Erkenntnisse aus der Weltraumexpeditionsmedizin für das Gefechtsfeld – die TEMPUS I+II-Studien
Findings from Space Expedition Medicine for the Battlefield – the TEMPUS I+II Studies
Lara Valentina Dietleina, Sylwia I.Kadukc,d,e, Hakon Ruscha,f, Lukas Fataia,g, Raphael Kneffela, David Cyrola, Janina Posta, Stefan Sammitoa,b
a Zentrum für Luft- und Raumfahrtmedizin der Luftwaffe, Köln
b Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Bereich Arbeitsmedizin der Medizinischen Fakultät
c Space Medicine Team, European Space Agency (ESA HRE-OM), European Astronaut Centre Department (HRE-O), Köln
d KBR GmbH, Köln
e Space Biomedicine Systematic Review Methods, Wylam, Vereinigtes Königreich
f Taktisches Luftwaffengeschwader 71 „Richthofen“, Wittmund
g Lufttransportgeschwader 62, Wunstorf
Zusammenfassung
Im Rahmen militärischer Konflikte kommt es häufig zu einer hohen Anzahl von Verwundeten und Verletzten, die initial in der Konfliktzone behandelt werden müssen, wobei Ersthelfer die erste medizinische Laienhilfe sicherstellen. Ziel der vorliegenden Studie war es, einen Vitalwertmonitor mit einer im Gerät verbauten integrierten Schritt-für-Schritt-Anweisung hinsichtlich der Nutzbarkeit durch medizinische Laien mit nur minimaler Basiseinweisung für die Erfassung von Vitalwerten zu überprüfen. Insgesamt 64 Probanden mit maximaler Erste-Hilfe-Ausbildung nutzten den Tempus ALS PRO zur Ableitung eines Ruhe-EKGs sowie zur nichtinvasiven Messung des Blutdrucks, der peripheren Sauerstoffsättigung und der Hauttemperatur. In einer Subanalyse wurden 39 Probanden gebeten, einen „focused assessment with sonography for trauma“ (FAST)-Ultraschall durchzuführen. Es wurde die Zeit bis zum ersten Messwert, die aufgetretenen Fehler sowie die subjektive Belastung mittels NASA-Task Load Index ermittelt.
Nahezu alle Probanden waren in der Lage, einen Vitalwert innerhalb von fünf Minuten zu ermitteln. Dabei wurde die integrierte Anleitung bei 77 % der Messungen genutzt. Die subjektive Belastung war insgesamt niedrig. Im Gegensatz hierzu konnte keiner der Probanden einen nutzbaren FAST-Ultraschall durchführen.
Die Ergebnisse zeigen auf, dass medizinische Laien durch Unterstützung eines integrierten Assistenzsystems in Vitalwertmonitoren in der Lage waren, Vitalwertbestimmungen erfolgreich durchzuführen. Demgegenüber ist es ihnen aber nicht möglich, darüber hinausgehende erweiterte Untersuchungen, wie einen FAST-Ultraschall, sicher durchzuführen. Für die Erstversorgung in der Konfliktzone könnten solche innovativen Medizingeräte eine Steigerung der ersten Einschätzung der Kreislaufsituation auch ohne medizinisches Fachpersonal ermöglichen.
Schlüsselwörter: Vitalwerte, Ersthelfer, FAST-Ultraschall, Explorationsmedizin, Wehrmedizin, ISS
Summary
In the context of military conflicts, there is often a high number of wounded and injured patients who require initial treatment in the conflict zone, with first responders providing initial medical care. The aim of this study was to assess the usability of a vital signs monitor with integrated step-by-step instructions for recording vital signs by lay medics with minimal basic training. A total of 64 test subjects with a maximum of first aid training used the Tempus ALS PRO to record a resting ECG and for non-invasive measurement of blood pressure, peripheral oxygen saturation and skin temperature. In a sub-analysis, 39 subjects were asked to perform a “focused assessment with sonography for trauma” (FAST) ultrasound. The time to the first reading, the errors that occurred and the subjective stress were determined using the NASA Task Load Index.
Almost all test subjects were able to determine a vital sign value within five minutes. The integrated instructions were used for 77 % of the measurements. The subjective load was low overall. In contrast, none of the test subjects were able to perform a usable FAST ultrasound.
The results show that medical laypersons were able to successfully perform vital signs assessments with the support of an integrated assistance system in vital signs monitors. In contrast, however, they are not able to safely perform advanced examinations such as a FAST ultrasound. To provide first aid in the conflict zone, such innovative medical devices could provide an improvement of the initial assessment of the circulatory situation even without professional medical staff.
