Die rekonstruktive Urologie in der Wehrmedizin
Reconstructive Urology in Military Medicine
Kristin Zimmermanna, Dirk Liebchenb
a Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz, Klinik für Urologie
b Bundeswehrkrankenhaus Hamburg, Klinik für Urologie
Zusammenfassung
Die rekonstruktive Urologie ist ein unverzichtbarer Bestandteil der modernen Urologie. Ihr kommt eine wesentliche Rolle bei der Wiederherstellung der anatomischen und funktionellen Integrität des Urogenitaltrakts zu. Besonders im militärischen Kontext hat sie eine hohe Relevanz, da traumatische Verletzungen des Urogenitaltrakts bei Soldaten in Kriegs- und Krisengebieten häufig auftreten. Diese Verletzungen, die oft durch Schuss- oder Explosionsverletzungen verursacht werden, erfordern eine spezialisierte chirurgische Versorgung, um lebensbedrohliche Komplikationen zu vermeiden und die Harn- und sexuelle Funktion langfristig wiederherzustellen.
Da urologische Verletzungsmuster im täglichen Klinikbetrieb selten sind und militärische Einsätze derzeit unregelmäßig stattfinden, ist es für Urologen und Chirurgen von entscheidender Bedeutung, ihre rekonstruktiven Fähigkeiten kontinuierlich zu trainieren und weiterzuentwickeln. Zivilmedizinische Krankheitsbilder wie Harnröhren- und Harnleiterstrikturen, die Fournier’sche Gangrän, Penisfrakturen sowie die operative Therapie der Belastungsharninkontinenz bieten hierbei wertvolle Szenarien, um komplexe rekonstruktive Techniken zu erlernen und zu perfektionieren.
Um den hohen Ausbildungsstandard in diesem Bereich aufrechtzuerhalten, sind zusätzliche Trainingsmethoden wie Fellowships, Austauschprogramme und der Einsatz von modernen Simulations- und Virtual Reality-Trainingsmodellen notwendig. Diese ermöglichen es den Urologen, ihre Fähigkeiten in einer sicheren und kontrollierten Umgebung zu schulen und auf realitätsnahe Szenarien vorzubereiten.
Die enge interdisziplinäre Zusammenarbeit mit plastischen Chirurgen, Traumatologen und Intensivmedizinern ist entscheidend, um die bestmögliche Versorgung dieser komplexen Verletzungen zu gewährleisten. Die gewonnenen Erkenntnisse und Fortschritte aus der militärischen Versorgung kommen zudem auch der zivilen Patientenversorgung zugute, was die Bedeutung der rekonstruktiven Urologie in beiden Bereichen unterstreicht.
Schlüsselwörter: Rekonstruktive Urologie, Urogenitaltrauma, Militärmedizin, Urologische Versorgung, Interdisziplinäre Zusammenarbeit
Summary
Reconstructive urology is a crucial component of modern urological practice, focusing on the restoration of the anatomical and functional integrity of the urogenital tract. It´s significance is particularly pronounced in military medicine, where urological trauma among soldiers happens in war zones and crisis areas. These injuries, often resulting from gunshot wounds or explosive devices, require specialized surgical management to prevent life-threatening complications and to ensure long-term restoration of urinary and sexual function. As urological injury patterns are rare in daily clinical practice and military deployments are currently irregular, urologists and surgeons need to refine and develop their reconstructive skills continuously. Civilian pathologies, such as urethral and ureteral strictures, Fournier’s gangrene, penile fractures, and the surgical management of post-prostatectomy incontinence, serve as valuable training scenarios to master complex reconstructive techniques.
To maintain high standards of expertise, additional training opportunities such as fellowships, exchange programs, and implementing advanced simulation and VR training models are imperative. These modalities enable surgeons to hone their skills in a safe, controlled environment, preparing them for realistic clinical scenarios.
Moreover, close interdisciplinary collaboration with plastic surgeons, trauma specialists, and intensivists is vital to achieving optimal outcomes in managing complex urological trauma. Insights and advancements gained from military medical care also benefit civilian healthcare, underscoring the broader relevance of reconstructive urology across both domains.
Keywords: reconstructive urology; urological trauma; military medicine; urological management; interdisciplinary collaboration
Einleitung und Hintergrund
Die rekonstruktive Urologie ist der essenzielle Bestandteil der Urologie, der sich mit der Wiederherstellung und Verbesserung der anatomischen und funktionellen Integrität des Urogenitaltrakts beschäftigt. Dieser Fachbereich ist von entscheidender Bedeutung, da er sowohl die Lebensqualität als auch die funktionelle Gesundheit von Patienten maßgeblich beeinflusst, die durch angeborene Anomalien, erworbene Erkrankungen, Traumata oder operative Eingriffe beeinträchtigt sind.
In Kriegs- und Krisengebieten sind Verletzungen des Urogenitaltraktes häufig, insbesondere bei Soldaten, die in Bodengefechte verwickelt sind oder durch Sprengkörper verletzt werden. Der Urogenitaltrakt ist bei etwa 10 % der schwer verletzten Soldaten betroffen [23]. Diese Verletzungen erfordern sofortige chirurgische Interventionen, um lebensbedrohliche Komplikationen zu verhindern und langfristig rekonstruktive Maßnahmen, um die Funktion des Harnsystems und die sexuelle Funktion wiederherzustellen.
