Editorial
Sehr geehrte Leserin,
sehr geehrter Leser,
der mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine auf europäischem Boden entfachte Krieg und seine Folgen haben unverändert ganz erheblichen Einfluss auf unser tägliches Leben. Viele von Ihnen haben sicher noch die Bilder vom 4. März dieses Jahres in Erinnerung, als es nach Beschuss durch russische Streitkräfte in Europas größtem Atomkraftwerk Saporischschja brannte – gottlob ohne Austritt von Radioaktivität. Umso wichtiger ist es, auf die Behandlung radioaktiv kontaminierter Patienten vorbereitet zu sein. Dass eine solche Behandlung möglich ist, ohne medizinisches Personal oder andere Patienten zu gefährden, zeigt der Bericht von GRUNERT et al. über eine Übung am Bundeswehrkrankenhaus Ulm, die von der dortigen Abteilung Nuklearmedizin zusammen mit dem Institut für Radiobiologie der Bundeswehr, München, in der Klinik durchgeführt wurde.
Die rasche Stabilisierung von Frakturen zum Herstellen der Transportfähigkeit ist ein Kernelement der Einsatzchirurgie. Ein speziell für den Einsatz in Katastrophenlagen entwickelter Fixateur externe wurde im Rahmen einer Anwendungsbeobachtung von BRÜCKNER et al. von der Westsächsischen Hochschule in Zwickau bewertet. Die im Rahmen des klinischen Einsatzes gewonnenen Erkenntnisse lassen sich weitgehend auch auf eine Anwendung im Einsatz übertragen. Eine schwerwiegende Folge kriegsbedingter Knochenverletzungen waren in allen Kriegen mehr oder weniger große Substanzverluste. Behandlungsstrategie und Prognose hängen entscheidend davon ab, ob röntgenologisch darstellbarer Knochen auch vital ist. Hier kann die nuklearmedizinische Diagnostik einen ganz entscheidenden Beitrag leisten, wie zwei Fallberichte von GRUNERT et al. aus dem Bundeswehrkrankenhaus Ulm über die Behandlung ukrainischer Patienten zeigen.
In die Behandlung posttraumatischer Belastungsstörungen (PTBS) findet seit einigen Jahren auch die tiergestützte Therapie Eingang. Die IB-Hochschule für Gesundheit in Berlin und Stuttgart befasst sich mit dieser Thematik. Von dort stellen KIRSCHE et al. ein systematisches Review zur pferdegestützten Therapie bei Veteranen vor, welches auch zeigt, dass die derzeit laufende systematische Forschung des Psychotraumazentrums am Bundeswehrkrankenhaus Berlin hier eine Lücke schließen kann.
MARCIAK und BOROS aus dem Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz stellen einen außergewöhnlichen oralchirurgischen Fall vor, der sich im Zusammenhang mit der Flutkatastrophe im Ahrtal 2021 ereignete. Sie berichten über einen Speichelstein von ungewöhnlicher Größe, der als Zufallsbefund in der Mundspeicheldrüse eines Patienten gefunden wurde und dessen Entfernung komplikationslos gelang.
Wer Berichte über Kopfverletzungen von Fußballspielern hört, denkt an einen Zusammenprall oder sonstigen Schlag gegen den Kopf. Doch auch ein scheinbar harmloser Kopfball kann zu einem chronischen subduralen Hämatom (cSDH) führen, wenn der Betroffene entsprechend prädisponiert ist. SCHULZ et al. haben 60 Fälle von cSDH bei jungen Patienten im Hinblick auf prädisponierende Faktoren ausgewertet und leiten mit dieser Originalarbeit die wissenschaftlichen Beiträge dieser Ausgabe der WMM ein, für deren Lektüre ich Ihnen viel Freude wünsche.
Bleiben Sie gesund
Ihr
Oberstarzt a. D. Dr. Peter Mees
Chefredakteur
„NUR“ EIN KOPFBALL
Bedeutung prädisponierender Faktoren zur Ausbildung intrakranieller chronischer Subduralhämatome bei jungen Patienten
Impact of predisposing factors on the development of intracranial chronic subdural hematomas in young patients
Chris Schulza, Cornelia Walthera, Carsten Hackenbrochb, Uwe Max Mauera, René Mathieua
a Bundeswehrkrankenhaus Ulm, Klinik XII – Neurochirurgie
b Bundeswehrkrankenhaus Ulm, Klinik VIII – Radiologie und Neuroradiologie
Zusammenfassung
Hintergrund: Chronische Subduralhämatome (cSDH) sind eine typische Folgeerkrankung nach einem Schädel-Hirn-Trauma (SHT). Zumeist sind ältere Erwachsene nach milderen SHT betroffen. Aber auch junge Patienten können in seltenen Fällen ein cSDH entwickeln, wie 3 Fallbeispiele zeigen. Die Charakterisierung spezieller anatomischer und demographischer Faktoren eines jungen Patientenkollektivs mit cSDH soll hier vorgestellt werden.
Methode: Im Rahmen einer retrospektiven Auswertung wurden 60 Patienten mit cSDH im Alter <50Jahren hinsichtlich des Vorliegens einer Prädisposition (Hämostasestörung, Liquorungleichgewicht, zerebrale Malformation, Drogen-/ Alkoholabusus) untersucht. Es fanden sich 36 Patienten mit wenigstens einem solchen prädisponierenden Faktor. Für beide Gruppen (mit und ohne Prädisposition) wurden folgende Parameter analysiert: Schwere des SHT, Zeitraum vom SHT bis zur Diagnose, Zeitdauer der Symptomatik sowie klinische Hauptsymptome. Zudem wurden Hämatomgröße und Blutungsbilateralität sowie das Rezidivverhalten und die Häufigkeit von Revisionsoperationen differenziert ausgewertet.
Ergebnisse: Kopfschmerz ist das führende klinische Symptom unabhängig vom Vorliegen einer Prädisposition. Die häufigsten Prädispositionen waren Liquorunterdruck (n = 13), Hämostase-Störungen (n = 12) und anatomische Malformationen (n = 9). Patienten mit Prädisposition zeigen gegenüber jenen ohne Prädisposition signifikant geringgradigere SHT, größere Hämatome und längere Intervalle vom Trauma bis zur Diagnosestellung des Hämatoms. Auch die Rate an bilateralen Hämatomen und Rezidiven war in der Gruppe mit Prädisposition erhöht.
Diskussion und Fazit: Auch junge Patienten können ein cSDH entwickeln. Patienten mit prädisponierenden Faktoren zeigen stellenweise andere Charakteristika auf. Sollten cSDH bei unter 50-Jährigen festgestellt werden, ist eine Ursachenabklärung hinsichtlich spezifischer Prädispositionen anzuraten. Bei jungen Patienten mit bereits bekannter Prädisposition muss auch nach banal erscheinendem SHT eine gründliche Kontrolle erfolgen und Betroffene müssen für das erhöhte Risiko zur verzögerten Ausbildung eines cSDH sensibilisiert werden. Die Prädisposition zum cSDH muss zudem Einfluss in die Entscheidungen bei Tauglichkeitsprüfungen für bestimmte militärische Dienste finden.
