Auf dem Weg:
Ein Sanitätsdienst für die zukünftigen Aufgaben der Bundeswehr
Norbert Wellera
a Kommando des Sanitätsdienstes der Bundeswehr
Stellvertreter des Inspekteurs des Sanitätsdienstes und Kommandeur Gesundheitseinrichtungen, Koblenz
Vorrede
Dieser Artikel bündelt drei Vorträge der vergangenen zwei Jahre, die vor Führungspersonal des Sanitätsdienstes sowie vor Angehörigen des Parlaments und der Teilstreitkräfte gehalten wurden [1][2][3]. Er ist der Versuch einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Weg, den der Sanitätsdienst seit seiner Einführung im Jahr 19571 bis heute gegangen ist – einerseits also ein Blick zurück. Und er wagt andererseits den Blick nach vorne auf einen möglichen Weg des Sanitätsdienstes in den Strukturen der Zeitenwende. Das bedeutet auch, den Kernbereich „der militärischen Herausforderungen“ gedanklich zu verlängern und den Blick auf die andere aktuelle Zeitenwende zu richten – die im zivilen Gesundheitssystem. Und natürlich fließen auch Erkenntnisse des Russland-Ukraine Krieges mit ein.
Dabei kommt ein sehr persönliches Verständnis von Medizin und Militär, von der Rolle der Gesundheitsversorgung in der Bundeswehr, von Sanitätsdienst und Innerer Führung zum Ausdruck. Sie ist keinesfalls eine Blaupause oder gar Musterlösung für die Entwicklung eines zukunftsfähigen, kriegstüchtigen Sanitätsdienstes der Bundeswehr.
Gedankenleitend ist – immer mit dem Blick auf unseren Kernauftrag – eine Gesundheitsversorgung eingeordnet in die Strukturen der Bundeswehr auf der Grundlage einer zeitgemäßen, am Stand von Wissenschaft und Technik orientierten Versorgung, die dem Wohl der Verwundeten, Verletzten und Kranken sowie ihrer Angehörigen dient.2
Und dazu sind wir (weiter) auf dem Weg!
„Blick zurück “ [1]
Bei dem Versuch der Einordnungen der aktuellen Entwicklungen um den Sanitätsdienst bin ich auf eine Rede unseres Bundespräsidenten bei der 480.Schaffermahlzeit am 9. Februar dieses Jahres in Bremen gestoßen. Mit
[…]“Es kommt auf jede und jeden von uns an“[…]
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, 480. Schaffermahlzeit 9. Februar 2024
ist sie überschrieben.
Neun Worte! Neun Worte, die auf die Gesellschaft, auf die Situation in Deutschland und die mutige und entschiedene Verteidigung der freiheitlichen Demokratie zielen, wie die Revolutionäre und Republikaner dies 1848, 1918, 1989 taten. Sie passen meines Erachtens auch auf unsere Situation im Sanitätsdienst im Kleinen, mit unseren ganz elementaren Schritten der Jahre 1956, 1995, 2000 – und dem jetzt erfolgenden Schritt in der Reorganisation der Strukturen der Bundeswehr.
Neun Worte, die Ausdruck für die Verantwortung, die Gestaltungsmöglichkeiten und letztendlich auch die notwendige innerste Motivation jedes Einzelnen sein können, sich für die gemeinsamen Ziele und Werte einer Gesellschaft, und – auf uns fokussiert – den Sanitätsdienst der Bundeswehr einzusetzen. Dabei ist es immer richtig, nützlich und geboten, sich im neuen Kontext dem Verbessern unseres Systems zu widmen, d. h. eigentlich nach vorn zu schauen – und das mutig und offen für Veränderung.
Ich bin aber auch – und da greife ich die Rede des Bundespräsidenten auf – zutiefst davon überzeugt, dass das alles umso besser gelingt, je besser man über die bisherige Geschichte informiert ist, d. h. eigentlich kritisch mit uns selbst umzugehen und einen scharfen Blick in unsere Vergangenheit, unsere jüngste Vergangenheit wagen. Wie das hier mit den Worten Konrad Adenauers ausgedrückt ist.
„Man kann nach meiner Auffassung nicht in der Zukunft gut wirken, wenn man nicht aus der Vergangenheit lernt und das aus der Vergangenheit mit sich nimmt, was wert ist, mitgenommen zu werden“
Bundeskanzler Dr. Konrad Adenauer, Deutscher Handwerkertag, Düsseldorf, 27. April 1952
Manches war damals, was die Stellung des Sanitätsdienstes der Bundeswehr und „seines Chefs“ betrifft, sehr ähnlich. Und auch wenn heute nicht nur wir selbst, sondern auch nationale und internationale Institutionen und gar auch Streitkräfte einen zentralen Sanitätsdienst vernünftig erachten, so müssen wir die jetzigen Rahmenbedingungen annehmen und die notwendigen Schritte angehen.
Es geht auch heute schlicht um fachliche Kenntnisse und Fähigkeiten und Verständnis für Wehr- bzw. Militärmedizin; und es geht weiter um deren Einordnung in das Gesamtgefüge der Bundeswehr, wie es Prof. Dr. Rebentisch, der 6. Inspekteur des Sanitätsdienstes der Bundeswehr vor 44 Jahren, ausgedrückt hat.3
Es geht auch heute weiterhin darum, die medizinische Versorgung der Streitkräfte „von ihrer Zielsetzung und Auswirkung“ her darzustellen und dies in den Kontext beweglicher Operationsführung und gesamtstaatlicher Risikovorsorge einzuordnen – das ist die wesentliche Konstante. Damit verbunden sind drei Fragestellungen:
- 1. Wie können wir dabei zukünftig auch die hybriden Herausforderungen an die Gesundheitsversorgung in Deutschland bewältigen?
