahrens signifikant an. So konnte eine Steigerung der Anzahl der Fälle mit Einsatz des Roboters bei der radikalen Prostatektomie um den Faktor 2,64 und den Faktor 1,7 für die partielle Nephrektomie festgestellt werden.
Um sich in dem Wettbewerb um die Durchführung der großen onkologischen Eingriffe in der Urologie zu behaupten, bzw. an dem Wettbewerb beteiligen zu können, ist es notwendig, robotisch assistierte Operationen anzubieten.
Der Patientenwunsch, uroonkologische Operationen mit einem OP-Roboter in minimalinvasiver Technik zu erhalten, steigt stetig an. Gleichzeitig besteht der Wunsch der urologischen Kliniken der Bundeswehr, weiterhin uro-onkologische Operationen auf hohem Niveau anzubieten. Nur durch hohe Patientenzahlen kann ein effektives Training der Urologen für ein Einsatzszenario durchgeführt und die bereits gewonnene Expertise gesichert werden.
Hohe Fallzahlen bringen Vorteile in der operativen Versorgung von Patienten und deren Behandler. Ein entsprechender Caseload bringt Vorteile wie die Standardisierung perioperativer Prozesse und eine Verkürzung der Lernkurve mit sich, sodass die Frequenz ein mögliches Surrogat für die Qualität onkologischer Eingriffe ist. Auch die S3-Leitlinie Prostatakarzinom empfiehlt, dass das Prostatakarzinom nur unter Leitung eines erfahrenen Urologen operiert werden soll und sieht hierbei als Orientierung 50 Prostatektomien pro Zentrum und 25 pro Operateur pro Jahr vor [1]. Weniger erfahrene Operateure, wie es junge Fachärzte für Urologie sind, erreichen bessere Ergebnisse in ihrer Lernkurve in einer Einrichtung mit einem hohen als in einer Einrichtung mit einem niedrigen Patientenaufkommen. Die Kompetenzen des Teams gleichen initiale Schwächen in der individuellen Lernkurve aus [9].
Gerade in der Robotik kann eine steile Lernkurve erreicht werden, da die Ausbildung dort immer weiter ausgebaut wird. Das Grundprinzip der Telemanipulation mit Steuerung der Instrumente durch die Operateure an der Remotekonsole hat sich im Laufe der letzten zwei Jahrzehnte kaum geändert. In der Robotik existieren in den Fachgesellschaften, wie der Deutschen Gesellschaft für roboterassistierte Urologie (DGRU) und der European Association of Urology Robotic Urology Section (ERUS) einheitliche Ausbildungsprogramme. In mehrmonatigen Curricula werden die Anfänger durch die Lernkurve der radikalen Prostatektomie und der Nierenteilresektion begleitet. Ein derart strukturiertes Erlernen einer Operationstechnik findet sich weder in der offenen operativen noch in der endoskopischen Urologie [10].
Über die Jahre hat die Robotik einen festen Platz in der weltweiten Urologie eingenommen. Dies wird bedingt durch den positiven Aspekt der hochpräzisen minimalinvasiven Operationstechnik, welche vom Patienten gewünscht und zurecht auch gefordert wird [5].
Niereneingriffe am Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz
Der Trend zur robotisch minimalinvasiven Chirurgie ist auch in den Bundeswehrkrankenhäusern mit einem Operationsroboter messbar und nachweisbar. Derzeit werden Operationsroboter an den Bundeswehrkrankenhäusern Ulm und Koblenz betrieben.
Seit dem Jahr 2014 wird in der Klinik für Urologie am Bundeswehrzentralkrankenhaus (BwZKrhs) in Koblenz die Nierenchirurgie mit dem da Vinci-Roboter durchgeführt. Seit der Einführung des Systems konnte sich die Klinik für Urologie im Wettbewerb um die Patientenströme deutlich behaupten. Neben der Steigerung der robotisch durchgeführten Eingriffe wurde auch eine relevante Anzahl offen operativer Niereneingriffe generiert. Die Abbildung 6 zeigt deutlich, wie auch die offen operative Expertise in der Klinik seit der Einführung des OP-Roboters auf hohem Niveau von 2012–2023 gehalten werden konnte.
Abb. 6: Entwicklung der Anzahl der Niereneingriffe in der Klinik für Urologie am Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz von 2012 bis 2023: Seit Einführung des da Vinci-Roboters im Jahr 2014 haben sowohl die roboterassistierten Eingriffe als auch die Gesamtzahl kontinuierlich zugenommen [12].
Die Grafik zeigt eindrücklich, wie man in Zukunft Urologen in der offenen operativen Nierenchirurgie zu fachlich versierten Operateuren für den Einsatz ausbilden kann. Nur durch die Einführung der roboterassistierten Operationen kann die Gesamtzahl an Niereneingriffen deutlich gesteigert und dadurch auch die Expertise in der offenen Nierenchirurgie erhalten bleiben. Andernfalls würde die Anzahl an Operationen durch ausbleibende Zuweisungen sinken.
Fazit
Urologen im Einsatz müssen vor allem in der Lage sein, offene operative Eingriffe im Retroperitoneum, Becken und Abdomen durchzuführen. Hierzu müssen Sie regelmäßig trainiert und in Übung gehalten werden. Typischerweise findet dieses Training im Rahmen von uroonkologischen Operationen statt. Patienten wählen heute eine Klinik selbstbestimmt aus, nachdem sie sich über die angebotenen Therapieverfahren informiert haben.