Da Einsätze jedoch unregelmäßig sind und spezialisierte Verletzungsmuster im zivilen klinischen Alltag nicht häufig vorkommen, ist es von zentraler Bedeutung, dass Urologen und Chirurgen auch außerhalb der Einsätze kontinuierlich ihre Fähigkeiten weiterentwickeln und trainieren können. Der klinische Alltag bietet dabei zahlreiche Krankheitsbilder, die als wertvolle Übungsfelder dienen, um rekonstruktive Techniken zu erlernen und zu perfektionieren.
Klinische Krankheitsbilder
Fournier’sche Gangrän
Die Fournier’sche Gangrän, eine lebensbedrohliche nekrotisierende Fasziitis des Perineums und der Genitalregion, erfordert eine sofortige und aggressive chirurgische Intervention sowie die Applikation eines Breitspektrum-Antibiotikums und ggf. intensivmedizinische Betreuung.
Zugrunde liegt meist eine Mischinfektion aus gramnegativen und grampositiven Erregern. Besonders bei Infektionen im Analbereich scheint eine Synergie zwischen anaeroben Keimen (wie z. B. Bacteroides, Fusobacterium, Clostridium) und aeroben Bakterien (wie E. coli, Enterokokken, Klebsiellen) vorzuliegen. Bei Auftreten im urogenitalen Bereich finden sich teilweise auch Monoinfektionen, dann meist durch Streptokokken oder Staphylococcus aureus. Das Krankheitsbild der Fournier‘schen Gangrän ist mit einer sehr hohen Letalität von 20–40 % assoziiert. Die Prognose kann erheblich verbessert werden, wenn die Diagnose frühzeitig gestellt und eine konsequente multimodale Therapie eingeleitet wird [2].
Die Fournier‘sche Gangrän bietet ein sehr anspruchsvolles Trainingsszenario, um Debridement-Techniken und die Rekonstruktion von Weichgewebsdefekten zu erlernen und zu praktizieren. Gleichzeitig ermöglicht sie wertvolle Erfahrungen in der Behandlung von Traumata des äußeren Genitals, da der chirurgische Eingriff nicht nur die Entfernung des nekrotischen Gewebes umfasst, sondern auch die funktionelle und ästhetische Wiederherstellung der betroffenen Strukturen (Abbildung 1). Rekonstruktive Eingriffe wie Hauttransplantationen oder Lappenplastiken sind notwendig, um die anatomische Funktion und Ästhetik des Genitale wiederherzustellen. Sie erfordert häufig ein interdisziplinäres Team aus Urologen, plastischen Chirurgen und Intensivmedizinern.
Abb. 1: Vergleichbare Situationen:
(A) Situs nach Debridement der linken Leiste bei Fournier’scher Gangrän
(B) Sprengverletzung äußeres Genitale
(Bild 1A: Dr. Florian Hartmann)
Harnleiter- und Harnröhrenstriktur
Strikturen entstehen infolge von Entzündungen, Traumata oder iatrogenen Verletzungen [15]. Die operative Rekonstruktion dieser Strikturen, ob durch End-zu-End-Anastomosen oder den Einsatz von Gewebetransplantaten wie Mundschleimhaut, bietet dem operativ tätigen Urologen die Möglichkeit, rekonstruktive Fähigkeiten zu erlernen und zu festigen. Die erlernten Techniken können dann bei der Rekonstruktion traumatisch verletzter Harnröhren und Harnleiter angewendet werden.
Harnleiter
Bei den traumatischen Harnleiterverletzungen stehen iatrogene Ursachen im Vordergrund. 18 % der Harnleiterverletzungen entstehen durch externe, stumpfe Traumata und ca. 7 % durch offene Verletzungen [8]. Postradiogene Harnleiterläsionen sind seltener. Die primär ideopathische Retroperitonealfibrose (Morbus Ormond) kann als seltene chronisch entzündlich-fibrosierende Erkrankung des hinteren Bauchraumes ebenfalls zu rekonstruktionsbedürftigen Harnleiterveränderungen führen. Im Ergebnis liegt vor Rekonstruktion entweder eine Harnleiterenge mit Abflussstörung oder eine Kontinuitätsunterbrechung des Harnleiters mit Notwendigkeit der perkutanen Harnableitung der betroffenen Niere vor. Ziel der operativen Therapie ist deshalb die Rekonstruktion eines ausreichend weiten Harnleiters zum Erhalt der Nierenfunktion. Zur Wahl des geeigneten operativen Verfahrens ist es essenziell, die Lage der Harnleiterenge und dessen Länge exakt festzustellen. Neben der radiologischen Schnittbilddiagnostik mittels Computer- oder Magnetresonanztomografie kommen konventionelle Kontrastmittelbildgebungen von Harnleiter und Nierenbecken (retrograd/antegrad) sowie die endoskopische Diagnostik mittels Ureterorenoskopie (retrograd/antegrad) zum Einsatz. Eine Nierenfunktionsszintigraphie mit Bestimmung der seitengetrennten Nierenfunktion sollte vor einer Rekonstruktion durchgeführt werden.
Bezüglich der Lage der Harnleiterenge unterscheidet man proximale Engen (bis 5 cm distal des Nierenbeckenabgangs) von mittleren (bis oberhalb der iliakalen Gefäßkreuzung) und distalen (unterhalb der Gefäßkreuzung bis zur Uretermündung in die Harnblase) Harnleiterengen. Bezüglich der Länge unterscheidet man kurzstreckige (< 3 cm) von langstreckigen Engen (> 3 cm).