- 2. Wie schaffen wir den Aufbruch bei der Beantwortung dieser Fragen zusammen mit den Hilfsorganisationen und dem zivilen Gesundheitswesen?
- 3. Wie schaffen wir dann den Umbruch in einer Situation der „Gesamtverteidigung“ also LV/ BV?
Der Transfer moderner Medizin auf das Gefechtsfeld, d. h. Medizin in einem anderen Kontext als bei Internationalen Krisenmissionen zu praktizieren, ist die Herausforderung, vor der wir stehen und die wir den uns anvertrauten Soldatinnen und Soldaten schulden. In einem solchen Szenar heißt dies dann auch zeitlich begrenzt Prozesse in Bezug auf die Behandlungs- oder Präventionsstrategie anders zu gestalten – aber es ist ganz klar keine andere Medizin! Und gerade dieser Umstand bedarf der fachlich-militärmedizinischen Befassung.
Vor allem bedarf es einer, durchaus auch selbstkritischen, Bewertung des Zurückliegenden, unserer Stärken, aber auch unserer Schwächen. Und da gibt es eine Reihe von zusätzlichen Fragen:
- Stimmen unsere Behandlungsstrategien, stimmt unsere Zuordnung von Fächern auf die – immer noch existierenden – Behandlungsebenen?
- Passen unsere Einsatzgrundsätze noch auf das zukünftige Kriegsbild? Haben wir ein solches oder schauen wir eher auf eine Blaupause, die sich nicht eins zu eins übertragen lässt?
- Stellen wir den richtigen Kontext für die militärische Gesundheitsversorgung in den Dimensionen Land, Luft und See?
- Wie steht es mit unserem Verständnis von unserer Rolle im Gesamtkontext, zeigt sich unsere Servicementalität dabei auch wirklich in unserem Alltagshandeln?
- Passen unser Verständnis von zivil-militärischer Zusammenarbeit, vom Einsatz unserer Reservisten weiterhin?
- Wie sehen wir uns in der Rückbesinnung auf unsere Wurzeln des 19. Jahrhunderts, die Pépinière, im Kontext des zivilen Gesundheitswesens?
Diese Fragen müssen wir uns selbstkritisch immer wieder stellen. Einige haben wir vielleicht schon beantwortet, einige haben wir im Detail vielleicht auch jetzt noch nicht zu Ende gedacht.
Unsere Stärke
Der Sanitätsdienst hat sich zu jeder Zeit, also von den damaligen Streitkräftestrukturen über die Zentralisierung bis zur heutigen Refokussierung auf Landes- und Bündnisverteidigung, immer im Sinne des Gesamtsystems auf der einen und mit dem Blick des Patienten auf der anderen Seite, ausgerichtet. Die Veränderungen des Jahres 2000, allem voran mit dem Übergang in den Zentralen Sanitätsdienst der Bundeswehr, waren zum damaligen Zeitpunkt ein avantgardistischer Ansatz, der sich bewährt und zu einem der leistungsfähigsten militärischen Sanitätsdienste geführt hat.
Es war im Kern ein Paradigmenwechsel in der Vorgehensweise bei der Kompetenzentwicklung, der Bereitstellung unserer Kräfte und des Zusammenwirkens im System. Dies legte die Grundlagenfür einen zukunftsfähigen, attraktiven und effektiv wirkenden Sanitätsdienst. Die damals eingenommene Organisationsstruktur war dabei die Konsequenz aus den besonderen, vor allem auch fachlich geprägten Bedingungen, die ein Sanitätsdienst braucht, um Wirkung zu entfalten.
Der Sanitätsdienst ist so schon (fast) perfekt für die neuen Herausforderungen einer Landes- und Bündnisverteidigung und die jetzt noch mehr geforderte Zusammenarbeit mit dem zivilen Gesundheitssystem vorbereitet. Er zeigt sich als attraktiver Arbeitgeber, der trotz der schwierigen Rahmenbedingungen Bewerberinnen und Bewerber anzieht. Er hat seine „Kaltstartfähigkeit“ für das ganze Einsatzspektrum immer wieder unter Beweis gestellt – und vor Allem: Er hat die Soldaten und Soldatinnen auch in kritischen Gefechtssituationen immer zuverlässig medizinisch versorgen können. Wenn eines fehlt, sind es vor allem die Ressourcen, um dies zukünftig skalierbar in der Landes- und Bündnisverteidigung vor allem mit Blick auf die Landstreitkräfte in den notwendigen Kohäsions-Beziehungen zuverlässig ausgestalten zu können.
Wir können dankbar sein, dass kluge Köpfe diesen Ansatz damals nicht nur gedacht, sondern auch gegangen sind, oder besser in der damaligen Konstellation auch gehen konnten. Ihnen sollte unser besonderer Respekt gelten. Dem sollten wir uns verpflichtet fühlen, diesen Geist, diese Haltung aufgreifen und im jetzigen Kontext fortführen. Das können wir auch. Die Flexibilität, v. a. aber die grundsätzliche Ausrichtung, welche wir hierdurch erlangt haben, gilt es, auch in einer zukünftigen Struktur zu erhalten und weiterzuentwickeln.
