EIN AUSSERGEWÖHNLICHER FALL
Großer Speichelstein als oralchirurgischer Zufallsbefund
Paul Marciaka, Gabor Borosa
a Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz. Abteilung XXIII – Zahnmedizin, Spezialambulanz Oralchirurgie und Implantologie
Zusammenfassung
Behandlungsbedürftige Steinbildungen in den Speicheldrüsen kommen bei etwa 28 bis 59 Patienten je 1 Million Einwohner und Jahr vor, betreffen also durchschnittlich etwa 5000 Menschen in Deutschland. Meist gehen diese mit rezidivierenden schmerzhaften Schwellungen im Zusammenhang mit der Nahrungsaufnahme einher, wenn es zu einer Behinderung des Speichelflusses kommt.
Wir stellen hier den außergewöhnlichen Fall eines 72jährigen Patienten mit einem großen (27 x 15 mm) asymptomatischen Speichelstein im Ausführungsgang der rechten Glandula submandibularis vor, der als Zufallsbefund im Rahmen der prothetischen Versorgung entdeckt und komplikationslos operativ entfernt wurde.
Schlüsselworte: Speichelstein, Schmerzen, Schwellung, Abflusshindernis, Sialoadenitis, Glandula submandibularis
Keywords: salivary stone, pain, swelling, discharge obstacle, sialoadenitis, glandula submandibularis
Hintergrund
In der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 kam es durch außergewöhnlich starke Regenfälle in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen zu Überschwemmungen mit verheerenden Folgen für die Bevölkerung. Viele Anwohner wurden von den Wassermengen überrascht und konnten sich nicht mehr rechtzeitig vor der Flut in Sicherheit bringen. Das Ahrtal war eines der besonders stark von der Flutkatastrophe betroffenen Regionen. Soldaten der Bundeswehr leisteten im Verbund mit den Hilfsorganisationen erste Hilfe vor Ort. Viele Flutopfer wurden mit unterschiedlichen Verletzungsmustern stationär im Bundeswehrzentralkrankenhaus (BwZKrhs) Koblenz behandelt.
Die Abteilung XXIII/Zahnmedizin am BwZKrhs Koblenz ist für die zahnärztlich-konsiliarische Betreuung der stationären Patienten aller Kliniken des Krankenhauses zuständig. Dies beinhaltet Fokussuchen, Behandlung akuter Beschwerden und die zahnärztliche Sanierung von Patienten mit allgemeinmedizinischem Risikoprofil. Für die konsiliarische Betreuung der stationären Patienten sind ein Fachzahnarzt für Parodontologie und zwei Fachzahnärzte für Oralchirurgie in der Abteilung verantwortlich.
Im Rahmen dieser Aufgabe kam es am 19. Juli 2021 zur Vorstellung eines Patienten, über den im Folgenden berichtet wird.
Falldarstellung
Anamnese
Ein 72jähriger Mann, der wegen bei der Flutkatastrophe erlittener Verletzungen im BwZKrhs Koblenz stationär behandelt wurde, kam am 19. Juli 2021 zur konsiliarischen Mitbehandlung in der Abteilung XXIII zur Vorstellung. Der Patient berichtete, dass er seinen Zahnersatz, bestehend aus Totalprothesen im Ober- und Unterkiefer, während seiner Flucht vor der Flut verloren hatte und seitdem nur mit enormer Beeinträchtigung Nahrung zerkauen konnte. Er bat um die Herstellung eines neuen Zahnersatzes während seiner stationären Behandlung am BwZKrhs. Sonstige Beschwerden im Bereich des Mund-Kieferbereiches wurden nicht angegebenen. Im Rahmen der Unterstützung der Flutopfer wurde zur Wiederherstellung der mastikatorischen Funktion des Patienten mit der Neuanfertigung einer Ober- und Unterkieferprothese begonnen.