Schlüsselworte:
chronisches Subduralhämatom, Schädel-Hirn-Trauma, Subduralhämatom, Tauglichkeit für Militärdienst
Summary
Background: Chronic subdural hematoma (cSDH) is a typical sequelae after traumatic brain injury (TBI). Mostly older adults are affected after milder SHT. However, young patients may also develop cSDH in rare cases as demonstrated by 3 short case descriptions. The characterization of specific anatomical and demographic factors of a young patient collective with cSDH will be presented.
Methods: A retropsective evaluation of 60 patients aged <50 years suffering cSDH was performed to determine the presence of a predisposing factor (hemostasis disorder, cerebrospinal fluid imbalance, cerebral malformation, drug/alcohol abuse). 36 patients with at least one predisposing factor were found. For both groups (with and without predisposition), the following parameters were analyzed: severity of SHT, time from SHT to diagnosis, duration of symptomatology, and main clinical symptoms. In addition, hematoma size and bleeding bilaterality as well as recurrence of cSDH and frequency of revision surgery were evaluated in a differentiated manner.
Results: The leading clinical symptom was headache regardless of the presence of a predisposition. The most common predispositions were cerebrospinal fluid hypotension (n = 13), hemostasis disorders (n = 12), and anatomic malformations (n = 9). Patients with predisposition showed significantly less severe SHT, larger hematomas, and longer intervals from trauma to diagnosis of hematoma compared with those without predisposition. The rate of bilateral hematoma and recurrence was also increased in the group with predisposition.
Discussion and Conclusion: Even young patients can develop cSDH. Patients with predisposing factors partly show different characteristics. If cSDH is detected in patients under 50 years of age, cause fining with regard to specific predispositions is recommended. In young patients with a known predisposition, even after a trivial minor SHT, a detailed examinaition must be performed. Affected individuals must be sensitized to the increased risk of delayed development of a cSDH. The predisposition to cSDH also must have influence in the decisions regarding fitness examinations for certain military services.
Key words: chronic subdural hematoma, traumatic brain injury, subdural hematoma, fitness for military service
Hintergrund
Subdurale Hämatome (SDH) können sich zeitvariabel nach einem Schädel-Hirn-Trauma (SHT) ausbilden. Es handelt sich bei diesen um Blutungen zwischen der Dura mater und der Arachnoidea. Differenziert werden die SDH unter anderem anhand des Zeitpunktes ihrer Manifestation nach dem SHT. Akute SDH benötigen nur Minuten bis Stunden zur Ausbildung, subakute SDH bilden sich innerhalb von wenigen Tagen. Flüssigkeitskollektionen im Subduralraum, die sich mehr als 10 Tage nach einem SHT ausbilden, werden als chronische Subduralhämatome (cSDH) bezeichnet.
Chronische Subduralhämatome
Pathophysiologie
Man vermutet entzündliche und fibrinolytische Vorgänge als Ursache der Chronifizierung von akuten und subakuten SDH. Im Rahmen der Chronifizierung bildet sich eine Pseudomembran um das Hämatom, und innerhalb dieser Kapsel verflüssigt sich das Hämatom fortwährend. Hierunter kommt es häufig zur schleichenden Vergrößerung des Hämatoms (vermutlich durch osmotisch bedingten Flüssigkeitseinstrom sowie rekurrierende Mikroblutungen aus pathologischen Gefäßen in der Hämatomkapsel [5].
Prävalenz/Inzidenz
CSDH zeigen Häufigkeitsgipfel im Neugeborenenalter und beim älteren Patienten (> 65 Jahre) mit einer Jahresinzidenz von ca. 5/100 000 Einwohnern [12][17]. Die neurologischen Symptome treten etwa 2–8 Wochen nach einem SHT auf. Häufig wird das SHT banal geschildert und in weniger als 50 % der Fälle ist das kausale Trauma anamnestisch überhaupt noch eruierbar [6].
Diagnostik und Therapie
Die rasche Diagnose gelingt im Normalfall sicher mit der CT-oder MRT-Untersuchung des Schädels. Schmale und symptomlose Hämatome können konservativ ausheilen. Eine Operationsindikation besteht bei neurologischen Defiziten, die auf das Hämatom zurückgeführt werden können, und bei größeren Blutungen mit relevanter Raumforderung (z. B. einer Breitenausdehnung von mehr als Kalottendicke auf axialen Schnittbildern [10]).
OP-Verfahren der Wahl ist die (meist unter Lokalanästhesie angelegte) Bohrlochtrepanation und Entlastung der Blutung, optional ergänzt durch das Einbringen einer subduralen Drainage über einige Tage postoperativ [9]. Die Mortalität bei operativer Therapie beträgt, abhängig von Patientenalter, Begleiterkrankungen und gewählter Therapieform, zwischen 0,5 und 8 % [17][24]. Die Rezidivquote der cSDH von etwa 15–25 % der Fälle kann möglicherweise durch Gabe von Tranexamsäure reduziert werden, die Studienlage ist hier nicht eindeutig [11][23]. Für wiederholte Rezidive kommt u. U. auch ein interventioneller Verschluss der Art. meningea media in Betracht [3].
Selten: cSDH bei jüngeren Patienten
Im höheren Lebensalter sind die atrophierenden Involutionsvorgänge im Gehirn die typische Voraussetzung zur Hämatombildung. Es herrscht (insbesondere in aufrechter Position) ein Unterdruck im Subduralraum, der die Entstehung der Blutung begünstigt. Selten werden cSDH aber auch bei jüngeren Erwachsenen ohne Hirnatrophie beobachtet [4].
Problematisch ist der Umgang mit cSDH in der Altersgruppe unter 50 Jahren (aufgrund geringer Inzidenz und atypischem Verlauf); diese wurden mit einer hohen Rate an Fehldiagnosen in kleineren Fallsammlungen bereits gut dokumentiert [6][13][14][15]. Von verschiedenen Autoren wurden auch einzelne prädisponierende Faktoren für die Entwicklung eines cSDH bei jungen Erwachsenen (wie z. B. gestörte Hämostase, Ungleichgewicht der Liquordynamik/des Liquordrucks, zerebrale oder zerebro-vaskuläre Malformationen sowie chronischer Drogen- und Alkoholabusus) aufgezeigt [2][12][14][16][22]. Nicht alle jungen Patienten mit cSDH zeigen aber derartige Risikofaktoren. Ob es Unterschiede bei den anamnestischen, klinischen und bildgebenden Befunden sowie den postoperativen Verläufen (in Abhängigkeit vom Vorhandensein prädisponierender Faktoren) gibt, ist bisher nicht klar und unter Aufzeigen der resultierenden Konsequenzen beschrieben.