Es gilt also heute wie damals, neue Wege zu denken und diese für den Sanitätsdienst der Zukunft auch einzuschlagen. Was hält uns also ab, weiter Ideen und Konzepte für Patientinnen und Patienten zu entwickeln und zu realisieren?
Wir können auf guten und wertvollen Erkenntnissen aufbauen und diese einbringen. Das gilt für den gesamten Sanitätsdienst und – das möchte ich gerade als Kommandeur Gesundheitseinrichtungen betonen – natürlich umfassend für den Bereich der Institute, Überwachungsstellen und Krankenhäuser. Und es gilt für alle Elemente der regionalen ambulanten Versorgung, wie der Regimenter in der Säule Einsatzunterstützung.
Unser Kernauftrag
Die Versorgung der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr im In- und Ausland, in Frieden, Einsatz und auch in Szenaren der Landes- und Bündnisverteidigung zu jeder Zeit und auf fachlich höchstem Niveau bleibt unverändert und uneingeschränkt bestehen.
Wir werden auch weiterhin den Inhalt und den fachlichen Rahmen hierfür verantworten. Diese Kompetenz kann uns keiner nehmen. Es gilt nun, dem Primat der Politik folgend, dies in der neuen Struktur zu ermöglichen und vollumfänglich zu realisieren. Ich denke, wir stehen hierfür weiter bereit!
Unser Defizit
Aber – wir haben es nicht vollends geschafft mit unserem Pfund anständig zu wuchern, sprich deutlich und klar zu vermitteln, was alles geleistet wird und was hinter unseren Leistungen steht, was unsere Aufgaben wirklich ausmacht und was dafür notwendig ist.
„Im Frieden wurde der Militärarzt gern zur Zielscheibe des Spottes der Offiziere, da mancher, gleichgültig ob aktiv oder der Reserve, äußerlich oder im Auftreten nicht das Idealbild des Soldaten bot. […] Jeder Spott verstummte aber sofort, wenn der Arzt sein Wissen und Können am Verwundeten bewies und sich für einen Verwundeten oder infektiös Erkrankten selbst höchster Gefährdung aussetzte.“
Generaloberstabarzt Prof. Dr. Ernst Rebentisch, Die Gesundheit der Soldaten, Gräfeling, 1995
So beschrieb es der 6. Inspekteur des Sanitätsdienstes in seinen Dokumenten zum Sanitätswesen der Bundeswehr. Das Bild, welches Generaloberstabsarzt Prof. Dr. Rebentisch hier aufgriff, spielte in der Vergangenheit wie auch heute (wieder) eine Rolle für den Blick auf den Sanitätsdienst, auch wenn es mit Sicherheit nicht ursächlich für die aktuellen Entwicklungen um den Sanitätsdienst in der Strukturreform der Streitkräfte ist – vielleicht aber ein wenig syndromal.
In der Rückschau drängt sich nun der Verdacht auf, dass wir als Sanitätsdienst als Ganzes in der Darstellung unseres Wissens und Können, in der Vergangenheit Versäumnisse hatten. Dass der Sanitätsdienst national wie auch international Anerkennung für sein Wirken erhält, ist unbestritten, dass er als Gesamtsystem unter verantwortlicher ärztlicher Leitung hoch effektiv arbeitet, ebenso. Doch ist das Momentum, welches hieraus hätte erwachsen können, nicht konsequent bei der weiteren Entwicklung der Gesundheitsversorgung der Bundeswehr aufgenommen worden.
Unbestritten ist, dass wir unser fachliches Wissen und Können effektiv einsetzen sollen und dabei auch das angemessene Selbstbewusstsein an den Tag legen müssen. Das ist Teil unseres Selbstverständnisses und auch notwendig, um unseren Auftrag zu erfüllen. Aber die Realität ist auch, dass die Notwendigkeit, medizinisch-fachliche Aspekte im Militär umzusetzen, außerhalb des Sanitätsdienstes allzu häufig als Verhindern von Ergebnissen wahrgenommen wird – auch wenn es so nicht ist.
Diese notwendigen Aspekte sind aus der Fachlichkeit zu begründen und aus unserer eigenen Kompetenz abzuleiten. Es gilt, unsere Kommunikation auf eben genau hierauf zu fokussieren, fachlich richtig und im Sinne der (Streitkräfte-)gemeinsamen Sache – und dies stets in der Rolle des Gestalters.
Das ist für ein gutes und gelingendes Veränderungsmanagement und vor allem für eine effektive Identitätsstiftung innerhalb des Sanitätsdienstes, aber auch für die Platzierung des Sanitätsdienstes im Gesamtgefüge der Bundeswehr notwendig. Nur wer sich mit dem System der Gesundheitsversorgung und dem gemeinsamen Auftrag von Truppenführer und Sanitätsoffizier verbunden fühlt, kann auch im Sinne der Sache (des Sanitätsdienstes) handeln und sprechen.
Es liegt aber auch in unserer Hand, wie die Struktur sich für unseren Sanitätsdienst auswirken wird. Ich appelliere an Sie, nicht in alten Denkstrukturen verhaftet zu bleiben und den Sanitätsdienst gemeinsam in eben dieser neuen Struktur weiterzuentwickeln.
Es bedarf der Fokussierung auf unsere Rolle und jenes, was seit jeher unsere Aufgabe ist – ganz besonders aber des Bruchs mit dem Gewohnten!
„Zur DNA des militärischen Sanitätsdienstes – und was die Invictus Games damit zu tun haben.“ [3]
Die Invictus Games, weisen darauf hin, „Was Soldaten in Einsätzen passieren kann“ – „Was die Folgen sein können.“, wie das unser Bundespräsident beim Abschluss der Spiele zum Ausdruck gebracht hat. Warum passen diese Worte an diese Stelle?