Keywords: vital signs; first aider; FAST ultrasound; exploratory medicine; military medicine; ISS
Einleitung
Key player: Battlefield First Responder
Im Rahmen militärischer Konflikte kommt es zu einer hohen Anzahl von Verwundeten und Verletzten, die initial in der Konfliktzone behandelt werden müssen, wobei Ersthelfer (sog. Battlefield First Responders (BFR)) die erste medizinische Laienhilfe sicherstellen [10]. Etwa 40 % der Verwundeten erreichen eine weiterführende medizinische Behandlungseinrichtung innerhalb der ersten 6 Stunden und weitere 20 % innerhalb der nächsten 6 Stunden [3]. Gründe für diese zeitlichen Verzögerungen sind hauptsächlich der erste Anteil der Versorgung im Feld, die anschließende Rettung und die häufig vorliegenden Schwierigkeiten beim Transport in unwegsamem, potenziell gefährlichem und abgelegenem Gelände [2].
Aus diesen Gründen ist durch die BFR eine adäquate Erstversorgung im Feld von hoher Bedeutung, was unter Umständen zunächst mit einer Sicherung des taktischen Umfeldes einhergeht. Lageabhängig kann es hierbei zu Konflikten zwischen dem Ausschalten möglicher Bedrohungen, der Erstversorgung und einer eventuellen Evakuierung kommen [10]. BFR müssen daher in der Lage sein, medizinische Tätigkeiten entsprechend ihrer jeweiligen sanitätsdienstlichen Ausbildung eigenständig durchzuführen [12]. Im Gegensatz zur erweiterten Ausbildung für Sanitätskräfte mit zahlreichen Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten enthält die Basisausbildung der BFR in erster Linie die unmittelbare Reaktion auf Erkrankungen und Verletzungen, jedoch keine Ausbildung an Medizingeräten zur medizinischen Diagnostik.
Ergänzung von Training durch Technisierung?
Die Optimierung der notfallmedizinischen Erstversorgung ist Bestandteil kontinuierlicher Forschungsaktivitäten. Beispielsweise beschäftigen sich Projekte mit der Verbesserung der Lehrausbildung mittels Evaluation der Lehrmethoden, Integration moderner Technologien (Simulationstrainings, e-Learning-Module) oder Neustrukturierung, wie etwa die modulare einsatzvorbereitende Zusatzausbildung für Notärzte [6]. Ein zentrales Thema in der fortlaufenden Diskussion über die Sanitätsausbildung ist die Frage nach der Technisierung sowohl des Trainings als auch realer Abläufe im Einsatz der BFR. Mit den neuesten Entwicklungen zur Erhöhung der Crewautonomie [14], gerade vor dem Hintergrund telemedizinischer Anwendungen, stellt sich die Frage nach eventuellen Vorteilen für die weitere Erstversorgung durch selbstständiges Anlegen medizinischer Diagnostik ohne oder mit geringem Vorwissen bis zum Eintreffen in der ersten sanitätsdienstlichen Einrichtung [1].
So wurden Vorteile einer zeitlich früheren Diagnostik durch medizinische Laien z. B. für die Durchführung der “focused assessment with sonography for trauma“ (FAST)-Sonografie festgestellt [7][8]. Hierbei waren zumeist jedoch telemedizinische Anbindungen an Krankenhäuser Teil der Unterstützungsleistung für die Ersthelfenden. Diese Ansätze sind auch für militärische Szenarien von Bedeutung. Jedoch müsste aufgrund der Besonderheiten des militärischen Einsatzes, welche ggf. den Einsatz von Funkverbindungen für telemedizinische Anbindungen nicht erlauben, eine solche Diagnostik am besten in Form eines automatisierten, autark arbeitenden Medizingerätes oder mittels einer integrierten Anleitung erfolgen.
Analogie zu Weltraummissionen
Diese Herausforderungen finden sich in ähnlicher Weise auch für kommende Weltraummissionen: autarke Diagnostik und Therapie, teilweise von medizinischen Laien, Einschränkungen telemedizinischer Anbindung durch verzögerte Funkverbindungen aufgrund von Entfernung und Position im Weltraum und lediglich eingeschränkte Verfügbarkeit höherwertiger medizinischer Ausstattung und Personal wegen fehlender Kapazitäten.
Ziel der vorliegenden Studie war es daher, einen Vitalwertmonitor mit einer im Gerät integrierten Schritt-für-Schritt-Anweisung zum Anlegen von Ruhe-EKG, Durchführung einer Blutdruck-, Hauttemperatur- und peripheren Sauerstoffsättigungsmessung sowie einer Anleitung zur Durchführung eines FAST-Ultraschalls hinsichtlich der Nutzbarkeit durch medizinische Laien mit nur minimaler Basiseinweisung in dieses für sie unbekannte Medizingerät zu überprüfen.
