Liquid Biopsy als ein innovativer Biomarker für die Erkennung und Differenzierung der Traumafolgen im Rahmen des Polytraumas1
Liquid Biopsy as an Innovative Marker for Recognition and differentiation of Consequences of Polytrauma Injuries
Aliona Wöhlera, Robert Schwaba, Sebastian Schaafa, Arnulf Willmsa
1 Die in dieser Publikation verwendeten Personenbezeichnungen beziehen sich immer gleichermaßen auf weibliche und männliche Personen. Auf eine Doppelnennung und gegenderte Bezeichnungen wird zugunsten einer besseren Lesbarkeit verzichtet.
a Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz, Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Thoraxchirurgie
Zusammenfassung
Das Polytrauma gehört nach wie vor zu den führenden Todesursachen weltweit. Bei den kriegerischen Auseinandersetzungen ist mit einer unvorhersehbaren Anzahl an Verletzungsmustern verschiedener Schwere zu rechnen. Ihre Einschätzung und die nachfolgende Triage stellen nach wie vor sowohl in den Friedenszeiten als auch insbesondere in den bewaffneten Konflikten mit einer großen Anzahl an Schwerverletzten eine Herausforderung dar. Insbesondere die Verletzungen der inneren Organe in den Körperhöhlen können dabei verkannt werden und zur akuten Verschlechterung der Patienten bis zum Tode führen. Trotz großer Fortschritte in der Medizin werden Biomarker aus dem Blut dringend benötigt, um die Entscheidungsfindung bei der Triage und Weiterversorgung der polytraumatisierten Patienten zu unterstützen. Hier haben wir aus dem Serum stammende extrazelluläre Vesikel (EVs) als potenzielle Biomarker bei multipel verletzten Patienten untersucht.
Das Ziel der aktuellen Arbeit bestand in der Erforschung der zellabstammenden extrazellulären Vesikel im Rahmen des Polytraumas, Etablierung eines Serummarkers für die Identifikation der Patienten mit mehreren Verletzungen, Differenzierung zwischen den Verletzungen in verschiedenen Organsystemen und Beurteilung des klinischen Verlaufs.
Schlüsselwörter: Polytrauma, extrazelluläre Vesikel, Triage, Massenanfall von Verletzten, liquid biopsy, Serummarker
Summary
Polytrauma is still one of the leading causes of death worldwide. An unpredictable number of injury patterns of varying severity can be expected in armed conflicts. Their assessment and subsequent triage continue to be a challenge of our time, both in peacetime and especially in armed conflicts with a large number of seriously injured people. Injuries to the internal organs can be unrecognized and thus lead from acute deterioration to death. Despite significant advances in medicine, blood biomarkers are urgently needed to support decision-making in the triage and further care of polytrauma patients. Here, we investigated serum-derived extracellular vesicles as potential biomarkers in multiple injured patients. The current study aimed to investigate cell-derived extracellular vesicles in polytrauma, establish a serum marker for identifying patients with various injuries, differentiate between injuries in different organ systems, and assess the clinical course.
Keywords: polytrauma; extracellular vesicles; Triage; mass casualty incident; MASCAL, liquid biopsy; biomarker
Einleitung und Hintergrund
Das Polytrauma – definiert als Verletzungen mehrerer Körperregionen, bei denen mindestens eine oder ihre Kombination tödlich sein kann – gehört nach wie vor zu den führenden Todesursachen weltweit [14]. Es ist unter anderem einer der Hauptgründe für die körperliche Beeinträchtigung in der Bevölkerung unter 35 Jahren [1].
Das Erfassen der Traumafolgen, insbesondere bei lebensbedrohlichen Verletzungen der inneren Organe, ist nicht einfach. Nach gegenwärtigem Stand der Literatur spielt die initiale Versorgung der Schwerstverletzten präklinisch sowie in der ersten klinischen Phase eine entscheidende Rolle für das Überleben im weiteren Verlauf [4]. Im militärischen Bereich ist die Beurteilung des Ausmaßes eines Traumas, zum Beispiel infolge eines Blast Injury oder durch ein IED (improvised explosive device) eine Herausforderung. Das sind komplexe Verletzungen mit stumpfen und penetrierenden Mustern, deren Management und Triage besonders anspruchsvoll sind. Die Versorgung solcher Patienten ist zusätzlich nicht selten durch einen Massenanfall an Verletzten („MANV“ oder „MASCAL“ im militärischen Setting) erschwert.
