16. Kongress der International Radiation Protection Association 2024 in Orlando, USA
Florian Fulischa, Joel Piechotkab, Matthias Portc
a Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz, Abt. XV - Nuklearmedizin
b Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz, ZKPLRM Z1 - Medizinphysik
c Institut für Radiobiologie der Bundeswehr, München
Die International Radiation Protection Association (IRPA) ist eine seit 1965 bestehende Vereinigung nationaler und regionaler Strahlenschutzgesellschaften, die sich dem Fortschritt und der Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Strahlenschutzes verpflichtet hat. Sie besteht derzeit aus ca. 50 assoziierten Gesellschaften in 65 Ländern und ca. 18 000 Einzelmitgliedern. Die IRPA ist von der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) als Nichtregierungsorganisation (NGO) anerkannt und hat Beobachterstatus im IAEA Radiation Standards Committee.
Unter dem Titel „Radiation Harmonization: Standing United for Protection“ fand der diesjährige Kongress vom 7. bis 12. Juli im Rosen Shingle Creek Hotel in Orlando, FL, statt. Mehr als 420 Vortragende hatten die Gelegenheit, ihre Forschungsergebnisse einem internationalen Fachumfeld zu präsentieren.
Kernwaffen wieder Teil der Bedrohungskulisse
Erstmals seit dem Ende des Kalten Krieges stellen Nuklearwaffen wieder ein realistisches Bedrohungspotenzial dar. Der Einmarsch von Truppen der Russischen Föderation in die Ukraine hat gezeigt, dass der Einsatz vor allem taktischer Nuklearsprengköpfe mit einer Sprengkraft von 0,1 bis 100 Kilotonnen als Wirkmittel in der gegenwärtigen weltpolitischen Lage nicht mehr generell ausgeschlossen werden kann. Neben militärstrategischen Überlegungen müssen daher in Zukunft auch Maßnahmen getroffen werden, um die Zivilbevölkerung vor den verheerenden Auswirkungen eines solchen Waffeneinsatzes, insbesondere dem radioaktiven Fallout, schützen zu können. Dazu zählen neben einer angepassten katastrophenmedizinischen Versorgung und der behelfsmäßigen Dosisabschätzung, auch die Stärkung der Resilienz durch eine Reaktivierung von Schutzeinrichtungen und Etablierung von Zivilschutzmaßnahmen.
So verwundert es nicht, dass sich zahlreiche Autorinnen und Autoren in Vorträgen oder Posterpräsentationen mit diesem Thema befassten und die jeweiligen Unterschiede in den militärischen und zivilen nationalen Vorbereitungen auf solche Ereignislagen darstellten.
Unverändert ist dagegen die Bedrohungslage hinsichtlich der terroristischen Nutzung radioaktiver Stoffe in Verbindung mit konventionellen Sprengstoffen (sog. „schmutzige Bombe/Dirty Bomb“): Trotz internationaler Bemühungen zur Eindämmung der Proliferation waffenfähiger Isotope, die für den Bau von Kernwaffen verwendet werden können, sind andere Radionuklide durch die breite Anwendung in Medizin und Technik in vielen Regionen der Welt vergleichsweise leicht zu beschaffen.
Abb. 1: Oberstarzt Prof. Dr. Port stellt die institutseigene App „H-Module“ vor
Oberstarzt Prof. Dr. Matthias Port, Institutsleiter des Instituts für Radiobiologie aus München, referierte zum Thema „Medical management of large-scale radiological and nuclear scenarios using early and high-throughput tools for clinical outcome prediction a part of radiation emergency preparedness“ [1]. Schwerpunkt seines Beitrags waren die Möglichkeiten der Nutzung von Biomarkern und klinischen Parametern zur Triage großer Patientenkollektive. Besonders hervorzuheben ist dabei die am Institut entwickelte App „H-Module“, die in den gängigen App-Stores einem breiten Nutzerkreis kostenfrei zur Verfügung gestellt wird. Medizinisches Fachpersonal hat hier die Möglichkeit, durch Eingabe von Laborparametern (Lymphozyten, Granulozyten und Thrombozyten) zu sehr frühen Erhebungszeitpunkten den Schweregrad einer akuten Strahlenkrankheit, die sich unter anderem auf das hämatopoetische System auswirkt, zu prognostizieren.