Fallbeispiele
Fall 1: cSDH unter Thrombozyten-Funktionshemmung
Ein 21jähriger männlicher Soldat nahm nach einer Zahnbehandlung über 1 Woche lang hochdosiert ASS und Ibuprofen ein. Während eines Appells erlitt er eine Synkope und stürzte auf den Hinterkopf, ohne sich dabei erkennbar schwerer zu verletzen. In der Folge traten neben den Zahnschmerzen auch Kopfschmerzen auf, die sich trotz von dem Soldaten selbstständig fortgesetzten analgetischen Kombinationsmedikation verstärkten. Nach knapp 2 Wochen traten zusätzlich Kribbelparästhesien am rechten Arm sowie in der der rechten Gesichtshälfte auf, was zur Vorstellung beim Truppenarzt und zur Überweisung an die Klinik für Neurologie am BwKrhs Ulm führte. Hier fand sich im sofort durchgeführten nativen CT des Kopfes ein cSDH links fronto-temporal (Abbildung 1A). Ein relevantes SHT war dem Soldaten nicht erinnerlich. Die präoperative Gerinnungsdiagnostik zeigte – passend zu der längeren ASS-Medikation – eine aufgehobene Thrombozytenfunktion.
Über eine Bohrlochtrepanation in Lokalanästhesie wurde das Hämatom vollständig entleert (Abbildung 1B). Es kam binnen weniger Tage zu einer vollständigen Wiederherstellung.
Abb. 1 (Fall 1): Das native CT zeigt präoperativ ein cSDH links frontotemporal (rote Pfeile) mit Verdrängung der Mittelinie nach rechts (A); nach Bohrlochtrepanation ist das Hämatom vollständig entleert, die Falx cerebri ist wieder mittelständig (B).
Fall 2: cSDH bei temporaler Arachnoidalzyste
Ein 43jähriger männlicher Patient war mit einer Hemiparese rechts, einer Aphasie und einer Vigilanzminderung aufgefunden und unter der Verdachtsdiagnose einer zerebralen Ischämie in die Notaufnahme des BwKrhs Ulm eingeliefert worden. Dort zeigte sich im Kopf-CT als Ursache der Symptomatik ein ausgedehntes chronisches Subduralhämatom links (Abbildung 2A). Spuren einer stattgehabten stärkeren Kopfverletzung fanden sich weder äußerlich noch im CT. Die Gerinnungsdiagnostik einschließlich Thrombozytenfunktionstest zeigte normale Werte.
Über eine Bohrlochtrepanation erfolgte die operative Entfernung des Hämatoms. In der Bildgebung zeigte sich eine deutliche Entlastung der linken Hirnhemisphäre (Abbildung 2B); die neurologischen Störungen bildeten sich rasch zurück. An ein relevantes SHT konnte sich der Patient nicht erinnern. Als Ursache des cSDH musste deshalb eine im MRT dargestellte große Arachnoidalzyste am linken Temporalpol angenommen werden (Abbildung 2C).
Abb. 2 (Fall 2): Ausgedehntes cSDH links mit massiver Verdrängung des Gehirns nach rechts (A), nach Bohrlochtrepanation ist eine deutliche Entlastung der linken Gehirnhälfte erkennbar (B). Im MRT stellt sich eine große Arachnoidalzyste im Bereich des rechten Temporalpols dar (C).
Fall 3: cSDH nach Periduralanästhesie
Eine 22jährige Viert-Gravida stellte sich nach drei komplikationslosen Spontangeburten in ihrem Heimatland Syrien nun als Geflüchtete bei bisher komplikationslosem Schwangerschaftsverlauf termingerecht zur Niederkunft in einer Geburtsklinik vor. Es wurde eine natürliche Geburt unter Periduralanästhesie (bei deren Anlage es dokumentiert zu einer Liquorrhoe kam) eingeleitet. Der Geburtsablauf wurde als normal beschrieben.
Mutter und Kind befanden sich bereits seit 3 Tagen auf der Wöchnerinnen-Station, als sich bei der jungen Frau starke und körperpositionsabhängige Kopfschmerzen einstellten. Es wurde unter dem Verdacht auf eine zerebrale Sinus-/Venen-Thrombose eine CT-Diagnostik durchgeführt, die einen Normalbefund und insbesondere keine Hinweise auf intrakranielle Gefäßthrombosen ergab (Abbildung 3A). Daraufhin wurden die in den Folgetagen progredienten Kopfschmerzen symptomatisch-medikamentös therapiert.
Vor der Entlassung der Patientin erfolgte bei unzureichender Beschwerdebesserung sicherheitshalber noch die Anfertigung einer MRT, bei der sich weiterhin keine Zeichen einer Venenthrombose fanden. Allerdings stellte sich ein schmales subdurales Hämatom dar (Abbildung 3B), welches zunächst unbehandelt blieb. Der Frau wurde daraufhin 8 Tage nach der Geburt die Rückkehr in die Flüchtlingsunterkunft erlaubt.
In der Unterkunft wurde die Patientin 7 Tage nach Krankenhausentlassung tief komatös mit linksseitiger Mydriasis aufgefunden und umgehend in die Notaufnahme des BwKrhs Ulm eingeliefert. Im Kopf-CT fand sich hier nun ein großes raumforderndes cSDH (Abbildung 3C), welches bei normalen Gerinnungswerten umgehend operativ entlastet wurde. Das Hämatom konnte in einem komplikationslosen Eingriff zwar vollständig entfernt werden, dennoch stellte sich postoperativ keine Verbesserung der Bewusstseinslage ein. In einem postoperativen MRT zeigte sich als Ursache hierfür eine großräumige Infarzierung der linken Hemisphäre (Abbildung 3D), als deren Ursache sich jedoch kein Gefäßverschluss darstellen ließ. Man musste daher von einklemmungs-assoziierten Infarkten ausgehen, die wenige Tage später auch zu einer Infarktschwellung führten (Abbildung 3E). Eine als ultima ratio vorgeschlagene Dekompressions-Kraniektomie wurde von der Familie der Patientin kategorisch abgelehnt. Die junge Frau verstarb knapp 5 Wochen nach der Geburt ihres vierten Kindes im vegetativen Status.
Abb. 3: Im nativen CT am 3. Tag nach Entbindung fanden sich keine Hinweise auf intrakranielle Gefäßthrombosen (A). In einem 8 Tage pp vor Entlassung aus der Entbindungsklinik durchgeführten MRT zeigte sich ein kleines subdurales Hämatom, welches unbehandelt blieb (B). Eine Woche später fand sich bei Aufnahme im BwKrhs Ulm im präoperativen CT ein ausgedehntes cSDH links temporal (C). Das postoperative MRT zeigte eine großräumige Infarzierung der linken und partiell auch der rechten Hemisphäre (D); einige Tage später wurde im CT eine ausgeprägte Infarktschwellung nachgewiesen (E).