Proximaler Ureter
Bei kurzstreckigen Strikturen am Nierenbeckenabgang oder im Bereich des proximalen Harnleiters erfolgt die operative Therapie mittels Nierenbeckenplastik. Die am häufigsten angewandte operative Technik ist die Nierenbeckenplastik nach Andersen-Hynes [1]. Nach Exzision der Engstelle und Spatulierung des proximalen Harnleiters auf einer Länge von 2–3 cm erfolgt die Re-Anastomose von Harnleiter und Nierenbecken über eine eingebrachte Harnleiterschiene. Weitere operative Verfahren, die je nach intraoperativem Situs Vorteile bieten können, sind die Y-V-Plastik nach Foley (bei hohem Ureterabgang) sowie die Flap-Techniken mittels Spirallappen (nach Culp Deweerd) oder Schwenklappen (nach Scardino) bei längerstreckigen Engen. Kurzstreckige Harnleiterengen im proximalen und mittleren Harnleiter können primär reseziert werden. Die Harnleiterenden werden anschließend gegenläufig spatuliert und über einer intraoperativ eingelegten Harnleiterschiene re-anastomosiert.
Mittlerer Ureter oder komplex langstreckig
Bei langstreckigen Harnleiterdefekten kommen Harnleiterersatzverfahren zum Einsatz. Der Harnleiterersatz durch ein ausgeschaltetes Ileumsegment ist seit Jahren fester Bestandteil des rekonstruktiven Repertoirs. Die Rekonstruktion erfolgt in der Regel vom proximal intakten Ureter oder Nierenbecken bis zur Harnblase. Bei Verwendung eines tubularisierten Ileumsegmentes wird dessen Länge in Abhängigkeit vom zu rekonstruierenden Harnleiterdefekt gewählt und ca. 30 cm von der Ileozökalklappe entfernt ausgeschaltet. Die freien Dünndarmenden werden zur Wiederherstellung der Dünndarmkontinuität re-anastomisiert. Das Darmsegment wird isoperistaltisch zwischen Nierenbecken oder Harnleiter und Harnblase implantiert. Die Anastomose zur Harnblase kann refluxiv oder antirefluxiv erfolgen. Mögliche postoperative Komplikationen sind rezidivierende Infekte, Schleim- und Steinbildung sowie Störungen des Säure-Base-Haushaltes bis hin zur metabolischen Azidose. Um diese Komplikationen zu reduzieren, kommen neben tubularisierten Ileumsegmenten (Vollrohr-Ersatz) auch rekonfigurierte Ileumsegmente in der Technik nach Yang-Monti als Harnleiterersatz zum Einsatz. Hierzu wird lediglich ein ca. 6–10 cm langes Ileumsegment benötigt. Dieses wird anschließend in 3 Subsegmente unterteilt, die nach antimesenterialer Eröffnung und 90°-Rotation längs zu einem tubulären Harnleiterersatz über eine Harnleiterschiene vernäht werden. In jüngerer Vergangenheit kommen häufiger Mundschleimhauttransplantate bei der langstreckigen Harnleiterrekonstruktion zur Anwendung. Diese gelten bereits seit vielen Jahren als Goldstandard bei der Harnröhrenrekonstruktion [19].
Nach Darstellung des Harnleiters wird die Enge bis in den beiderseitig weiten Harnleiterabschnitt inzidiert. Anschließend wird das Mundschleimhaut-Graft in Onlay-Technik über eine Harnleiterschiene eingenäht. In der Regel wird der so rekonstruierte Harnleiteranteil anschließend mit einem Omentumlappen ummantelt, um die Blutversorgung des Transplantates sicherzustellen. In der Literatur ist der Einsatz von Mundschleimhauttransplantaten zur Rekonstruktion von Harnleiterengen bis 11 cm beschrieben [10] (Abbildung 2).
Abb. 2: Harnleiterrekonstruktion mit Mundschleimhaut-Graft
Selten erfolgen bei langstreckigen Harnleiterengen die Transureteroureterostomie oder die renale Autotransplantation. Bei der Transureteroureterostomie wird der proximale Ureter der geschädigten Seite mobilisiert und retroperitoneal zur gesunden Seite verlagert und anschließend in den kontralateralen Harnleiter mittels End-zu-Seit-Anastomose eingenäht. Dieses Verfahren kann folglich erwogen werden, wenn der Defekt im Bereich des mittleren und distalen Ureters lokalisiert ist. Die renale Autotransplantation kann bei komplexer Harnleiterverletzung und Kontraindikationen zur Verwendung von Dünndarm zum Harnleiterersatz erwogen werden. Hierbei wird die Niere ins ipsilaterale kleine Becken transplantiert. Das Verfahren ist technisch anspruchsvoll und bleibt Urologen mit Erfahrungen in der Nierentransplantation vorbehalten.
Distaler Ureter
Strikturen des distalen Harnleiters werden mittels Ureterneuimplantation behandelt. Dieses Verfahren wird häufig mit einer Boari-Plastik und einem Psoas-Hitch kombiniert [7]. Bei kurzstreckigen Engen wird zunächst die Striktur reseziert und der proximale Ureteranteil spatuliert. Anschließend erfolgt die Reimplantation in die Rückwand der Harnblase. Bei längerstreckigen distalen Harnleiterdefekten ist eine ausreichende Mobilisierung der Harnblase nach kranial erforderlich. Mittels Psoas-Hitch-Plastik wird die Harnblase durch Nähte an der Sehne des Psoasmuskels kranial fixiert. Die Harnblase wird nun quer zur Zugrichtung eröffnet und nach Ureterneuimplantation längs verschlossen.