Klinischer Befund
Bei der klinischen Untersuchung vor den Abdrucknahmen wurde ein ca. 2 cm großer, harter, nicht druckdolenter und verschieblicher Tumor im Mundboden rechts getastet. Die Mundschleimhaut zeigte im Bereich der Schwellung keinen Anhalt für eine entzündliche Veränderung. Der Ausführungsgang der Glandula submandibularis rechts war über die Plica sublingualis bis zur ventralen Begrenzung zur Schwellung hin ohne Widerstand sondierbar. Bei Druck auf die Gl. submandibularis rechts konnte Speichel über den Ductus submandibularis exprimiert werden. Der bimanuelle Tastbefund ergab einen ovalen, harten und leicht verschieblichen Fremdkörper im rechten Mundboden.
Röntgendiagnostik
Die radiologische Diagnostik erfolgte mittels Panoramaschichtaufnahme (Abbildung 1). Auf dieser Röntgenaufnahme zeigte sich eine ca. 27 x 15 mm große, hyperdense ovale Struktur, die sich über den rechten Unterkiefer projizierte.
Abb. 1: Panoramaschichtaufnahme mit hyperdenser ovaler Struktur in Projektion über den rechten Unterkiefer
Diagnose: Sialolith
Auf der Grundlage der Ergebnisse der klinischen und radiologischen Untersuchung ergab sich mit allergrößter Wahrscheinlichkeit als Diagnose das Vorhandensein eines großen Sialolithen im Ductus submandibularis rechts. Überraschenderweise bestand trotz der außergewöhnlichen Steingröße keine klinisch relevante Beeinträchtigung des Speichelabflusses über den Ductus sublingualis. Auf näheres Befragen gab der Patient an, einmal vor einiger Zeit kurz anhaltende Schmerzen in dem Bereich gehabt zu haben.
Therapie
Da der Patient bis auf die klinisch erkennbare Schwellung im rechten Mundboden beschwerdefrei war, hatte er deren Ursache nicht weiter zahnärztlich untersuchen lassen. Trotz aktueller Beschwerdefreiheit wurde ihm die operative Entfernung des Speichelsteines zur Vermeidung einer vollständigen Verlegung des Ductus und möglicherweise daraus resultierender Sialoadenitis der Glandula submandibularis und sublingualis empfohlen und angeboten. Nach schriftlich dokumentierter Aufklärung über möglichen Komplikationen und anschließender Bedenkzeit wurde der Termin für den Eingriff in Lokalanästhesie auf den 27. Juli 2021 – noch während seines stationären Aufenthaltes – vereinbart.
Die präoperative Anamnese ergab bei insgesamt gutem Allgemeinzustand des Patienten lediglich eine leichte COPD, sodass der vorgesehene Eingriff unter Lokalanästhesie durchführbar war. Parallel zum vorgesehenen Termin zur Entfernung des Sialolithen wurde mit fachlicher Unterstützung des zahntechnischen Labors der Abteilung XXIII mit der Herstellung eines neuen Zahnersatzes begonnen. Ziel war es, die Behandlung bis zur Entlassung des Patienten aus der stationären Behandlung abzuschließen.
Am 27. Juli 2021 erfolgte der Eingriff in der oralchirurgischen Ambulanz der Abteilung XXIII wie vorgesehen unter Lokalanästhesie. Der Eingriff wurde von einem Fachzahnarzt für Oralchirurgie durchgeführt. Es gelang, einen 27 x 15 mm großen Sialolithen aus dem Ductus sublingualis zu entfernen. Anschließend erfolgte eine Marsupialisation des Ductus und Schaffung einer neuen Gangmündung im Bereich des Mundbodens. Der Sialolith wurde aufgrund eindeutiger klinischer Identifikation nicht zur pathologischen Aufbereitung weitergeleitet (Abbildung 2).
Abb. 2: Nach Eröffnung des Ductus submandibularis und Freilegen des Speichelsteins (A, B) kann dieser geborgen werden (C). Trotz der erheblichen Steingröße (D) war es nicht zu einem Abflusshindernis gekommen.