Wehrmedizinische Relevanz des cSDH
Wehrmedizinisch ist das cSDH aus zweierlei Gesichtspunkten interessant: Zum einen können sich nach einem SHT offenbar auch bei jungen Menschen chronische Hämatome ausbilden, die frühzeitig erkannt werden müssen, um sie möglichst noch in einem nicht operationsbedürftigen Stadium konservativ zur Spontanresorption bringen zu können. Zum anderen bedeutet das Vorhandensein eines prädisponierenden Faktors zur Ausbildung von cSDH u. U. einen Grund zum Ausschluss für zumindest einzelne militärische Verwendungsbereiche, bei denen man annehmen muss, dass bereits banale Belastungen, die im Rahmen von militärischer Ausbildung und militärischem Dienst häufig auftreten (z. B. Anpralltraumen im Gefechtsdienst sowie Akzeleration und Dezeleration beim Flug- oder Sprungdienst), leicht(er) zur intrakraniellen Hämatombildung führen können.
Ziel der vorliegenden retrospektiven Studie war es, mögliche für die Ausbildung eines cSDH prädisponierende Faktoren bei jüngeren Patienten zu eruieren.
Methodik
Untersuchtes Patientenkollektiv
Im Zeitraum Januar 2000 bis Juni 2017 wurden im BwKrhs Ulm insgesamt 526 Patienten mit cSDH operativ behandelt. In dieser Gruppe fanden sich 60 Patienten, die jünger als 50 Jahre waren. Diese Fälle wurden retrospektiv hinsichtlich des Vorliegens einer Prädisposition (Hämostasestörung, Liquorungleichgewicht, zerebrale Malformation, Drogen-/Alkoholabusus) untersucht.
Es fanden sich 36 Patienten mit wenigstens einem solchen prädisponierendem Faktor (Gruppe A). Bei 24 Fällen konnte keine Prädisposition identifiziert werden (Gruppe B).
Untersuchte Parameter
Für beide Gruppen wurden folgende Parameter analysiert:
- Schwere des zugrunde liegenden SHT (Einteilung gemäß der aktuellen Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurochirurgie in einer dreiteiligen GCS1-basierten Graduierung2),
- Zeitraum vom SHT bis zur Diagnose,
- Zeitdauer der Symptomatik sowie
- die führenden Hauptsymptome.
Zudem wurden die verfügbaren CT- und MRT-Aufnahmen sowie OP-Dokumente und Krankenakten durchgesehen, um Informationen zur Größe des Hämatoms, etwaigem bilateralen Vorkommen und dem Rezidivverhalten sowie der Häufigkeit von Revisionsoperationen nach Therapie zu gewinnen.
Datenanalyse
Die demografischen Daten sowie klinischen und radiologischen Ergebnisse wurden zunächst einer univariaten deskriptiven Analyse unterzogen. Hiermit erfolgt die Darstellung der Lagemaße (Mittelwert, Median) und der Streuungsparameter (Minimum, Maximum, Standardabweichung). Zudem fand eine Prüfung der intervallskalierten Daten auf Normalverteilung statt. Alle gruppierten Werte werden einer Datenanalyse mit Hilfe interferenzstatistischer Methoden zur Unterschiedshypothesentestung unterzogen.
Bei den diskreten, wenigstens ordinalskalierten Merkmalen (bei denen aber Normalverteilung nicht vorausgesetzt werden kann) wurden nicht-parametrische Verfahren angewandt (bei unabhängiger Stichprobenprüfung zwischen zwei Gruppen der Mann-Whitney-U-Test, bei nominalskalierten Variablen der Chi-Quadrat-Test nach Pearson, der exakte Test nach Fisher und der Kendall-Tau-b Test). Des Weiteren wurden Korrelationstestungen vorgenommen. Als Signifikanzniveau wurde jeweils p < 0,05 festgelegt. Alle statistischen Auswertungen erfolgten mit SPSS Statistics Version 21 (IBM).
Einschränkungen
Klassische „a priori“-Fallzahlanalysen konnten bei dieser Form der retrospektiven Auswertung (mit vorab feststehender Fallzahl je Gruppe) nicht vorgenommen werden. Es wird daher „post hoc“ bestimmt, ob die gefundenen Unterschiede bei vorab festgelegter Irrtumswahrscheinlichkeit für den Fehler 1. Art (alpha) von 0,05 sowie einer minimalen Power (1-beta, Wahrscheinlichkeit für den Fehler 2. Art) von 0,8 sowie bei feststehender Fallzahl einen bestimmten Grenzwert der Effektstärke nicht unterschreiten. Die Berechnungen werden jeweils mit der Fallzahlberechnungs-Software G*Power (Version 3.1.9.2; http://www.gpower.hhu.de) vorgenommen. Die Studie wurde von der Ethikkommission der Universität Ulm positiv votiert.
Ergebnisse
Beschreibung des Gesamtkollektivs
Das Geschlechterverhältnis Frauen:Männer entsprach 20:40. Das durchschnittliche Alter der Patienten betrug 34,5 Jahre (MED 36, MIN 5, MAX 50, STABW 11,26). Bei 15 Patienten war kein Trauma erinnerlich (SHT Schweregrad 0). Ein leichtes SHT (Grad I, GCS 12–15) wurde bei 21 Personen erfasst. Weitere 17 Patienten hatten ein SHT mittelschweren Grades (Grad II, GCS 9–12). Ein schweres Trauma (Grad III, GCS 3–8) lag bei sieben Personen vor.
Intervall zwischen Trauma und Operation
Das Intervall zwischen dem stattgehabten SHT bis zur Entlastungs-OP konnte nur bei den Patienten mit erinnerlichem SHT (n = 45) eruiert werden. Es erstreckt sich von minimal 1 bis maximal 16 Wochen (MW 6,53; MED 6; STABW 6,2). Zwei Patienten waren bei der Aufnahme intubiert, sodass bei diesen keine Angaben zur Zeitdauer vom ersten klinischen Symptom bis zur Diagnosestellung des cSDH möglich waren und die ausgewertete Fallzahl für diesen Parameter n = 58 beträgt. Das Minimum des Intervalls zwischen erstem Symptom und Diagnosestellung lag bei 1 Tag, das Maximum bei 84 Tagen, (MW 17,68; MED 7; STABW 32,4). Bei mehr als zwei Drittel der Patienten wurde die Diagnose erst vier Wochen nach Auftreten der ersten Symptome gestellt, in 2 Fällen sogar nach mehr als 8 Wochen.
Klinisches Bild
Symptome
Das klinische Bild des Gesamtkollektivs gestaltete sich vielfältig (siehe Tabelle 1). Es wurden 15 verschiedene Symptome beschrieben, welche größtenteils in Kombination miteinander auftreten. Bei zwei der Patienten existieren wegen bereits präklinisch erfolgter Intubation keine Angaben über die vorangehenden subjektiven Beschwerden. Der Kopfschmerz war bei 52/58 Patienten das Leitsymptom.