Mittels Boari-Plastik können Defekte des distalen Harnleiters von einer Länge bis 15 cm überbrückt werden. Hierzu wird bei guter Blasenkapazität ein Detrusorlappen mit einer Basis von ca. 4 cm und einer Länge in Abhängigkeit vom zu rekonstruierenden Defekt präpariert. Dieser Flap wird anschließend tubularisiert und mit dem proximalen Ureterende reanastomosiert. Durch Kombination mit der Psoas-Hitch-Technik können auch längere Defektlängen überbrückt werden [7].
Harnröhrenstriktur
Männliche Harnröhrenstrikturen (US) sind ein weit verbreitetes und anspruchsvolles Gesundheitsproblem, das mit dem Altern der Bevölkerung zunimmt [4]. Die geschätzte Prävalenz liegt zwischen 229 und 627 Fällen pro 100 000 Erwachsenen [22]. Minimal-invasive endoskopische Verfahren sind die am häufigsten verwendeten Behandlungsoptionen bei primären und rezidivierenden Strikturen. Diese Verfahren sind nur in ausgewählten Fällen kurativ und zeigen eine begrenzte Erfolgsrate, wenn sie mehr als zweimal wiederholt werden [11]. Wiederholte Eingriffe sind zwar wirtschaftlich nicht effizient, beeinträchtigen jedoch den Erfolg einer späteren Harnröhrenrekonstruktion nicht.
Die Mundschleimhautplastik ist die definitive Therapie für die meisten vorderen Strikturen und zeigt hervorragende Langzeitergebnisse. Sie stellt die primäre Behandlungsoption bei entsprechender Indikation dar. Es existieren eine Vielzahl von Techniken zur Harnröhrenrekonstruktion, die je nach Striktur und Patientenmerkmalen eingesetzt werden können [16].
Die männliche Harnröhre wird durch das Diaphragma urogenitale in die vordere (penil, bulbär) und die hintere Harnröhre (membranös, prostatisch) unterteilt. Bei Vorliegen einer Harnröhrenstriktur ist zunächst eine radiologische Diagnostik als Kombinationsuntersuchung bestehend aus retrograder Urethrographie (RUG) und Miktionzystourethrographie (MZU) erforderlich. Durch diese Untersuchung kann die anteriore und posteriore Harnröhre suffizient beurteilt werden. Harnröhrensonografie und Urethroskopie können ergänzend eingesetzt werden. Für kurze nicht obliterierte bulbäre Strikturen (< 2 cm) sind einmalige endoskopische Sicht-Urethrotomien und Dilatation über einen radiologisch oder endoskopisch platzierten Führungsdraht gleichwertige Therapieoptionen [16].
Die Harnröhrenplastik ist der Goldstandard bei der Therapie der rezidivierenden kurzstreckigen bulbären Harnröhrenstriktur, der penilen Harnröhrenstriktur und der komplexen langstreckigen Harnröhrenstriktur. Eine Harnröhrenplastik sollte frühestens 3 Monate nach der letzten Harnröhrenmanipulation durchgeführt werden.
Kurzstreckige bulbäre Strikturen können durch Strikturresektion und primäre Anastomose behandelt werden. Bei längerstreckigen Strikturen und bei penilen Strikturen kommt die Augmentationsurethroplastik unter Verwendung eines freien Mundschleimhauttransplantates zum Einsatz. Der operative Zugangsweg ist hier abhängig von der Strikturlokalisation. Bulbäre und penobulbäre Strikturen werden über einen perinealen Zugang erreicht. Nach Darstellung der Harnröhre wird die Striktur bis in die gesunde Harnröhre inzidiert. Diese dann verbleibende dorsale Urethralplatte wird anschließend durch Platzierung eines ausreichend langen Mundschleimhauttransplantates (i. d. R. aus der Wange), welches in Onlay-Technik über einen Dauerkatheter eingenäht wird, augmentiert. Mehrzeitige Harnröhrenplastiken kommen bei komplexen langstreckigen Harnröhrenstrikturen mit schlechter Qualität der Urethralplatte zur Anwendung. In einem ersten Schritt wird die Urethralplatte durch die Transplantation von Mundschleimhaut oder Spalthaut aufgebaut. In einem zweiten Schritt (nach ca. 6 Monaten) kann dann die Tubularisierung der Urethra erfolgen.
Bei der augmentierten Anastomose wird die Harnröhre nach Strikturresektion dorsal anastomisert und ventral mittels Mundschleimhaut-Graft augmentiert. Strikuren betreffen mit 92 % überwiegend die anteriore und zu 8 % die posteriore Harnröhre [5].
Die posteriore Harnröhre reicht vom Blasenhals bis zur membranösen Harnröhre (Sphinkterniveau). Bei Blasenhalsstenosen werden initial transurethrale Verfahren (Dilatation, Sichturethrotomie, transurethrale Resektion) angewandt. In der Rezidivsituation haben neben diesen endoskopischen Verfahren auch offene rekonstruktive Verfahren wie die Y-V-Plastik ihren Platz. Bei Versagen dieser Therapien verbleibt die Harnableitung durch einen suprapubischen Katheter.