Abb. 2: Präsentiertes Poster der Arbeitsgruppe aus dem BwZKrhs Koblenz und dem InstRadBioBw München
Kapazitäten in der Gesundheitsversorgung schaffen
Die medizinische Versorgung radioaktiv kontaminierter Patientinnen und Patienten sowie die Behandlung der akuten Strahlenkrankheit erfolgt in Deutschland, wie in der überwiegenden Zahl der anderen Staaten, in spezialisierten Strahlenschutzzentren und Fachkrankenhäusern bzw. staatlichen Einrichtungen. Es liegt jedoch auf der Hand, dass im Falle eines Großschadensereignisses auch dafür primär ungeeignete und unvorbereitete Kliniken mit dieser Aufgabe konfrontiert werden können. Oberstabsarzt Dr. Florian Fulisch aus der Abteilung Nuklearmedizin des Bundeswehrzentralkrankenhauses (BwZKrhs) Koblenz stellte vor, wie sich die Leistungserbringer im Gesundheitssystem bereits heute auf solche Situationen vorbereiten können, um Notfallbehandlungskapazitäten zu schaffen [2].
Es liegt nahe, Synergieeffekte zu nutzen: Den nuklearmedizinischen Kliniken kommt in diesem Zusammenhang eine besondere Bedeutung zu. Aufgrund der Expertise im Umgang mit offenen radioaktiven Stoffen waren sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einig, dass bei der interdisziplinären Behandlung von Strahlenschäden auch auf die entsprechenden Ambulanzen und Kliniken zurückgegriffen werden sollte.
Improvisierte Dosisabschätzung in der Nuklearmedizin
Der Medizinphysikexperte des BwZKrhs und Nachwuchssprecher des deutsch-schweizerischen Fachverbands für Strahlenschutz e. V., Joel Piechotka, MSc, stellte in diesem Zusammenhang die Messmöglichkeiten der Abteilung Nuklearmedizin im Falle einer Inkorporation vor [3]. Besonders hervorzuheben ist, dass neben den im BwKrhs Ulm und BwZKrhs Koblenz vorhandenen Kontaminations- und Dosisleistungsmessgeräten sowie Ganzkörperzählern auch diagnostische Großgeräte zum improvisierten Nachweis inkorporierter Radionuklide eingesetzt werden können, die in der Nuklearmedizin aufgrund ihrer Strahleigenschaften typischerweise nicht verwendet werden:
Abb. 3: Joel Piechotka referierte über initiale Dosisabschätzungen in nuklearmedizinischen Einrichtungen im MASCAL-Szenario
Im vorgestellten Experiment gelang der Nachweis von abgereichertem Uran (238U) im Phantommodell mit beiden SPECT-CT (Single-Photon-Emmissions-Computertomographen) der Abteilung mit guter räumlicher Auflösung und Lokalisation.
Praktische Bedeutung hat der Nachweis z. B. bei kombinierten Splitterverletzungen, wobei die (chirurgische) Entfernung der uranhaltigen Splitterfragmente, wie sie typischerweise durch entsprechende panzerbrechende Wuchtgeschosse entstehen, wegen der Schwermetalltoxizität zeitnah erfolgen sollte.
Weitere interessante Inhalte der Konferenz waren die Vorstellung der Bemühungen um eine ausreichende Ausbildung von Strahlenschutzfachkräften in den Streitkräften, neue Erkenntnisse über dosimetrische Verfahren und Anforderungen bei Tätigkeiten mit radioaktiven Stoffen und ionisierender Strahlung sowie die Exposition beim Umgang mit natürlichen radioaktiven Stoffen.
Abb. 4: Joel Piechotka und Florian Fulisch nahmen als Referenten für das BwZKrhs Koblenz teil
Networking als fachlicher Key Enabler
Oberstarzt Prof. Dr. Port nahm zudem an einer Veranstaltung der World Health Organisation (WHO) teil, die der Vorbereitung einer Leitlinie zum medizinischen Management einer Aufnahme von Plutonium, Americium und Curium dient. Zudem wurden zahlreiche alte Kontakte aufgefrischt und neue, u. a. mit verantwortlichen Personen für die Untersuchungen auf den Bikini-Atolls nach der massiven Kontamination der dort lebenden Bevölkerung aufgrund von Nuklearwaffentests, geknüpft. Von besonderem Interesse sind hierbei informelle Gespräche, auch zur amerikanischen Initiative der medizinischen Vorbereitung der Ukraine für einen möglichen Nuklearwaffeneinsatz durch Russland.