Hämatomgröße
Der Mittelwert der Hämatomgröße lag bei 1,7 cm (MED 2; MIN 1; MAX 5; STABW 0,89). Bei 23/60 Patienten war ein bilaterales Hämatom vorhanden. Ausschließlich rechts trat das Hämatom bei 15/60 und ausschließlich links bei 22/60 Fällen auf.
Rezidive
Hämatom-Rezidive wurden bei insgesamt zehn Patienten erfasst. Vier Fälle davon traten innerhalb der ersten Woche nach der primären Operation auf, weitere vier Fälle zwischen 1 Woche und 1 Monat nach Operation. Nach mehr als 1 Monat postoperativ kam es nur noch bei zwei Patienten zu einem Rezidiv, einmal nach sieben Wochen und einmal nach fünf Monaten. Bei sieben von zehn Patienten handelte es sich um ein einmaliges Rezidiv, bei einem Patienten um ein zweimaliges und in zwei Fällen um ein dreimaliges Rezidiv.
Prädisponierende Faktoren
In 36/60 Fällen fand sich mindestens ein Hämatom-prädisponierender Faktor (Verteilung der Häufigkeit siehe Tabelle 2).
Tab. 2: Häufigkeit der hämatom-prädisponierenden Faktoren im Gesamtkollektiv von n = 36 Fällen
Dependenz-Analysen zwischen den Gruppen mit (A) und ohne (B) prädisponierende Faktoren
Alter
Das durchschnittliche Alter betrug in Gruppe A 36 Jahre (MED 38; MIN; MAX; STABW) und in Gruppe B 32,29 Jahre (MED 28; MIN; MAX; STABW). Es bestand kein signifikanter Unterschied (p = 0,202; Mann-Whitney-U). In beiden Gruppen wird das Geschlechterverhältnis von weiblich zu männlich mit 1:2 gewahrt, folglich wird kein signifikanter Unterschied zwischen den Gruppen gefunden (p = 1,0; chi2 Pearson).
Schwergrad des SHT
Patienten ohne erinnerliches SHT gehörten sämtlich der Gruppe A an. In dieser Gruppe fanden sich auch mehr Fälle mit niedriggradigen SHT (Grad 0–1) (83,3 %), während es in der Gruppe B nur 6/24 Fälle waren (25 %). In Gruppe B waren hingegen mehr Fälle mit einem SHT Grad 2–3 (75 %).
Bezüglich der Schwere des SHT konnte zwischen beiden Gruppen ein signifikanter Unterschied nachgewiesen werden (p < 0,001; chi2 Pearson). Darüber hinaus bestand eine signifikante Korrelation beider Parameter (p < 0,001; chi2 Pearson). Die Zeit von den ersten Symptomen bis zur Diagnose betrug in Gruppe A durchschnittlich 20,3 Tage (Median 8,75; MIN 3; MAX 54; STABW 4,9) und in Gruppe B 13,1 Tage (Median 7; MIN 1; MAX 42; STABW 4,1), ohne dass ein signifikanter Unterschied (p = 0,147 Mann-Whitney-U) oder signifikante Korrelation (p>0,1; chi2 Pearson) zwischen beiden Gruppen bestanden. Die beiden präklinisch intubierten Patienten gehörten der Gruppe B an.
Symptome
Mit 83,3 % in Gruppe A und 91,7 % in Gruppe B war der Kopfschmerz in beiden Gruppen das führende Symptom. Es wurde kein signifikanter Unterschied bezüglich der Häufigkeit einzelner klinischer Symptome zwischen den Gruppen gefunden (p > 0,1; chi2 Pearson), auch signifikante Korrelationen fanden sich nicht (p > 0,25; chi2 Pearson).
Zeit vom SHT bis zur Therapie
Die Zeit vom SHT bis zur Therapie war in Gruppe A (MW 7,33 Wochen; MED 8,5; MIN3; MAX12; STABW 3,6) länger als in Gruppe B (MW 5,83 Wochen; MED 5; MIN 1; MAX 9; STABW 3,8). Die Hälfte der Patienten aus Gruppe A wurde erst 4 bis 8 Wochen nach dem Trauma behandelt, während hingegen die Hälfte der Patienten der Gruppe B in weniger als 4 Wochen einer Therapie zugeführt wurde.
Trotz dieses deutlichen Trends zur früheren Behandlung in Gruppe B bestand kein signifikanter Unterschied zwischen den Gruppen (p = 0,208; Mann-Whitney-U), ebenso fehlte eine signifikante Korrelation (p > 0,25; chi2 Pearson).
Hämatomgröße
Die durchschnittliche Ausdehnung des Hämatoms war in Gruppe A mit 2 cm größer als in Gruppe B (1,2 cm). Hämatome mit einer Dicke über 4 cm gehörten sämtlich der Gruppe A an. Fast alle cSDH der Gruppe B (23/24) waren kleiner als 2 cm. Der Unterschied zwischen den Gruppen hinsichtlich der Hämatomgröße war signifikant (p < 0,001; Mann-Whitney-U). Zudem bestand eine signifikante Korrelation zwischen Hämatomdicke und Gruppenzuordnung (p < 0,01; chi2 Pearson).
Seitenverteilung
Die Seitenverteilung der Hämatome war in beiden Gruppen identisch. In der Gruppe A trat das Hämatom bei 44,4 % der Patienten bilateral auf, in Gruppe B nur in 29,2 % der Fälle. Es konnte kein signifikanter Unterschied zwischen den Gruppen nachgewiesen werden (p = 0,285; exakter Test nach Fisher), signifikante Korrelationen fanden sich ebenfalls nicht (p > 0,25; chi2 Pearson).
Rezidivrate
Die Rezidivrate war in der Gruppe A (22,2 %) höher als in Gruppe B (8,3 %). Alle Fälle, bei denen es mehrmals zu Rezidiven kam, gehörten der Gruppe A an. Der Unterschied zwischen den Gruppen war jedoch nicht signifikant (p = 0,289; exakter Test nach Fisher); signifikante Korrelationen fanden sich ebenfalls nicht (p > 0,1; chi2 Pearson).
Diskussion
In der Gesamtschau kann festgestellt werden, dass prädisponierende Faktoren einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Entwicklung des cSDH bei Patienten unter 50 Jahren haben. Bei Betrachtung der Ergebnisse im Kontext der Literatur gibt es diverse Auffälligkeiten, die im Folgenden näher diskutiert werden sollen. Es muss darauf hingewiesen werden, dass Signifikanztestungen bei den Dependenz-Analysen mit einer gewissen Vorsicht zu betrachten sind, da sich die Testansätze retrospektiv stellenweise leicht unterpowert zeigten, jedoch in keiner Analyse Power < 0,65.