Bei der Analyse der Todesursachen aller zwischen 2001 und 2011 in Militäreinsätzen gefallenen amerikanischen Soldaten durch Eastridge et al. wird deutlich, dass das Überleben von der Effizienz der Blutstillung in Thorax und Abdomen sowie an den stammnahen Extremitäten abhängt. Die Untersuchungen zeigten, dass etwa 70 % aller gefallenen US-Soldaten mit einem schweren Polytrauma an diesen letalen Verletzungen verstorben sind [6].
Eine der weiteren großen Herausforderungen in der Einsatz- und Notfallmedizin besteht darin, eine zuverlässige Strategie zu finden, mit der man die Schwere der Verletzungen erkennt (insbesondere in der Körperhöhlen), um die Patienten nicht zu untertriagieren (Undertriage). Gleichzeitig soll man eine Übertriagierung vermeiden, um wertvolle medizinische Ressourcen zu sparen und besser verteilen zu können [12].
Die bekannten Triage-Systeme führen häufig zu einem Misserfolg und übersehen überlebenskritische Verletzungen wie innere Blutungen in den Körperhöhlen (Thorax und Abdomen). In einem Review über 21 einschlägige Quellen berichten Najafi et al. über eine Untertriage in 1–72 % und eine Übertriage in 19–79 % der Fälle [11]. Laut dem American College of Surgeons Committee of Trauma sind Under Triage unter 5 % und Over Triage über 25–35 % akzeptabel [8]. Die Auswertungen aus dem TraumaRegister® DGU 2020 zeigen, dass ein Drittel aller Verletzten über 70 Jahre alt und untertriagiert ist. Übliche Triage-Maßnahmen greifen bei dieser Patientengruppe aufgrund anderer klinischer Manifestation und kompensatorischer Mechanismen nicht [3].
Im Rahmen eines Trauma-Triage-Algorithmus soll ein Patient, der blutet oder erhebliche Hirnverletzungen aufweist, zuverlässig identifiziert werden. Durch die Ergänzung des prähospitalen Triagealgorithmus mit im Krankenhaus etablierten Point-of-Care (POC)-Instrumenten kann die Sensitivität der prähospitalen Triage erhöht werden. Mögliche POC-Instrumente sind die Laktatmessung und die Sonografie von Thorax, Abdomen und V. cava sowie die sonografische intrakranielle Druckmessung und die Kapnometrie beim spontan atmenden Patienten [12]. Dennoch gibt es bis heute keinen zuverlässigen serologischen Parameter, der eine Aussage bezüglich der Verletzungsmuster und vor allem bezüglich der Schwere der vorliegenden Verletzungen zulässt und der die Beteiligung der inneren Organe schnell und effektiv nachweisen kann. So lässt der Hämoglobinwert zum Beispiel nur näherungsweise eine Aussage über den stattgehabten Blutverlust zu, die posttraumatischen CRP- oder PCT-Werte können lediglich auf posttraumatische Infektionen hinweisen.
Im Schockraum kann man die vorliegenden Verletzungsmuster anhand der durchgeführten modernen Bildgebung mittels Computertomografie oder Sonografie detektieren. Die Information über die Ausdehnung des morphologisch vorliegenden Schadens kann man aber dadurch schwer feststellen. Scoringsysteme wie Abbreviated Injury Scale (AIS) oder Injury Severity Score (ISS) können lediglich orientierend die gesamte Traumalast einschätzen. Die Definition des Polytraumas auf der Grundlage der Anzahl der verletzten Körperregionen, bezogen auf AIS oder ISS, spiegelt kaum den pathophysiologischen Verlauf nach der erlittenen Verletzung wider. Die weitere Entwicklung kann einerseits sehr dynamisch verlaufen und andererseits das Outcome des Patienten erheblich beeinflussen. Die Schwierigkeit der Einschätzung besteht darin, dass das wirkliche Ausmaß der Schädigung des Organismus unzureichend abgebildet wird, da sich beispielsweise gewisse Verletzungsfolgen erst im weiteren Verlauf klinisch manifestieren. Ein repräsentatives Beispiel ist die Entwicklung eines Acute Respiratory Distress Syndroms als maximale Ausprägung einer thorakalen Verletzung z. B. einer Lungenkontusion oder Rippenserienfraktur. Der Gesamtschaden, insbesondere bei Mitbeteiligung der inneren Organe, sowie seine systemische Reaktion auf das Trauma sind aktuell kaum messbar.
Die Rolle der extrazellulären Vesikel
Unter dem Begriff extrazelluläre Vesikel (EVs) werden Exosome (30–100 nm im Durchmesser) und Mikrovesikel zusammengefasst, die in der Regel von intakten und nicht nekrotischen Zellen abstammen, die im Wesentlichen die gleichen Antigeneigenschaften besitzen wie ihre Ursprungszelle. Sie werden mittels einer Exozytose in den Extrazellulärraum freigesetzt. Zwischenzeitlich hat sich eine Klassifikation nach large EVs und small EVs etabliert. EVs können regelhaft im Serum, Sekreten und Geweben unter physiologischen Bedingungen nachgewiesen werden. Unter pathophysiologischen Bedingungen kann eine qualitative und quantitative Änderung der EV-Konzentration gefunden werden. Nach heutigem molekularbiologischem Stand der Wissenschaft können EVs nicht nur als potenzielle Biomarker – Liquid Biopsy – dienen, sondern besitzen einen Stellenwert bei Signaltransduktion im Organismus und greifen so in die Regulation von Zellfunktionen ein [2][5][9]. Als Beispiel für das große Potenzial der EVs als ein zuverlässiger Biomarker fungieren die in der Erforschung der Leberpathologien gewonnenen Erkenntnisse. Die von Monozyten abstammenden large EVs können zuverlässig eine nicht-alkoholische Fettlebererkrankung (NAFLD/NASH) von Patienten mit einer unauffälligen Leber oder Patienten mit einer HCV-Infektion ohne wesentliche Beeinträchtigung der Leberfunktion zuverlässig unterscheiden [9]. Zum anderen konnte eine Differenzierung zwischen einem hepatozellulären Carcinom und einem cholangiozellulären Carcinom belegt werden [15].
Im Rahmen eines Polytraumas kommt es zu einer komplexen Kaskade von Vorgängen im menschlichen Organismus, angefangen mit der initialen mechanischen Schädigung einzelner Organe und endend in der Einleitung der Wundheilungsvorgänge. Ein initiales Traumaereignis führt zunächst zum Untergang von Zellen. Sodann kommt es zu einer Reaktion des Organismus über eine Aktivierung bzw. Rekrutierung von i) Thrombozyten, ii) CD4+, CD8+ –T-Lymphozyten und iii) inflammatorischen Monozyten neben anderen Zellen. Diese Angriffsziele sind heute in der Erforschung von EVs ein vielversprechender innovativer Biomarker mit breitem wissenschaftlichen Interesse.
Ziel der Arbeit
Im Rahmen der Sonderforschungsprojekte der Bundeswehr (20K1- S-101718 sowie 31K1-S-10 2023) haben wir uns zum Ziel gesetzt, diese Fragestellungen zu adressieren: Es sollte ein stabiler Biomarker im Blut für die Identifikation von schwerstverletzten Patienten sowie für die Differenzierung der Verletzungsmuster entwickelt werden. Desweiteren sollte dieser Paramenter für die Einschätzung des klinischen Verlaufs etabliert werden.
Material und Methoden
Die vorliegende Studie wurde unter wissenschaftlicher Leitung von Oberstleutnant d. R. Priv.-Doz. Dr. rer. nat. Miroslaw Kornek in Kooperation mit der Universitätsklinik Bonn durchgeführt. Die Ergebnisse wurden 2023 in Frontiers in Immunology veröffentlicht [16].
Die durchgeführte Studie konnte in zwei Abschnitte unterteilt werden. Zuerst wurden in vitro Untersuchungen durchgeführt. Anschließend wurden die erzielten Ergebnisse in vivo (als Serumproben der Traumapatienten) umgesetzt.
In vitro: Zusammenfassend und vereinfacht dargestellt wurden die humanen speziellen Monozyten (THP-1-Zellen, eine humane monozytäre Leukämiezelllinie) vorbereitet. Sie weisen Merkmale von Monozyten auf, wie zum Beispiel die Fähigkeit zur Phagozytose und die Produktion von Lysozymen. Im Weiteren wurden entsprechende Antikörper ausgewählt. Die Antikörperpräsentation für CD14, CD44, CD44v6 und CD61 wurde auf diesen Monozyten mit und ohne Makrophagen durch Zelloberflächenfärbung für die durchflusszytometrische Analyse validiert (Abbildung 1). Die von THP-1-abgeleiteten EVs (small EVs sowie large EVs) wurden durch die Größenausschlusschromatographie und Ultrafiltration aus Zellkulturüberständen isoliert und gereinigt.
In vivo: Im Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz wurden prospektiv Serumproben von schwerverletzten Patienten mit einem ISS über 16 gesammelt und analysiert. Die Blutproben (7 ml Serum) wurden innerhalb von 24 Stunden nach dem erlittenen Trauma entnommen. Anschließend erfolgte die Blutentnahme an Tag 2 und 7 nach den stattgehabten Verletzungen.
Es erfolgte die Zentrifugation des Vollblutes. Im weiteren Verlauf wurden EVs aus den Serumproben isoliert. Gewonnene und gereinigte menschliche EVs wurden mit einem interferometrischen Einzelpartikel-Reflexionsbildsensor (SP-IRIS) unter Verwendung des ExoView® R100-Readers charakterisiert (Unchained Labs, Boston, MA, USA; previously NanoView® Biosciences, Boston, MA, USA) (Abbildung 2). Die detaillierte Darstellung des Studienprotokoll ist unter Wang et al. 2023 nachzulesen [16].
Nach dem Etablieren eines Serummarkers – Liquid Biopsy – für das Vorhandensein eines Polytraumas erfolgte die Subgruppenanalyse innerhalb des erhobenen Patientenkollektivs mit dem Ziel, die Verletzungen der inneren Organe in den Körperhöhlen (Thoraxtrauma mit einer Lungenkontusion, Leber- oder Milzverletzungen) von den prädominanten Skelettverletzungen (Becken-, Extremitätenbrüche, Wirbelsäulentraumata) zu differenzieren.
Die klinischen Daten der polytraumatisierten Patienten wurden retrospektiv erhoben und ausgewertet. Folgende Variablen wurden in der Datenerfassung dokumentiert: Biometrische Daten, Traumaursachen/Kinematik (Verkehrsunfälle, Sturz, penetrierende Verletzungen etc), Komorbiditäten, Verletzungsmuster nach Organsystemen (Verletzung der parenchymatösen Organe wie der Leber, Milz, Lunge, Darm und Skelett), Art, Anzahl und Zeitraum der durchgeführten operativen Versorgung oder Interventionen, Manifestation der weiteren initial unerkannten Verletzungen (missed lesion). Die Entwicklung von Komplikationen wie beispielweise ARDS bei Thoraxtrauma, Mesenterialischämie bei Darmkontusionen, Auftreten vom abdominellen Kompartmentsyndrom bei Beckenfrakturen oder abdominellem Trauma wurden ebenfalls erhoben. Es wurde die Dauer der intensivmedizinischen Behandlung sowie die Anzahl der Beatmungsstunden erfasst, sodass die Fragestellung der Traumakinetik und des Verlaufs auf der Zeitachse adressiert werden konnte.
Statistische Auswertung
Die Daten wurden deskriptiv ausgewertet. Nominale Daten wurden unter Verwendung von absoluten Zahlen mit Prozentsätzen dargestellt und metrische Daten mithilfe des Mittelwertes und des 95 %-Konfidenzintervalls erfasst. Alle Analysen wurden mittels SPSS (Version 25, IBM, Armonk, United States) durchgeführt. Zur Analyse der Unterschiede zwischen den Versuchsgruppen wurde eine einseitige ANOVA durchgeführt, gefolgt von einem Post-hoc-Test und Fisher´s exact Test. Die Unterschiede zwischen zwei unabhängigen Subgruppen wurden mithilfe eines zweiseitigen, ungepaarten t-Tests ermittelt. AUROC, die Sensitivität, die Spezifität und die zugehörigen Cut-off-Werte wurden berechnet. Der Pearsons Korrelationskoeffizient wurde berechnet, um die linearen Korrelationen zwischen den beiden Datensätzen zu messen. Die statistischen Ergebnisse wurden als signifikant angesehen, wenn der p-Wert < 0,05 war. Die experimentelle Stärke wurde post-hoc berechnet. FACS-Daten wurden mit FlowJo 10 für MAC OSX (Tree Star Inc., Ashland, OR, USA) analysiert. Die ExoView-Daten wurden mit dem ExoView® Analyzer (Version 3.1.4, Unchained Labs) verarbeitet.
Ethikvotum
Ein gültiges Ethikvotum der Landesärztekammer Rheinland-Pfalz liegt vor (ANr.: 2020–15050) ebenfalls die Registrierung der Studie bei German Registry for Clinical Trials (DRKS 00026025).
Ergebnisse
Die Serumproben von insgesamt 61 schwerstverletzten Patienten mit einem ISS über 16 wurden identifiziert und analysiert. Die meisten Patienten (78,6 %) waren männlich. Die häufigste Verletzungsursache war Sturz aus großer Höhe, gefolgt von Verkehrsunfällen. ISS-Score betrug im Schnitt 26 Punkte.
In vitro: Die Antikörperpräsentation für CD14, CD44, CD44v6 und CD61 wurde auf THP-1-Zellen durch Zelloberflächenfärbung für die durchflusszytometrische Analyse validiert. Die von THP-1-abgeleiteten EVs (small EVs sowie large EVs) wurden durch die Größenausschlusschromatographie und Ultrafiltration aus Zellkulturüberständen isoliert und gereinigt (Abbildung 1).
Abb. 1: Schematische Darstellung der Validierung der Antikörper (Bildquelle: Wang B et al. [16]).
In vivo: Für den ExoView® Tetraspanin Chip wurden 8,5 × 1011 EVs verwendet, die aus THP-1-Zellen nach SEC- und Ultrafiltrations-Reinigung gewonnen wurden. Die Ausbeute und Reinheit der EVs wurde durch Messungen der Nanopartikel-Tracking-Analyse (NTA) ermittelt. Anschließend wurden die ExoView® Tetraspanin-Chips mit der gleichen Anzahl von EVs beladen. sEVs wurden mit Hilfe von CD9, CD63 und CD81 auf dem Chip eingefangen und immobilisiert. Die eingefangenen sEVs wurden auf CD14 und CD61 angefärbt. Unter allen untersuchten sEV-Subpopulationen und zusätzlichen Antikörpern, die auf CD14 und CD61 abzielen, konnten die folgenden Populationen unterschieden werden: CD9 + CD14 + sEVs, CD9 + CD61 + sEVs und doppelt-positive CD9 + CD14 + CD61 + sEVs (Abbildung 2). Es wurden damit die Cut-off-Werte für Vorhandensein eines Traumas mit einem ISS über 16 etabliert. Außerdem besteht eine Übereinstimmung mit dem erhobenen ISS der Verletzungen im Schockraum nach erfolgter Notfalldiagnostik und dem ermitteltem Cut-off-Wert für die ausgewählten sEVs.
Abb. 2: Charakterisierung der sEVs aus den Serumproben der polytraumatisierten Patienten: a) schematische Darstellung der Isolation der sEVs aus den Seren; b-c) Tetraspanin-Verteilung auf CD9+, CD63+ und CD81+ erfassten sEVs auf dem ExoView® Tetraspanin-Chip; d) Repräsentative transmissionselektronenmikroskopische Aufnahme von SEC-isolierten sEV mit einer Größe zwischen 50 nm und 200 nm. (Bildquelle: Wang B et al. [16])
Im Weiteren wurden die Patienten in 2 Subgruppen eingeteilt. Eine Gruppe mit insgesamt 32 Patienten weist primär Verletzungen der inneren Organe (Abbildung 3, OD, n = 32) auf. Die zweite Kohorte mit insgesamt 29 Patienten hat eine Dominanz der Verletzungen des knöchernen Skeletts (hier in Abbildung 3 w/o OD; n = 29). Zu den Verletzungsmustern der inneren Organe (OD-Kohorte) gehören sowohl Lazerationen und Kontusionen parenchymatöser Organe wie Leber, Milz, Niere, Lunge als auch Aortendissektionen und Amputationen. Die zweite Kohorte (w/o OD) weist schwere multiple Knochenbrüche, Luxationen, Weichteilschäden sowie Becken- und Wirbelsäulenverletzungen auf.
Abb. 3: Quantifizierung der angezeigten Subpopulation sEVs aus Humanserum, definiert durch den CD9 sowie Anti-CD14 und Anti-CD61 auf ExoView® Tetraspanin-Chips. (Bildquelle: Wang B et al. [16])
Alle drei Arten von sEV-Subpopulationen wiesen eine höhere mediane Anzahl (CD9 + CD14 + sEVs, CD9 + CD61 + sEVs, doppelt-positive CD9 + CD14 + CD61 + sEVs) auf und waren in der Lage, Patienten in einzelne Subgruppen (OD vs. w/o OD) zu differenzieren. CD9 + CD14 + sEVs ist signifikant um das 11,2-fache in der Gruppe mit den führenden Verletzungen der inneren Organe (Median 5,372 × 105/ml Serum) erhöht im Vergleich zu denen mit prädominanten Verletzungen der knöchernen Strukturen (Median 48,0 × 104/ml Serum) mit einem berechneten Cut-off-Wert von 3,6 × 105/ml Serum (p < 0,001). Die entsprechenden Cut-offs, AUROC sowie Sensibilität und Sensitivität sind in Abbildung 3 präsentiert.
Betrachtet man die Subgruppen (OD und w/o OD) auf der Zeitachse im Verlauf der Hospitalisation (Serumproben Tag 7 nach erlittenem Trauma) zeigt sich ein Zusammenhang zwischen CD9+CD14+sEVs und CD9+CD61+sEV und der Dauer der intensivmedizinischen Therapie sowie der Beatmungsstunden (Abbildung 4).
Abb. 4: sEV auf der untersuchten Zeitachse (Tag 7 nach dem Trauma) und Korrelationen mit ISS, Tagen der invasiven Beatmung und Dauer der Intensivstation (Bildquelle: Wang B et al. [16])
Diskussion und Schlussfolgerung
Aktuelle geopolitische Entwicklungen weltweit und insbesondere vor den Grenzen der EU stellen eine Herausforderung dar. Mit dem russischen Angriff auf die Ukraine sind die Begriffe des Krieges und Friedens ins Zentrum unseres Denkens gerückt. Bewaffnete Konflikte, regionale Spannungen und politische Krisen sind heutzutage nicht mehr aus dem Alltag wegzudenken. Die Erfahrungen aus der Ukraine und dem Nahen Osten zeigen, dass die kriegerischen Auseinandersetzungen in allen Dimensionen unter Nutzung moderner Technologien und einfachster Mittel (z.B. IED) sowie einer hohen Anzahl an Waffen und Soldaten geführt werden. In gleichem Maße ist die Zivilbevölkerung von den Kollateralschäden betroffen. Die Zerstörung der Infrastruktur sowie Fehlen der personellen und materiellen Kapazitäten für die medizinische Versorgung sowohl der Soldaten als auch der verletzten zivilen Bevölkerung (Beispiel: Ukrainekrieg) stellen eine besondere Herausforderung im Alltag dar. Die Landes- und Bündnisverteidigung ist wieder zum Kernauftrag der Bundeswehr geworden. Im Bündnisfall rechnet man mit bis zu 1 000 Verletzten pro Tag. Triage und Erkennen der potenziell tödlichen Verletzungen bei eingeschränkten personellen und medizinischen Ressourcen werden eine kaum überwindbare Aufgabe im Alltag darstellen [7]. Die retrospektive monozentrische Analyse von Levi et al. von 232 eingelieferten Patienten innerhalb von 24 Stunden nach der Konflikteskalation in Israel zeigten, dass die meisten Patienten an sogenannten Blast Injuries mit einem komplexen Trauma litten [10]. Immer mehr wird über die wachsende Rolle von Kampfrobotern und den Einsatz von Drohnen im Nah- und Fernkampf in der Ukraine berichtet [13]. Damit steigt die Anzahl an unvorhersehbaren Verletzungsmustern rapide an.
Um so wichtiger ist es, die komplexen Traumata und ihre Folgen abzuschätzen, um, angepasst an die lokalen Gegebenheiten, die Patienten adäquat versorgen zu können. Um den anspruchsvollen Herausforderungen der Zeit gerecht zu sein, mit den Innovationen der Forschung Schritt zu halten und neue Ideen zu entwickeln haben wir uns im Rahmen der Sonderforschungsprojekte (20K1- S-101718 sowie 31K1-S-10 2023) zur Aufgabe gemacht, einen möglichen serologischen Biomarker – Liquid Biopsy – bei polytraumatisierten Patienten zu etablieren. Dank der vielversprechenden Ergebnissen der Forschung an extrazellulären Vesikeln ist dieses Vorhaben umgesetzt worden. Mittels eines neuen Verfahrens (NanoView) konnten präzise und zuverlässig relevante sEV-Subpopulationen für das komplexe Trauma als serologischer Biomarker – Liquid Biopsy – ermittelt werden. Im Weiteren ist es gelungen, die Differenzierung zwischen den Verletzungen der inneren Organe in den Körperhöhlen (Thorax und Abdomen sowie Amputationen) von den Verletzungen des knöchernen Skeletts anhand einer Blutprobe zu validieren. Es konnte ebenfalls ein zeitlicher Verlauf nach erlittenem Polytrauma analysiert werden und hier ein Zusammenhang zwischen dem etablierten Biomarker und der Dauer der intensivmedizinischen Therapie sowie der Beatmungsstunden bestätigt werden.
Bildrechte
Der Abdruck der Abbildungen 1–4 erfolgte mit freundlicher Genehmigung des Journals Frontiers in Immunology 2023 Nov 15;14:1279496.
Copyright ©️ 2023 Wang, Wöhler, Greven, Salzmann, Keller, Tertel, Zhao, Mert, Horst, Lupu, Huber-Lang, van Griensven, Mollnes, Schaaf, Schwab, Strassburg, Schmidt-Wolf, Giebel, Hildebrand, Lukacs-Kornek, Willms and Kornek. This is an open-access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution License (CC BY). The use, distribution or reproduction in other forums is permitted, provided the original author(s) and the copyright owner(s) are credited and that the original publication in this journal is cited, in accordance with accepted academic practice. No use, distribution or reproduction is permitted which does not comply with these terms.
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Manuskriptdaten
Zitierweise
Wöhler A, Schwab R, Schaaf S, Willms A: Liquid Biopsy als ein innovativer Biomarker für die Erkennung und Differenzierung der Traumafolgen im Rahmen des Polytraumas. WMM 2025; 69(3): 107-114.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-432
Für die Verfasser
Oberfeldarzt Dr. med. Aliona Wöhler
Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz
Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Thoraxchirurgie
Rübenacher Str. 170, 56072 Koblenz
E-Mail: alionawoehler@bundeswehr.org
Manuscript Data
Citation
Wöhler A, Schwab R, Schaaf S, Willms A: [Liquid Biopsy as an Innovative Marker for Recognition and differentiation of Consequences of Polytrauma Injuries.] WMM 2025; 69(3): 107-114.
DOI: https://doi.org/10.48701/opus4-432
For the Authors
Lieutenant Colonels (MC) Dr. Aliona Wöhler, MD
Bundeswehr Central Hospital Koblenz
Department for General, Visceral and Thoracic Surgery
Rübenacher Str. 170, D-56072 Koblenz
E-Mail: alionawoehler@bundeswehr.org