Bei bulbomembranösen Harnröhrenstrikturen ist die Therapie von Länge und Obliteration abhängig. Obliterierte Strikturen werden primär rekonstruktiv angegangen. In Abhängigkeit von der Länge erfolgt die Therapie mittels Exzision und primärer Anastomose oder mittels Augmentationsurethroplastik. Nicht obliterierte Strikturen werden analog der bereits vorgestellten bulbären Striktur therapiert.
Die Harnröhrenverletzung tritt bei ca. 25 % der Beckenfrakturen auf. Die Mortalität der Beckenverletzungen mit Harnröhrenverletzung ist mit 5–33 % jedoch erheblich [3]. Im Primärmanagement wird ein frühzeitiges endoskopisches Realignement (drahtgeführte Katheteranlage) angestrebt, um die spätere Rekonstruktion zu erleichtern oder erst zu ermöglichen. Spätere rekonstruktive Eingriffe sollten erst nach Stabilisierung der schwerwiegenden begleitenden Verletzungen und in Referenzzentren mit hoher Fallzahl erfolgen [3] (Abbildung 3).
Abb. 3: Rekonstruktion einer langstreckigen penobulbären Harnröhrenenge mittels Mundschleimhaut-Graft
Boutonniere (perineale Urethrostomie)
Die Anlage einer Boutonniere beschreibt die Ausleitung der Harnröhre nach perineal. Sie setzt eine intakte bulbäre und posteriore Harnröhre voraus, sofern keine Harnableitung mittels Katheter beabsichtigt wird (Abbildung 4). Die distale anteriore Harnröhre wird bei dieser definitiven Harnableitung aufgegeben [17].
Abb. 4: Anlage einer Boutonniere/perineale Urethrostomie:
(A) perineale Hautinzision in Form eines umgekehrten „U“
(B) longitudinale, ventrale Inzision der freipräparierten Harnröhre (ca. 4–6cm)
(C) spannungsfreie Adaptation des Apex des umgekehrten „U Hautlappens“ an die Enden der proximalen Harnröhre, zirkuläre Adaptation der Haut an die distale Harnröhrenöffnung
Die „Ultima Ratio“-Lösung ist folglich Patienten vorbehalten, die aufgrund vorangegangener fehlgeschlagener Rekonstruktionen keine weitere Therapieoption haben oder aufgrund von Alter oder Performancestatus für eine Harnröhrenplastik nicht infrage kommen.
Penisfraktur
Die Penisfraktur ist ein seltenes, aber ernstes urologisches Notfallbild, das operativ behandelt werden muss. Die Therapie sollte innerhalb von 24 h nach dem Trauma erfolgen [13]. Die häufigste Ursache einer Penisfraktur ist ein Biegetrauma des erigierten Penis, das meist beim Geschlechtsverkehr oder durch bestimmte Masturbationspraktiken auftritt (Abbildung 5). Der resultierende Defekt der Tunica albuginea ist oft tastbar. Ein Blutaustritt aus dem Meatus deutet auf eine begleitende Harnröhrenverletzung hin [12]. In der Diagnostik unterstützt ein kontrastmittelverstärktes MRT dabei, bei unklaren Fällen Risse in der Tunica albuginea zu identifizieren oder sicherzustellen, dass diese intakt ist.
Abb. 5: Vergleichbarer Situs:
(A) Penisfraktur
(B) Splitterverletzung des Penis mit Defekt der Tunica albuginea
Die Penisfraktur tritt in zivilen Kliniken häufiger auf als in Einsatzszenarien, bietet jedoch ein ideales Trainingsfeld für die schnelle Diagnostik und chirurgische Versorgung von urologischen Traumata. Operative Techniken, die bei der Versorgung der Penisfraktur angewandt werden, lassen sich auch bei traumatischen Schwellkörperverletzungen in Einsatzszenarien anwenden (Abbildung 5).
Die operative Versorgung sieht die zirkuläre Inzision proximal des Sulcus coronarius mit Mobilisierung der Penisschafthaut bis zur Basis vor. Bei sicherer präoperativer Lokalisation der Schwellkörperverletzung kann auch ein direkter seitlicher Zugang zum Penisschaft gewählt werden. Die Naht der Tunica albuginea erfolgt mit kräftigen synthetischen resorbierbaren Fäden. Begleitende Harnröhrenverletzungen sollten über einem Katheter verschlossen werden. Ein zirkulärer Kompressionsverband kann die weitere Schwellung verhindern [9].
Induratio Penis plastica
Ein weiteres Krankheitsbild, welches essenzielle rekonstruktive Fähigkeiten zur Wiederherstellung von Funktion und Ästhetik erfordert, ist die chirurgische Behandlung der Induratio penis plastica (IPP). Die IPP, auch bekannt als Morbus Peyronie, ist eine erworbene Fibrose der Tunica albuginea des Penis. Sie kann zu Schmerzen, Penisdeviation sowie erektiler Dysfunktion führen. Diese Erkrankung ist durch die Bildung von fibrotischem Gewebe gekennzeichnet, das die normale Funktion des Penis beeinträchtigt und oft eine Verkrümmung während der Erektion verursacht (Abbildung 6).
Abb. 6: IPP mit ausgeprägter präoperativer Deviation
Die Behandlungsmöglichkeiten richten sich nach dem Schweregrad der Symptome und umfassen sowohl konservative als auch chirurgische Ansätze. Die konservative Therapie zielt in erster Linie darauf ab, Symptome zu lindern und das Fortschreiten der Erkrankung zu verlangsamen, insbesondere bei Patienten, die für operative Eingriffe nicht in Frage kommen oder diese ablehnen.