Demographische und anamnestische Faktoren
Geschlecht
Im Gesamtkollektiv war ein Verhältnis von 2 zu 1 zwischen dem männlichen und weiblichen Geschlecht zu beobachten. Dieses Ergebnis wird auch in anderen Studien, auch über alle Altersstufen hinweg, bestätigt [7][8][21]. Ursächlich dafür könnte das generell höhere Unfallrisiko bei Männern sein.
Auch zwischen den Gruppen mit bzw. ohne prädisponierende Faktoren (MPF bzw. OPF) gibt es in Bezug auf das Geschlecht keine signifikanten Unterschiede. Ein Ungleichgewicht des Geschlechterverhältnisses gibt es in unserer Studie lediglich innerhalb der Subgruppen mit Prädisposition.
Arachnoidalzysten treten deutlich häufiger bei Männern auf, was ZUCKERMANN et al. ebenfalls beobachtet haben [26]. Überwiegend Männer finden sich auch in der Subgruppe mit dem Prädilektionsfaktor „erhöhter Alkoholkonsum“. Dies kann gut durch die allgemein höhere Prävalenz von Alkoholabhängigkeit und -missbrauch bei Männern erklärt werden [19].
SHT-Anamnese
75 % aller Patienten unserer Studie haben in der Anamnese ein erinnerliches SHT. Diese Rate ist vergleichbar mit denen vergleichbarer Studien [1][7][15]. In der Gruppe mit prädisponierendem Faktor finden sich häufiger geringgradige SHT als Ursache eines cSDH als in der Gruppe ohne prädisponierenden Faktor. In der Gruppe MPF geben 42 % kein erinnerliches und weitere 42 % nur ein leichtgradiges Trauma an (kumulativ 84 % SHT-Grad 0–1). Diese Beschreibung trifft auch auf die Situation des cSDH beim älteren Patientengut zu. In der Gruppe OPF hingegen (die das cSDH vermutlich allein in der Folge eines SHT entwickelt hatten) ist das auslösende SHT in der Mehrzahl mittelschwer bis schwer (kumuliert 75 % SHT-Grad 2–3). Es gibt in der Gruppe OPF nicht einen einzigen Patienten, dem nicht wenigstens ein leichtgradiges Trauma erinnerlich ist, sodass auch der Traumazeitpunkt in allen Fällen eindeutig definiert ist. Bei rund 75 % der Patienten des Gesamtkollektivs mit cSDH ist also ein leicht- bis schwergradiges SHT zur Ausbildung des cSDH notwendig. Somit haben 25 % der Patienten ohne ein erinnerliches Trauma ein cSDH entwickelt. Alle diese Fälle ohne erinnerliches SHT weisen allerdings mindestens einen prädisponierenden Faktor auf. Man kann daraus schließen, dass Menschen ohne prädisponierenden Faktor und ohne relevantes SHT de facto kein cSDH entwickeln. Das wird in keiner den Autoren bekannten Analyse expressis verbis so formuliert, die in dieser Untersuchung erhobenen Zahlen deuten jedoch darauf hin. Eine Publikation von YANG und HUNANG aus dem Jahre 2017 deutet diesen Zusammenhang auch an. Ein cSDH braucht eine Ursache, es ist niemals wirklich spontan. Entweder findet man doch ein SHT (sei es auch noch so mild) oder es lässt sich schließlich doch irgendein prädisponierender/auslösender Faktor identifizieren [25].
Klinisches Bild
Zwischen den beiden Subgruppen OPF und MPF wird zwar für keines der klinischen Symptome ein signifikanter Unterschied in der Häufigkeit gefunden. Es dominiert jedoch bei jüngeren Patienten ein anderes klinisches Bild als bei Älteren. Kopfschmerzen sind in unserer Studie bei 86,7 % der Patienten das führende Symptom. Dies deckt sich recht gut mit anderen Publikationen zu diesem Thema [13][15]. 13,3 % der unter 50 Jahre alten Patienten geben Übelkeit und/oder Erbrechen an. Bei MISSORI et al. präsentieren sich 8,43 % der 20- bis 50-Jährigen mit Symptomen der intrakraniellen Hypertension [15]. Weitere Studien kommen zu ähnlichen Ergebnissen, nämlich dass bei jungen Patienten besonders Kopfschmerz, Übelkeit und Erbrechen (also typische Hirndruck-assoziierte Symptome) dominieren, während bei alten Patienten (mit atrophie-bedingt mehr Kompensationsraum für intrakranielle Drucksteigerungen) eher Vigilanzstörungen, Hemiparesen und mentale Störungen (also übergeordnete kognitive Funktionsstörungen) überwiegen [, 6, 7, 8, 13, 15, 18]. Dass nur 50 % der Patienten mit Alkoholabusus in der Anamnese Kopfschmerzen angeben, könnte zum einen an bereits vorliegender Hirnatrophie trotz jüngerem Lebensalter oder an einer gewissen Kopfschmerzgewöhnung bzw. -toleranz liegen. Epileptische Anfälle als Symptom des cSDH treten in unserer Studie mit 6,7 % eher selten auf. Bei GELABERT-GONZALÉZ et al. sind es 21,4 % bei unter 40-Jährigen [7].
Hämatom-prädisponierende Faktoren
Störungen des Liquorgleichgewichts
Eine Störung des Liquorgleichgewichts ist in unserer Analyse mit 36,1 % der häufigste prädisponierende Faktor. 5/13 Patienten entwickelten ein cSDH in Folge eines operativen Eingriffes an der Wirbelsäule mit Duraeröffnung, in dessen Verlauf zumindest passager ein Liquorunterdruck vorgelegen haben dürfte. Drei weitere Patienten waren wegen eines Hydrozephalus mit einem Liquorshunt versorgt, der vermutlich zu stark gefördert hat und durch den zusätzlichen Abstrom von Liquor während der Hämatomentwicklung den Aufbau eines hämatom-inhibierenden Druckwiderstands verhinderte. Neben offenen Eingriffen am Liquorsystem können aber auch Punktionen des Liquorraumes (Lumbalpunktion oder z. B. im Rahmen einer PDK-Anlage; [2][22]) zu einem Unterdruck und in der Folge auch zu einem cSDH führen (n=5/13 in unserer Studie).