Methoden
Die Datenerfassung erfolgte an zwei Zeitpunkten, im Sommer 2022 (Tempus-I-Studie) sowie im Sommer 2023 (Tempus-II-Studie). Während der ersten Datenerhebung (mit 25 teilnehmenden Probanden) wurde das Versuchssetting innerhalb eines Versuchsraumes im Zentrum für Luft- und Raumfahrtmedizin der Luftwaffe (ZentrLuRMedLw) aufgebaut, während der zweiten Datenerhebung (mit 42 Probanden) fand die Erhebung im Columbus Training Simulator Modul im European Astronaut Center (EAC) der ESA statt. Hierbei handelt es sich um eine exakte Nachbildung des Columbus-Moduls auf der Internationalen Raumstation (International Space Station, ISS, Abbildung 1). Im Rahmen beider Studiendurchgänge wurden die Probanden gebeten, bei einem „Versuchspatienten“ unter Zuhilfenahme der iASSIST-Funktion jeweils ein Ruhe-EKG anzulegen sowie nichtinvasiv den peripheren Blutdruck am Oberarm, die Hauttemperatur und die periphere Sauerstoffsättigung zu messen. Bei der zweiten Erhebung wurde zusätzlich die Anleitung zur Durchführung eines FAST-Ultraschalls bei den 42 teilnehmenden Probanden beurteilt.
Abb. 1: Versuchsaufbau im Columbus-Trainingsmodul der European Space Agency: Am Kopf des „Versuchspatienten“ ist der TEMPUS ALS Pro zu sehen.
Insgesamt konnten somit für die vorliegende Studie 67 Probanden rekrutiert werden. Alle Probanden erhielten vor Studienteilnahme eine ausführliche mündliche sowie schriftliche Aufklärung und gaben ihre schriftliche Einverständniserklärung zur Studienteilnahme und zum Datenschutz. Alle Teilnehmenden füllten zunächst einen Fragebogen mit soziodemographischen Angaben (Alter, Geschlecht, Ausbildungshöhe) und ihren medizinischen Vorerfahrungen aus. Aufgrund dieser Angaben mussten initial drei Probanden von der späteren Datenauswertung ausgeschlossen werden, da diese in der Selbsteinschätzung eine höherwertige medizinische Ausbildung als einen Erste-Hilfe-Kurs erhalten hatten (einer war Ersthelfer (EH)-B der Bundeswehr, zwei waren Combat-First-Responder A der Bundeswehr).
Insgesamt konnten somit 64 Probanden im Altersmedian von 31 Jahren (Range: 18 bis 58 Jahre) in die weiterführende Analyse eingeschlossen werden. Von diesen waren 51 (80 %) zum Zeitpunkt der Studienteilnahme Soldaten, 13 waren zivile Angestellte bzw. Beamte (20 %). Die Probanden waren größtenteils männlich (n = 56, 88 %) und zeigten eine deutliche Variabilität in den Sozialkriterien (z. B. Erster Studiendurchgang Bildungsabschluss bzw. Status). Nahezu alle Teilnehmenden (n = 58) hatten entweder bereits eine zivile Erste-Hilfe-Ausbildung oder einen EH-A absolviert. Im Median lag die entsprechende Ausbildung bzw. die letzte Auffrischung ein Jahr zurück (Range: 0 bis 20 Jahre), fünf Probanden machten hier keine Angaben. Der Großteil der Probanden hatte mit den in der Studie genutzten medizinischen Messgeräten bisher keine oder kaum Erfahrungen. Lediglich 23 (36 %) gaben an, schon einmal selbst ein Blutdruckmessgerät genutzt und acht (13 %) einen peripheren Sauerstoffsättigungssensor angebracht zu haben. Drei Probanden (5 %) hatten schon einmal ein Ruhe-EKG angelegt. Eine Übersicht der demografischen Daten sowie Angaben zur medizinischen Vorausbildung zeigt Tabelle 1.