Die Invictus Games stehen aus meiner Sicht für das übergeordnete Ziel, das wir für verwundete oder erkrankte Soldatinnen und Soldaten im Auge haben sollten und die drei wesentlichen Leistungspakete, die wir als Sanitätsdienst der Bundeswehr abliefern müssen:
Erstens, Behandlung und Transport im Einsatzgebiet – ggf. mit Genesung dort und Rückkehr in den Dienst– was der Kernauftrag für uns ist, und zweitens – wenn das nach schwersten Verletzungen und seelischen Traumata nicht möglich ist – die Verlegung von schwerstverletzten Patienten aus den Einsatzgebieten nach Deutschland, dann drittens die weitergehende Behandlung und Rehabilitation in Deutschland mit Wiedereingliederung. Und dieser Weg kann nur dann erfolgreich sein,
- wenn von Beginn an adäquate Rettungs- und Erstbehandlungsschritte schon im Einsatzraum von Bataillon und Brigade erfolgen;
- wenn dann für schwerer und Schwerstverletzte ein fachlich betreuter und schonender Rücktransport in den rückwärtigen Raum Europas (Drehscheibe Deutschland) – für Soldaten der Partnernationen von dort ins Heimatland – realisiert werden kann und
- wenn hier im rückwärtigen Raum für die Behandlung von Soldatinnen und Soldaten dann Einrichtungen mit entsprechender Expertise in der Therapie und Rehabilitation von schweren Schädel-Hirn-, Gliedmaßen- und Mehrfach Verletzungen sicher verfügbar sind.
Hier in Deutschland werden das auch NATO-Partner von uns für Soldatinnen und Soldaten in der Drehscheibe Deutschland erwarten.
Darum geht es bei der Ausgestaltung sanitätsdienstlicher Versorgung in der NATO und bei Landes- und Bündnisverteidigung. Das ist deutlich mehr als die Versorgung im Einsatzraum einer Division, das ist deutlich mehr als die Unterstützung von Landstreitkräften. Und selbst wenn in diesem Einsatzraum alles bestmöglich verliefe, ist das Projekt Sanitätsdienst nicht wirklich erfolgreich, wenn es nicht gelingt, Soldatinnen und Soldaten über Rehabilitation wieder ins eigenständige Leben zurückzuführen und dabei – soweit es eben geht – nicht ausgleichbare Einschränkungen zu verhindern.
„Zur Golden Hour und den Lehren aus dem Krieg in der Ukraine“ [2]
Natürlich schauen wir bei der Beantwortung dieser Fragen auch auf die Erkenntnisse, die wir aus dem Russland-Ukraine-Krieg in Bezug auf sanitätsdienstliche Versorgung gewinnen können. Die Folgerungen müssen aber sehr bedacht eingeordnet werden. Dabei ist es hilfreich, dass es auch Analysen und Veröffentlichungen aus dem internationalen Raum gibt, zum Beispiel des Royal United Services Institute for Defence and Security Studies (RUSI), der Ukraine National Academy of Sciences und der Global Surgical and Medical Support Group, einer NGO aus den Vereinigten Staaten, um nur drei Beispiele zu nennen. Letztere erbringt bereits seit Kriegsbeginn chirurgische Unterstützungsleistungen sehr nah an den Frontlinien, hat also gute Einblicke ins Geschehen. Das bietet uns im Feld „Versorgung weit vorne“ gute Erkenntnisse, die in unsere eigene Weiterentwicklung einfließen.
Es geht in einem solchen Szenar um Schweregrade von Verwundungen, die wir im Friedensbetrieb auch bei schwersten Unfällen so nicht wahrnehmen. Das sind etwa zerfetzte, abgerissene Gliedmaßen oder Schrapnellverletzungen, bei denen Splitter in den Körper eindringen. Die Versorgung solcher Verletzungen fordert sowohl eine hohe Qualifikation und gute, vor allem aber speziell auf diese Situationen ausgerichtete Ausbildung von Ersthelfern und Sanitätspersonal, als auch eine umfangreiche Ausstattung mit Sanitätsmaterial wie beispielsweise Tourniquets, Bandagen und Medikamenten für die Blutstillung an Extremitäten und Weichteilen. Diese sehr spezielle Ausbildung für Ersthelfer haben wir im Jahr 2011 in die Bundeswehr eingeführt. Mit der entsprechenden Ausbildung zum sogenannten Combat Life Saver unterstützen wir als Sanitätsdienst die Ukrainischen Streitkräfte.
Zudem zeigt der aktuelle Krieg in der Ukraine, dass Schutzzeichen, medizinische Versorgungseinrichtungen und Sanitätspersonal nicht unter dem Schutz stehen werden, wie wir das in Konflikten mit staatlichen Akteuren erwarten würden. Notwendig ist also auch, sehr flexibel einsetzbare Mittel für eine frühe notfallmedizinische und notfallchirurgische Erstbehandlung der Soldatinnen und Soldaten in ausreichendem Maß verfügbar zu haben – sehr weit vorne, beweglich, mit dem entsprechenden Schutz ob der Bedrohung aber befähigt, erste schnelle kleinere Operationen zu machen, um beispielsweise zerstörte Gefäße zu schließen oder Blutstillung in einer Körperhöhle zu machen.