Eine Operation ist dann indiziert, wenn eine signifikante Peniskrümmung vorliegt und Probleme beim Geschlechtsverkehr auftreten, die zu einer deutlichen Beeinträchtigung des sexuellen Wohlbefindens führen. Die Erkrankung sollte hierfür seit mindestens 6 Monaten stabil sein oder mindestens neun bis zwölf Monate seit dem Beginn der Peyronie-Krankheit vergangen sein [21]. Zur operativen Versorgung stehen grundsätzlich drei Verfahren zur Auswahl, die in Abhängigkeit von Penislänge, Ausmaß der Penisdeviation und Erektionsfähigkeit zum Einsatz kommen [9].
Korporoplastik
Bei einem stark verkürzten oder deformierten Penis und gleichzeitig gut erhaltener Erektionsfähigkeit, kann eine Korporoplastik unter Verwendung eines biologischen Transplantats (Autograft oder Xenograft) durchgeführt werden. Dieses Verfahren wird auch als „Tunical lengthening“-Technik bezeichnet. Hierbei wird die erkrankte Seite z. B. zur Plaqueinzision und Grafting verlängert und damit die Deviation korrigiert. Vorteil ist der Erhalt der Penislänge. Nachteil ist das Risiko einer postoperativen Erektionsstörung(Abbildung 7).
Abb. 7: Patch Plastik mit Tachosil: Nach Resektion der Induratio penis plastica wird der Defekt bei angehobenem Gefäß-Nerven-Bündel mit Tachosil abgedeckt.
Eine Vielzahl unterschiedlicher Transplantate wird hierbei verwendet. Das ideale Transplantat sollte zugfest, leicht zu nähen und zu handhaben, flexibel (jedoch nicht zu sehr, um aneurysmatische Erweiterungen zu vermeiden), gut verfügbar und kostengünstig sein. Zudem sollte die Morbidität, insbesondere bei der Verwendung von Autotransplantaten, minimal sein. Kein Transplantatmaterial erfüllt jedoch alle diese Anforderungen vollständig und es besteht derzeit kein Konsens darüber, welches Transplantatmaterial das beste Langzeitergebnis bietet [18].
Tunica-Shortening-Techniken
Bei ausreichender Penislänge und erhaltener Erektionsfähigkeit können sog. „Tunica shortening“-Techniken angewendet werden. Hierbei wird die gesunde Seite zur Korrektur der Penisdeviation verkürzt. Vorteil ist eine geringe Rate postoperativer Erektionsstörungen.
Zahlreiche unterschiedliche Techniken, welche man in drei Hauptkategorien einteilen kann, werden beschrieben: Exzision-, Inzision- und Plikationstechniken. Exemplarisch sind die häufigsten im Folgenden dargestellt:
Die Nesbit-Operation basiert auf einer elliptischen Exzision der Tunica albuginea gegenüber dem Punkt der maximalen Krümmung. Der Verschluss der Tunica albuginea erfolgt mit nicht resorbierbaren Einzelknopfnähten und führt damit zu einer Begradigung des Penisschafts.
Bei der modifizierten Technik nach Yachia werden 1 cm lange longitudinale Inzisionen mit horizontalen Einzelknopfnähten versorgt, wodurch es zum Ausgleich der Deviation kommt.
Reine Plikationstechniken sind einfacher durchzuführen. Sie basieren auf einer oder mehreren Plikationen ohne dabei Einschnitte oder Exzisionen an der Tunica albuginea durchzuführen. Dies reduziert das Risiko, den veno-okklusiven Mechanismus zu schädigen. Auf Wunsch des Patienten kann durch eine longitudinale Inzision die Vorhaut erhalten werden.
Bei der Plikationstechnik nach Schroeder und Essed erfolgt die Anlage von nicht resorbierbaren Nähten mit versenkten Knoten. Hierdurch wird eine Verkürzung der Schwellkörperwand auf der konvexen Seite erreicht, wodurch die Deviation ausgeglichen wird. Eine weitere Modifikation hiervon ist die 16-Punkte-Plikatur (Lue), bei der zwei Paare paralleler Essed-Schroeder-Plikationen angewendet werden (Abbildung 8). Diese werden je nach Ausmaß der Krümmung mehr oder weniger stark gespannt, um eine präzise Korrektur zu ermöglichen.
Abb. 8: 16-Punkte-Plikatur nach Lue
Hydraulische Penisprothese
Bei schwerer erektiler Dysfunktion und gleichzeitiger Peniskrümmung wird eine hydraulische Penisprothese implantiert. Sollte die Prothese allein keine ausreichende Begradigung bewirken, wird der Eingriff durch zusätzliche rekonstruktive Verfahren ergänzt, um die anatomische Ausrichtung des Penis zu optimieren.
Penisprothesen lassen sich grundsätzlich in zwei Hauptkategorien einteilen: hydraulische und semirigide Schwellkörperprothesen. Beide Varianten unterscheiden sich signifikant in Bezug auf Funktionsweise, Handhabung und ästhetisches Ergebnis, was sie für unterschiedliche Patientengruppen geeignet macht.