Tabelle 1: Demografische Angaben der eingeschlossenen Probanden
Erster Studiendurchgang
Vor der Versuchsdurchführung erhielten die Probanden eine kurze Einführung in den Ablauf und in die Funktionsweise des Tempus ALS Pro. Ihre Aufgabe war es, mit Hilfe des Tempus ALS Pro anhand der integrierten Anleitung an einem männlichen „Versuchspatienten“ ein Ruhe-EKG abzuleiten sowie die periphere Sauerstoffsättigung, den peripheren systolischen und diastolischen Blutdruck sowie die Hauttemperatur zu erfassen. Im Anschluss an die einzelnen Messungen wurde die subjektive Benutzererfahrung mittels des National Aeronautics and Space Administration (NASA)-Task Load Index (TLX) erfasst [4]. Der NASA-TLX umfasst insgesamt sechs Items zur subjektiven Selbsteinschätzung der jeweiligen Inanspruchnahme in den Subkategorien psychische, physische und zeitliche Beanspruchung sowie Angaben zur Einschätzung, wie erfolgreich die Aufgabe erfüllt wurde (Leistung), wie anstrengend diese war (Anstrengung) und wie unsicher, entmutigt, irritiert, gestresst oder verärgert die Probanden sich fühlten (Frustration). Jede Subskala konnte auf einer Likert-Skala von 1 bis 20 von ganz niedrig bis ganz hoch beantwortet werden. Aus allen sechs Subskalen wurde eine Gesamtbelastung in Form eines arithmetischen Mittelwerts der erfassten NASA-TLX-Items berechnet.
Die Reihenfolge der Vitalwerterhebungen wurde zwischen den Probanden randomisiert, um mögliche Trainingseffekte in der Handhabung des Gerätes auf alle Vitalwerterhebungen gleichmäßig zu verteilen. Als primäre Outcome-Parameter wurde die Zeit in Sekunden bis zum Anzeigen eines entsprechenden Ruhe-EKGs bzw. Messwertes erfasst, mögliche Fehlerquellen wurden von der Versuchsleitung protokolliert. Es war vorgesehen, dass die jeweilige Messung abgebrochen werden sollte, wenn nach fünf Minuten kein Ruhe-EKG oder kein Messwert dargestellt werden konnte.
Zweiter Studiendurchgang
Im Rahmen des zweiten Studiendurchgangs wurde bei den dort teilnehmenden Probanden zusätzlich im Anschluss auch die Fähigkeit zur Durchführung eines FAST-Ultraschalls mittels des im Tempus ALS Pro vorhandenen iASSIST getestet. Als primärer Outcome-Parameter wurde hier das Darstellen der entsprechenden drei anatomischen Räume definiert. Hierzu wurde die Ultraschalldurchführung sowie die entsprechende Darstellung auf dem Tempus ALS Pro-Bildschirm zeitgleich gefilmt und im Anschluss an die Studiendurchführung durch einen Arzt mit Facharztqualifikation und entsprechender Expertise in Ultraschalldiagnostik analysiert.
Durchführung und Auswertung
In beiden Studiendurchgängen (Tempus-I- und Tempus-II-Studie) wurde der Tempus ALS Pro zu Versuchsbeginn angeschaltet und mit bereitgelegten Messmodulen zur Verfügung gestellt. Die Probanden wurden über den gesamten Versuchsablauf und zwischen den Einzelmessungen über eine standardisierte Regieanweisung, welche von der Versuchsleitung vorgelesen wurde, hinsichtlich der weiteren Schritte informiert. Hierdurch konnte sichergestellt werden, dass alle Probanden dieselben Informationen während der Versuchsdurchführung erhielten. Das Versuchspersonal bestand aus einer Studienleitung, dem freiwilligen männlichen „Versuchspatienten“ sowie einer weiteren protokollierenden Person. Während der gesamten Versuchsdurchführung wurden keine Fragen beantwortet. Alle Daten wurden während der Versuche durch die protokollierende Person händisch erfasst und aufgezeichnet, nach Versuchsende sowohl durch die Versuchsleitung als auch vom jeweiligen „Versuchspatienten“ ergänzt und im Anschluss in eine Microsoft Excel-Tabelle aufgenommen. Zur weiteren Qualitätskontrolle wurde die gesamte Versuchsdurchführung per Video (bei Tempus-II zusätzlich auch der Tempus ALS Pro Monitor im Rahmen der Ultraschalldiagnostik) aufgezeichnet. Die erhobenen Daten wurden zur deskriptiven Auswertung in die Statistik-Software IBM SPSS 24 für Microsoft Windows (SPSS Inc., IL, USA) überführt. Aufgrund fehlender Normalverteilung nach Prüfung mittels Kolmogorow-Smirnow-Test werden Skalenangaben immer mit Median und Interquartilbereich (IQR) angegeben. Häufigkeitsverteilungen werden jeweils in absoluten und relativen Angaben aufgeführt.
Die vorliegende Studie wurde im Rahmen des Ressortforschungsauftrages des ZentrLuRMedLw in Zusammenarbeit mit der ESA durchgeführt. Die Ethikkommission der Ärztekammer Nordrhein hat das Studienvorhaben beraten und ein positives Votum ausgesprochen (Az 2022406). Außerdem wurde die Studie vom Datenschutzbeauftragten des ZentrLuRMedLw positiv bewertet.