Die beiden ersten Schritte sind entscheidend für die Überlebenschancen eines Verletzten oder Verwundeten. Die Chance zum Überleben nimmt massiv ab, wenn nicht innerhalb einer Stunde eine entsprechende Behandlung erfolgen kann. Dieses Zeitfenster, das wir als „Golden Hour“ bezeichnen, beschreibt die Reaktionen des Körpers auf einen Schaden. Sie sind durch pathophysiologische Vorgänge des menschlichen Körpers bedingt und sie passieren unabhängig vom jeweiligen Szenar. Und militärmedizinisch wissen wir – wie eben dargestellt – wie man darauf in beweglichen Operationen antworten kann.
Es geht darum, Medizin in einem anderen Kontext als bei internationalen Krisenmissionen ggf. zeitlich begrenzt anders zu machen, was die Behandlungsverfahren betrifft, aber keine andere Medizin. Diese Behandlungsstrategien muss man entwickeln, d. h. auf wissenschaftlichem Niveau ableiten. Und man muss die Teams, die aus den Krankenhäusern in den Einsatz gehen, immer wieder am schwerstverletzten Patienten „trainieren“ – besser gesagt die notwendigen medizinischen Manöver kontinuierlich anwenden.
Wir können dabei die Physiologie nicht herausdiskutieren. Daher ist die Diskussion über die Zeitlinien und deren Einhaltung weder eine akademische noch notwendige Diskussion. Es handelt sich hierbei um schlichtweg physiologische Gesetzmäßigkeiten. Und die gelten unabhängig vom Szenar in der Landes- und Bündnisverteidigung wie auch in Einsätzen des internationalen Krisenmanagements. Es geht hierbei um angepasste, wissenschaftlich fundierte Behandlungsstrategien vom Zeitpunkt der Verwundung bis zur abschließenden Rehabilitation. Das ist zwar vom Prinzip her gleich in Einsätzen des IKM und der LV/ BV, jedoch in der Umsetzung in LV/BV grundverschieden. Das müssen wir anerkennen und umsetzen.
Dazu müssen wir uns aktiv einbringen, die Beziehungen einfordern und mit Inhalt füllen. Es gilt, neben dem fachlichen Wissen auch das notwendige militärische Handwerkszeug mitzubringen und zu zeigen.
Blick nach vorn: Worauf es nun ankommt [1][2][3]
Jetzt stellen Sie sich möglicherweise die Frage, wie ich mir den Sanitätsdienst in der Bundeswehr in der Zukunft vorstelle. Aber, das müssen Sie ja eigentlich gar nicht, denn es ist Ihre Zukunft und Sie müssen diese gestalten. Dennoch erlaube ich mir den jüngeren unter Ihnen, und das sind für mich mindestens alle unter 50, einige Ideen mit auf den Weg zu geben, wie dieser Sanitätsdienst sich in der Zukunft entwickeln könnte.
Gewiss vorne weg und sicherlich am dringendsten: Der Sanitätsdienst muss sich als Einheit sehen! Grüne Sanität, weiße Sanität, Approbationen, Fachlichkeit, Führung – das alles ist unser Sanitätsdienst. Und keiner dieser Aspekte kann und darf ohne den anderen. Und sind wir angehalten die vor uns liegende Strukturreform „intelligent, freiwillig und mutig“ selbst anzugehen.
Dabei geht es nicht nur um die Frage der Organisation des Sanitätsdienstes – darauf reduzieren wir es leider immer wieder! Es geht um die Frage von Beschaffungen, von wissenschaftlich-technologischen Entwicklungen und deren Prioritäten. Es geht aber auch um die Frage des Standings des Sanitätsdienstes der Bundeswehr im deutschen Gesundheitssystem, als Legitimationsanker und Aufsatzpunkt einer zentralen Koordinationsfunktion und – ein ganz wesentlicher Punkt – als struktureller Innovationstreiber.
Was heißt das? Da greife ich meine Fragen und Aspekte vom Beginn wieder auf und versuche, diese in Handlungslinien zu gießen. Wir haben ja auch bei den Arbeiten für das Zielbild Sanität schon viele konstruktive und nach vorn gerichtete Erkenntnisse gewonnen. Das alles müssen wir nun mit den Gedanken zur neuen Struktur „verheiraten“. Und gestatten Sie mir da noch die eine oder andere Idee:
Zunächst zu unserer Rettungskette: Die ist Kern der Versorgung bei LV/BV, aber liegen wir mit unserem Festhalten an den Ebenen 1 bis 4 mit der Definition von Behandlungseinrichtungen sowohl national wie in der NATO noch richtig? Immerhin, so war das schon im 1. Weltkrieg das Rational.
Wird das dem zukünftigen Gefechtsfeld gerecht? Es macht meines Erachtens Sinn, das heute – ausgehend von den Überlegungen unserer fachlichen Leitlinie und den Erkenntnissen des Ukraine-Krieges – weiterzudenken und vier funktionalen Bereichen zuzuordnen:
- Unmittelbare sanitätsdienstliche Unterstützung/Close Medical Support,
- akute klinische Versorgung/Acute Clinical Treatment,
- Verlegung in die Drehscheibe Deutschland/Transfer to Hospital und
- abschließende Versorgung und Rehabilitation/Definitive Treatment.
Ein grundsätzliches Prinzip erscheint mir dabei zukünftig als ein wesentlicher Faktor: Das flexible und modulare Vorgehen bei der Ausgestaltung der Behandlungs- und Transportelemente verbunden mit der Befähigung, lageabhängig sowohl modulare, geschützte und bewegliche Behandlungs- und Transportmittel einzusetzen, als auch feste Infrastruktur weit vorne zu nutzen.