Implantate, die eine optimale prothetische Erektion ermöglichen, zeichnen sich dadurch aus, dass sie ein großes Flüssigkeitsvolumen in die dehnbaren Peniszylinder transferieren können. Für die Beendigung der Erektion muss diese Flüssigkeit anschließend wieder in ein externes Reservoir zurückgeführt werden. Dieses Ideal erfüllen nur dreiteilige Prothesen. Diese bestehen aus den beiden aufblasbaren Zylindern, die im Penisschaft implantiert werden, einem flüssigkeitsgefüllten Reservoir, das subperitoneal in der Bauchdecke platziert wird, und einer Pumpe, die sich im Skrotum befindet (Abbildung 9).
Abb. 9: AMS 700 (mit freundlicher Genehmigung von Boston Scientific)
Aktuell gibt es nur die Coloplast-Titanprothese und die Prothese AMS 700 von Boston Scientific, die diese Kriterien erfüllen [9]. Im Gegensatz dazu sind semirigide Prothesen einfachere Systeme, die aus biegsamen Silikonstäben bestehen, die dem Penis dauerhaft eine gewisse Festigkeit verleihen. Diese Prothesen sind einfacher in der Handhabung und haben den Vorteil, dass sie keine mechanischen Teile enthalten, wodurch das Risiko von Fehlfunktionen minimiert wird. Der Nachteil besteht jedoch darin, dass der Penis stets in einem teilweise steifen Zustand verbleibt, was zu ästhetischen und Komforteinschränkungen führen kann.
Die Auswahl der geeigneten Prothese richtet sich nach individuellen Faktoren wie der manuellen Geschicklichkeit des Patienten, seinen ästhetischen Präferenzen sowie dem allgemeinen Gesundheitszustand und eventuellen Infektionsrisiken.
Postoperativ wird die abendliche Verabreichung von PDE-5-Hemmern empfohlen. PDE-5-Hemmer sind eine Gruppe von Wirkstoffen, deren vasodilatatorische Wirkung von der Humanmedizin genutzt werden. Diese fördert nächtliche Erektionen, verbessert die Durchblutung des Transplantats und kann möglicherweise die postoperative Rate an erektiler Dysfunktion minimieren.
Sphinkterrekonstruktion
Künstlicher Schließmuskel/Bänder
Ausgedehnte operative Eingriffe im Beckenbereich können mit einem deutlich erhöhten postoperativen Inkontinenzrisiko einhergehen. Neben tumorassoziierten Eingriffen wie der radikalen Prostatektomie, der Zystektomie und der Rektumextirpation spielen auch traumatische Verletzungen des Beckenbodens durch Unfälle, Schuss- oder Explosionsverletzungen eine wesentliche Rolle.
Durch die komplexe anatomische Nähe zwischen Rektum, Blase und den Schließmuskelstrukturen können diese Eingriffe zu einer Schädigung des äußeren Schließmuskels sowie der umgebenden Nerven führen, was die Kontinenz signifikant beeinträchtigen kann. Die postoperative Belastungsinkontinenz nach solchen Operationen wird je nach Definition und Literatur mit einer Inzidenz von 4 % bis 69 % angegeben [20]. Die Auswirkungen dieser Komplikation auf die Lebensqualität der Betroffenen sind erheblich.
Die Entwicklung und Einführung des künstlichen Harnröhrenschließmuskels AMS 800 in den 1970er Jahren markierte einen Durchbruch in der Behandlung der postoperativen Inkontinenz und veränderte die therapeutischen Möglichkeiten grundlegend (Abbildung 10).
Abb. 10: AMS 800 (mit freundlicher Genehmigung von Boston Scientific)
Der AMS 800 besteht aus drei Hauptkomponenten: einer Manschette, einer Pumpe und einem Druckregulationsballon. Die Manschette wird um die Harnröhre gelegt, um diese bei Bedarf zu verschließen. Die Pumpe wird im Skrotum implantiert und dient der manuellen Steuerung des Schließmechanismus. Der Ballon, der in der Bauchdecke platziert wird, reguliert den Druck im System und stellt sicher, dass die Manschette wieder geöffnet wird, sobald der Patient uriniert. Das System arbeitet hydraulisch und bietet somit eine präzise Kontinenzkontrolle.
Die Ergebnisse des AMS 800 zeichnen sich durch eine hohe Erfolgsquote aus und erreichen in über 80 % der Fälle eine vollständige Kontinenz, was mit einer signifikanten Patientenzufriedenheit einhergeht. Zusätzlich weisen Langzeitstudien auf eine gute Überlebensdauer des Implantats hin, was die langfristige Effektivität und Stabilität dieser Therapieoption bei der Behandlung der postoperativen Inkontinenz unterstreicht [24].
2009 wurde das künstliche Schließmuskelsystem Zephyr (Zephyr ZSI 375) entwickelt. Dieses vorinstallierte System benötigt keinen separaten Reservoirballon und besteht aus einer verstellbaren aufblasbaren Manschette. Die Manschette hat eine Einheitsgröße und kann nach einer postoperativen Heilungsphase zur Optimierung der Kontinenz angepasst werden.
Darüber hinaus wird das System vorkonfiguriert und vorgefüllt ausgeliefert, was die Implantationszeit verkürzt und potenzielle Komplikationen minimiert [14].