Ergebnisse
Ein Großteil der Probanden (n = 61, 96 %) war in der Lage, innerhalb der vorgegebenen fünf Minuten ein Ruhe-EKG so anzuschließen, dass sowohl eine EKG-Kurve als auch eine entsprechende Herzschlagfrequenz angezeigt wurde bzw. die nichtinvasive Blutdruckmessung abzuschließen. Sowohl die Messungen mittels Pulsoxymeter als auch die Hauttemperaturmessung konnten von allen Probanden innerhalb der vorgegebenen fünf Minuten abgeschlossen werden. Insgesamt konnten 98 % aller Messungen innerhalb der Fünf-Minuten-Zeitspanne abgeschlossen werden. Bei der Nutzung des Tempus ALS Pro wurde in 77 % (n = 197) der Messungen die integrierte Anleitung parallel zur Messung genutzt, ein vollständiger Verzicht auf die Nutzung der integrierten Anleitung bzw. ein Überspringen dieser wurde lediglich in einem Messversuch verzeichnet. Im Median benötigten die Probanden für das Anlegen des Ruhe-EKGs 2:21 min, für die nichtinvasive Blutdruckmessung 2:19 min, für die Bestimmung der peripheren Sauerstoffsättigungsmessung 0:45 min und für die Hauttemperaturmessung 0:57 min. Tabelle 2 zeigt eine Übersicht über die erhobenen Versuchsdaten und Gesamtergebnisse.
Tab. 2: Übersicht über die Ergebnisse der Versuchsdurchführung und die im Median benötigten Zeiten (in Klammern mit Angabe des Interquartilbereichs) sowie der subjektiv eingestuften Belastung anhand des NASA-Task Load Index (TLX), für die Gesamtgruppe (n=64) sowie für die separate Ultraschalluntersuchung (n=39)
Insgesamt kam es bei 11%–36% der Probanden zu Fehlern in der Anwendung der einzelnen Messsysteme. Hierbei zeigten sich bei der nichtinvasiven Blutdruckmessung die meisten Fehler (36%), während bei der Hauttemperaturmessung lediglich 11% der Probanden einen Anwendungsfehler aufwiesen. Eine Übersicht über die Arten der jeweiligen Anwendungsfehler für jedes Messsystem zeigt Tabelle 3.
Tab. 3: Übersicht über die Benutzerfehler bei Nutzung des Tempus ALS Pro, n = 64
Im Rahmen der Tempus-II-Studie konnte keiner der eingeschlossenen 39 Probanden trotz entsprechender iASSIST-Anweisung alle drei FAST-Kompartimente im Ultraschall darstellen. So wäre aufgrund der Ultraschalluntersuchung in sieben Fällen eine eindeutige Feststellung von intraperitonealer Flüssigkeit im rechten oberen Quadranten, in keinem Fall im linken oberen Quadranten und in zwei Fällen im Becken möglich gewesen. In allen anderen Fällen wäre dies nicht sicher oder aufgrund der durchgeführten Ultraschalluntersuchung überhaupt nicht möglich gewesen.
Die subjektive Belastung anhand des NASA-TLX zeigte sich für alle Vitalwertbestimmungen im niedrigen Bereich (Median des Gesamtscores 1,8–3,8), während die Ultraschalluntersuchung von den Teilnehmenden als belastender bewertet wurde (Median des Gesamtscores: 6,3). Dies zeigte sich auch über alle Subkategorien des NASA-TLX. Die einzelnen Werte sind in Tabelle 2 aufgeführt.
Diskussion
Die Ergebnisse der vorliegenden Studie zeigen, dass medizinisch ungeschultes Personal durch Unterstützung mittels eines integrierten Assistenzsystems (iASSIST) im Vitalwertmonitor Tempus ALS Pro in der Lage war, grundlegende Messungen wie das Ableiten eines Ruhe-EKG und Messungen des peripheren Blutdrucks, der peripheren Sauerstoffsättigung und der Hauttemperatur, jedoch keine FAST-Ultraschalluntersuchung, erfolgreich durchzuführen. Hierbei ermöglichte die Nutzung der integrierten Schritt-für-Schritt-Anweisungen die Anwendung für die Vitalwertmessungen. Herausforderungen traten vor allem im Umgang mit dem Anlegen der Messsysteme am Patienten sowie der Bedienung des FAST-Ultraschalls auf. Diese Beobachtungen spiegeln sich auch in den subjektiven Angaben zur Belastung wider.