Wenn wir davon sprechen, unmittelbare sanitätsdienstliche Unterstützung/Close Medical Support weit nach vorne in den Einsatzraum der Bataillone und Brigade zu bringen, dann sprechen wir auch davon, ein differenziertes Zusammenwirken von Einsatz-Ersthelfern mit Einsatz-Notfallsanitätern und Notfallmedizinern zu realisieren. Das erfordert ein Vorgehen nach fachlichen Leitlinien/Behandlungsstrategien und die notwendige Qualitätskontrolle – auch für den Ersthelfer. Dabei gilt es des Weiteren, die Verzahnung der unterschiedlichen Kompetenzen von Ersthelfer, Notfallsanitäter und Rettungsmediziner fachgerecht und effektiv zu gestalten. Mit dem Forward Surgical Element (FSE) erreichen wir hierbei bereits eine sehr frühe notfallchirurgische Intervention auf dem vorderen Gefechtsstreifen. Wir sind dafür verantwortlich und müssen dieser Verantwortung in Zukunft noch besser nachkommen.
Die nachfolgende akute klinische Versorgung/Acute Clinical Treatment beginnend im rückwärtigen Raum einer Division erfordert nach unseren aktuellen Erkenntnissen einen flexiblen Einsatz von notfallchirurgischen, aber auch anderen fachärztlichen Fähigkeiten. So sollten wir unsere bisherigen sehr festen Zuordnungen von operativen Fachgebieten insbesondere aus dem Kopf-Hals-Bereich im Hinblick auf die von uns aktuell ausgeplanten Konstellationen von Sanitätseinrichtungen nochmal untersuchen. Zudem werden wir bereits sehr früh die Infrastruktur des zivilen Gesundheitswesens mit in die Überlegungen einbeziehen müssen.
Um diese Versorgungspunkte erreichen zu können, ist eine durchgehende, bestenfalls geschützte und Kapazität ausreichend ausgelegte Verlegemöglichkeit notwendig. Und ich spreche hier nicht von einem reinen Transport von Verwundeten. Es geht darum, auch unter Gefechtsbedingungen eine qualifizierte Verlegung mit fachlich notwendiger und gebotener Behandlungsmöglichkeit zu schaffen. Und dies schließt bei der Versorgung der Landstreitkräfte die Nutzung der drei Dimensionen Land, Luft und See explizit mit ein. Hierfür müssen sowohl Kapazitäten, Fähigkeiten und Prozesse etabliert und geübt werden.
Um dies entlang der Rettungskette zu realisieren, spielen Kohäsion und Couleurbeziehungen eine ebenso entscheidende Rolle. Nur wenn klar ist, wer im Ernstfall zusammenarbeitet und diese Zusammenarbeit auch regelmäßig unter realistischen Bedingungen trainiert wird, kann sichergestellt werden, dass ein gutes Ergebnis erreicht wird. Ausbildung und Übung im Team müssen Hand in Hand gehen.
Kohäsion heißt daher für mich mehr als die Unterstützung der Teilstreitkräfte, es ist ein gemeinsames militärisches Agieren. Zudem gilt es eine innere Kohäsion, sprich ein stabiles Wirkgefüge zwischen den Bundeswehrkrankenhäusern und den regionalen Sanitätseinrichtungen auf der einen Seite und der zwingenden Verzahnung und Einbindung der Bundeswehrkrankenhäuser und der Sanitätstruppe auf der anderen Seite.
Ein zweiter Punkt ist die Kopplung der drei in München ansässigen Institute des medizinischen ABC-Schutzes mit dem Baustein Gesundheitsschutz und Force Health Protection, verbunden mit den vier neuen Zentren für Gesundheitsschutz der Bundeswehr. Die Linie verbindet Surveillance mit Forschung und Behandlung, was schlicht Benchmark für den zivilen Bereich wäre.
Wehrmedizinische Ressortforschung und die fachlich-wissenschaftliche Vernetzung mit nationalen wie auch internationalen Partnern ist hierbei der Schlüssel, mit dem es gelingen kann, die Innovationen in der Medizin auch auf einem Gefechtsstreifen sicher und effektiv zur Anwendung zu bringen. Militärische Expertise in den Forschungsverbünde zu bringen ist hierfür eine zwingende Voraussetzung, da ohne diese Vernetzung wehrmedizinische Aspekte nur unzureichend Niederschlag in die Weiterentwicklung von Behandlungsmethoden sowie -strategien und auch Sanitätsmaterial finden werden.
Auch ist es dem Sanitätsdienst ein Anliegen, fachliche Aspekte der Wehrmedizin in die Ausbildung aller medizinischen Fachberufe, sei es universitär durch Kooperationen mit den Universitätskliniken oder durch berufsfachschulische Kooperationen, zu bringen. Wir verstehen die Gesundheitsversorgung in Szenaren der Landes- und Bündnisverteidigung bereits seit Jahren als gesamtstaatliche Aufgabe und, nur wenn es gelingt dieses „Mindset“ bereits in der Ausbildung zu schaffen, kann ein Gelingen im Krisenfall erwartet werden.
Und die dritte Linie ist die Frage des Zusammenwirkens im Feld Patientenversorgung, was die Krankenhäuser, die Regionalen Sanitätseinrichtungen und Sanitätsbataillone betrifft. Ich möchte auf diesen Aspekt jetzt etwas intensiver eingehen, denn er ist ein zentraler Aspekt für unsere fachliche Leistungsfähigkeit des Sanitätsdienstes der Bundeswehr. Das war ein Bruch mit dem Gewohnten, v. a. der Rolle der Bundeswehrkrankenhäuser, um die es jetzt im Folgenden Kern geht.