Die oben dargestellten Trends zur Anwendung von Operationsrobotern in der Urologie in Bezug auf Eingriffszahlen, Patientenströme, Leitlinienempfehlungen und wissenschaftliche Aktivität führen zu dem Schluss: Die robotisch-assistierte Chirurgie wird sich für viele urologische Eingriffe als operativer Standard etablieren.
- Das Vorhandensein oder Nicht-Vorhandensein eines roboterassistierten Operationssystems wird zukünftig sehr wahrscheinlich noch mehr als heute Patientenströme lenken.
- Die Anwendung eines robotischen Systems steht nur scheinbar im Gegensatz zu den Anforderungen eines Urologen im Einsatzszenario: Präparatorische und anatomische Kenntnisse werden aufgebaut und erhalten.
- Indikationen zur offenen Operationsdurchführung werden erhalten bleiben.
- Urologische Kliniken ohne eine hohe minimalinvasive Kompetenz werden zukünftig seltener Patienten zugewiesen bekommen.
- Urologen für den Einsatz können in Zukunft nur bei gleichzeitiger Ausbildung in minimalinvasiven Operationsverfahren auch offen operativ fachlich adäquat ausgebildet werden.
Literatur
- Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlich medizinischer Fachgesellschaften AWMF): Interdisziplinäre Leitlinie derQualität S3 zur Früherkennung, Diagnose und Therapie der verschiedenen Stadien des Prostatakarzinoms - Langversion 7.0,“ 2024. , letzter Aufruf am 30. September 2024. mehr lesen
- Brunner M, ElGendy A, Denz A, et al.: Roboterassistierte viszeralchirurgische Eingriffe in Deutschland : Eine Analyse zum aktuellen Stand sowie zu Trends der letzten 5 Jahre anhand von StuDoQ|Robotik-Registerdaten. Chirurgie 2023; 94(11): 940-947. mehr lesen
- Cormi C, Parpex G, Julio C, et al.: Understanding the surgeon's behaviour during robot-assisted surgery: protocol for the qualitative Behav'Robot study. BMJ Open 2022; 12(4): e056002. mehr lesen
- GandagliaG, Montorsi F, Karakiewicz P, Sun M: Robot-assisted radical prostatectomy in prostate cancer. Future Oncol 2015; 11(20): 2767-2773. mehr lesen
- Harke N: Robotik in der Urologie – ein Muss? Uro_News 2021; 25: 30-33.
- Intuitive DE: Roboter-assisitierte Chirurgie. 2024. , letzter Aufruf am 30. September 2024. mehr lesen
- Schoch J, Matthies C, Heidenreich H, et al.: Urology during Afghanistan mission: lessons learned and implications for the future. World J Urol 2023; 41(8): 2195-2200. mehr lesen
- Stolzenburg JU, Holze S, Arthanareeswaran VK, et al.: Robotic-assisted versus laparoscopic radical prostatectomy: 12-month outcomes of the multicentre randomised controlled LAP-01 Trial. Eur Urol Focus 2022; 8(6): 1583-1590. mehr lesen
- Van den Broeck T, Opera-Lager D, Moris L, et a.l: A systematic review of the impact of surgeon and hospital caseload volume on oncological and nononcological outcomes after radical prostatectomy for nonmetastaticprostate cancer. EUR Urol 2021; 80(5): 531-545. mehr lesen
- Volpe A, Ahmed K, Dasgupta P, et al.: Pilot validation study of thee European association of urology robotic training curriculum. Eur Urol 2015; 68(2): 292-299. mehr lesen
- Von Dobschütz K: Intraoperative Bilder mit dem daVinci System am Bundeswehrkrankenhaus Ulm. Ulm, 2020.
- Wiedmann M: Niereneingriffe der Klinik für Urologie 2012-2023. Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz, 2024.
- Wright J, Tergas A, Hou J, et al.: Effect of regional hospital competition and hospital financial status on the use of robotic-assisted surgery. JAMA Surgery 2016; 151(7): 612-620. mehr lesen
Manuskriptdaten
Zitierweise
von Dobschütz K, Wiedmann M: Brauchen wir den Da Vinci-OP-Roboter für die Einsatzurologie? WMM 2024; 68(12): 557-561.
DOI: https://doi.org/DOI 10.48701/opus4-377
Für die Verfasser
Oberfeldarzt Dr. Karl von Dobschütz, MBA
Bundeswehrkrankenhaus Berlin
Klinik für Urologie
Scharnhorststrasse 13, 10115 Berlin
E-Mail: karlvondobschuetz@bundeswehr.org
Manuscript Data
Citation
von Dobschütz K, Wiedmann M: [Do we need a Da Vinci robotic system in deployment urology?]. WMM 2024; 68(12): 557-561.
DOI: https://doi.org/DOI 10.48701/opus4-377
For the Authors
Lieutenant Colonel (MC) Dr. Karl von Dobschütz, MBA
Bundeswehr Hospital Berlin
Department of Urology
Scharnhorststrasse 13, 10115 Berlin
E-Mail: karlvondobschuetz@bundeswehr.org