Unterstützung durch visuelle Hilfe
Im Gegensatz zu der Studiengruppe, die höchstens eine medizinische Ausbildung im Bereich der Ersten-Hilfe hatte, zeigte sich in einer ähnlichen Untersuchung mit medizinischem Personal mit teilweise langjähriger Erfahrung im Rettungsdienst [5], dass diese schneller mit dem Tempus ALS Pro zu der Erhebung entsprechender Vitalwerte kamen, jedoch der Unterschied keine große klinische Relevanz hatte. Intuitive visuelle Anleitungen unterstützen Laien effektiv auch bei komplexen medizinischen Tätigkeiten. Diese werden beispielhaft für den Bereich der explorativen Weltraummedizin konzeptionell durchdacht und erprobt [11]. Analog zur Weltraummedizin ist auch im militärischen Kontext zumeist medizinische Unterstützung nur begrenzt verfügbar, weswegen ferngesteuerte bzw. anleitungsgestützte Selbst- und Kameradenhilfe die sichere Vitalwertbestimmung unter stressigen und lang andauernden Einsatzbedingungen verbessern und damit lebensrettend sein kann. Für diesen Zweck sind kompakte und intuitive Systeme essenziell. In der vorliegenden Studie konnte das medizinisch ungeschulte Personal in akzeptabler Zeit sichere Vitalwertbestimmungen durchführen. Hierbei gilt es zu berücksichtigen, dass alle Probanden im Vorfeld lediglich eine mündliche und sehr rudimentäre Einweisung in die Nutzung des Gerätes erhalten haben. Es ist anzunehmen, dass eine wiederholte Bedienung des Gerätes sowohl die Zeit bis zur Vitalwertbestimmung als auch die Anzahl der Anwendungsfehler reduzieren wird, wie beispielhaft bereits bei der zweiten Anwendung des Tempus ALS Pro in einem anderen Studienarm gezeigt werden konnte [5]. Die von den Probanden gemachten Anwendungsfehler legen aber nahe, dass vorab eine (kurze) Einweisungs- und Trainingsoption sinnvoll wäre.
FAST nicht durchführbar
In der vorliegenden Untersuchung konnten die Probanden mittels des in das Gerät verbauten Assistenzsystems keine verwertbare FAST-Ultraschalluntersuchung durchführen. Im Gegensatz zu den sehr vielversprechenden Ergebnissen der Vitalwertbestimmungen scheint die deutlich schwierigere Ultraschalluntersuchung nicht ohne Weiteres durchführbar zu sein. Dies deckt sich mit bisherigen Studien, wo erfahrenes Notfallpersonal nach einer entsprechenden Einweisung akzeptable Ergebnisse für portable Geräte erreichte [9].
Stärken und Limitationen
Die aktuelle Studie weist sowohl Stärken als auch Limitationen auf. Eine wesentliche Stärke liegt in der Standardisierung der Testbedingungen. Zusammen mit der Randomisierung der Teilschritte erhöht dies die Vergleichbarkeit der erhobenen Daten und minimiert potenzielle Verzerrungen durch variierende externe Einflussfaktoren oder Lernerfolge innerhalb der Testabschnitte.
Eine weitere Stärke war die Berücksichtigung der medizinischen Vorerfahrung der Probanden. So wurden nur Probanden berücksichtigt, welche keine medizinische Ausbildung oberhalb einer Erste Hilfe-Ausbildung vorweisen konnten. Somit konnte sichergestellt werden, dass nicht aufgrund einer entsprechenden Ausbildung bereits regelmäßige Erfahrungen mit dem Anlegen der Messverfahren bzw. mit einem Vitalwertmonitor vorlagen. Die geringe Anzahl von Probanden, welche bereits Vorerfahrungen beim Anlegen eines Ruhe-EKGs hatten, belegt dies. Probanden mit umfangreicheren Vorerfahrungen könnten das Gerät möglicherweise intuitiver bedienen oder bei auftretenden Problemen flexibler reagieren als solche ohne Vorerfahrung, wodurch bessere Ergebnisse erzielt worden wären, die jedoch nicht auf der integrierten Hilfestellung basierten. Da die Vorausbildung das wesentliche Selektionskriterium für die Studienteilnahme war, wurde darauf verzichtet, z. B. lediglich Teilnehmende einer Truppengattung einzuschließen. Eine strengere Selektion oder Segmentierung der Probanden nach diesen Kriterien hätte möglicherweise differenzierte Einblicke in die Nutzung des Geräts durch Anwendende unterschiedlicher Erfahrungsniveaus ermöglicht, hätte aber auf der anderen Seite einen deutlich höheren Aufwand mit sich gebracht, ohne dass zu erwarten gewesen wäre, dadurch wesentliche weitere Erkenntnisse zu erlangen.