Für die fachliche Leistungsfähigkeit, die Effektivität des Sanitätsdienstes im Einsatz bzw. mobilen Gefecht sind die Bundeswehrkrankenhäuser die zentralen Elemente unserer Strategie. Sie spielen damit auch eine zentrale Rolle für die Bereiche der Ausbildung und Lehre, der Patientenversorgung oder der Verwundetensteuerung. Sie sind letztlich unsere fachlichen Zentralen für fünf Aufgaben:
- Kompetenzentwicklung des medizinischen Fachpersonals – dies umfasst sowohl die umfassende und hochwertige Ausbildung als auch die fortgesetzte Inübunghaltung –,
- Bereitstellung dieses medizinischen Fachpersonals für die Einsatzverbände,
- Forschung und Weiterentwicklung von „Behandlungsstrategien in der Militärmedizin“, um für unsere Kameradinnen und Kameraden eine adäquate Medizin auch unter den besonderen Bedingungen einer Gefechtssituation zu realisieren,
- abschließende Behandlung in Deutschland, sowohl in Friedenszeiten, als auch in Szenarien der Landes- und Bündnisverteidigung sowie
- Steuerung der Patientenströme in das Traumanetzwerk bzw. in die Behandlungscluster in Deutschland.
Diesem Ansatz liegen zwei wesentliche Erkenntnisse zu Grunde: Für Entwicklung und Erhalt der notwendigen kriegstüchtigen Fähigkeiten unseres medizinischen Fachpersonals reichen weder die Fallschwere noch die Fallzahlen, die wir aus dem militärischen Personalkörper generieren können, aus. Es bedarf der arbeitstäglichen Kompetenzentwicklung des ärztlichen und nichtärztlichen Fachpersonals der sanitätsdienstlichen Einheiten und Verbände des Sanitätsdienstes über die Arbeit am Patienten in den Gesundheitseinrichtungen der Bundeswehr mit dem Ziel der Qualifikation entlang ziviler fachlicher Standards.
Die Bundeswehrkrankenhäuser sind im Ergebnis einerseits Teil des militärischen Systems mit dem Auftrag, Soldaten rundum im In- und Ausland zu versorgen. Gleichzeitig wollen und müssen wir eine Hochwertmedizin auf universitärem Niveau sicherstellen, das heißt wissenschaftlich und technologisch führend sein, dabei aber eben auch ausgerichtet an den hohen zivilen Qualitätsansprüchen und Regelungen des BMG und des GB-A.
Wie geht diese Rechnung angesichts der anstehenden Veränderungen der Krankenhauslandschaft sowie der Notfall- und Akutversorgung in den kommenden Jahren auf? Wie gehen wir dabei mit der Frage des Pflegekräftebedarfs um?
Das sind sehr konkrete Fragestellungen, an denen wir derzeit arbeiten und die konkrete Antworten erfordern. Mit Blick auf die geänderten sicherheitspolitischen Herausforderungen, hat die Sicherstellung geeigneter gesetzlicher Rahmenbedingungen für die fünf Häuser als Grundlage zur uneingeschränkten Auftragserfüllung, unter den vorgesehenen gesetzlichen Neuregelungen, größere Bedeutung denn je. Und im Hinblick auf die durch die Reform der Krankenhausversorgung zu erwartenden Veränderungen, bleibt es bei einem grundlegenden Baustein, um den hoheitlichen Auftrag der Bundeswehrkrankenhäuser sicherzustellen:
„Die umfassende Möglichkeit zur stationären und ambulanten Behandlung ziviler Patientinnen und Patienten.“
Bei unseren Versorgungsleistungen brauchen wir gerade in Zukunft die Möglichkeit, Krankenhausleistungen in den Fachgebieten zu erbringen, die zur Auftragserfüllung im Einsatzgebiet relevant sind. Es ist daher von herausragender Bedeutung, dass die Bundeswehrkrankenhäuser gesichert diejenigen Leistungsgruppen abbilden, die zur Gewährleistung einer zeitgerechten, qualifizierten Versorgung im Rahmen der LV/BV notwendig sind.
Und da die Ressourcen der Bundeswehrkrankenhäuser begrenzt sind, ist es auch von Bedeutung, einen Teil der zukünftigen Qualitätsvorgaben im Rahmen von Kooperationen erfüllen zu können. Hier geht es im Einzelfall um die zielgerichtete Kooperation mit lokalen, aber auch regionalen und überregionalen Partnerkliniken, wie bspw. den berufsgenossenschaftlichen (BG-)Kliniken und Universitätskliniken. Das bedarf einer entsprechenden Regelung, die den Bundeswehrkrankenhäusern diese zielgerichtete Zusammenarbeit mit Kooperationspartnern ermöglicht.
Soviel zur Rolle der Krankenhäuser des Bundes – die hier angesprochenen Punkte sind die Voraussetzung, um in der Landes- und Bündnisverteidigung zeitgemäße Medizin auf das Gefechtsfeld projizieren zu können.
Mein zweiter Aspekt zu Beginn war, die familien- und wohnortnahe Behandlung und Rehabilitation für Soldatinnen und Soldaten in Deutschland zu realisieren. Was brauchen wir jetzt für dieses Paket, dass sich mit gesamtstaatlicher Vorsorge für die Drehscheibe Deutschland beschäftigt?