Störungen der Hämostase
Hämostasestörungen wurden bei 33,3 % der Prädispositions-Patienten identifiziert, wobei medikamentöse Antikoagulation in der Altersgruppe unter 50 Jahren der häufigste Grund hierfür ist. BAECHLI et al. beschreiben altersübergreifend bei 41 % der Fälle mit cSDH die Einnahme von Antikoagulanzien [1]. In unserer Untersuchung sind es lediglich 15 %, allerdings im jungen Gesamtkollektiv. Dies ist aber vergleichbar mit den Ergebnissen von GELABERT-GONZÁLEZ et al., die im jüngeren Patientenkollektiv eine ähnlich niedrige Gesamthäufigkeit für ein cSDH unter Antikoagulation fanden (12,2 %) [7]. Eine angeborene Gerinnungsstörung liegt in unserer Studie nur in einem Fall vor. Interessanterweise zeigen junge Patienten mit Hämostase-Störungen eine höhere Rate von cSDH nach einem nicht-erinnerlichen SHT (60,0 % der Fälle). Dies war bei Patienten mit den anderen prädisponierenden Faktoren nur bei 35,5 % der Fall. Es braucht womöglich weniger starke SHT zur Ausbildung eines cSDH, wenn eine Antikoagulation stattfindet, als wenn einer der anderen prädisponierenden Faktoren vorhanden ist.
Anatomische Malformationen
In unserer Studie wurden in 15 % der Fälle im Prädispositions-Kollektiv anatomische Malformationen identifiziert. Bei Patienten unter 20 Jahren sind Malformationen sogar der einzige nachgewiesene prädisponierende Faktor. Hauptsächlich finden sich in dieser Gruppe intrakranielle Arachnoidalzysten als Malformation (88,9 %). TAKIZIWA et al. haben eine Gruppe 7- bis 40-jähriger Patienten mit cSDH untersucht und 47,6 % in dieser Studie zeigten eine Arachnoidalzyste [20]. Bei uns fällt das Ergebnis mit 13,3 % am Gesamtanteil zwar etwas niedriger aus. Jedoch liegt das durchschnittliche Alter von Patienten mit Arachnoidalzyste und cSDH in unserer Analyse bei 32,62 Jahren und in Takizawas Studie bei 32 Jahren.
Alkoholabusus
Im Vergleich zum deutlich häufigeren Vorliegen von Liquorungleichgewicht, Hämostasestörungen oder dem Vorhandensein zerebraler oder zerebrovaskulärer Malformationen kann der anamnestische Alkoholabusus mit einer Häufigkeit von nur 10 % in unserem Prädispositions-Kollektiv als seltenster prädisponierender Faktor nachgewiesen werden. Ähnlich niedrige Quoten finden sich bei LILIANG et al. [13].
Der Faktor „Zeit“
Die Zeit vom Beginn der ersten Symptome bis zur Diagnose des cSDH beträgt in unserer Analyse im Gesamtkollektiv durchschnittlich 17 Tage. In der Literatur werden aber auch kürzere Intervalle angegeben, z. B. 6 Tage [7]. In der vorliegenden Untersuchung ist in der Gruppe MPF die Symptomdauer vor Diagnose mit 20 Tagen länger als in der Gruppe OPF mit 13 Tagen. Die Zeit vom SHT bis zur Therapie beträgt im Gesamtkollektiv 6,53 Wochen. In der Gruppe OPF (6 Wochen) ist die Zeitspanne zwischen SHT und Therapiebeginn ebenfalls etwas kürzer als in Gruppe MPF (7 Wochen). Ein signifikanter Unterschied kann hier zwar nicht nachgewiesen werden – ein klarer Trend, dass Patienten mit prädisponierendem Faktor oft erst verzögert erkannt, diagnostiziert und behandelt werden, zeichnet sich jedoch ab.
Ursächlich für die schnellere Reaktion bei Fällen OPF könnte die intensivere Beobachtung und Nachsorge der mehrheitlich schwerer verunfallten Patienten mit mehrheitlich höhergradigen SHT sein. Demgegenüber legen unsere Daten den Schluss nahe, dass bei jungen Patienten ohne stattgehabtes höhergradiges SHT eine geringere Sensibilisierung für das Auftreten eines cSDH besteht. Diese These wurde bisher in keiner den Autoren bekannten Veröffentlichung aufgestellt. Aber die zahlreichen jungen Patienten auf der Intensivstation, die nach Standard im CT nachkontrolliert werden – was gelegentlich zur Diagnose meistens recht kleiner cSDH führt –, und dann bei Bekanntwerden des cSDH engmaschig weiterverfolgt werden, sind im klinischen Alltag auffällig. Gleichzeitig ist offenbar die Bereitschaft zur Bilddiagnostik nach einem schwereren SHT bei einem jungen Patienten, der posttraumatisch über Kopfschmerzen klagt, doch gegeben. Zumindest ist sie aber deutlich höher als die Bereitschaft zur bildgebenden Abklärung, wenn ein junger Patient über chronische Kopfschmerzen klagt und sich gleichzeitig kein unmittelbarer Zusammenhang mit einem SHT herstellen lässt. Das belegen unsere Zahlen und so sehen wir es auch in unserem Alltag.
Schlussfolgerung
Auch junge Patienten können ein cSDH entwickeln. Sollte es bei einem jungen Patienten, insbesondere ohne erkennbaren Zusammenhang mit einem schweren SHT, zum Auftreten eines cSDH kommen, ist unbedingt eine Abklärung zur Feststellung einer möglichen Hämatom-Prädisposition einzuleiten. Bei jungen Patienten mit bekanntem Vorhandensein eines prädisponierenden Faktors zur Ausbildung eines cSDH muss auch nach banal erscheinendem Kopftrauma (z. B. Kopfstoß beim Fußballspielen, was häufig in Bezug auf die tatsächliche Gewalteinwirkung unterschätzt wird) eine gründliche klinische Diagnostik erfolgen, insbesondere wenn Kopfschmerzen persistieren oder neu auftreten. Zudem sollten die Betroffenen und deren Angehörige bezüglich der Prädisposition sowie der sich ergebenden Konsequenzen aufgeklärt und für das erhöhte Risiko zur verzögerten Ausbildung eines cSDH selbst nach mildem Kopftrauma sensibilisiert werden.
Die Prädisposition zur Ausbildung eines cSDH sollte zudem Einfluss in die Entscheidungen bei Tauglichkeitsprüfungen von Kandidaten mit prädisponierenden Faktoren (chronischer Liquorunterdruck, Einnahme von Antikoagulanzien, Vorhandensein zerebraler Malformationen) finden. Für bestimmte militärische Dienste mit erhöhtem Risiko für SHT oder auch Kopfakzelerationen (z. B. Fallschirmsprung, fliegerischer Dienst, Spezialkräfte) ist die Prädisposition zum cSDH unserer Meinung nach ein Ausschlusskriterium.