Eine Einschränkung der vorliegenden Studie ist, dass alle Probanden jeweils nur einen männlichen „Versuchspatienten“ untersuchten. Gerade bei männlichen Probanden ist anzunehmen, dass sie bei körperlichen Untersuchungen, z. B. beim Anlegen eines Ruhe-EKGs, bei weiblichen Hemmungen haben könnten, diese durchzuführen und damit länger brauchen würden [15]. Im Rahmen des Versuchsaufbau war es nicht möglich, sowohl einen männlichen als auch einen weiblichen „Versuchspatienten“ zu präsentieren, um diesen Effekt in der vorliegenden Untersuchung quantifizieren zu können. Während medizinische Fachkräfte es aufgrund ihrer Arbeit gewohnt sind, sowohl männliche wie weibliche Patienten zu betreuen, wurde in der vorliegenden Studie auch mit Blick auf die Anzahl der Gesamtstichprobe bewusst nur ein männlicher Proband ausgewählt, um den Einfluss des Patientengeschlechts für alle Probanden gleich zu belassen. Aus Sicht der Autoren überwiegt der Vorteil der konstanten Versuchsbedingung der möglicherweise eingeschränkten Übertragbarkeit auf weibliche Patienten. Ferner beeinflussen mögliche Unterschiede in Körpergröße, Hautbeschaffenheit, Muskel- und Fettverteilung [13] die Pass- und Messgenauigkeit beim Anlegen der Sensoren und Messinstrumente. Insbesondere beim FAST-Ultraschall liegen durch andere anatomische Rahmenbedingungen u. a. des weiblichen Beckensitus unterschiedliche Bedingungen vor. Diese Einflussfaktoren auf die Messergebnisse wurden durch den einheitlichen und konstanten Einsatz lediglich eines „Versuchspatienten“ minimiert.
Bei der Interpretation der hier erzielten Ergebnisse muss berücksichtigt werden, dass das Übungsszenario nicht in allen Aspekten einer realen Einsatzsituation entspricht. Stressfaktoren wie die tatsächliche Gefahr einer lebensbedrohlichen Situation für den Patienten konnten nicht dargestellt werden. Ferner konnten widrige Umgebungsbedingungen oder unvorhersehbare Störfaktoren, die im realen Einsatz auftreten können, in der kontrollierten Testumgebung ebenfalls nicht simuliert werden. Es ist anzunehmen, dass unter solchen Bedingungen die Probanden durch den externen Stress grundsätzlich fehleranfälliger würden und es zu einer Unsicherheit in der Handhabung des Gerätes kommen könnte. Ein solcher Faktor wird bei nicht regelmäßiger Anwendung der Vitalwertbestimmungen sicherlich einen zusätzlichen Einfluss haben, wogegen die Nutzung einer integrierten Schritt-für-Schritt-Anweisung auch Vorteile im Sinne einer Handlungshilfe haben kann. Obwohl das Versuchssetting insgesamt weniger realitätsnah war, hat diese Laborumgebung zu einer für alle Probanden gleichen Situation geführt, was wiederum als Stärke der Studie zu werten ist. Basierend auf den vorliegenden Daten kann leider nicht festgestellt werden, welchen Einfluss solche externen Faktoren auf die Probanden in einem realen Einsatzszenario haben werden.
Zusammenfassend liefert die vorliegende Studie Erkenntnisse zur Eignung und intuitiven Bedienbarkeit des Tempus ALS Pro und zeigt, dass medizinische Laien in der Lage sind, mittels der im Tempus ALS Pro integrierten Handlungshilfe sicher und in adäquater Zeit Vitalwertmessungen durchzuführen. Dies stellt sowohl für den militärischen Bereich außerhalb der sanitätsdienstlichen Versorgung als auch für die Explorationsszenarien im Bereich der Weltraummedizin wie auch bei Expeditionen in unwegsamen Gebieten der Erde eine wesentliche Erkenntnis dar.
Literatur
- Alrifai A, Alyousef T, Fanari Z: Tele-Cardiology in the Syrian War. J Am Coll Cardiol 2018; 71(6): 698-699. mehr lesen
- Blackbourne LH, Baer DG, Eastridge BJ, et al.: Military medical revolution: pre-hospital combat casualty care. J Trauma Acute care Surg 2012; 7 (6 Suppl 5): S372-7. mehr lesen
- Harke HP, Exner M: Hygienische und infektiologische Aspekte von „Out-of-Area“-Einsätzen der Bundeswehr oder humanitärer Hilfsorganisationen: Bericht über ein Arbeitsgespräch der Rudolf Schülke Stiftung. Hyg Med 2002; 27 (10): 409-415.