Abgerundet wurde das anspruchsvolle Fachprogramm durch eine Besichtigung des Kennedy Space Centers und einen Vortrag des Astronauten Norman Thagard über Erfahrungen und Erlebnisse in der Raumfahrt, nicht nur im Hinblick auf den Strahlenschutz.
Präsentierte Vorträge
1. Port M, Haupt J, Ostheim P, Majewski M, Combs SE, Atkinson M, Abend M. Software Tools for the Evaluation of Clinical Signs and Symptoms in the Medical Management of Acute Radiation Syndrome-A Five-year Experience. Health Phys. 2021 Apr 1;120(4):400–409. mehr lesen
2. Fulisch F, Piechotka J, Port M, Diekmeyer B. Measures For Effective Clinical Emergency Care For Radioactively Exposed Patients In The Mass Casualty Scenario. IRPA 16; July 2024; Orlando, FL2024. mehr lesen
3. Piechotka J, Fulisch F, Port M, Diekmeyer B. Dose Assessment In A Nuclear Medical Facility During A Mass Casualty Event. IRPA 16; July 2024; Orlando, FL2024. mehr lesen
Für die Verfasser
Oberstabsarzt Dr. Florian Fulisch
Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz
Abteilung XV - Nuklearmedizin
Anlässlich der Zurruhesetzung
Generaloberstabsarzt Dr. Ulrich Baumgärtner
Am 2. Mai 2024 übergab der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Carsten Breuer, die Führung über den Sanitätsdienst der Bundeswehr von Generaloberstabsarzt Dr. Ulrich Baumgärtner an Generalstabsarzt Dr. Ralf Hoffmann. Nach über fünf Jahren als Inspekteur des Sanitätsdienstes der Bundeswehr wird Dr. Baumgärtner zum 31. August 2024 in den wohlverdienten Ruhestand verabschiedet.
Am 4. Juli 1960 in Bruchsal geboren, trat er nach dem erfolgreichen Erwerb der allgemeinen Hochschulreife im Jahr 1980 als Sanitätsoffiziersanwärter in die Bundeswehr ein. Anschließend absolvierte Herr Generaloberstabsarzt Dr. Baumgärtner sein Medizinstudium in Heidelberg.
Nach erfolgreicher Approbation als Arzt trat er seine erste Verwendung am damaligen Bundeswehrkrankenhaus Bad Wildbad 1986 an. 1987 promovierte er mit Erlangung des Grades Doctor medicinae. In seiner klinischen Einweisung und – nach einer zweijährigen Truppenarztzeit bei der 1. Luftlandedivision in Bruchsal – erfolgte die fachliche Weiterbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin, welche er 1997 erfolgreich abschließen konnte. Daneben erwarb er die beiden Zusatzbezeichnungen für Chirotherapie und Sportmedizin.
1991 übernahm Dr. Baumgärtner den Dienstposten des Brigadearztes der Luftlandebrigade 25 in Calw und absolvierte im Anschluss den 35. Generalstabslehrgang an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg.
Ab 1994 wurde er als Sanitätsstabsoffizier und S3-Stabsoffizier im Wehrbereichskommando III, bei der 7. Panzerdivision in Düsseldorf, im Dezernat für Konzeption im Sanitätsdienst Heer sowie als Dezernatsleiter für Organisation/STAN, Infrastruktur und Personal des Sanitätsdienstes der Bundeswehr im Heeresunterstützungskommando III in Rheindahlen verwendet.
1998 folgte seine erste Verwendung im Bundesministerium der Verteidigung als Referent im Führungsstab des Sanitätsdienstes II 1 in Bonn. Anschließend war Herr Generaloberstabsarzt Dr. Baumgärtner von 2001 bis 2003 als Divisionsarzt im Kommando Luftbewegliche Kräfte und später in der Division Spezielle Operationen in Regensburg eingesetzt. Danach folgte eine integrierte Verwendung als Medical Advisor Allied Joint Force Command Headquarter im niederländischen Brunssum.