Ein weiteres neu entwickeltes künstliches Schließmuskelsystem ist das VICTO- und VICTO+-System von Promodon (Córdoba, Argentinien). Der VICTO zeichnet sich durch ein vorgefülltes, verstellbares Design aus, das eine aufblasbare Harnröhrenmanschette, einen druckregulierenden Ballon und eine im Skrotum platzierte Pumpe umfasst. Ein integrierter Injektionsport ermöglicht dabei eine postoperative Anpassung des Volumens mittels perkutaner Injektion. Das VICTO+-Modell enthält zusätzlich einen „Stress-Ballon“ im präperitonealen Bereich, der darauf ausgelegt ist, den Manschettendruck in Abhängigkeit von abdominalen Druckschwankungen anzupassen. Langfristige klinische Daten zur Sicherheit und Effektivität dieser Systeme sind derzeit jedoch noch nicht umfassend verfügbar [25].
Obwohl der künstliche Harnröhrenschließmuskel weiterhin als „Goldstandard“ für die Behandlung der Belastungsinkontinenz, insbesondere nach radikaler Prostatektomie gilt, stehen den betroffenen Patienten mittlerweile auch andere Therapieoptionen zur Verfügung [6].
In jüngerer Zeit wurden Harnröhrenschlingen als Alternative zum künstlichen Schließmuskel entwickelt, insbesondere für Männer mit leichter bis mittelschwerer Belastungsinkontinenz. Diese Schlingen bieten eine weniger mechanisch anfällige Option. Einige Modelle sind so gestaltet, dass das Volumen des Kompressionssystems nach der Implantation angepasst werden kann, um bei wiederkehrender Inkontinenz eine bessere Kontrolle zu ermöglichen.
Beispielhaft sind hier ATOMS (adjustable transobturatorial male system), AdVance und AdVance XP zu nennen.
Eine erfolgreiche Wiederherstellung der Kontinenz ermöglicht den betroffenen Patienten, ihre körperliche Integrität zurückzugewinnen und leistet gleichzeitig einen wichtigen Beitrag zur psychischen Stabilität sowie zur sozialen Reintegration.
Fazit
Die optimale Versorgung urogenital traumatisierter Patienten, insbesondere von Soldaten, erfordert umfassende Expertise in der rekonstruktiven Urologie. Die operativen Fertigkeiten in diesem Bereich sind entscheidend für die Wiederherstellung der funktionellen und anatomischen Integrität des Urogenitaltrakts nach schweren Verletzungen. Dadurch wird nicht nur die körperliche Gesundheit des betroffenen Soldaten wiederhergestellt, sondern auch ein wichtiger Beitrag zur psychischen Rehabilitation und zur Verbesserung der Lebensqualität geleistet. Außerhalb von militärischen Einsätzen lassen sich die notwendigen Techniken der rekonstruktiven Urologie effektiv durch die Behandlung von zivilmedizinischen Krankheitsbildern erlernen und weiterentwickeln. Erkrankungen wie
- Harnleiter-und Harnröhrenstrikturen,
- die Fournier’sche Gangrän,
- Penisfrakturen,
- die Induratio penis plastica sowie
- die Therapie der Inkontinenz mittels Implantation künstlicher Schließmuskel
bieten Urologen die Möglichkeit, rekonstruktive Fähigkeiten unter kontrollierten Bedingungen zu erlernen, zu festigen und weiterzuentwickeln. Diese Krankheitsbilder erfordern oft komplexe rekonstruktive Maßnahmen, die direkt auf traumatische Verletzungen im militärischen Kontext übertragen werden können.
Aktuell lassen sich diese Fähigkeiten jedoch nur in Kooperation mit spezialisierten Kliniken sinnvoll erlernen. Geringe Fallzahlen und die zunehmende Verknappung der OP-Kapazität sind eine Herausforderung für die rekonstruktiv tätigen Urologen im Bundeswehrkrankenhaus.
Ansatzpunkte zur Verbesserung der Ausbildung könnten Fellowships, Austauschprogramme und Live-Operationskurse an renommierten Zentren sein. Ebenfalls könnten Simulationszentren und Virtual Reality-Trainingsmodelle die Lücke füllen, die durch fehlendes persönliches Training entsteht. Moderne Simulationsprogramme erlauben es, komplexe Operationen wie die Harnröhrenrekonstruktion oder die Versorgung von Genitalverletzungen unter realitätsnahen Bedingungen zu trainieren. Dies ermöglicht dem Urologen, ihre Fähigkeiten in einer sicheren Umgebung zu verfeinern, was für den späteren Einsatz unter extremen Bedingungen entscheidend ist.
Die kontinuierliche Weiterentwicklung der rekonstruktiven Urologie und die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit plastischen Chirurgen, Traumatologen und Intensivmedizinern sichert die hohe Versorgungsqualität, die im militärischen Umfeld bei traumatischen urologischen Verletzungen notwendig ist. Gleichzeitig profitieren zivile Patienten von den technischen Fortschritten und Innovationen, die aus der Wehrmedizin stammen.
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Manuskriptdaten
Zitierweise
Zimmermann K, Liebchen D: Die rekonstruktive Urologie in der Wehrmedizin. WMM 2024; 68(12): 543-553.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-372
Für die Verfasser
Oberfeldarzt Dr. Kristin Zimmermann
Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz
Klinik für Urologie
Rübenacher Str. 170, 56072 Koblenz
E-Mail: kristin.zimmermann@mail.de
Manuscript Data
Citation
Zimmermann K, Liebchen D: Reconstructive Urology in Military Medicine. WMM 2024; 68(12): 543-553.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-372
For the Authors
Lieutenant Colonel (MC) Dr. Kristin Zimmermann, MD
Bundeswehr Central Hospital Koblenz
Department of Urology
Rübenacher Str. 170, D-56072 Koblenz
E-Mail: kristin.zimmermann@mail.de