- Hart SG, Staveland LE: Development of NASA-TLX (Task Load Index): Results of Empirical and Theoretical Research. In: Hancock PN, Meshkati N (eds): Human Mental Workload. North Holland: Elsevier 1988; 139–183. mehr lesen
- Huerta R, Kaduk SI, Fatai L, et al.: A Built-In Guidance System to Monitor Vital Signs in Space and on Earth. Aerosp Med Hum Perform 2024; 95(3): 139-146. mehr lesen
- Josse F: Train hard – fight easy: Evaluation der persönlichen Handlungssicherheit notfallmedizinischer Maßnahmen im Rahmen der taktischen Verwunde-tenversorgung durch eine modulare Zusatzausbildung für Notärzte im Sani-tätsdienst der Bundeswehr. Dissertation. Universität Ulm 2015. mehr lesen
- Kirkpatrick AW, Sirois M, Laupland KB, et a.: Hand-held thoracic sonography for detecting post-traumatic pneumothoraces: the Extended Focused Assessment with Sonography for Trauma (EFAST). J Trauma 2004; 5(2): 288-295. mehr lesen
- Kirkpatrick AW, Sirois M, Laupland KB, et al.: Prospective evaluation of hand-held focused abdominal sonography for trauma (FAST) in blunt abdominal trauma. Can J Surg 2005; 48(6): 453-460. mehr lesen
- O'Connor L, Beth-Urhoy M, Allegra S, et al.: A Novel Point-of-care Ultrasound Curriculum for Air Critical Care Personnel. West J Emerg Med 2023; 2(1): 30-37. mehr lesen
- Paulson MW, Hesling JD, McKay JT, et al.: A Descriptive Analysis of Battlefield First Responder and Combat Lifesaver Interventions during the Role 1 Phase of Care. Med J (Ft Sam Houst Tex) 2021; (PB 8-21-07/08/09): 25-30. mehr lesen
- Popov A, Fink W, Hess A: Paradigm Shift from Telemedicine to Autonomous Human Health and Performance for Long-Duration Space Missions. IJPHM 2019; 10(3): 1-11. mehr lesen
- Sanitätsakademie der Bundeswehr: Allgemeine Regelung A2-873/0-0-1: Ausbildung Einsatzersthelfer A/B und ergänzende Sanitätsausbildung. München.
- Schorr M, Dichtel LE, Gerweck AV, et al.: Sex differences in body composition and association with cardiometabolic risk. Biol Sex Differ 2018; 9(1): 28. mehr lesen
- Yule S, Robertson JM, Mormann B, et al.: Crew Autonomy During Simulated Medical Event Management on Long Duration Space Exploration Missions. Hum Factors 2023; 65(6): 1221-1234. mehr lesen
- Zogg CK, Kandi LA, Thomas HS, et al.: Comparison of Male and Female Surgeons' Experiences With Gender Across 5 Qualitative/Quantitative Domains. JAMA Surg 2023; 158(2): e226431. mehr lesen
Erklärung zum Interessenkonflikt
Dietlein, Rusch, Fatai, Kneffel, Cyrol, Post und Sammito sind aktive Soldaten bzw. Mitarbeiter im Geschäftsbereich des BMVg. Kaduk ist Mitarbeiterin der European Space Agency. Es bestehen ansonsten keine Interessenkonflikte.
Danksagung
Die Autoren danken den Probanden für ihre Bereitschaft zur Teilnahme an der Studie, Herrn Oberleutnant Alexander Riel für seine unermüdliche Geduld als „Versuchspatient“ sowie Frau Carla Tamai (ESA) für ihre Unterstützung im Rahmen der zweiten Messkampagne.
Manuskriptdaten
Zitierweise
Dietlein LV, Kaduk SI, Rusch H, Fatai L, Kneffel R, Cyrol D, Post J, Sammito S: Erkenntnisse aus der Weltraumexpeditionsmedizin für das Gefechtsfeld – die TEMPUS I+II-Studien. WMM 2025; 69(5): 213-220.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-468
Für die Verfasser
Oberfeldarzt Prof. Dr. med. habil. Stefan Sammito
Zentrum für Luft- und Raumfahrtmedizin der Luftwaffe
Fachabteilung I
Flughafenstr. 1, 51147 Köln
E-Mail: stefansammito@bundeswehr.org
Manuscript Data
Citation
Dietlein LV, Kaduk SI, Rusch H, Fatai L, Kneffel R, Cyrol D, Post J, Sammito S: [Findings from space expedition medicine for the battlefield – the TEMPUS I+II studies.] WMM 2025; 69(5): 213-220.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-468
For the Authors
Lieutenant Colonel (AF MC) Prof. Dr. Stefan Sammito
German Air Force Centre of Aerospace Medicine
Department I
Flughafenstr. 1, D-51147 Cologne
E-Mail: stefansammito@bundeswehr.org