Im Rahmen der Abendvisite durch den Operateur war der Patient beschwerdefrei und bot keinen Anhalt für Nachblutungen oder eine pathologische Schwellung im Bereich des Operationsgebietes. Postoperativ wurde für 5 Tage weiche Kost verabreicht. Es erfolgte eine vorsichtige Mundhygiene im Operationsgebiet und Mundspülungen mit 0,2 % Chlorhexidin-Lösung. Zur Analgesie erhielt der Patient Ibuprofen 600 mg und er wurde angehalten, mindestens 2 l Flüssigkeit zu trinken und saure Drops zu lutschen, um eine Oligo- oder Xerostomie durch ausreichende Speichelproduktion zu verhindern.
Bei der Verlaufskontrolle am ersten postoperativen Tag konnte bei reizfreien Wundverhältnissen durch Druck auf die Glandula submandibularis Speichel über die neue Gangmündung im Mundboden exprimiert werden. Am 10. postoperativen Tag erfolgte die Nahtentfernung und der Patient konnte – zwischenzeitlich mit dem neu angefertigten Zahnersatz im Ober- und Unterkiefer versorgt und zufrieden mit der dadurch wieder gewonnenen Kaufunktion und Ästhetik – aus unserer Behandlung entlassen werden.
Diskussion
Epidemiologie
Unter den wichtigen Erkrankungen der großen Speicheldrüsen ist die Sialolithiasis mit zwischen 40 % und 50 % aller Fälle vertreten [2]. Die Inzidenz in der Allgemeinbevölkerung wird zwischen 28 bis 59 Fälle pro 1 Million Einwohner über 1 Jahr angegeben [3]. Das mittlere Alter für das Auftreten von Syptomen im Zusammenhang mit einer Sialolithiasis liegt bei 45 Jahren [7], wobei Männer bevorzugt betroffen sind.
Stein-Lokalisation und -Genese
Bis zu 80 % der Speichelsteine finden sich in der Glandula submandibularis und ihrem Ausführungsgang [13]. Ein Grund dafür ist, dass diese Drüse einen stark seromukösen Speichel bildet und diesen über einen langen und gekrümmten Gang (Wharton-Gang) befördert, was die Kalkausfällung und Steinbildung begünstigt [5]. Die Steine sind dabei häufig im distalen Drittel des Ganges lokalisiert. Besonders in der „comma area“, dem Bereich des hinteren Mundbodens, in dem der Wharton-Gang einen knieähnlichen Verlauf mit einem Winkel zwischen 24° und 178° aufweist [6]. Weitere diskutierte Ursachen sind Dehydration, reduzierter Speichelfluss, geänderte Speichelzusammensetzung, Nikotinabusus, primärer Hyperparathyreoidismus und das Eindringen von Bakterien und Nahrungsresten in den Ausführungsgang [14].
Abb. 3: Lokalisation der großen Speicheldrüsen und ihrer Ausführungsgänge (aus [17])
Die meisten Sialolithen werden mit einer Größe von 5 mm–10 mm beschrieben. Alle Steine ab einer Größe von 10 mm in einer Achse werden als Sialolithen ungewöhnlicher Größe bezeichnet. Wenn eine Größe von 35 mm überschritten wird, werden sie als riesig eingestuft [12].
Klinik
Durch die Verlegung des Ausführungsganges kann es zu rezidivierenden und typischerweise im Zusammenhang mit der Nahrungsaufnahme auftretenden entzündlichen Schwellungen einer Speicheldrüse kommen, die häufig schmerzhaft sind. Diese bilden sich klassischerweise bei Ausbleiben des Nahrungs- bzw. Geschmacksreizes zurück [1]. Durch einen nicht entfernten obstruktiven Sialolithen kann es im ungünstigsten Verlauf zu einer akuten Sialadenitis kommen. Auch wurden Komplikationen wie Abszesse, Fisteln und phlegmonöse Entzündungen beobachtet [10].
Im hier vorgestellten Fall war es trotz der beachtlichen Größe des Steines nur zu einem kurzzeitigen und einmaligen Auftreten von akuten Symptomen gekommen, was als sehr ungewöhnlich anzusehen ist.