In den Jahren 2003, 2004 und 2005 nahm Generaloberstabsarzt Dr. Baumgärtner an Auslandseinsätzen im Kosovo und in Afghanistan teil.
2005 bis 2010 folgten Verwendungen als Abteilungsleiter G3 sowie Chef des Stabes des Sanitätsführungskommandos. Nach seiner Verwendung als Kommandeur Kommando Schnelle Einsatzkräfte des Sanitätsdienstes der Bundeswehr in Leer erfolgte im Jahr 2013 seine Beförderung zum Generalarzt. Diese ging einher mit der Übernahme der Abteilungsleitung B im seinerzeit neu aufgestellten Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr.
Es folgte ein erneuter Wechsel in das Bundesministerium der Verteidigung, wo er ab 2014 mit seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern als Unterableitungsleiter Führung Streitkräfte II unter anderem maßgeblich das Erfolgsprojekt „Betriebliches Gesundheitsmanagement“ auf den Weg brachte.
Ab 2016 übernahm er als Kommandeur die Führung des Kommandos Sanitätsdienstliche Einsatzunterstützung in Weißenfels und befasste sich mit den vielfältigen Herausforderungen rund um die Themen „Einsatz und Übung“.
Seit dem 25. September 2018 übernahm er in Koblenz als Inspekteur des Sanitätsdienstes der Bundeswehr von Generaloberstabsarzt a. D. Dr. Michael Tempel.
In seiner Amtszeit wurde er vor zahlreiche Herausforderungen gestellt. Zu diesen zählten unter anderen der Abschluss des Afghanistaneinsatzes, mehrere Evakuierungsmissionen, die Hilfe bei Katastrophen wie im Ahrtal oder beim Erdbeben in der Türkei. Eine bis dato nicht dagewesene Schwierigkeit war die Eindämmung des Infektionsgeschehens sowie die Versorgung von Patientinnen und Patienten im Rahmen der Corona-Pandemie und, damit einhergehend, die Unterstützung des zivilen Gesundheitssystems durch den Sanitätsdienst der Bundeswehr. Seit dem Beginn des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine, erfolgte deren Unterstützung mittels materieller und praktischer medizinischer Hilfe. Dabei trieb er unermüdlich die Ausbildung von Fachpersonal der ukrainischen Streitkräfte voran.
Eine weitere Herzensangelegenheit waren die Rüstungsprojekte der geschützten hochmobilen Sanitätseinrichtungen Rolle 2B für die lebensrettende notfallchirurgische und intensivmedizinische Versorgung und der qualifizierte, geschützte Transport von Patienten. Als ein erstes greifbares Ergebnis wurde im Rahmen der Informations- und Lehrübung des Sanitätsdienstes 2024 der neue geschützte Verwundeten-Transportcontainer vorgestellt.
Es ging immer darum, den Sanitätsdienst voranzutreiben und ihn fit zu machen für die Anforderungen im Hinblick auf die Landes- und Bündnisverteidigung. Kriegstauglichkeit, Verbesserung der Wehrhaftigkeit und Resilienz waren stets in seinen konzeptionellen Gedanken inbegriffen. Gleiches gilt für die Einbettung der Streitkräfte in den gesamtstaatlichen Kontext und die internationale Zusammenarbeit.
Der Sanitätsdienst der Bundeswehr dankt Generaloberstabsarzt Dr. Ulrich Baumgärtner für die geleisteten Dienste. Wir alle wünschen ihm in seinem wohlverdienten Ruhestand alles Gute für die Zukunft, vor allem weiterhin Gesundheit und viel Freude mit seiner Familie. Möge im Ruhestand auch mehr Zeit für lieb gewonnene Hobbies, einen weiteren Marsch in Nijmegen, oder einen Marsch, gespielt von einem Blasorchester wie zu Jugendzeiten und die alljährlichen Konzerte des Musikkorps.
Dr. Ralf Hoffmann, Generalstabsarzt
Inspekteur des Sanitätsdienstes der Bundeswehr
Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr