KASUISTIKEN
Nuklearmedizinische Diagnostik bei Patienten mit verzögerter Knochenheilung nach Explosions- und Schusstraumata
Nuclear medicine imaging in patients with delayed bone union after blast and gunshot injuries
Michael Grunerta, Falk von Lübkenb, Burkhard Klemenza
a Bundeswehrkrankenhaus Ulm, Abteilung XV – Nuklearmedizin
b Bundeswehrkrankenhaus Ulm, Klinik XIV – Unfallchirurgie und Orthopädie, Septische und Rekonstruktive Chirurgie, Sporttraumatologie
Zusammenfassung
Hintergrund: In militärischen Konflikten führen Frakturen, die durch Schuss- oder Explosionsverletzungen entstehen, zu einer hohen Rate an Knochensubstanzverlusten, Weichteilverletzungen und Infektionen. Die Knochenbruchheilung ist ein komplexer Regenerationsprozess. Die nuklearmedizinische Diagnostik ist neben der radiologischen Bildgebung eine zentrale Säule, die komplementäre Informationen zur Ursachenfindung einer ausbleibenden Frakturheilung geben kann. Die nuklearmedizinische Molekulare Bildgebung stellt damit die Basis für eine optimierte chirurgische Behandlungsentscheidung dar.
Falldarstellungen: Es werden zwei Fälle mit Knochenavitalität und Osteomyelitis nach Kriegsverletzungen vorgestellt. Dabei werden die Entzündungsszintigrafie mit Granulozyten-Antikörpern und die 18F-Natriumfluorid (NaF)-PET/CT als Möglichkeiten der nuklearmedizinischen Diagnostik für eine exakte funktionelle und anatomische Lokalisationsdiagnostik erläutert.
Diskussion: Die Therapie von Frakturen und insbesondere von Pseudarthrosen ist oft langwierig, aufwendig und meist mit mehrfachen chirurgischen Eingriffen verbunden. Zur nicht-invasiven Abklärung sollten nuklearmedizinische diagnostische Methoden, v. a. in der Infekt- und Vitalitätsdiagnostik, eingesetzt werden.
Schlussfolgerung: Für die erfolgreiche Therapie von Pseudarthrosen ist die zielgerichtete nuklearmedizinische Diagnostik eine wertvolle Grundlage.
Schlüsselwörter:Pseudarthrose, Entzündung, Avitalität, nuklearmedizinische Diagnostik
Summary
Background: In military conflicts, fractures resulting from gunshot or blast injuries lead to a high rate of bone substance loss, soft tissue injury, and infection. Fracture healing is a complex regenerative process. Nuclear medicine diagnostic procedures, along radiological imaging, is a central pillar and provides extended insight into the causes of failure of fracture healing. The optimal surgical therapy is based on a precise classification.
Case reports: We present 2 cases with devitalized bone and osteomyelitis after war injuries. The use of anti-granulocyte antibodies scintigraphy and 18F-sodium fluoride (NaF)-PET/CT for exact functional and anatomical detection in nuclear medicine imaging are explained.
Discussion: The treatment of fractures and in particular non-unions is often lengthy, complex and usually involves multiple surgical interventions. Nuclear medicine diagnostic methods should be used for clarification, especially in case of infection and to check bone vitality.
Conclusion: Targeted nuclear medicine imaging build a precious basis for successful therapy of non-unions.
Keywords: Non-union, infection, devitalized bone, nuclear medicine imaging
Hintergrund
Die Prävalenz einer posttraumatischen unvollständigen Frakturheilung mit Pseudarthrose liegt bei bis zu 10 % [10] und ist trotz aller modernen Behandlungsverfahren eine schwerwiegende und oft multifaktorielle Komplikation in der Traumatologie.
Es gibt mehrere Definitionen, ab wann man von einer Pseudarthrose spricht. In der klinischen Versorgung setzt sich zunehmend die pragmatische Definition durch, dass eine Pseudarthrose als Fraktur beschrieben wird, die ohne einen weiteren Eingriff bzw. eine zusätzlich Therapie nicht heilen wird [5].
In Kriegen und militärischen Konflikten ist bei Frakturen, die durch Schuss- oder Explosionsverletzungen entstehen, mit einer hohen Rate an Knochensubstanzverlusten, Weichteilverletzungen und Infektionen zu rechnen. In einer systematischen Übersichtsarbeit der Knochenheilung in kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen 1919 und 2019 liegt die Rate der inkompletten oder unvollständigen Frakturheilung bei durchschnittlich 12,4 % [7].
Eine hohe Relevanz für das weitere Vorgehen hat die exakte Ursachenerfassung der verzögerten oder ausbleibenden Frakturheilung mit Hilfe der morphologischen und funktionellen bzw. molekularen Bildgebung.
Nuklearmedizinische Diagnostik
Mit dem gezielten Einsatz nuklearmedizinischer diagnostischer Verfahren ist es möglich, wichtige zusätzliche Informationen in Hinblick auf Infektsituation und Knochenvitalität zu gewinnen. Die Hybridscanner der modernen Nuklearmedizin kombinieren in einem Gerät die molekulare Bildgebung mittels Positronen-Emissionstomografie (PET) und Einzelphotonen-Emissionstomografie (SPECT) mit morphologisch-orientierten radiologischen Methoden der Computertomografie (CT) oder Magnet-Resonanz-Tomografie (MRT) und erbringen in einem Untersuchungsgang als PET/CT, PET/MRT oder SPECT/CT gleichzeitig eine exakte funktionelle und anatomische Lokalisationsdiagnostik. Die Granulozyten- bzw. Leukozyten-Szintigrafie mit SPECT/CT wird bei peripheren osteosynthetisch versorgten Knocheninfekten mit einer hohen Sensitivität und Spezifität eingesetzt und im aktuellen Konsensuspapier damit befasster europäischer Fachgesellschaften für diese Indikation empfohlen [1][3].
Die bewährte Skelett-Szintigrafie mit 99mTc-markierten Bisphosphonaten kann als Dreiphasen-Szintigrafie zum Ausschluss einer Infektpseudarthrose genutzt werden, da ihre Sensitivität mit 92–95 % exzellent, die Spezifität jedoch mit 18–33 % nicht ausreichend befriedigend ist. Die niedrige Spezifität lässt sich im Rahmen einer Stufendiagnostik in Kombination mit einer Granulozyten-Antikörper-Szintigrafie auf 72–84 % steigern [2]. Alternativ kann insbesondere bei nicht-osteosynthetischer Versorgung das PET/CT mit 18F-2-Fluor-2-desoxy-D-glucose (FDG) mit hoher Sensitivität eine Infektion aufzeigen1. Aufgrund des hohen negativen prädiktiven Wertes (NPV) von 88–89 % kann eine negative PET/CT-Untersuchung mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Infektsituation ausschließen [8] und zur Differenzierung der septischen von der aseptischen Pseudarthrose beitragen [6]. Ein Vorteil der Untersuchung im PET/CT-Scanner ist die höhere Ortsauflösung gegenüber den konventionellen szintigrafischen Verfahren. Das hat trotz einer geringeren Spezifität der FDG-PET/CT zu einem Rückgang der konventionellen, aber spezifischeren Szintigrafien geführt, denn auch Entzündungszellen in nicht infiziertem Granulationsgewebe speichern das Radiopharmakon FDG.
In der klassischen 3-Phasen-Skelett-Szintigrafie ist die Aufnahme des genutzten 99mTc-Bisphosphonats abhängig von Blutfluss und Knochenumsatz. In der Mineralisationsphase ist während der Frakturheilung ein typisches Anreicherungsmuster zu beobachten. Eine prolongiert persistierende Traceranreicherung der Frakturregion in der Mineralisationsphase spricht für die Entwicklung einer Pseudarthrose.
18F-Natriumfluorid (NaF) ist ein Positronenstrahler und wird als Radiopharmakon am PET/CT verwendet. Es zeigt ein ähnliches pharmakokinetisches Verhalten wie die 99mTc-Bisphosphonate, die in der Skelett-Szintigrafie an der Gammakamera (SPECT) genutzt werden. Die 18F-NaF-PET/CT hat aber den Vorteil einer höheren Ortsauflösung und Spezifität im Vergleich zur Skelett-Szintigrafie. Als dynamische Untersuchung wird die NaF-PET klinisch vorrangig in der Vitalitätsdiagnostik von Knochentransplantaten verwendet. Dabei spricht ein verminderter Fluorid-Einstrom in der Perfusionsphase für ein nicht mehr vitales Transplantat [9]. Der Ansatz der dynamischen Untersuchung im PET/CT ist aktuell nicht weit verbreitet, weil dazu eine an GMP-Leitlinien (good manufacturing practice) orientierte Arzneimittelherstellung in einer PET-Radiopharmazie notwendig ist, die im zivilen Bereich fast ausschließlich an Universitätskliniken und im Sanitätsdienst der Bundeswehr nur im Bundeswehrkrankenhaus (BwKrhs) Ulm betrieben wird. Dennoch ist diese Methode auch wegen der geringeren Strahlenexposition gerade bei jungen Patienten von besonderer Bedeutung und wird deshalb am BwKrhs Ulm eingesetzt und weiterentwickelt.
Falldarstellungen
Fall 1
Ein 18-jähriger ukrainischer Soldat, der sich durch eine Granaten-Explosion im September 2018 verletzte, wurde ca. 8 Monate nach Trauma zur weiteren chirurgischen Versorgung am BwKrhs Ulm vorgestellt. In der klinischen Untersuchung wurde eine Fallhand links festgestellt, die neurologisch auf eine hochgradige Nervus radialis-Läsion links zurück zu führen war. Ursächlich hierfür war ein Plattenbruch der osteosynthetisch versorgten Humerusschaftfraktur links. Nach ausgiebiger Diagnostik wurde die gebrochene Osteosynthese entfernt und ein Fixateur externe angelegt (Abbildung 1). Das postoperative Skelett-Szintigramm konnte eine Vitalität in allen knöchernen Anteilen des Humerus inkl. der Knochenfragmente nachweisen (Abbildung 2). In einer weiteren Operation wurde der linke N. radialis exploriert, der sich im Verlauf vom mittleren Oberarm bis zum Unterarm als atrophiert darstellte. Es erfolgte eine motorische Ersatzplastik zur Wiederherstellung der Streckfunktion. Im Zuge einer Re-Operation mit Revision des Fixateurs und Debridement der Pseudarthrose erfolgte die Einbringung eines Zementspacers (Abbildung 3). Nach einem weiteren zweimonatigen stationären Aufenthalt wurde der Pallacos-Spacer entfernt, der linke Humerus offen reponiert und mittels Beckenkammtransplantat, Doppelplattenosteosynthese und Lappenplastik rekonstruiert (Abbildung 3).
2019
Der Patient absolvierte zwischenzeitlich eine stationäre Rehabilitation, bis im September 2019 die erneute Aufnahme bei fehlender knöcherner Einheilung des vaskularisierten Beckenkammspans und persistierendem Streckdefizit im linken Handgelenk durch einen irreversiblen N. radialis-Schaden notwendig wurde. Die Knochenenden des linken Humerus wurden angefrischt und eine autologe Spongiosaplastik durchgeführt. Im November 2019 startete die externe Ultraschalltherapie mit dem Ziel der Förderung der Ossifikation.
2020
Im Oktober 2020 wurde der Patient nach heimatnaher Weiterversorgung erneut wegen eines spontanen Plattenbruchs eingewiesen (Abbildung 3). Die nuklearmedizinische Diagnostik ergab keinen Hinweis auf einen granulozytären knöchernen Infekt. Aufgrund einer fehlenden Granulozytenantikörper-Anreicherung, die für blutbildendes Knochenmark typisch ist, wurde der Verdacht auf eine Avitalität des Knochenspans gestellt (Abbildung 4). Zur Vitalitätsdiagnostik erfolgte eine ergänzende NaF-PET/CT-Untersuchung. In dieser zeigte sich allenfalls eine minimale Osteoblastenaktivität des Beckenkammspans, die deutlich geringer war als am angrenzenden Pseudarthrosenspalt. Damit war die fehlende Vitalität mit nicht invasiver Diagnostik gesichert (Abbildung 5). Nach zusätzlichem mikrobiologischen Infektausschluss wurden die Osteosyntheseplatten im November 2020 entfernt, die avitalen Anteile des Beckenkammspans reseziert und ein Segmenttransport nach Fixateur-Anlage gestartet. Histologisch wurde eine Knochennekrose des Knochenspans gesichert. Die postoperativen Röntgenbilder zeigten eine regelrechte Achsstellung des Humerus und eine korrekte Osteosyntheselage. Der Segmenttransport wurde kontinuierlich fortgesetzt und der Soldat wieder in die Ukraine zurückverlegt.
Abb. 1: (A und B) CT des linken Oberarms bei Erstvorstellung in Volume Rendering Technique (VRT) mit Darstellung des Plattenbruchs und der Achsfehlstellung der Mehrfragmentfraktur mit Dislokation um ca. 25°
(C) Im postoperativen Röntgenbild in a.p.-Projektion sieht man den Zustand nach Entfernung der Plattenosteosynthese und Anlage des Fixateur externe, Versatz des Humerusschaftes um ca. eine Schaftbreite (gelber Doppelpfeil) sowie schwer abgrenzbare kleinste röntgendichte Fremdkörpereinsprengungen (grüne Pfeile).
Abb. 2: (A) In den planaren szintigrafischen Aufnahmen und im SPECT (B) zeigte sich eine Tracerspeicherung in allen knöchernen Anteilen des Humerus inkl. der Knochenfragmente; somit war der Nachweis einer erhaltenen Perfusion mit erhöhtem Knochenstoffwechsel und Ausschluss einer Avitalität erbracht.
Abb. 3: (A) Postoperatives Röntgenbild nach Debridement der Pseudarthrose und neu eingebrachtem Zement-Spacer (grüner Pfeil)
(B) Nach der Re-Operation zeigt sich im Röntgenbild die doppelplatten-osteosynthetische Versorgung und Implantation eines Beckenkammspans mit beginnenden Durchbauungszeichen (gelber Pfeil).
(C) Es kam nach knapp 1 Jahr zu einem erneuten Materialbruch der beiden Plattenosteosynthesen mit Fragmentdislokation des distalen Humerus nach lateral, hier abgebildet in der VRT-Darstellung.
Abb. 4: (A-C) Das SPECT/CT mit 99mTc-markierten Granulozyten-Antikörpern mit coronarer Darstellung des linken Humerus im CT (A), im SPECT (B) und im fusionierten SPECT/CT (C) und planare Ganzkörper-Szintigrafie (D) mit physiologischer Traceranreicherung im blutbildenden Knochenmark: Es zeigt sich keine fokale oder im Zeitverlauf zunehmende Akkumulation der Granulozytenantikörper im Beckenkamm-Interponat, damit Ausschluss einer granulozytären Osteitis. Allerdings findet sich auch keine Anreicherung im blutbildenden Knochenmark des gefäßgestielten Beckenkamm-Interponats (blauer Pfeil) im Vgl. zum proximalen Humerus (grüner Pfeil), damit besteht V.a. Avitalität.
(C) Darstellung der Fluoridverteilung in der Maximum-Intensitäts-Projektion (MIP) des PET
Abb. 6: (A) Im postoperativen Röntgen nach Resektion der avitalen Anteile des Beckenkammspans und zwischenzeitlicher Entfernung der Plattenosteosynthesen stellen sich die Neuanlage eines Fixateur externe für den Segmenttransport sowie verbliebene vormals gebrochene Osteosyntheseschrauben dar.(B) Röntgenkontrolle nach eingebrachtem Spongiosaspan und von lateral angebrachter Plattenosteosynthese
(C) Im CT in coronarer Schichtführung vor Repatriierung in die Ukraine zeigt sich eine zunehmende ossäre Überbrückung am distalen Humerusschaft und proximal zunehmende Durchbauung am Segmenttransport (grüner Pfeil), jedoch noch keine vollständige überbrückende Kallusbildung.
2021
Bedingt durch eine nicht ordnungsgemäße Pflege der Fixateur-Pins wurde im Februar 2021 klinisch sowie bildmorphologisch der Verdacht auf einen knöchernen Infekt des distalen linken Humerus mit Auslockerung des Fixateur-Pins gestellt und der Soldat wieder im BwKrhs Ulm aufgenommen. Der Infektverdacht konnte durch offene Probenentnahmen gesichert werden; oberflächliche und tiefe Wundabstriche konnten S. aureus und P. gessardii nachweisen. Nach begonnener und testgerecht umgestellter antibiotischer Therapie erfolgte die Entfernung der infizierten und gelockerten Schrauben und des Knochenzementspacers am linken Humerus sowie die Neuanlage eines gelenküberbrückenden Hybrid-Fixateurs externe. Zum zweiten Mal wurde im April 2021 mit einem Segmenttransport begonnen, der im Juni 2021 beendet wurde (Abbildung 6). Anschließend erfolgte die osteosynthetische Versorgung mittels Platte und Spongiosa an der distalen Kontaktstelle des auflaufenden Segmenttransports. Im postoperativen CT zeigte sich eine zunehmende, jedoch nicht vollständig überbrückende Kallusbildung (Abbildung 6), sodass die Empfehlung zur Belassung des Fixateur externe für weitere 6 Monate ausgesprochen wurde. Der Patient konnte schließlich im Dezember 2021 nach mehr als drei Jahren mit reizfreier Wundheilung und guter Mobilisation entlassen und in die Ukraine repatriiert werden.
Fall 2
2014 erlitt ein damals 39-jähriger ukrainischer Soldat eine Schussverletzung am linken oberen Sprunggelenk (OSG). Im Heimatland wurden multiple Vor-Operationen mit dem Versuch einer OSG-Arthrodese bei Arthrose durchgeführt, die sich aber als insuffizient erwiesen, weshalb in der Ukraine der klinische Verdacht auf einen Infekt bei mutmaßlicher Fistelung gestellt wurde. Im Oktober 2020 erfolgte die stationäre Aufnahme zur weiteren Versorgung am BwKrhs Ulm mit anliegendem Fixateur externe.
Die Wundverhältnisse waren bei Erstvorstellung reizfrei und laborchemisch bestand kein Hinweis auf eine Infektion. Bei weiterhin klinischem Verdacht erfolgte zeitnah eine Entzündungsszintigrafie mit 99mTc-markierten Granulozyten-Antikörpern, die das typische Befundmuster einer floriden granulozytären ossären Entzündung im Sinne einer Osteomyelitis ergab. Typisch ist die fokale und im Zeitverlauf zunehmende intraossäre Anreicherung in der nicht fusionierten OSG-Arthrodese entlang der sich kreuzenden Schraubenosteosynthesen vom Osteotomiespalt bis in das dorsale hintere USG (Abbildungen 7 und 8).
Anfang November 2020 wurden daher die Arthrodeseschrauben entfernt, ohne dass sich intraoperativ Sekret entleerte. Der Athrodesenspalt wurde ausgeräumt und Gewebeproben für die Mikrobiologie gewonnen. Es erfolgte die Versorgung mit einem neuen gelenkübergreifenden Fixateur externe (Abbildung 9). In den Gewebeproben konnte S. aureus mikrobiologisch gesichert werden mit anschließender testgerechter antibiotischer Therapie. In einer kurzfristigen Re-Operation noch im November 2020 wurde an der distalen Tibia bzw. dem ehemaligen OSG-Spalt links debridiert, antiseptisch gespült und eine Mini-Septopalkette eingebracht (Abbildung 10), die Ende des gleichen Monats gewechselt wurde. Es ergab sich kein weiterer Keimnachweis im zeitlichen Verlauf.
Daher wurde im Dezember 2020 das linke Sprunggelenk mittels Nagelarthrodese versorgt, die Gelenkspalten des OSG und USG mit aus der Tibia gewonnener Spongiosa aufgefüllt und der gelenküberbrückende Fixateur externe entfernt. Im postoperativen Röntgenbild wurde die regelrechte Lage der Arthrodese dokumentiert. Der Patient konnte bereits am ersten postoperativen Tag mit Hilfe der Physiotherapie mobilisiert werden und nach reizfreier Wundheilung und guter Mobilisation in die weiterführende ambulante Behandlung in die Ukraine entlassen werden.
Abb. 7: (A-H) SPECT/CT mit 99mTc-markierten Granulozyten-Antikörpern mit CT in transversaler Schnittführung (A,E), SPECT in transversaler Schnittführung (B,F) und fusioniertes SPECT/CT in transversaler Schnittführung (C,G); SPECT MIP der Unterschenkel (D,H)
24 h Aufnahmen p.i. mit im Zeitverlauf zunehmender Anreicherung der Granulozytenantikörper als Ausdruck einer Osteomyelitis, (A-D) (grüner Pfeil) im Vergleich zu den 4 h p.i.-Aufnahmen (E-H) (blauer Pfeil).
Abb. 8: (A-F) SPECT/CT mit 99mTc-markierten Granulozyten-Antikörpern in sagittaler Schnittführung, CT (A,D), SPECT (B,E) und fusioniertes SPECT/CT (C,F)
(A-C) Die 24 Stunden Aufnahmen p.i. zeigen die zunehmende Anreicherung der Granulozytenantikörper im Sinne eines floriden granulozytären Entzündungsfokus (grüner Pfeil) im Vergleich zu den 4 h p.i.-Aufnahmen (D-F, blauer Pfeil).
Abb. 9: (A) Postoperatives seitliches Röntgenbild nach vollständiger Entfernung der Arthrodeseschrauben und Neuanlage eines Fixateur externe
(B) Kontrollbild nach eingebrachter Septopalkette mit Gentamycin im ehemaligen OSG-Spalt (blauer Pfeil).
Abb. 10: (A,B) Abschließende Röntgenaufnahme im BwKrhs Ulm in 2 Ebenen mit regelrechter Darstellung der neu eingebrachten Nagel-Arthrodese nach Entfernung des Fixateur externe und Spongiosa-Auffüllung der OSG- und USG-Spalten.
Diskussion
Die beiden präsentierten Kasuistiken verdeutlichen die Komplexität und Problematik von Kriegsverletzungen. Die in den meisten Krankenhäusern – auch allen Bundeswehrkrankenhäusern – vorhandenen radiologischen Untersuchungsverfahren sind ein wichtiger diagnostischer Pfeiler für die Beurteilung der Frakturheilung. Die Projektionsradiografie und das CT sind die am häufigsten eingesetzten Methoden und stehen oft an erster Stelle zur Beurteilung der Frakturheilung. Ergänzt werden sie durch die MRT, die ihre größten Vorteile in der Beurteilung der angrenzenden Weichteile hat sowie Entzündungen (Osteomyelitis oder Abszess) als Ursache einer verzögerten Frakturheilung detektieren kann. Zusätzlich können neurovaskuläre Strukturen, wie im Fall 1 beschrieben, gut darstellt werden. Durch i.v.-Kontrastmittel in Verbindung mit der DCE-MRT (Dynamic Contrast-Enhanced MRT) kann die Vaskularisation des Knochens beurteilt werden. Neben der morphologischen Bildgebung stellen u. a. Laborparameter und auch die Knochenmatrixdichte wichtige Befunde im diagnostischen Algorithmus dar und bestimmen die Therapieplanung.
Hybridbildgebung überlegen
Die hier vorgestellten Explosions-bzw. Schuss-Verletzungsmuster der ukrainischen Soldaten konnten aber nur deshalb zielgerichtet und zeitnah optimal therapiert werden, weil die zusätzlichen komplementären Untersuchungsmethoden der Molekularen Bildgebung in der Nuklearmedizin durchgeführt wurden. Die moderne nuklearmedizinische Ausstattung mit Hybridgeräten (PET/CT, PET/MRT, SPECT/CT) gewährleistet in einem Untersuchungsgang die simultane morphologische und funktionelle Bildgebung.
Nuklearmedizinische diagnostische Verfahren werden insbesondere in der Ausschlussdiagnostik von Infektionen eingesetzt, wenn die bisherige Diagnostik nicht eindeutig ist. Die Infektpseudarthrose kann sich im Röntgenbild sowohl als hyper- als auch atrophe Pseudarthrose darstellen und biologisch unterschiedliche Grade der Vitalität aufweisen. Dem Verdacht einer Infektpseudarthrose muss konsequent nachgegangen werden, damit eine verzögerte oder insuffiziente Therapieplanung vermieden wird. Trotz fehlender klinischer Hinweise auf einen Infekt gelingt ein Keimnachweis in 44 % der Gewebeproben aus der Pseudarthrose [4]. Daher sollten vor allem bei der Frage nach einer Infektpseudarthrose nuklearmedizinische diagnostische Verfahren wie die Granulozyten-Szintigrafie mit SPECT/CT oder die FDG-PET/CT zum Einsatz kommen.
NaF-PET/CT der bessere Knochenscan
Die am BwKrhs Ulm etablierte dynamische NaF-PET/CT eignet sich hervorragend für die Vitalitätsdiagnostik der Pseudarthrose und bildet eine Grundlage für die weitere Therapieplanung bzw. -umstellung. In der nuklearmedizinischen PET-Radiopharmazie werden unter den strengen Regularien des deutschen Arzneimittelgesetzes und EU-Richtlinien u. a. NaF als Radiopharmakon eigenverantwortlich hergestellt. Daher stehen die Vorteile dieses Tracers mit unübertroffener Bildqualität, kürzerer Untersuchungszeit, Möglichkeit der dynamischen Untersuchung inkl. Quantifizierung neben Tumorpatienten mit der Frage nach Skelettmetastasen auch für komplexe traumatologische Fragestellungen zur Verfügung.
Die geringere Strahlenexposition gegenüber anderen Verfahren ist ausschlaggebend für die Anwendung der NaF-PET bei jungen Patienten und damit bei verwundeten Soldaten. Mit entsprechender Erweiterung der PET-Radiopharmazie könnten die PET-Tracer auch der Nuklearmedizin am BwZKrhs Koblenz zur Verfügung gestellt werden, um diese Form der nuklearmedizinischen PET-Diagnostik für Soldaten mit komplexen Verletzungsmustern auch dort redundant sicherzustellen, da bei größeren bewaffneten Konflikten, z. B. im Rahmen der Bündnisverteidigung, die Kapazität einer Klinik für eine adäquate Versorgung nicht ausreichen dürfte.
Fazit
Eine verzögerte Frakturheilung und insbesondere Pseudarthrosen sind schwerwiegende Komplikationen, die bei Patienten aus Krisen- und Kriegsgebieten gehäuft zu erwarten sind. Die Therapie ist, wie in den Fallbeispielen präsentiert, langwierig, extrem aufwendig und fast immer mit mehrfachen chirurgischen Eingriffen verbunden.
Für die richtige Therapieentscheidung sind bei Pseudarthrosen moderne nuklearmedizinische Untersuchungen von großer Bedeutung, insbesondere wenn eine knöcherne Infektion oder die Vitalität von Knochenfragmenten abgeklärt werden müssen. Die Abteilung Nuklearmedizin im BwKrhs Ulm verfügt über die für diese Fälle optimierten diagnostischen Verfahren der Molekularen Bildgebung inklusive eigener PET-Radiopharmazie und ist diesbezüglich mit großen Universitätskliniken vergleichbar.
Literatur
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Bildquellen
Sofern nicht anders vermerkt, stammen alle Abbildungen aus dem Bundeswehrkrankenhaus Ulm.
Manuskriptdaten
Zitierweise
Grunert M, von Lübken F, Klemenz B: Nuklearmedizinische Diagnostik bei Patienten mit verzögerter Knochenheilung nach Explosions- und Schusstraumata. WMM 2022; 66(6-7): 224-232.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-28
Für die Verfasser
Oberfeldarzt Dr. Michael Grunert
Bundeswehrkrankenhaus Ulm
Abteilung Nuklearmedizin
Oberer Eselsberg 40, 89081 Ulm
E-Mail: michaelgrunert@bundeswehr.org
Manuscript data
Citation
Grunert M, von Lübken F, Klemenz B: Nuclear medicine imaging in patients with delayed bone union after blast and gunshot injuries. WMM 2022; 66(6-7): 224-232.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-28
For the authors
Lieutenant Colonel (MC) Dr. Michael Grunert
German Armed Forces Hospital of Ulm
Department for Nuclear Medicine
Oberer Eselsberg 40, D-89081 Ulm
E-Mail: michaelgrunert@bundeswehr.org
1 18F-2-Fluor-2-desoxy-D-glucose (FDG) ist ein mit dem Radionuklid Fluor-18(18F) markiertes Radiopharmakon, das wie Glucose metabolisiert wird. Die Konzentration dieses Tracers im Gewebe wird durch die PET erfasst.