Wir brauchen starke Partner, etablierte Kooperationen, ein belastbares Netzwerk, die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Zusammenarbeit zwischen Bw-, BG- und Uni-Kliniken, den definierten Zugriff auf über 600 Kliniken in den Traumanetzwerken der Republik und Digitalisierung als Voraussetzung für die bruchfreie Zusammenarbeit.
Damit ist schon knapp alles gesagt. Hier in Deutschland muss es das Ziel sein, die Kapazitäten für die klinische Versorgung eigener aber auch der Behandlungen alliierter Soldaten/Soldatinnen in den zukünftigen Szenarien nachhaltig zu erhöhen. Unverändert wird in diesen Szenarien die Versorgung im Inland aufrecht zu erhalten sein. Die Herausforderungen, mit denen unser Gesundheitssystem dann konfrontiert ist, können nicht mit bisherigen Routinen beantwortet werden, sondern erfordern neues Denken, insbesondere in der effektiven Steuerung, der Frage gemeinsamer Lagebilder und der Zuordnung von Aufgabenfeldern. Umbruch war hier das andere Stichwort.
Ich glaube, es braucht auch hier Brüche des bisher Gewohnten. Und es bedarf des Einsatzes aller Stakeholder des Gesundheitswesens. Dazu soll es in Deutschland Behandlungscluster um die fünf Bundeswehrkrankenhäuser geben. In diesen Clustern erfolgt eine gezielte Zusammenarbeit mit kollozierten regionalen oder überregionalen Partnerkliniken, wie BG-Kliniken sowie den Kliniken der Universitätslandschaft. Wir überschreiben dies mit der Formel „5 + 9 + x“. Im Hinblick auf die zu erwartenden Verwundetenzahlen wird der Verteilmechanismus (Kleeblatt) weiterentwickelt und regional den sogenannten Clustern aufgefächert werden müssen, um Patientenströme expertisegerecht lenken zu können. Die Bundeswehr – und im Besonderen der Sanitätsdienst – muss in einem solchen Szenario die Steuerfunktion für den militärischen Anteil übernehmen, um eine adäquate Versorgung von eigenen und verbündeten Kräften sicherzustellen. Military Medical Hub ist hier die Überschrift. Daneben ist aber weiterhin die Versorgung der Zivilbevölkerung abgestimmt zu steuern.
Schlussbemerkung
Sie sehen, der Sanitätsdienst der Zeitenwende, Ihr Sanitätsdienst, steht vor Herausforderungen. „Health Security & Resilience“ ist da meine Überschrift. Doch ich bin mir gewiss, wir sind, unabhängig von Strukturveränderungen oder Gegenwind, zu Großem im Stande.
Und wenn ich mir etwas wünschen dürfte, am Ende meiner Dienstzeit, dann komme ich gar nicht in Verlegenheit: Ich wünsche mir einen einigen Sanitätsdienst und verbinde das mit einer Aufforderung: „Bleiben Sie Avantgarde – der Sanitätsdienst und seine Patienten und Patientinnen haben dies verdient!“
Denn ich denke, eine gute sanitätsdienstliche Versorgung unserer Soldaten ist ein kritischer Erfolgsfaktor für die Kriegstüchtigkeit der Bundeswehr.
Literatur
1. „Blick zurück – Blick nach vorn“, Vortrag beim Führungslehrgang des Sanitätsdienstes der Bundeswehr, München, 18. April 2024
2. „Was jetzt nötig ist – Herausforderungen an den Sanitätsdienst der Zukunft“, Vortrag beim Info-Lunch – Förderkreis Deutsches Heer e. V.; Berlin, 19. Oktober 2023
3. „Sanitätsdienst der Bundeswehr – Herausforderungen und Perspektiven“ Impuls beim Besuch von Gesundheitspolitikern der Koalitionsfraktionen der Regierungsfraktionen des Deutschen Bundestages im Bundeswehrkrankenhaus Berlin, 19. Oktober 2023
Verfasser
Generalstabsarzt Dr. Norbert Weller
Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr
Stellvertreter des Inspekteurs des Sanitätsdienstes
und Kommandeur Gesundheitseinrichtungen
Von-Kuhl-Straße 50, 56070 Koblenz
E-mail: norbertweller@bundeswehr.org
1 Die Wahrnehmung der Aufgaben Gesundheitsversorgung aus einer Hand wurde, wenn auch nach schwierigen Geburtswehen, bei der Einführung des Sanitätsdienstes der Bundeswehr im Jahre 1957 mit der Etablierung eines „Sanitätschefs“ und einer „Sanitätsinspektion“ auf ministerieller Ebene für die besonderen Rahmenbedingungen der Streitkräfte initiiert.
2 Gesundheitsversorgung: Im Folgendem wird mit Blick auf die Bundeswehr grundsätzlich der Begriff Gesundheitsversorgung verwendet, als Oberbegriff für die Gesamtaufgabe, bestehend aus ambulanter, klinischer und rehabilitativer Behandlung, der Prävention, der Gesundheitssicherheit, der der Förderung sowie der Planung und Entwicklung des gesamten Aufgabenfeldes. Das schließt Forschung, Lehre und Ausbildung sowie das Beschaffungs- und Finanzierungssystem mit ein.
3 „Von den fachlichen Fähigkeiten, dem Verständnis für die Wehrmedizin und ihren Kenntnissen der militärischen Führungs-, Einsatz- und Organisationsgrundlagen wird Leistungs- und Einordnungsfähigkeit des Sanitätsdienstes im Gesamtgefüge der Streitkräfte bestimmt.“