Diagnostik
Zur klassischen diagnostischen Vorgehensweise gehört zunächst die bimanuelle Tastuntersuchung zur groben Bestimmung von Lage, Größe, Beweglichkeit und Form des Steines. Alle diese Parameter können mit hochauflösendem Ultraschall dargestellt werden, der sich als schnelles, wirksames und gut geeignetes primäres Diagnosemittel erwiesen hat und gleichzeitig für eine angemessene Behandlungsplanung eingesetzt werden kann [4]. Im vorgestellten Fall war bei Beschwerdefreiheit der Glandula sublingualis die Diagnose klinisch und radiologisch eindeutig zu stellen, weshalb auf die Sonografie verzichtet wurde. Ebenso kann mit der Sialendoskopie die Obstruktion sichtbar gemacht werden [1]. Weiterhin kann bei unklaren Befunden und schwieriger Lage eine Computertomografie weitere Informationen bringen, da sie empfindlich für den Nachweis von Verkalkungen ist [16].
Therapie
Zur Therapie stehen heutzutage mehrere minimalinvasive Methoden zur Verfügung, wie die interventionelle Sialendoskopie, die transorale Ductus-Chirurgie, die extrakorporale Stoßwellenlithotripsie und die in den letzten Jahren deutlich verbesserte intraductale Stoßwellenlithotripsie. Dabei lassen sich die einzelnen Therapien kombinieren. Durch diese Methoden konnte die Rate der Sialadenektomien deutlich gesenkt werden, dennoch ist sie aber bei besonders proximaler oder intraglandulärer Steinlage vereinzelt indiziert [8].
Die zu wählende Therapie ist von Lage und Größe des jeweiligen Sialolithen abhängig. Hierbei ist die interventionelle Sialendoskopie umso erfolgreicher, je kleiner und mobiler die Steine sind. Bei größeren Steinen führt die transorale Ductus-Chirurgie in Form einer Gangschlitzung bei einmaliger Anwendung häufig zum Erfolg [1]. Die minimalinvasiven Techniken haben sich zeitgemäß als Therapie der Wahl etabliert [8] und weisen Erfolgsquoten bei Lage des Steines im Ductus submandibularis von 85 % bis 100 % auf. Sie sind verhältnismäßig einfach, lassen sich an unterschiedliche anatomische Gegebenheiten anpassen und können größtenteils in Lokalanästhesie durchgeführt werden [9][17]. Komplikationen wie Wundinfektionen, Nachblutungen, Verletzungen des Nervus lingualis oder nervus hypoglossus und Narbenbildung wie nach einer Sialadenektomie werden dabei vermieden [7][11].
Im hier vorgestellten Fall bot sich die intraorale Ductus-Chirurgie mit Gangschlitzung und Marsupialisation des Ganges an, die erfolgreich durchgeführt werden konnte.
Schlussbemerkung
Nicht immer hält sich die Natur an die Erkenntnisse, die aus Studien und Statistiken gewonnen werden. Und wenn in den allermeisten Fällen rezidivierende Schwellungen und Schmerzen im Bereich der von einem Sialolithen betroffenen Speicheldrüse die Betroffenen zum Arzt führen, so zeigt unser Fall, dass auch ein ungewöhnlich großer Speichelstein asymptomatisch bleiben kann. Er zeigt aber auch, dass eine gründliche klinische Untersuchung bei jeder erstmaligen Vorstellung eines Patienten beim Zahnarzt – auch wenn es „nur“ um die Anfertigung einer neuen Zahnprothese geht – stets geboten ist.
Literatur
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Manuskriptdaten
Zitierweise
Marciak P, Boros G: Großer Speichelstein als oralchirurgischer Zufallsbefund. WMM 2022; 66(6-7): 245-248.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-20
Für die Verfasser
Oberfeldarzt Dr. Paul Marciak
Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz
Abteilung XXIII – Zahnheilkunde, Spezialambulanz Oralchirurgie und
Implantologie
Rübenacher Str. 170, 56072 Koblenz
E-Mail: paulmarciak@bundeswehr.org