Literatur
- Baechli H, Nordmann A, Bucher HC, Gratzl O: Demographics and prevalent risk factors of chronic subdural haematoma: results of a large single-center cohort study. Neurosurg Rev 2004; 27(4): 263-266. mehr lesen
- Beck J, Gralla J, Fung C, Ulrich CT et al.: Spinal cerebrospinal fluid leak as the cause of chronic subdural hematomas in nongeriatric patients. J Neurosurg 2014; 121(6): 1380-1387. mehr lesen
- Catapano JS, Nguyen CL, Wakim AA, Albuquerque FC, Ducruet AF: Middle Meningeal Artery Embolization for Chronic Subdural Hematoma. Front Neurol 2020; 11: 557233. mehr lesen
- Drapkin AJ: Chronic subdural hematoma: pathophysiological basis for treatment. Br J Neurosurg 1991; 5(5): 467-473. mehr lesen
- Feghali J, Yang W, Huang J: Updates in Chronic Subdural Hematoma: Epidemiology, Etiology, Pathogenesis, Treatment, and Outcome. World Neurosurg 2020 Sep; 141: 339-345. mehr lesen
- Fogelholm R, Heiskanen O, Waltimo O: Chronic subdural hematoma in adults. Influence of patient's age on symptoms, signs, and thickness of hematoma. J Neurosurg 1975; 42(1): 43-46. mehr lesen
- Gelabert-González M, Iglesias-Pais M, García-Allut A, Martínez-Rumbo R: Chronic subdural haematoma: surgical treatment and outcome in 1000 cases. Clin Neurol Neurosurg 2005; 107(3): 223-229. mehr lesen
- Iliescu IA, Constantinescu AI: Clinical evolutional aspects of chronic subdural haematomas - literature review. J Med Life 2015; 8 Spec Issue(Spec Issue): 26-33. mehr lesen
- Khadka NK, Sharma GR, Roka YB, Kumar P, Bista P, Adhikari D, Devkota UP: Single burr hole drainage for chronic subdural haematoma. Nepal Med Coll J 2008; 10(4): 254-247. mehr lesen
- Kunz U, Mauer U, Waldbaur H, Oldenkott P: Früh- und Spätkomplikationen nach Schädel-Hirn-Trauma. Unfallchirurg 1993; 96(11): 595-603. mehr lesen
- Kutty RK, Leela SK, Sreemathyamma SB, Sivanandapanicker JL, Asher P, Peethambaran A, Prabhakar RB: The Outcome of Medical Management of Chronic Subdural Hematoma with Tranexamic Acid - A Prospective Observational Study. J Stroke Cerebrovasc Dis 2020; 29(11): 105273. mehr lesen
- Lee KS: Natural history of chronic subdural haematoma. Brain Inj 2004; 18(4): 351-358. mehr lesen
- Liliang PC, Tsai YD, Liang CL, Lee TC, Chen HJ: Chronic subdural haematoma in young and extremely aged adults: a comparative study of two age groups. Injury 2002; 33(4): 345-348. mehr lesen
- Mauer UM, Kunz U. Chronisches subdurales Hämatom bei Patienten unter 35 Jahren. Nervenarzt 2007; 78(2): 177-80 mehr lesen
- Missori P, Maraglino C, Tarantino R, Salvati M, Calderaro G, Santoro A, Delfini R: Chronic subdural haematomas in patients aged under 50. Clin Neurol Neurosurg 2000; 102(4): 199-202. mehr lesen
- Ohara K, Seki Y, Maeda T, Aiba T: [Primary intracranial hypotension associated with chronic subdural hematoma--report of 2 cases]. No Shinkei Geka 1984; 12(10): 1203-1208. mehr lesen
- Sambasivan M: An overview of chronic subdural hematoma: experience with 2300 cases. Surg Neurol 1997; 47(5): 418-422. mehr lesen
- Schebesch KM, Woertgen C, Rothoerl RD, Ullrich OW, Brawanski AT: Cognitive decline as an important sign for an operable cause of dementia: chronic subdural haematoma. Zentralbl Neurochir 2008; 69(2): 61-64. mehr lesen
- Soyka M: Prevalence of alcohol-induced psychotic disorders. Eur Arch Psychiatry Clin Neurosci 2008; 258(5): 317-318. mehr lesen
- Takizawa K, Sorimachi T, Honda Y et al.: Chronic Subdural Hematomas Associated with Arachnoid Cysts: Significance in Young Patients with Chronic Subdural Hematomas. Neurol Med Chir (Tokyo) 2015; 55(9):727-734. mehr lesen
- Tseng JH, Tseng MY, Liu AJ, Lin WH, Hu HY, Hsiao SH: Risk factors for chronic subdural hematoma after a minor head injury in the elderly: a population-based study. Biomed Res Int 2014; 2014: 218646. mehr lesen
- Vos PE, de Boer WA, Wurzer JA, van Gijn J: Subdural hematoma after lumbar puncture: two case reports and review of the literature. Clin Neurol Neurosurg 1991; 93(2): 127-132. mehr lesen
- Wan KR, Qiu L, Saffari SE, Khong WXL, Ong JCL, See AA, Ng WH, King NKK: An open label randomized trial to assess the efficacy of tranexamic acid in reducing post-operative recurrence of chronic subdural haemorrhage. J Clin Neurosci 2020; 82(Pt A): 147-154. mehr lesen
- White M, Mathieson CS, Campbell E, Lindsay KW, Murray L: Treatment of chronic subdural haematomas - a retrospective comparison of minicraniectomy versus burrhole drainage. Br J Neurosurg 2010; 24(3): 257-260. mehr lesen
- Yang W, Huang J: Chronic Subdural Hematoma: Epidemiology and Natural History. Neurosurg Clin N Am 2017; 28(2): 205-210. mehr lesen
- Zuckerman SL, Prather CT, Yengo-Kahn AM, Solomon GS, Sills AK, Bonfield CM: Sport-related structural brain injury associated with arachnoid cysts: a systematic review and quantitative analysis. Neurosurg Focus 2016; 40(4): E9. mehr lesen
Manuskriptdaten
Eingereicht: 30. Dezember 2021
Nach Überarbeitung angenommen: 10. April 2022
Zitierweise
Schulz C, Walther C , Hackenbroch C, Mauer UM, Mathieu R: Bedeutung prädisponierender Faktoren zur Ausbildung intrakranieller chronischer Subduralhämatome bei jungen Patienten. WMM 2022; 66(6-7): 214-223.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-21
Für die Verfasser:
Flottillenarzt Priv.-Doz. Dr. Chris Schulz
Bundeswehrkrankenhaus Ulm
Klinik XII – Neurochirurgie
Oberer Eselsberg 40, 89081 Ulm
E-Mail: chrisschulz@bundeswehr.org
Manuscript data
Submitted: December 30, 2021
Accepted after minor Revision: April 10, 2022
Citation
Schulz C, Walther C , Hackenbroch C, Mauer UM, Mathieu R: Impact of predisposing factors on the development of intracranial chronic subdural hematomas in young patients. WMM 2022; 66(6-7): 214-223.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-21
For the authors:
Commander (Navy MC) Assistant Professor Dr. Chris Schulz
Bundeswehr Hospital Ulm
Department XII – Neurosurgery
Oberer Eselsberg 40, D-89081 Ulm
E-Mail: chrisschulz@bundeswehr.org